Leben in Lahore - Posh Area Gulberg
22 - 29. mai 05
Assalam o Aleykum,
ich hab doch immer mal von Geschenken gesprochen, die das Leben gibt, wenn man sich nicht zu sehr fixiert. Ich hatte keine Ahnung was mich erwartet und was ich so wirklich tun wuerde nach dem „Aussteigen“.
Die Tage in Rawalpindi vergehen schnell. Asem, der Reporter schleppt mich von hier nach dort und dort nach hier, zeigt mir einen gemütlichen Park, die Faisalmoschee von Islamabad, sein Boss lädt uns zu köstlichstem Essen ein. Er ist rührend darum bemüht, mir ständig Programm zu bieten und merkt dabei manchmal nicht, dass kein Programm auch schön sein kann. Er ist Allah verfallen mit Haut und Haar, zitiert ständig, erklärt geduldig meine 1001 Fragen aber mit dem gewissen Nachdruck, bei dem ich genau weiß, dass es angebracht ist, nicht zu provozierend zu fragen. „Allah u akbar!“
(keine Ahnung wie man das schreibt, heißt soviel wie „Allah ist groß“ und er verwendet es genauso oft wie bei uns einige den Ausruf „Großer Gott“ oder „um Gottes Willen“ verwenden.
Bei seiner ehemaligen Autorin lerne ich ein völlig anderes Bild von ihm kennen. Sie ist gleichalt wie er, gehbehindert und eine der engagiertesten Frauen die er kennt, meint er.
Er wird zum kleinen Jungen, sie macht sich über ihn lustig und erklärt ihm wie die Welt läuft; sagt ihm unverblümt, dass er endlich die Klappe halten soll, wenns zu viel wird und er machts. Von dem Zeitpunkt hab auch ich ein ungezwungeneres Auskommen mit ihm. Vorher hätte ich es nie gewagt, so mit ihm zu reden. Seine Gastfreundschaft ist ein großes Geschenk für mich, aber für die meisten wirklich gläubigen Moslems die sich voll nach dem Koran richten wie er immer vorgibt wäre es undenkbar, von einer Frau, die man eigentlich beschützen soll solche Scherze an den Kopf geworfen zu bekommen. Es wäre ein unentschuldbare Respektlosigkeit.
Die nächsten Tage werden also gemütlicher. Am Montag treffe ich den Mann, der mir bei meinem Iran Visum helfen soll. Er ist ein eindrucksvoller, ruhiger aber bestimmter liberaler Pakistani – ein angenehmer Mann. Seine Finger hat er so circa überall drin, seine Familie handelt seit Generationen mit Teppichen, er war Generalvertreter von Toyota Pakistan, er produziert und verkauft seinen eigenen (köstlichen) Tee, ist Editor einer Zeitung und neuerdings der ersten Regierungskritischen Comiczeitung, die eine Reiher sehr provokanter aber soweit ich sie kennen lernen konnte genialer Zeichner unter ein Dach bringt. Eines seiner Hobbies sind Pferde – daher kennt er auch den Iranischen Konsular in Peshawar, der sicher etwas für mein Visum unternehmen kann. Am Nachmittag seh ich mir seine Pferde an. Araber vom allerfeinsten. Edle Haltung, Kraft und Eleganz und in den Augen den Schimmer der Unruhe. „Bewegung, laufen, schnell!!!!“ scheint der Hengst sagen zu wollen. Jeder Muskel ist angespannt, die Ohren stehen nach vorne, er tänzelt mit den Hufen ungeduldig auf und ab. Zwischendurch leckt er seinem Trainer und Besitzer immer wieder zärtlich über die Hand. Man kann deutilch erkennen, dass sich hier 2 Freunde gefunden haben, die ihre Qualitäten gegenseitig schätzen. Jeder andere, der versucht hier aufzusteigenwird in hohem Bogen abgeworfen. Das riskier ich lieber nicht. Streicheln und führen reichen mir in dem Fall völlig. Ich erinnere mich an meinen letzten Ritt in Pakistan – kein Araber sondern ein Wildfang, auf der Märchenwiese.
Morgen sollen wir zum Frühstück kommen, dann regeln wir den Rest.
Abends treffe ich die beiden Slowenen noch mal, die wir in Lahore kennengelernt haben, die ihr Shangri La in Skardu gefunden haben. Wir wollen Tee trinken gehen und Shangri La Geschichten austauschen. In Saddar Bazaar scheint es keine gemütlichen Teeställe zu geben und ich hab noch Hunger, also versuchen wir es in einem Straßenrestaurant. 2 große besetzte Tische stehen im Freien, alles andere dirnnen. Wir fragen ob wir uns noch einen Tisch rausstellen dürfen. Der Wirt springt vor und jagt einen Tisch voll bärtiger älterer Molsems vom besten Tisch auf und bereitet ihn für uns zum Essen. Schon als der erste aufsteht und wir merken, was passieren wir versuchen wir abzuwehren. Wir wollten ja nur sitzen, nicht andere Leute verjagen. Aber wir haben keine Chance.
Die Unterhaltung wechselt schnell von einem Thema zum anderen, plötzlich schaltet sich ein Einheimishcer vom Nebentisch ein, der Gregor einen Zettel in die Hand drückt. Der Slowene schaut etwas verdutzt und beginnt zu lachen. „Hat jemand einen Stift? Ich will zurückschreiben!“ So geht das dann eine viertel Stunde. Ich frage was los ist und warum sich die beiden nicht einfach unterhalten. Der Mann kann English schreiben, also wird sprechen auch kein Problem sein…
Die Sache ist etwas verzwickter. Der gute Pakistani will Gregor einladen, mit ihm Alkohol trinken zu gehen. Das ist natürlich völlig undenkbar im Islam. Damit auch niemand etwas mitbekommt und er nicht seine „Worte und Reden beschmutzen muss“ schreibt ers einfach auf. Wir lehnen dankend ab.
Asem holt mich spät ab, wir fahren zum Pferdebesitzer. Er telefoniert ein paar mal bis sicher ist, dass in Islamabad hute nichts möglich ist, in Peshawar alles. Ich will nicht nach Peshawar zurück – ich will endlich nach Lahore. Der gute Mann scheint das zu merken und meint: Gibt mir einfach die Adresse von Lahore, ich schicke dir den Pass zu wenn alles fertig ist.
In Österreich würd ich es mir wahrscheinlich 5x überlegen, wem ich meinem Pass gebe, aber hier habe ich keinerlei Bedenken. Der Mann wird alles erledigen. Die große Unbekannte in der Gleichung ist eher das Pakistanische Postwesen…
Und nun auf zum Bus nach Lahore!!!
Dachte nie, dass ich mich so auf Lahore freuen würde. Falls Andreas und Pierre sich nur halb so viel über meinem nächsten Besuch freuen wie es in ihren Emails steht, dann wird das eine wundervolle Zeit. Ein Deutsche ist gerade dort, die ebenfalls in den Kalashtälern war. Spannend.
4 Stunden in einem gemütlichen Kleinbus, vorne neben dem Fahrer, wie sichs für eine brave Frau gehört. Das ist einer der großen Vorteile hier – Frauen bekommen immer die guten Plätze, damit von vornherein ausgeschlossen wird, dass ein Mann sie irgendwie unsittlich betatscht oder ihr auch nur zu nahe kommt. Das Dumme an der Geschichte ist aber, wenn der Bus wirklich voll ist und die Frauensitze auch – kann frau nicht mehr mitfahren.
Im nächtlich staubig finsteren Lahore hilft mir einer der Mitfahrer im Bus bei der Endstation eine Rikschah zu bekommen und erklärt dem Fahrer, wo er mich hinbringen soll. Ich habe mich in keinem anderen Land jemals so aufgehoben und umsorgt gefühlt.
Der Rikschahfahrer weiß natürlich nicht genau, wo nun Gulberg III G91 ist, er fragt sich durch und setzt mich dann schlussendlich vor der richtigen Tür ab.
Die beiden Burschen hier sind echt fantastisch. Silke, die Deutsche, genießt noch ihre letzten paar Tage vor dem Abflug nach 9 Monaten Pakistan.
In den ersten Tagen genieße ich es, nichts zu tun – abgesehen von ein bisserl Haus aufräumen und meine Wäsche waschen. Nicht weg müssen, nicht „keine Zeit“ haben, nicht für den nächsten Tag richtig packen müssen, einfach bleiben können.
Ich will einkaufen gehen, schaffe grade mal 20m weit zu kommen, da bleibt schon ein Auto neben mir stehen und der Fahrer, ein Arzt, fragt: „Wie kann ich dir helfen? Was ist meine Aufgabe?“
Nach 2 Wochen Paksitan habe ich mich daran gewöhnt, nicht abzulehnen, das wäre eine große Respektlosigkeit. Er bringt mich – wie es sich für einen anständigen Moslem gehört – überall hin und passt auf mich auf. Ein Frau alleine? Das kann nicht sein!
Ich denk mir nur manchmal: Laut dem Koran sollen doch alle so sein – vor wem muss man frau dann beschützen in einem Moslemischen Land…
Sie trauen sich wirklich selbst nicht. Asem, der Reporter, hat mir erklärt, dass maximal 10% den heiligen Koran lesen können, verstehen noch weniger. Von denen die ihn nicht lesen können kann man auch nicht erwarten, dass sie alle Regeln befolgen. Und bis man es allen persönlich gesagt hat kann es Generationen dauern. Also lieber den Frauen sagen, sie sollen sich z.B. verschleiern, das ist einfacher. Frauen muss man nichts erklären, sie müssen gehorchen…
Der gute Mann chauffiert mich also quer durch die Stadt, damit ich das beste Gemüse, das beste Obst, die besten CDs, das beste Brot usw bekomme. Nur das Beste ist gut genug für Gäste.
Bei der Heimfahrt gesteht er mir, dass er noch nicht verheiratet ist. Na, zum Glück bin ich ja verheiratet – in moslemischen Ländern ist dies jedenfalls zu meiner Standardantwort geworden. Eine Frau allein ist schon eigenartig, aber wenn sie im heiratsfähigen Alter ist und es noch nicht geschafft hat, einen Mann zufinden, dann ist bestimmt was faul. Er bedauert es kurz, ist aber trotzdem gleich freundlich wie vorher. Er ist Moslem genug, um nicht unangenehm zu werden. Reden wird man wohl noch dürfen.
Er will am nächsten Tag zum Tee vorbei kommen. Kein Problem.
Ich hab das natürlich völlig vergessen und versuche am Vormittag noch ein wenig zu schlafen, nach dem die Nacht sehr lange geworden war. Lahore ist tagsüber so heiß, dass mein europäischer Körper und Geist erst nachts erwachen, wenns angenehme 30 Grad hat…
Nach der 3. Stunde richtigen Schlafes erwache ich und glaube, das Haus stürzt ein, ein Erdbeben in Lahore? Was zum Kuckuck…?
Nach einigen Sekunden völliger Desorientierung wird mir klar: da klopft jemand an meiner Zimmertür und zwar richtig laut. Ich mache auf, verschlafen und nichts Böses ahnend. Vor mir steht ein bärtiger Mann mit Gewehr. Ich schrecke zusammen. Was ist denn hier los? Andreas und Pierre sind lange außer Haus, nur Silke sollte irgendwo da sein.
Der Bart beginnt zu lächeln. „Good Morning, Ma’am!“ Irgendwo hab ich das Gesicht schon gesehen. Langsam dämmert es mir. Der Guard, der eigentlich immer mit einem Jüngeren im Doppelpack auftaucht und das Haus bewacht. Was macht der samt Gewehr im Haus?
Am unteren Ende der Stiege steht der Arzt. Jetzt wird einiges klar. Die beiden haben an der Eingangstür gepocht, aber keine Antwort bekommen. Silke war genau so tot wie ich. Mein Besucher hat den Guard genötigt, es weiter zu versuchen und rein zu gehen. So etwas würde er sonst nie machen.
Ich zieh mich also an und stelle Tee auf. Er möchte Dinge über Bhutan lernen und wissen, welchen Eindruck Pakistan in den verschedenen Provinzen die ich durchquert habe auf mich gemacht hat. Ich frage ihn über das Leben in Pakistan, viele Dinge, die immer noch nicht klar sind und viele Dinge, die mir vorher nie aufgefallen sind. Mit jedem Tag gibt es neue Antworten und noch viel mehr neue Fragen. Viele davon werden wahrscheinlich nie ganz beantwortet werden. Pakistan ist ein eigenartiges Land. Soviel Neues an jeder Ecke.
Nach 2h hab ich genug und erzähle ihm von der Hausarbeit, die ich noch zu erledigen habe. Er versteht sofort und verabschiedet sich, versucht mir einen Kuss zu geben. Ganz unmoslemisch. Das kann nur bedeuten, dass er mir die Geschichte mit dem Ehemann nicht abgekauft hat. Ich mache ihm klar, dass ich das nicht will und er sich keine Hoffnung machen braucht. Ein wenig enttäuscht zieht er ab. Moslems haben eine Vorstellung von europäischen Frauen, die ihnen sagt, dass sie es zumindest versuchen können und die lieben Europäerinnen gar nicht prüde sind und nur eines im Sinn haben, wenn sie länger als 5min mit einem Mann sprechen. Dieses Missverständnis kläre ich auf.
Dem Guard erkläre ich, dass ich am Morgen keinen Besuch mehr haben will. Er versteht und berichtet mir am nächsten Tag voll Freude, wie er den Arzt abgewimmelt hat. Er ist mein Verbündeter, er weiß, was sich unverheiratete Pakistanis erhoffen und sieht sich nun als mein Beschützer.
Pierres Fahrer ist ein edler Mensch mit Charisma und Durchsetzungeskraft, der ein hochrangiger aber pensionierter Militärfunktionär ist und nun nicht einfach rumsitzen will sondern einen interessanten Job haben möchte. Fahrer für Ausländer. Er beschafft sofort am nächsten Tag eine Klingel, damit der Guard nicht wieder ins Haus muss, falls jemand behauptet er sei angekündigt wie der Arzt am Tag zuvor. Der Guard ist glücklich, er hatte ein schlechtes Gewissen aber keinen Ahnung was er hätte tun sollen.
Ich erledige an diesem Tag wirklich noch Hausarbeit – wischen und waschen. Nach 2 Monaten auf Achse kann selbst sowas schön sein. Die Hitze schafft mich zwar, aber ich gewöhne mich langsam wieder daran.
Am Abend fahren wir gemeinsam mit Chandbhai (der Steffi, David, Martin und mich beim ersten Besuch durch die Altstadt geführt hat), Bilal aus Mauritius und einem jungen Afrikaner aus dem Tschad in ein Steakhouse. Ich esse in fremden Ländern immer nur lokale Speisen, aber diesmal freue ich mich richtig auf ein köstlich blutiges Steak.
Im Gunsmoke gibt es das und dazu lustiges Service. Die Kellner in Cowboy Kleidung versuchen mit absolut ernster Miene zu servieren, knallen die Teller auf den Tisch und verkneifen sich mit Mühe ein Lachen. Die Aschenbecher und sonstiger Müll werden auf den Boden geworfen, ein Showrestaurant, wie es die Pakistanische Oberschicht liebt.
Ganze 350 Rupien kostet ein Steak mit Babymais, Salatbuffet, Kartoffelbrei und Gemüsereis. Weniger als 5 EUR, aber ziemlich viel für Pakistanische Verhältnisse. „Willst du dein Steak Medium?“ wird der Junge aus dem Tschad gefragt. Er ist ein Komödiant der Spitzenklasse, immer eine blöde Antwort auf Lager. „Hey Mann, ich bin doch kein Kind, ich bin schon ein großer Mann, warum willst du mir ein kleines Steak geben? Was soll das?“
„Also ein blutiges?“ „Nein verdammt, ich kann kein Blut sehen, ich will es rosa in der Mitte! Wie heißt das?“ „Medium!“
Pierre nimmt mich mit zum Chitrkar (punjabi: Kunst). Er nimmt schon seit 4 Monaten Tablaunterricht und soweit ich das beurteilen kann spielt er ziemlich gut. Das Chitrkar ist eine Art Kunstschule, man kann Mal-, Musik-, Tanz- und Singunterricht nehmen, verschiedene Punjabi Künstler haben sich zusammen getan, um die Punjabikunst aufrecht zuerhalten. Im Pakistanischen Punjab (der andere Teil liegt in Indien) wurde seit der Unabhängigkeit und Trennung von Indien versucht, alles auszulöschen, was an den großen „Feind Indien“ erinnert. Die Jungs und Mädels haben es sich zur Aufgabe gemacht, ein bisschen was zurückzugewinnen. Shahid Mirza, der Initiator, ist ein beeindruckender Mensch voll Kreativität, Entschlossenheit und trotzdem einer unerschütterlichen Ruhe. Er bringt mir die Geschichte des Punjabs näher, die Entstehung der „neuen Pakistanischen Sprache Urdu“, die die Briten als offizielle Verwaltungssprache eingeführt haben, um das Gebiet besser kontrollieren zu können. Niemand konnte mehr offiziell etwas aufschreiben ohne dass die Briten es lesen konnten. Alle politischen Anführer und Funktionäre wurden damals entlassen – sie waren der neuen Verwaltungssprachen nicht mächtig. Die Briten, damals noch die Eastindia Company, hatten einen guten Vorwand, ihre eingenen Leute zu installieren, großteils aus dem Gebiet des jetzigen Indiens.
Am Wochenende gibt’s viele viele Pläne, Ideen. Welche werden wir wohl schließlich erleben? Keiner weiß es. Große Party, französische Küche, Ausflug nach Kasur oder Jhelum, baden, faulenzen, Filmeabend? Mal sehen.
Am Samstag Nachmittag, nach dem auch die Jungs mal richtig ausgeschlafen waren und wir gemeinsam groß gefrühstückt hatten ruft Andreas Chandbhai, Bilal und Wazim an. „In ein paar Stunden fahren wir los, macht euch mal fertig wenn ihr mitwollt! Richtung Jhelum, zum Rhotas Fort und Badesee. Mal sehen!“
Nach ein paar Stunden sitzen wir wirklich alle in Andreas VW Bus – on the road again!!!
Ich kann nur staunen. So hab ich mir die Reise mit dem Auto vorgestellt. Aussteigen wo man grade Lust hat, egal obs dunkel wird oder nicht, im Auto singen und Spass haben. Ziel irgendwo zwischen hier und dort. Die Karre scheppert was das Zeug hält – egal. Wenn was kaputt wird reparieren wir es eben.
Chandbhai ist in bester Laune. So kenn ich ihn noch gar nicht. Mit Martin war er immer sehr höflich aber ernst und leicht distanziert, jetzt ist er mit seien 50+? Jahren wie ein kleines Kind, spielt, lacht, singt. Er sitzt hinten mit Bilal und Wazim wo 2 Matratzen ein schönes mobiles Lager bilden, die Seitentür geöffnet, die Füße auf meinen Kopfstützen, Sonnenbrille und Kapperl auf, der frisch gefärbte lange Bart weht im Wind. Alle paar Minuten streckt er seinen Kopf vor, wirft Pierre oder mir einen Eiswürfel ins Genick, zieht mich an den Ohren. Manchmal ist er eine halbe Stunde ruhig, dann taucht plötzlich aus dem Nichts sein Bart zwischen den vorderen Kopfteilen auf und er lacht laut drauf los oder er hängt sich gefährlich weit aus dem Auto um den Seitenspiegel zu richten.
Der Chenab Fluss fließt unter der Brücke durch, am andern Ufer stehen ein paar Zigeunerzelte am Sandstrand.
„Schau mal links raus, wo ist die Straße die dort runter geht?“ „Da vorne, jetzt rechts, dann unten durch.“ „Wir fahren an den Strand!“
Der VW Bus holpert über eine Sandpiste unter der Brücke durch, Andreas packt den Kocher aus, es gibt Tee mit genialem Ausblick.
Wir wandern am ewiglangen unbewohnten Sandstrand entlang, laufen ins Wasser, spritzen uns gegenseitig nass, am Horizont geht langsam die Sonne unter.
Als sich alle sattgesehen, gewaschen und getrunken haben fahren wir weiter. Vielleicht kommen wir zurück zum Schlafen, jemand hat uns seine Charpois angeboten. Ein schönes Plätzchen, aber vorher wollen wir essen.
Wir kommen doch bis Jhelum zum Fort, ein paar Fotos haben Andreas so beeindruckt, dass er versuchen will in den Ruinen zu schlafen. Schlafsäcke haben wir mit, also mal sehen. Das Fort erstreckt sich über ein großes hügeliges Gelände, überall stehen noch ein paar Überreste von Havelis, Kammern, Richtplätzen und der Mauer.
Der Guard dort verweigert uns den Eintritt, er erzählt von Schlangen, Dieben und Wildschweinen. Aber er führt uns zu mitternächtlicher Stunde gratis übers Gelände, ein großartiger Anblick.
Wir breiten die Decken schließlich neben dem Parkplatz unter Bäumen im Sand aus und dürfen sogar das Bad der Wächter benutzen. Genial. Andreas und Bilal schlafen am Autodach, Wazim auf einer Bank.
Am Morgen serviert Chandbhai Tee und Kekse zum Frühstück, er ist ausgelassen und munter. Beim Rundgang im Fort springt er wie eine junge Ziege von Stein zu Stein, zieht sich an den Felswänden hoch und turnt auf den Vorsprüngen herum. Vielleicht sind seine Geschichten doch wahr? Er erzählt immer, er gehöre zu einer Mudschaheddin Gruppe, habe diverse Ausbildungen absolviert und schon viele Aufträge ausgeführt. Zuhause hatte er mir Ausrüstungsgegenstände wie schräge Zelte, Seile, Kletterstiefel, eine Kalaschnikov, viele eigenartige Dinge, die alles Mögliche sein könnten und Hefte gezeigt und eigenartige Zeichnungen als Strategien zum eindringen in feindliche Zonen erklärt. Es hörte sich sehr plasuibel an, doch sein Lachen dabei, die Scherze… Jedesmal wenn ich wissen wollte, woher das käme gab er dieselbe Antwort: „Du sollst mich nicht solche Sachen fragen, das kann unangenehme Folgen haben.“
Selbst Andreas, der ihn nun seit 4 Jahren kennt weiß nicht recht was er von dem ganzen halten soll. Zuzutrauen ist es ihm auf alle Fälle, wenn er auch gern ein wenig übertreibt. Chandbhai meint, er habe 18 der 21 Kurse absolviert. Der übers Bombenbauen fehle ihm noch, aber das habe er nebenbei gelernt, also werde er auf diesen speziellen Kurs wohl verzichten können.
Seine nächste Mission ist allerdings eine sehr menschliche: Er sucht sich endlich eine Frau, dafür wird er nächste Woche ein paar Tage nach Chitral fahren. In Lahore kennen ihn alle zu gut, dort würde er keine finden. Außerdem sind seine Schwestern sehr anspruchsvoll und haben ein gewichtiges Wort mitzureden. Seine Zukünftige soll aus Nuristan kommen, ein teil von Pakistan in den man laut Chandbhai nur zu Fuß über Afghanistan gelangen kann. Ich bin gespannt!!
Der Rundgang ist gemütlich, jeder bleibt stehen wo er gerade will, setzt sich ein wenig um von Chandbhai halb ernst aufgejagt zu werden. Keiner stört sich am Trödeln der anderen – jeder trödelt, genießt. Obwohl wir nun 6 Leute sind – nicht nur 4 wie vorher im Starex – funktioniert doch alles viel harmonischer. Es wartet nie jemand, am Schluss sind alle da, jeder konnte für sich genießen was immer er wollte – es fügt sich alles einfach zusammen.
So soll eine gemeinsame Reise sein. Natürlich kann ich einen 2Tagesausflug nicht mit einer 2monatigen Reise vergleichen, aber die Stimmung ist von der ersten Sekunde an besser, lockerer, lustiger. Im Bus fliegen Wortfetzen von 5 Sprachen vorbei. Bilal und Pierre unterhalten sich in Französisch, Andreas, Pierre und ich in Deutsch, Andreas und Chandbhai in einem Urdu-Englisch Mix, Pierre und ich mit Chand, Bilal und Wazim in Englisch und Chand versucht uns allen ein bisschen Punjabi beizubringen.
Auf der Rückfahrt kehren wir im besten Truckrestaurant des ganzen Punjabs ein (Empfehlung eines Freundes von Andreas), der uns per Telefon Auskunft gibt. Der erste gefragte Pakistani meint: „Noch 10 km!“, der zweite nach 10km gibt dieselbe Antwort. Nach 30km stehen wir davor, die Mägen knurren lauter als der Motor. Das Essen ist köstlich. Biryani Reis (Reis mit Huhn, Gemüse +?) Gemüse (Spinat + Kartoffel), Pickels, Dahl mit viel Butter und Käse, Hackfleisch in Soße und Hühnchen in allen Varianten. Wow!
Am Spätnachmittag ziehen die ersten Staub- und Dreckwolken von Lahore durchs offenen Autofenster – zuhause!!
Hier will ich noch ein Weilchen bleiben!!
Allah Hafeez
Bis irgendwann
Isa
PS: Ich habe vor kurzem gelesen, dass ihr euch in Europa über die paar 30 Grad mockiert und sogar der Big Ben streikt – ich möchte nur kurz anmerken, dass wir heute 45 Grad haben. Gestern waren es 41 und alle waren heilfroh darüber. Richtig angenehm!
Ich freu mich schon richtig auf die nächsten heißen Tage, angeblich sind die sogar den Mosquitos zu heiß. Meine Stiche kann ich grade gar nicht mehr zählen, ich schaue auf eine Stelle am Fuß und sehe auf Anhieb 7 – aller über 2 Tage nicht mitgezählt. Der restliche Körper sieht genauso aus. Aber es soll besser werden. Wenn ich dran denke, dass ich in Österreich früher halb verrückt geworden bin, wenn eine Gelse im Zimmer geflogen ist oder mich diese sogar noch 1 oder 2x gestochen hat… Jetzt kann ich nur sagen: 20 Stiche mehr oder weniger fallen auch nicht wirklich auf…
PPS: Wir haben mit Spannung verfolgt, wie das französische Referendum ausgeht. Wie sind die Reaktionen bei euch in Österreich, Schweiz, Ukraine, Deutschland… ?
Ich hab auch gehört, dass die liebe österreichische Regierung gar nicht groß gefragt hat sondern einfach im Parlament abstimmen hat lassen. Find ich gar nicht nett!
Hat jemand mal ein paar Details zu dem ganzen Theater?
Wiederwahlen? Wie reif ist diese Idee schon?
Bei Yahoo gibt's Fotos zum blog, falls Du nach dem Passwort gefragt wirst: acchigom
Leben in Lahore Gulberg pics
Jhelum Trip pics
Assalam o Aleykum,
ich hab doch immer mal von Geschenken gesprochen, die das Leben gibt, wenn man sich nicht zu sehr fixiert. Ich hatte keine Ahnung was mich erwartet und was ich so wirklich tun wuerde nach dem „Aussteigen“.
Die Tage in Rawalpindi vergehen schnell. Asem, der Reporter schleppt mich von hier nach dort und dort nach hier, zeigt mir einen gemütlichen Park, die Faisalmoschee von Islamabad, sein Boss lädt uns zu köstlichstem Essen ein. Er ist rührend darum bemüht, mir ständig Programm zu bieten und merkt dabei manchmal nicht, dass kein Programm auch schön sein kann. Er ist Allah verfallen mit Haut und Haar, zitiert ständig, erklärt geduldig meine 1001 Fragen aber mit dem gewissen Nachdruck, bei dem ich genau weiß, dass es angebracht ist, nicht zu provozierend zu fragen. „Allah u akbar!“
(keine Ahnung wie man das schreibt, heißt soviel wie „Allah ist groß“ und er verwendet es genauso oft wie bei uns einige den Ausruf „Großer Gott“ oder „um Gottes Willen“ verwenden.
Bei seiner ehemaligen Autorin lerne ich ein völlig anderes Bild von ihm kennen. Sie ist gleichalt wie er, gehbehindert und eine der engagiertesten Frauen die er kennt, meint er.
Er wird zum kleinen Jungen, sie macht sich über ihn lustig und erklärt ihm wie die Welt läuft; sagt ihm unverblümt, dass er endlich die Klappe halten soll, wenns zu viel wird und er machts. Von dem Zeitpunkt hab auch ich ein ungezwungeneres Auskommen mit ihm. Vorher hätte ich es nie gewagt, so mit ihm zu reden. Seine Gastfreundschaft ist ein großes Geschenk für mich, aber für die meisten wirklich gläubigen Moslems die sich voll nach dem Koran richten wie er immer vorgibt wäre es undenkbar, von einer Frau, die man eigentlich beschützen soll solche Scherze an den Kopf geworfen zu bekommen. Es wäre ein unentschuldbare Respektlosigkeit.
Die nächsten Tage werden also gemütlicher. Am Montag treffe ich den Mann, der mir bei meinem Iran Visum helfen soll. Er ist ein eindrucksvoller, ruhiger aber bestimmter liberaler Pakistani – ein angenehmer Mann. Seine Finger hat er so circa überall drin, seine Familie handelt seit Generationen mit Teppichen, er war Generalvertreter von Toyota Pakistan, er produziert und verkauft seinen eigenen (köstlichen) Tee, ist Editor einer Zeitung und neuerdings der ersten Regierungskritischen Comiczeitung, die eine Reiher sehr provokanter aber soweit ich sie kennen lernen konnte genialer Zeichner unter ein Dach bringt. Eines seiner Hobbies sind Pferde – daher kennt er auch den Iranischen Konsular in Peshawar, der sicher etwas für mein Visum unternehmen kann. Am Nachmittag seh ich mir seine Pferde an. Araber vom allerfeinsten. Edle Haltung, Kraft und Eleganz und in den Augen den Schimmer der Unruhe. „Bewegung, laufen, schnell!!!!“ scheint der Hengst sagen zu wollen. Jeder Muskel ist angespannt, die Ohren stehen nach vorne, er tänzelt mit den Hufen ungeduldig auf und ab. Zwischendurch leckt er seinem Trainer und Besitzer immer wieder zärtlich über die Hand. Man kann deutilch erkennen, dass sich hier 2 Freunde gefunden haben, die ihre Qualitäten gegenseitig schätzen. Jeder andere, der versucht hier aufzusteigenwird in hohem Bogen abgeworfen. Das riskier ich lieber nicht. Streicheln und führen reichen mir in dem Fall völlig. Ich erinnere mich an meinen letzten Ritt in Pakistan – kein Araber sondern ein Wildfang, auf der Märchenwiese.
Morgen sollen wir zum Frühstück kommen, dann regeln wir den Rest.
Abends treffe ich die beiden Slowenen noch mal, die wir in Lahore kennengelernt haben, die ihr Shangri La in Skardu gefunden haben. Wir wollen Tee trinken gehen und Shangri La Geschichten austauschen. In Saddar Bazaar scheint es keine gemütlichen Teeställe zu geben und ich hab noch Hunger, also versuchen wir es in einem Straßenrestaurant. 2 große besetzte Tische stehen im Freien, alles andere dirnnen. Wir fragen ob wir uns noch einen Tisch rausstellen dürfen. Der Wirt springt vor und jagt einen Tisch voll bärtiger älterer Molsems vom besten Tisch auf und bereitet ihn für uns zum Essen. Schon als der erste aufsteht und wir merken, was passieren wir versuchen wir abzuwehren. Wir wollten ja nur sitzen, nicht andere Leute verjagen. Aber wir haben keine Chance.
Die Unterhaltung wechselt schnell von einem Thema zum anderen, plötzlich schaltet sich ein Einheimishcer vom Nebentisch ein, der Gregor einen Zettel in die Hand drückt. Der Slowene schaut etwas verdutzt und beginnt zu lachen. „Hat jemand einen Stift? Ich will zurückschreiben!“ So geht das dann eine viertel Stunde. Ich frage was los ist und warum sich die beiden nicht einfach unterhalten. Der Mann kann English schreiben, also wird sprechen auch kein Problem sein…
Die Sache ist etwas verzwickter. Der gute Pakistani will Gregor einladen, mit ihm Alkohol trinken zu gehen. Das ist natürlich völlig undenkbar im Islam. Damit auch niemand etwas mitbekommt und er nicht seine „Worte und Reden beschmutzen muss“ schreibt ers einfach auf. Wir lehnen dankend ab.
Asem holt mich spät ab, wir fahren zum Pferdebesitzer. Er telefoniert ein paar mal bis sicher ist, dass in Islamabad hute nichts möglich ist, in Peshawar alles. Ich will nicht nach Peshawar zurück – ich will endlich nach Lahore. Der gute Mann scheint das zu merken und meint: Gibt mir einfach die Adresse von Lahore, ich schicke dir den Pass zu wenn alles fertig ist.
In Österreich würd ich es mir wahrscheinlich 5x überlegen, wem ich meinem Pass gebe, aber hier habe ich keinerlei Bedenken. Der Mann wird alles erledigen. Die große Unbekannte in der Gleichung ist eher das Pakistanische Postwesen…
Und nun auf zum Bus nach Lahore!!!
Dachte nie, dass ich mich so auf Lahore freuen würde. Falls Andreas und Pierre sich nur halb so viel über meinem nächsten Besuch freuen wie es in ihren Emails steht, dann wird das eine wundervolle Zeit. Ein Deutsche ist gerade dort, die ebenfalls in den Kalashtälern war. Spannend.
4 Stunden in einem gemütlichen Kleinbus, vorne neben dem Fahrer, wie sichs für eine brave Frau gehört. Das ist einer der großen Vorteile hier – Frauen bekommen immer die guten Plätze, damit von vornherein ausgeschlossen wird, dass ein Mann sie irgendwie unsittlich betatscht oder ihr auch nur zu nahe kommt. Das Dumme an der Geschichte ist aber, wenn der Bus wirklich voll ist und die Frauensitze auch – kann frau nicht mehr mitfahren.
Im nächtlich staubig finsteren Lahore hilft mir einer der Mitfahrer im Bus bei der Endstation eine Rikschah zu bekommen und erklärt dem Fahrer, wo er mich hinbringen soll. Ich habe mich in keinem anderen Land jemals so aufgehoben und umsorgt gefühlt.
Der Rikschahfahrer weiß natürlich nicht genau, wo nun Gulberg III G91 ist, er fragt sich durch und setzt mich dann schlussendlich vor der richtigen Tür ab.
Die beiden Burschen hier sind echt fantastisch. Silke, die Deutsche, genießt noch ihre letzten paar Tage vor dem Abflug nach 9 Monaten Pakistan.
In den ersten Tagen genieße ich es, nichts zu tun – abgesehen von ein bisserl Haus aufräumen und meine Wäsche waschen. Nicht weg müssen, nicht „keine Zeit“ haben, nicht für den nächsten Tag richtig packen müssen, einfach bleiben können.
Ich will einkaufen gehen, schaffe grade mal 20m weit zu kommen, da bleibt schon ein Auto neben mir stehen und der Fahrer, ein Arzt, fragt: „Wie kann ich dir helfen? Was ist meine Aufgabe?“
Nach 2 Wochen Paksitan habe ich mich daran gewöhnt, nicht abzulehnen, das wäre eine große Respektlosigkeit. Er bringt mich – wie es sich für einen anständigen Moslem gehört – überall hin und passt auf mich auf. Ein Frau alleine? Das kann nicht sein!
Ich denk mir nur manchmal: Laut dem Koran sollen doch alle so sein – vor wem muss man frau dann beschützen in einem Moslemischen Land…
Sie trauen sich wirklich selbst nicht. Asem, der Reporter, hat mir erklärt, dass maximal 10% den heiligen Koran lesen können, verstehen noch weniger. Von denen die ihn nicht lesen können kann man auch nicht erwarten, dass sie alle Regeln befolgen. Und bis man es allen persönlich gesagt hat kann es Generationen dauern. Also lieber den Frauen sagen, sie sollen sich z.B. verschleiern, das ist einfacher. Frauen muss man nichts erklären, sie müssen gehorchen…
Der gute Mann chauffiert mich also quer durch die Stadt, damit ich das beste Gemüse, das beste Obst, die besten CDs, das beste Brot usw bekomme. Nur das Beste ist gut genug für Gäste.
Bei der Heimfahrt gesteht er mir, dass er noch nicht verheiratet ist. Na, zum Glück bin ich ja verheiratet – in moslemischen Ländern ist dies jedenfalls zu meiner Standardantwort geworden. Eine Frau allein ist schon eigenartig, aber wenn sie im heiratsfähigen Alter ist und es noch nicht geschafft hat, einen Mann zufinden, dann ist bestimmt was faul. Er bedauert es kurz, ist aber trotzdem gleich freundlich wie vorher. Er ist Moslem genug, um nicht unangenehm zu werden. Reden wird man wohl noch dürfen.
Er will am nächsten Tag zum Tee vorbei kommen. Kein Problem.
Ich hab das natürlich völlig vergessen und versuche am Vormittag noch ein wenig zu schlafen, nach dem die Nacht sehr lange geworden war. Lahore ist tagsüber so heiß, dass mein europäischer Körper und Geist erst nachts erwachen, wenns angenehme 30 Grad hat…
Nach der 3. Stunde richtigen Schlafes erwache ich und glaube, das Haus stürzt ein, ein Erdbeben in Lahore? Was zum Kuckuck…?
Nach einigen Sekunden völliger Desorientierung wird mir klar: da klopft jemand an meiner Zimmertür und zwar richtig laut. Ich mache auf, verschlafen und nichts Böses ahnend. Vor mir steht ein bärtiger Mann mit Gewehr. Ich schrecke zusammen. Was ist denn hier los? Andreas und Pierre sind lange außer Haus, nur Silke sollte irgendwo da sein.
Der Bart beginnt zu lächeln. „Good Morning, Ma’am!“ Irgendwo hab ich das Gesicht schon gesehen. Langsam dämmert es mir. Der Guard, der eigentlich immer mit einem Jüngeren im Doppelpack auftaucht und das Haus bewacht. Was macht der samt Gewehr im Haus?
Am unteren Ende der Stiege steht der Arzt. Jetzt wird einiges klar. Die beiden haben an der Eingangstür gepocht, aber keine Antwort bekommen. Silke war genau so tot wie ich. Mein Besucher hat den Guard genötigt, es weiter zu versuchen und rein zu gehen. So etwas würde er sonst nie machen.
Ich zieh mich also an und stelle Tee auf. Er möchte Dinge über Bhutan lernen und wissen, welchen Eindruck Pakistan in den verschedenen Provinzen die ich durchquert habe auf mich gemacht hat. Ich frage ihn über das Leben in Pakistan, viele Dinge, die immer noch nicht klar sind und viele Dinge, die mir vorher nie aufgefallen sind. Mit jedem Tag gibt es neue Antworten und noch viel mehr neue Fragen. Viele davon werden wahrscheinlich nie ganz beantwortet werden. Pakistan ist ein eigenartiges Land. Soviel Neues an jeder Ecke.
Nach 2h hab ich genug und erzähle ihm von der Hausarbeit, die ich noch zu erledigen habe. Er versteht sofort und verabschiedet sich, versucht mir einen Kuss zu geben. Ganz unmoslemisch. Das kann nur bedeuten, dass er mir die Geschichte mit dem Ehemann nicht abgekauft hat. Ich mache ihm klar, dass ich das nicht will und er sich keine Hoffnung machen braucht. Ein wenig enttäuscht zieht er ab. Moslems haben eine Vorstellung von europäischen Frauen, die ihnen sagt, dass sie es zumindest versuchen können und die lieben Europäerinnen gar nicht prüde sind und nur eines im Sinn haben, wenn sie länger als 5min mit einem Mann sprechen. Dieses Missverständnis kläre ich auf.
Dem Guard erkläre ich, dass ich am Morgen keinen Besuch mehr haben will. Er versteht und berichtet mir am nächsten Tag voll Freude, wie er den Arzt abgewimmelt hat. Er ist mein Verbündeter, er weiß, was sich unverheiratete Pakistanis erhoffen und sieht sich nun als mein Beschützer.
Pierres Fahrer ist ein edler Mensch mit Charisma und Durchsetzungeskraft, der ein hochrangiger aber pensionierter Militärfunktionär ist und nun nicht einfach rumsitzen will sondern einen interessanten Job haben möchte. Fahrer für Ausländer. Er beschafft sofort am nächsten Tag eine Klingel, damit der Guard nicht wieder ins Haus muss, falls jemand behauptet er sei angekündigt wie der Arzt am Tag zuvor. Der Guard ist glücklich, er hatte ein schlechtes Gewissen aber keinen Ahnung was er hätte tun sollen.
Ich erledige an diesem Tag wirklich noch Hausarbeit – wischen und waschen. Nach 2 Monaten auf Achse kann selbst sowas schön sein. Die Hitze schafft mich zwar, aber ich gewöhne mich langsam wieder daran.
Am Abend fahren wir gemeinsam mit Chandbhai (der Steffi, David, Martin und mich beim ersten Besuch durch die Altstadt geführt hat), Bilal aus Mauritius und einem jungen Afrikaner aus dem Tschad in ein Steakhouse. Ich esse in fremden Ländern immer nur lokale Speisen, aber diesmal freue ich mich richtig auf ein köstlich blutiges Steak.
Im Gunsmoke gibt es das und dazu lustiges Service. Die Kellner in Cowboy Kleidung versuchen mit absolut ernster Miene zu servieren, knallen die Teller auf den Tisch und verkneifen sich mit Mühe ein Lachen. Die Aschenbecher und sonstiger Müll werden auf den Boden geworfen, ein Showrestaurant, wie es die Pakistanische Oberschicht liebt.
Ganze 350 Rupien kostet ein Steak mit Babymais, Salatbuffet, Kartoffelbrei und Gemüsereis. Weniger als 5 EUR, aber ziemlich viel für Pakistanische Verhältnisse. „Willst du dein Steak Medium?“ wird der Junge aus dem Tschad gefragt. Er ist ein Komödiant der Spitzenklasse, immer eine blöde Antwort auf Lager. „Hey Mann, ich bin doch kein Kind, ich bin schon ein großer Mann, warum willst du mir ein kleines Steak geben? Was soll das?“
„Also ein blutiges?“ „Nein verdammt, ich kann kein Blut sehen, ich will es rosa in der Mitte! Wie heißt das?“ „Medium!“
Pierre nimmt mich mit zum Chitrkar (punjabi: Kunst). Er nimmt schon seit 4 Monaten Tablaunterricht und soweit ich das beurteilen kann spielt er ziemlich gut. Das Chitrkar ist eine Art Kunstschule, man kann Mal-, Musik-, Tanz- und Singunterricht nehmen, verschiedene Punjabi Künstler haben sich zusammen getan, um die Punjabikunst aufrecht zuerhalten. Im Pakistanischen Punjab (der andere Teil liegt in Indien) wurde seit der Unabhängigkeit und Trennung von Indien versucht, alles auszulöschen, was an den großen „Feind Indien“ erinnert. Die Jungs und Mädels haben es sich zur Aufgabe gemacht, ein bisschen was zurückzugewinnen. Shahid Mirza, der Initiator, ist ein beeindruckender Mensch voll Kreativität, Entschlossenheit und trotzdem einer unerschütterlichen Ruhe. Er bringt mir die Geschichte des Punjabs näher, die Entstehung der „neuen Pakistanischen Sprache Urdu“, die die Briten als offizielle Verwaltungssprache eingeführt haben, um das Gebiet besser kontrollieren zu können. Niemand konnte mehr offiziell etwas aufschreiben ohne dass die Briten es lesen konnten. Alle politischen Anführer und Funktionäre wurden damals entlassen – sie waren der neuen Verwaltungssprachen nicht mächtig. Die Briten, damals noch die Eastindia Company, hatten einen guten Vorwand, ihre eingenen Leute zu installieren, großteils aus dem Gebiet des jetzigen Indiens.
Am Wochenende gibt’s viele viele Pläne, Ideen. Welche werden wir wohl schließlich erleben? Keiner weiß es. Große Party, französische Küche, Ausflug nach Kasur oder Jhelum, baden, faulenzen, Filmeabend? Mal sehen.
Am Samstag Nachmittag, nach dem auch die Jungs mal richtig ausgeschlafen waren und wir gemeinsam groß gefrühstückt hatten ruft Andreas Chandbhai, Bilal und Wazim an. „In ein paar Stunden fahren wir los, macht euch mal fertig wenn ihr mitwollt! Richtung Jhelum, zum Rhotas Fort und Badesee. Mal sehen!“
Nach ein paar Stunden sitzen wir wirklich alle in Andreas VW Bus – on the road again!!!
Ich kann nur staunen. So hab ich mir die Reise mit dem Auto vorgestellt. Aussteigen wo man grade Lust hat, egal obs dunkel wird oder nicht, im Auto singen und Spass haben. Ziel irgendwo zwischen hier und dort. Die Karre scheppert was das Zeug hält – egal. Wenn was kaputt wird reparieren wir es eben.
Chandbhai ist in bester Laune. So kenn ich ihn noch gar nicht. Mit Martin war er immer sehr höflich aber ernst und leicht distanziert, jetzt ist er mit seien 50+? Jahren wie ein kleines Kind, spielt, lacht, singt. Er sitzt hinten mit Bilal und Wazim wo 2 Matratzen ein schönes mobiles Lager bilden, die Seitentür geöffnet, die Füße auf meinen Kopfstützen, Sonnenbrille und Kapperl auf, der frisch gefärbte lange Bart weht im Wind. Alle paar Minuten streckt er seinen Kopf vor, wirft Pierre oder mir einen Eiswürfel ins Genick, zieht mich an den Ohren. Manchmal ist er eine halbe Stunde ruhig, dann taucht plötzlich aus dem Nichts sein Bart zwischen den vorderen Kopfteilen auf und er lacht laut drauf los oder er hängt sich gefährlich weit aus dem Auto um den Seitenspiegel zu richten.
Der Chenab Fluss fließt unter der Brücke durch, am andern Ufer stehen ein paar Zigeunerzelte am Sandstrand.
„Schau mal links raus, wo ist die Straße die dort runter geht?“ „Da vorne, jetzt rechts, dann unten durch.“ „Wir fahren an den Strand!“
Der VW Bus holpert über eine Sandpiste unter der Brücke durch, Andreas packt den Kocher aus, es gibt Tee mit genialem Ausblick.
Wir wandern am ewiglangen unbewohnten Sandstrand entlang, laufen ins Wasser, spritzen uns gegenseitig nass, am Horizont geht langsam die Sonne unter.
Als sich alle sattgesehen, gewaschen und getrunken haben fahren wir weiter. Vielleicht kommen wir zurück zum Schlafen, jemand hat uns seine Charpois angeboten. Ein schönes Plätzchen, aber vorher wollen wir essen.
Wir kommen doch bis Jhelum zum Fort, ein paar Fotos haben Andreas so beeindruckt, dass er versuchen will in den Ruinen zu schlafen. Schlafsäcke haben wir mit, also mal sehen. Das Fort erstreckt sich über ein großes hügeliges Gelände, überall stehen noch ein paar Überreste von Havelis, Kammern, Richtplätzen und der Mauer.
Der Guard dort verweigert uns den Eintritt, er erzählt von Schlangen, Dieben und Wildschweinen. Aber er führt uns zu mitternächtlicher Stunde gratis übers Gelände, ein großartiger Anblick.
Wir breiten die Decken schließlich neben dem Parkplatz unter Bäumen im Sand aus und dürfen sogar das Bad der Wächter benutzen. Genial. Andreas und Bilal schlafen am Autodach, Wazim auf einer Bank.
Am Morgen serviert Chandbhai Tee und Kekse zum Frühstück, er ist ausgelassen und munter. Beim Rundgang im Fort springt er wie eine junge Ziege von Stein zu Stein, zieht sich an den Felswänden hoch und turnt auf den Vorsprüngen herum. Vielleicht sind seine Geschichten doch wahr? Er erzählt immer, er gehöre zu einer Mudschaheddin Gruppe, habe diverse Ausbildungen absolviert und schon viele Aufträge ausgeführt. Zuhause hatte er mir Ausrüstungsgegenstände wie schräge Zelte, Seile, Kletterstiefel, eine Kalaschnikov, viele eigenartige Dinge, die alles Mögliche sein könnten und Hefte gezeigt und eigenartige Zeichnungen als Strategien zum eindringen in feindliche Zonen erklärt. Es hörte sich sehr plasuibel an, doch sein Lachen dabei, die Scherze… Jedesmal wenn ich wissen wollte, woher das käme gab er dieselbe Antwort: „Du sollst mich nicht solche Sachen fragen, das kann unangenehme Folgen haben.“
Selbst Andreas, der ihn nun seit 4 Jahren kennt weiß nicht recht was er von dem ganzen halten soll. Zuzutrauen ist es ihm auf alle Fälle, wenn er auch gern ein wenig übertreibt. Chandbhai meint, er habe 18 der 21 Kurse absolviert. Der übers Bombenbauen fehle ihm noch, aber das habe er nebenbei gelernt, also werde er auf diesen speziellen Kurs wohl verzichten können.
Seine nächste Mission ist allerdings eine sehr menschliche: Er sucht sich endlich eine Frau, dafür wird er nächste Woche ein paar Tage nach Chitral fahren. In Lahore kennen ihn alle zu gut, dort würde er keine finden. Außerdem sind seine Schwestern sehr anspruchsvoll und haben ein gewichtiges Wort mitzureden. Seine Zukünftige soll aus Nuristan kommen, ein teil von Pakistan in den man laut Chandbhai nur zu Fuß über Afghanistan gelangen kann. Ich bin gespannt!!
Der Rundgang ist gemütlich, jeder bleibt stehen wo er gerade will, setzt sich ein wenig um von Chandbhai halb ernst aufgejagt zu werden. Keiner stört sich am Trödeln der anderen – jeder trödelt, genießt. Obwohl wir nun 6 Leute sind – nicht nur 4 wie vorher im Starex – funktioniert doch alles viel harmonischer. Es wartet nie jemand, am Schluss sind alle da, jeder konnte für sich genießen was immer er wollte – es fügt sich alles einfach zusammen.
So soll eine gemeinsame Reise sein. Natürlich kann ich einen 2Tagesausflug nicht mit einer 2monatigen Reise vergleichen, aber die Stimmung ist von der ersten Sekunde an besser, lockerer, lustiger. Im Bus fliegen Wortfetzen von 5 Sprachen vorbei. Bilal und Pierre unterhalten sich in Französisch, Andreas, Pierre und ich in Deutsch, Andreas und Chandbhai in einem Urdu-Englisch Mix, Pierre und ich mit Chand, Bilal und Wazim in Englisch und Chand versucht uns allen ein bisschen Punjabi beizubringen.
Auf der Rückfahrt kehren wir im besten Truckrestaurant des ganzen Punjabs ein (Empfehlung eines Freundes von Andreas), der uns per Telefon Auskunft gibt. Der erste gefragte Pakistani meint: „Noch 10 km!“, der zweite nach 10km gibt dieselbe Antwort. Nach 30km stehen wir davor, die Mägen knurren lauter als der Motor. Das Essen ist köstlich. Biryani Reis (Reis mit Huhn, Gemüse +?) Gemüse (Spinat + Kartoffel), Pickels, Dahl mit viel Butter und Käse, Hackfleisch in Soße und Hühnchen in allen Varianten. Wow!
Am Spätnachmittag ziehen die ersten Staub- und Dreckwolken von Lahore durchs offenen Autofenster – zuhause!!
Hier will ich noch ein Weilchen bleiben!!
Allah Hafeez
Bis irgendwann
Isa
PS: Ich habe vor kurzem gelesen, dass ihr euch in Europa über die paar 30 Grad mockiert und sogar der Big Ben streikt – ich möchte nur kurz anmerken, dass wir heute 45 Grad haben. Gestern waren es 41 und alle waren heilfroh darüber. Richtig angenehm!
Ich freu mich schon richtig auf die nächsten heißen Tage, angeblich sind die sogar den Mosquitos zu heiß. Meine Stiche kann ich grade gar nicht mehr zählen, ich schaue auf eine Stelle am Fuß und sehe auf Anhieb 7 – aller über 2 Tage nicht mitgezählt. Der restliche Körper sieht genauso aus. Aber es soll besser werden. Wenn ich dran denke, dass ich in Österreich früher halb verrückt geworden bin, wenn eine Gelse im Zimmer geflogen ist oder mich diese sogar noch 1 oder 2x gestochen hat… Jetzt kann ich nur sagen: 20 Stiche mehr oder weniger fallen auch nicht wirklich auf…
PPS: Wir haben mit Spannung verfolgt, wie das französische Referendum ausgeht. Wie sind die Reaktionen bei euch in Österreich, Schweiz, Ukraine, Deutschland… ?
Ich hab auch gehört, dass die liebe österreichische Regierung gar nicht groß gefragt hat sondern einfach im Parlament abstimmen hat lassen. Find ich gar nicht nett!
Hat jemand mal ein paar Details zu dem ganzen Theater?
Wiederwahlen? Wie reif ist diese Idee schon?
Bei Yahoo gibt's Fotos zum blog, falls Du nach dem Passwort gefragt wirst: acchigom
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