Die Kalash Taeler - eine Liebe beginnt
12 - 18 Mai
Ishpata!
Vor ein paar Tagen habe ich ein Mail von einem Slowenischen Reisenden bekommen, den wir in Lahore getroffen haben – er hätte sein Shangri La* gefunden: in Skardu.
Ich war noch nicht in Skardu – an der Grenze zu China, in einer Gegend, in der so gar nicht kleine Berge wie der K2 rum stehen.
Nun muss ich sagen, ich habe MEIN Shambala* gefunden. Die Kalash Täler in Chitral.
Les ein bisschen weiter, vielleicht schaffe ich es, die Faszination und Einzigartigkeit übermitteln zu können – vielleicht spürst du ein bisschen von der Besonderheit dieser Kultur:
Von Martins ehemaligem Schüler Faham Aziz aus Klessheim, der nun Oberhaupt des PTDC (Pakistan tourism developement cooperation) in Chitral ist, bekommen wir einen Vorschlag für die Gestaltung der nächsten Tage (dass er nicht halten wird, brauche ich nicht zu sagen, aber für den Anfang wunderbar). Wir sollen zuerst ins südlichste (Birir) der noch übrigen 3 Kalash Täler fahren, von dort aus ins nächste (Bumburet) trekken. Dort möchte er uns ins PTDC Hotel einladen und wir werden Gelegenheit haben, das Fest mitzuerleben.
Die Kalash besiedelten fast ganz Chitral und Teile des angrenzenden Afghanistans (Nuristan), bis Ende des 19. Jh. der Islam Einzug hielt und viele zwangsweise konvertierten. Jetzt gibt es nur mehr ca. 4000 Kalash, aber die Zahl steigt. Man merkt es an den vielen vielen Kindern.
Schon das erste Gesicht einer Kalashfrau erinnert stark an europäische Züge.
Wir fahren also mit einem gemieteten Jeep 1,5h ins Birir Tal. 1000 Rupien kostet der Spass – also fast nichts für 4 Leute. (3 EUR pro Nase).
Sobald wir von der Hauptstraße abbiegen verwandelt sich die ohnehin schon bezaubernde Landschaft in ein Wunderland. Schroffe Felsen, zartgrüne Wiesen, saftige Walnuss- und Aprikosenbäume, kleine Bäche und von Weitem die ersten Kalash.
Wir kommen im Dorf Guru an und steigen beim Guesthouse aus. Hier gäbe es keine Zimmer-nur mit Vorreservierung. Die haben wir natürlich nicht. Nach einer Weiledes Rumstehens und Bewunderns der Landschaft werden wir von einem der ebenfalls hier wohnenden Moslems gleich ins einzige Kalash Guesthouse des Dorfes geführt. Sein Onkel Irfan ist Kalash, Beauftragter der Minderheitenvertreter und Besitzer des GHs. Rabichan, die Hausherrin begrüßt uns mit warmem Lächeln und zeigt uns die Zimmer. In einem stehen 2 Seilbetten, im anderen liegen Decken am Boden. Ich registriere das gar nicht so wirklich. Viel mehr fasziniert mich ihre Kleidung, ihr Aussehen und ihre selbstbewusste Haltung, ihr fester Blick und ihr Kopfschmuck mit der kunstvollen Haarpracht darunter. Ich hatte vorher im Lonley Planet ein Bild einer Kalash Frau in Tracht gesehen und gehofft, wir würden so eine zu Gesicht bekommen – vielleicht beim Fest. Die Überraschung ist groß. Alle Frauen tragen ständig das schwarze, weite Kleid, an der Hüfte mit einem bunten Gürtel zusammengerafft; am Kragen, den Ärmelenden und am Halsausschnitt prächtig mit bunten grellen Wollfäden bestickt. Dazu kommt der Kopfschmuck – sieh in dir am besten selbst an!! (foto) Er sitzt auf den 5 Zöpfen, je 2 vor und 2 hinter den Ohren und einem an der Stirn, der um den Kopf gewickelt und verknotet wird, um dem Kopfschmuck Halt zu geben.
Um ihren Hals hängen dutzende Ketten, meist orange oder gelb in verschiedenen Längen. Ihre Gesichtszüge erinnern an europäische.
Angeblich sollen die Kalash ja von Alexander dem Großen abstammen, der 326 vC nach dem Sieg über den indischen Herrscher Poros am Jhelum (der Fluss an dessen Nähe das Rothas Fort aus einem der früheren Mails steht) wegen einer Meuterei seiner nach langen Eroberungszügen erschöpften Soldaten den Rückzug antreten musste. Einige seiner Soldaten blieben aber. Sie sollen die legendären Vorfahren sein. Andere behaupten, dass dem Diadoch Seleukos, der Alexanders Nachfolge in dem Reich von Syrien bis zum Indus antrat, diese Ehre gebührt – jedenfalls griechisch/makedonisch.
Die Holzhäuser sind schachtelförmig über und nebeneinander teils auf Stelzen gebaut. Am Dach des einen befindet sich der Eingang des anderen. Unter dem Dach befinden sich zur Hälfte meist 2 überdachte Wohnräume – weil mindestens 2 Brüder oder Schwestern sich mit Anhang das Haus teilen – und eine überdachte, aber sonst offene Terrasse oder Balkon, je nach dem auf welchem Level das Haus gebaut wurde, wo sich untertags das Leben abspielt.
Rabichan und ihre Cousine, von der niemand genau weiß wie alt sie ist, weil es keine Geburtenregistrierung gibt, sitzen bei der Feuerstelle des Balkons. Eines wissen aber alle: seit 6 Sommern ist sie schon verheiratet. Jetzt ist sie irgendwo zwischen 22 und 26. Sie sieht aus wie 17, hat schon 2 Kinder. Die beiden Frauen verteilen gleichmäßig breiartigen Teig auf einer mobilen konkaven Herdplatte, die aussieht wie der verbogene Deckel einer großen Pfanne. Das Brot duftet herrlich, wir sind hungrig. Die Kleinen sortieren Klee von restlichem Gras und stopfen sich zwischendurch immer wieder ein Kleeblatt in den Mund. Unser Lunch ist in der Vorbereitungsphase. Neugierig und fasziniert beobachte ich sie. Wir sitzen alle ebenfalls am Balkon auf niedrigen Hockern mit geflochtenen Sitzflächen und warten bis das Teewasser kocht. Dazu reicht Rabichan erstmal Nussbrot als Vorspeise, damit der Magen nicht ganz so laut knurren muss. Das Brot ist ähnlich wie Chapati (runde Fladen aus Mehlteig) hat in der Mitte aber eine Schicht aus köstlich schmeckendem, salzigen Nussbrei und eine knusprige Kruste.
Rabichan geht der restlichen Arbeit nach. Es ist schön hier, nicht ständig der Specialguest zu sein und besondere Behandlung zu erfahren, sondern einfach in der Familie aufgenommen und dabei aber für sich selbst verantwortlich zu sein. Ich darf einfach da sitzen und zusehen, ohne dass 8 Leute fragen ob ich etwas brauche und trotz Verneinung irgendein Programm oder sonst was absolvieren. Ich kann weg gehen ohne dass 5 Leute kommen und sagen: „Wo willst du hin, warte, ich begleite dich. Nein du kannst nicht alleine gehen… Warum? Du bist mein Gast, das ist meine Pflicht!“
Während Rabichan also weiter kocht mache ich mich auf zur Entdeckungsreise durchs Dorf – das heißt immer ein paar Stiegen weiter, in jeden Haus willkommen sein, sich zum Tee dazu sitzen wenn grade welchen gibt, sonst einfach so.
Ein kleiner Junge spielt Guide, begleitet mich – ohne um Geld zu fragen oder es zu wollen – scheint aber zu wissen, dass Frauen hier ihren eigenen Kopf haben und stört sich nicht daran, wenn ich seinen Schritten nicht immer folge. Viel zu interessant sind all die neuen bzw. manchmal altbekannten und deshalb überraschenden Dinge, die sich an jeder Ecke finden.
Fakher, ein pensionierter Schulwart, klagt über entsetzliche Kopfschmerzen. Der kleine Junge übersetzt in brüchigem Englisch, dass eine Britin jeden Sommer Medizin bringt und sie gratis verteilt. Jeden Winter wird die Medizin aufgebraucht. Ihr nächster Besuch werde erst Ende Mai erwartet, so fehlt es nun an allen Medikamenten. Ich verspreche, meine „Erste Hilfe Box“ zu durchsuchen.
Ganz klar ist mir nicht, warum die Kalash nicht einfach Medizin aus Chitral bringen, es ist per Jeep nur max. 2h entfernt. Im Winter muss man bis zur Hauptstraße gehen – 2h im Schweinsgallopp. Mit jedem Schritt in dem Wunderland erfahre ich immer mehr, dass die Kalash lieber unter sich sind, mit den Pakistanis nicht viel am Hut haben. „Sie leben so ohne Freude, so streng, behandeln ihre Frauen nicht gleichwertig. Wir haben immer schon auf traditionelle Art gelebt und wollen die modernen Dinge gar nicht!“ bekomme ich oft als Antwort.
Nur so konnten sie es wahrscheinlich schaffen, ihre eigene Kultur so ursprünglich zu erhalten obwohl sie nicht unbedingt an einem abgeschiedenen Ort leben.
Mit den Moslems, die im selben Tal wohnen, leben sie aber in friedlicher Eintracht. Sie besuchen sich gegenseitig, helfen sich, spielen gemeinsam und lassen jedem in gewissen Dingen einfach seine Eigenarten. „Die Moslems beten 5x am Tag - viel zu anstrengend, sie waschen sich so häufig, sie essen nur mit der rechten Hand, die Frauen setzen ihre Meinung nicht durch, sie schreiben arabisch… usw. – sollen sie ruhig, wir brauchen das nicht!“
„Die Kalash waschen sich so selten, sie beten den falschen Gott an, sie bedecken sich nicht, sie essen auch mit der linken Hand, sie schreiben als einzige hier in lateinischer Schrift, sie lehnen Modernisierung weitgehend ab … sollen sie halt, wir brauchen das nicht!“
Es gibt keine Kriminalität – „außer wenn jemand von Außen kommt!“
Der Großteil der Moslems hier konvertierte irgendwann, sie stammen aber alle vom Kalash Volk. Äußerlich unterscheiden sich die Männer kaum, die Frauen sehr deutlich durch ihre Tracht. Islamische Frauen tragen auch hier den Schleier. Die liberale Gemeinschaft trägt aber auch dazu bei, dass moslemische Männer beim Anblick einer unverschleierten Frau nicht zusammenzucken, sondern es eben als kulturelle Eigenheit sehen. Manchmal drücken sie mir sogar die Hand zur Begrüßung.
Kalash glauben an einen Gott, haben keine Tempel, Kirchen oder Moscheen sondern opfern ihre Ziegen in freier Natur, an heiligen Plätzen in den Bergen. Sie beten nicht, leben aber mit ihrer Umwelt in friedlichem, respektvollem Einklang.
Eine Etage tiefer wohnt Azurma, die mir gleich 2 Zöpfe flechtet und ihre Kappe zum Ausprobieren gibt.
Ich hole ein paar Paracetamol und klettere mit Steffi und einem der Brüder des GH Besitzers als Übersetzer wieder hoch zu Fakher, der mir überschwänglich dankt und uns zu Rührei mit Brot einlädt. Nebenbei spielt sein Sohn auf der Sitar, die Kinder und unser Begleiter singen, Fakher tanzt und fragt, ob wir ihn filmen wollen. Dafür würde er uns sogar ein Lied vorsingen. Ein berührende Melodie, dazu leise der wehmütige Klang der Sitar. Zwischen den Sätzen spuckt er kräftig in die Zimmerecke, direkt vor die Kamera. „Ich habe ein kurzes Lied gesungen, weil ich glaube, dass das Videoband sehr teuer ist!“ Er erklärt mir den Liedtext – in Kalash. Ich verstehe kein Wort, aber er spricht eindringlich mit mir, sieht mir dabei warmherzig ins Gesicht und wartet geduldig, bis alles übersetzt ist. Vieles habe ich schon ohne Worte verstanden. Es geht um eine Liebesbeziehung – wie bei fast allen Kalashweisen. „Aber nicht persönlich nehmen, ich will dich deinem Mann nicht wegnehmen. Es ist nur ein Lied! Betrachte mich als deinen Baya – Bruder. Darf ich Baba – Schwester sagen?“ Ich bin ganz gerührt von seiner persönlichen, authentischen und feinfühligen Art, in jedem seiner Worte schwingt Respekt, Liebe für alle Menschen und der Glaube an das Gute in allen mit. Mit seiner liebenswürdigen Persönlichkeit lenkt er mich fast von der Einrichtung seiner typischen Wohnung ab. Der beißende Rauch vom kleinen Ofen in der Raummitte trägt dazu bei. Die Sicht ist ziemlich eingeschränkt. Die Wohnfläche befindet in der Mitte um den Ofen, und macht die Hälfte aus, zu beiden Seiten stehen die kunstvoll geschnitzten aber vom vielen Rauch geschwärzten Holzstützen. Am Rand stehen je 2 Charpois – die Seilbetten mit vor Dreck starrenden Decken. Überall liegt eine dicke Schicht Russ du Staub. Reinlichkeit gehört nicht zu den angestrebten Zielen. Kinder mit richtig Dreck verschmierten Gesichtern, Grind in den Ohren und an den Beinen. Es duftet nicht immer nach Rosenwasser, wenn ich zu nahe an einen Kalash komme. Nicht ganz so schlimm wie bei manchen tibetischen Mönchen, aber trotzdem…
Martin und David spielen bereits am Volleyballplatz der öffentlichen Schule mit den großteils muslimischen Lehrern.
Nach ein paar weiteren Besuchen und dem Mittag/Abendessen im Arfan Guesthouse bei Rabichan trifft ihr Mann ein und erzählt uns noch interessante Sachen über die alten Traditionen. Er berichtet auch von den vielen NGOs, die hier eine Art Spielwiese haben. Schulen, Trinkwasserleitungen, Gemeinschaftstanzhallen, Strom (jeder Raum hat 1 Glühbirne) usw.
Ich frage nach der Toilette, erwarte ein Plumpsklo und finde das Resultat eines weiteren Projektes: Ein separates Holzhäuschen mit sauberer Dusche, Hocklatrine und Waschbecken überraschen mich hinter der mitgenommenen Holztüre.
Danach flechtet Rabichan meine Haare zu den üblichen 5 Zöpfen und hat ihre liebe Mühe mit meinem widerspenstigen Gestrüpp. So oft hatte ich nun auch wieder nicht die Gelegenheit, mir die Haare zu kämmen. Auf das natürliche Haargel verzichte ich lieber. Es besteht aus weich gekochtem Harz und ein paar anderen Bestandteilen, die ich nicht verstanden habe. Das erklärt auch, warum bei mir diese Kappe nicht ganz so gut hält. Sie klebt nicht fest… Dafür haftet auch der omnipräsente Staub nicht so gut wie an ihren Haaren.
Den lästigen Mosquitos aus den heißen Ebenen ist es hier schon zu frisch, sie werden aber sehr erfolgreich von den Floharmeen vertreten. Obwohl ich mich fest in meinen Schlafsack einwickle finden sie den Weg zum süßen Blut – mehrfach. Vielleicht sollte ich mir auch eine den Körper bedeckende Schicht aus Schweiß und Staub zulegen wie alle hier.
Wir bleiben einen Tag länger als geplant in diesem Wunderland. Vom nächsten Tal hören wir, dass es 45 Gästehäuser und Hotels gibt, das schreckt uns eher ab. Das Yoshi Frühlingsfestival beginnt erst in 2 Tagen, also Zeit genug.
Ein weiterer Tag also in Guru mit Rabichan, Azurma, Irfan und Co. Wir streunen durchs Dorf, begrüßen nun alle schon mit „Abujia“ statt „Ishpata“. Ishpata sagen sich nur Leute, die sich nicht kennen oder schon lange nicht gesehen haben. Ein paar Kalash Worte habe ich schon aufgeschnappt, es ist immer ein großes Hallo, wenn die vergessliche „angrezi“ zum 5. Mal fragt, was den nun „Tisch, Kind, bis bald, Kappe, Kette, Brot, bitte, danke…“ heißt. Mit meinen Urdu-Brocken komme ich hier nicht weiter. Im Bezirk Chitral spricht man Khowari, in den Kalash Tälern Kalashamun. Bei einer kleinen malerischen Quelle oberhalb des Dorfes rinnt frisches klares Wasser aus dem Fels. Ein großer Stein trennt das Rinnsal gerecht in2 Seitenarme. Guru teilt das Wasser brüderlich mit dem nächsten Dorf weiter unten. Wir werden wieder zu Tee eingeladen – Salztee diemal. Nicht Surya (Tibetischer Schwarztee mit Butter und Salz) sondern Milchtee mit Salz.
Ein Stück weiter klettert eine uralte zwergenhaft kleine Kalash flink wie ein Teenager über die Böschung.
Azurma leiht mir für einen weiteren Rundgang ein traditionelles Kleid und ihre Kappe, mit meinen Zöpfen fühle ich mich fast wie eine Kalash. Am Nachmittag nach dem Volleyballmatch wird eine Runde getrommelt, gesungen, getanzt. Außer Steffi und mir sind nur Männer anwesend. Ganz gleich sind Frauen selbst hier nicht.
Wir erfahren, dass hier gerade mal für 7-9 Monate genug Nahrung produziert wird, der Rest wird teuer zugekauft. Daher gibt es auch wenige Einnahmequellen. Walnüsse, Marillen (Aprikosen) und Getreide werden manchmal verkauft aber zu teuren Preisen – die Menschen brauchen die Nahrungsmittel selbst dringend. Im letzten Jahr vernichtete der ungewöhnlich frühe Frost im September den Großteil der Ernte und viel Bäume, die nun im neuen Jahr ebenfalls keine Früchte tragen werden.
Unser Rätselraten, warum es nur ganz wenige Hühner gibt beendet Irfan lächelnd: „Wir essen weder Hühner noch Eier – aus dem selben Grund weswegen Moslems keine Schweine essen. Unsere Religion verbietet es uns.“ „Ich habe bei Fakher heute Rührei bekommen?!“ „Fakhers Tochter ist zum Islam übergetreten. Sie hat es zubereitet. Hat er davon gegessen?“ Ich kann mich nicht erinnern.
Jetzt gibt’s von den Hauptfleischlieferanten also nur mehr Schaf und Ziege, die von allen verspeist werden dürfen. Moslems essen keine Schweine, Hindus keine Kühe und Kalash keine Hühner. Kennst Du ein weiteres Beispiel?
Die Ziegen haben besonderes Pech: Sie sind die heiligen Tiere der Kalash, werden aber nicht etwa verschont sondern sehr oft geopfert.
In einem anderen Haus kaufe ich endlich eine der schönen Ketten. Herrlich bunte kleine Perlen in vielen Reihen. Das Kleid ist mir doch zu teuer. 1200 Rupien, dazu bräuchte ich aber noch den Kopfschmuck, der für stolze 4000 Lewonzen zu haben ist. Das sind fast 70 EUR, zuviel für mein Budget.
Am Abend tanzen wir auf den Dächern, die Mädels singen, der Sitarspieler vom Vortag, der nach dem Volleyballmatch als Flötist fungierte trommelt nun auf einem alten Küchentopf. Von den Dächern sieht das ganze Dorf zu, jung und alt ist versammelt.
„Wir machen fast alles gemeinsam, du müsstest mal im Winter da sein. Der Schnee liegt ganz hoch und wir spielen Schneehockey von Haus zu Haus. Alle Häuser sind wie ein Haus. Wir sind überall daheim.“ Das stimmt. Erst beim Zubettgehen merkt man, wer wohin verschwindet.
Ein kleines Moslemmädchen zeigt mir, wie man hier tanzt. Sie schwebt im Twistschritt über den Boden undbewegt ihre kleinen Hände elegant zur Musik. Bei mir sieht es nicht ganz so leichtfüßig aus. Die Flipflops sind nicht so recht geeignet für Seitwärtsbewegungen. Ständig stehe ich neben den Schuhen. Es dauert einige Zeit bis ich herausgefunden habe,wie es am Leichtesten geht. Dann will jede einmal durch die Luft geschwungen werden – ich fasse sie unter den Schultern, hebe sie hoch und wirble sie rum bis uns allen schwindlig ist. Großes Gelächter tönt von den umliegenden Dächern.
Am Abend kommt Rabichan mit dem Gästeregister zum Eintragen. Wir sind zu Zeit die einzigen Touristen im Tal, pro Jahr hat sie im Schnitt 30 Gäste. Sie erklärt uns, dass sie morgen nicht da sei, ihre Cousine würde Frühstück bereiten, ihr Mann die Abrechnung übernehmen, falls wir gehen. Sie muss ins „Frauenhaus“. Während der Geburt eines Kindes und jedes Monat während der Menstruation müssen die als „unrein“ geltenden Frauen ins Frauenhaus. Männer sollen sie in dieser Zeit weder sehen noch berühren. Für die Frauen ist es aber auch eine Zeit der Entspannung, sie brauchen nicht hart zu arbeiten wie im restlichen Monat, sie musizieren, tratschen, spielen. 6 Tage in denen die häuslichen Pflichten vergessen sind. „Manchmal ist es lästig, weggesperrt zu sein. Ich sehe es aber als Ferien. Welche Guesthouse Betreiberin, Hausfrau und Mutter hat schon monatlich 6 freie Tage? Diesmal hab ich allerdings Pech. Ich kann nicht am Frühlingsfest teilnehmen.“
Wir zahlen also am Morgen – keinen Fixpreis sondern „was ihr wollt!“. Ein Guide wird organisiert und wir machen uns auf. An der Brücke erwartet uns noch eine Überraschung: Rabichan will Lebwohl sagen und küsst uns zum Abschied beide Wangen und die Hand – der traditionelle Gruß unter Freunden.
Wir brechen bei ca. 1800m auf und biegen kurz vor dem Ende des Birir Tales in ein kleines Tal ab, welches uns über den 3000m Pass ins Bumburet Tal bringen wird. Die allgemeine Auskunft lautete: „Touristen brauchen 6 Stunden. Wir gehen es in 3h.“ Trotzdem starten wir früh am Morgen um halb 8h.
„Es wird ein bisschen steil“, meint der Guide – derselbe, der uns am ersten Tag ins Kalash Guesthouse brachte. Das Tal gleicht einer engen Schlucht, eingezwängt zwischen zwei Felswänden rauscht uns ein Wildbach entgegen – kristallklares Wasser, kühl und gut rinnt meine Kehle hinunter. Zuerst noch aus Spass, weil’s so schön ist. Nach einer Stunde schon gegen den Durst. Immer noch geht es steil bergauf über lose Schieferplatten, die jeden Moment abrutschen können. „Auf der Bumburet Seite gibt es keine Steine!“ tröstet uns der Guide. Am Anfang ist jeder Schritt eine Überwindung. Nach fast 2 Monaten im Auto mit eher sehr sporadischen körperlichen Betätigungen wie Kricket spielen , ein Stück laufen oder ausgedehnte Spaziergänge zwecks Besichtigungen fehlt mir die Kondition. Nach 2 Stunden merke ich, wie der Körper beginnt, sich zu erinnern. Schließlich bin ich genug Berge hinaufgelaufen in den letzten Jahren. Es wird immer leichter, macht richtig Spaß und der krasse Gegensatz von dunkler enger Schlucht und grell hellblauem Himmel hinter Schneebergen außerhalb und das romantisch glucksenden Bächlein helfen mit. Unser Guide ist kein richtiger Guide. Er weiß nicht, wie die Berge rundherum heißen, wie hoch wir sind und dass er hätte sagen sollen, als wir die letzte Quelle passiert hatten. Dafür erzählt er viel über die Kalash Kultur, obwohl er selbst ja Moslem ist und über das Zusammenleben beider Kulturen. Steffi ist glaub ich ziemlich hinundher gerissen, was sie nun vom trekken halten soll. „Bisher waren Sonntagsausflüge auf dem Pöstlingberg (Minihausberg in Linz mit Grottenbahn und Kreuzweg) meine einzige ‚Bergerfahrung’ und nun gleich so was!“
Sie ist sichtlich Beeindruckt von der herrlichen Natur, mit der Zeit weicht das aber einer großen Erschöpfung. Zeit lassen ist das Wichtigste, wir warten immer irgendwo zusammen, sie soll nie alleine gehen.
Am Weg treffen wir 2 Polen, die am Pass übernachtet hatten.
Diesmal bin es ausnahmsweise ich, die als erste vor geht und mittags den Pass erreicht. Der Pass ist ein richtiger Sattel. Hinten steil runter ins Birirtal, vorne steil runter ins Bumburet Tal, dazwischen vielleicht eine 15m lange und 1,5m breite ebene Fläche, links und rechts ragen Felsen auf. Wo diese 2 Polen das Zelt hingestellt hatten ist mir unklar.
Ein Ziegenhirte grinst mir entgegen, rote schläfrige Augen, in der Hand eine leere Zigarettenhülle, in der anderen den Tabak vermischt mit Haschisch. Er grinst immer noch und saugt durch die leere Hülle den Tabak wieder an seine ursprüngliche Stelle – „veredelt“ sagen sie hier. Die Ziegen sind irgendwo, er ruft sie manchmal halbherzig, was dazu führt, dass sie ein paar halbherzige Schritte runter von den Felsen zu ihrem Geißenpeter machen. Sie wissen, dass seine Aufmerksamkeit nicht lange währt. Bald wird er sich mit dem nächsten Joint zurücklehnen. Der Guide gesellt sich zu ihm, ich klettere auf die Felsen und suche mir einen gemütlichen Stein, von dem aus ich beide Täler sehen kann. Relaxing!
Nach 45min kommt Martin, wenig später auch David und Steffi. Geschafft.
Bald liegen alle auf der kleinen Fläche lang ausgestreckt und schlafen. Von meinem Platz aus ein tolles Bild. Der Guide packt Brot aus. Hunger hab ich keinen, eher Durst. Ich schmelze mir ein wenig Schnee in der Hand und schlürfe das eisige Nass, in der Hoffnung, dass es mir nicht die Kehle ausdörrt sondern bis zur nächsten Quelle im Bumburet Tal reicht. Die angeblichen 5-6h Gesamtzeit haben wir schon überschritten als wir uns um 14h an den Abstieg wagen. Der Ziegenhirte kifft schon wieder. Wie findet der Bursche bloss den Weg ins Tal?
Wie schwierig das selbst für uns werden würde sehen wir nach den ersten 10m. Eine Decke aus Schnee, Erde, losen Steinen und alten Föhrennadeln breitet sich über den Hang und ist fast unpassierbar. Durch die Sonne ist der Schnee an manchen Stellen weich, wir sinken bis zur Hüfte ein. Dann wieder eisig, wir rutschen quer über den Hang, fangen uns irgendwo kurz vor dem nächsten Baum. Jeder schlägt die Bergschuhe in den Schnee um fürden nächsten eine Art Stiege zu hinterlassen, aber es funktioniert nicht immer. Oft bricht der Schnee weg, weil er unterhalb von einem Rinnsal ausgehölt wurde. Aufstehen – nächster Schritt, versuchen ob der Schnee hält – platsch. Ich muss lachen. Da turnen 5 Wahnsinnige akrobatisch den Hang runter, statt einfach von einem Tal raus und ins nächste rein mit dem Jeep zu fahren. Ich versuche das Gewicht soweit es irgend geht nicht auf meine Knie zu verlagern, aber es gelingt bei weitem nicht immer. Der Weg ist steiler als auf der anderen Seite des Passes beim Anstieg, immer wieder Schnee- und Eispassagen, der Waldboden selbst ist nicht weniger rutschig. Er setzt sich aus kleinen losen Schieferplatten, loser Erde und losen Nadeln zusammen. Wie war das noch gleich „Keine Steine auf der anderen Seite!“ ?! Egal. Zum Nachdenken haben wir wenig Zeit. Die gesamte Konzentration gilt dem nächsten Schritt und der besten Richtung ins Tal. Der ursprüngliche Weg ist hier inkognito unterWEGs, falls es ihn überhaupt mal gegeben hat. Seit 5 Tagen soll der Pass offen sein. Von Schnee hat niemand geredet.
Nach stundenlangem vorsichtigem Treten, Fallen, Rutschen und Lachen sind wir endlich unten, es ist fünf Uhr abends. Zum ersten Mal nach einem steilen Abstieg schmerzen meine Knie nicht. Das muss ein gutes Omen sein. Das Tal ist wieder malerisch, ich weiß gar nicht wie ich das alles immer beschreiben soll, mir gehen die Worte aus. Hinter grünen Wiesen mit großen grauen Steinen thronen die Schneeberge, ein breiter Fluss donnert durchs Tal.
Am Eingang des ersten Dorfes Batrik sitzt ein riesiger Moslem mit wallend grauem Bart in einer kleinen Holzbude und frittiert geschnittene Kartoffel. Er schöpft 3 Portionen aus dem heißen Fett und reicht sie uns auf dem Papier alter Schulhefte mit Gleichungen und einer alten griechischen Zeitung. Hungrig machen wir uns über das erste Essen seit dem Frühstück her – es ist 17h. Moment – griechische Zeitung? Ist das ein versteckter Hinweis auf die Abstammung der Kalash? Kann hier jemand griechisch? Der Guide klärt uns auf: „Das ist importiertes Altpapier aus Griechenland. Unsere Zeitungen können wir nicht verwenden. Der Name Allahs wird oft darin erwähnt und darf nicht beschmutzt werden.“ Das erklärt vieles. Das erste nicht moslemische Land ist tatsächlich Griechenland. Indien fällt als Lieferant aus – dort wohnen ja die „Feinde“.
Wir gehen ins Kalash Guesthouse, es gehört Rabichans Schwester. Martin ist überzeugt, dass das Zimmer im PTDC wegen unserer um 1 Tag verspäteten Ankunft und der hohen Nachfrage in der Festivalzeit vergeben ist. Ein gemütliches Zimmer mit Bad und echten Betten lässt uns heimelig fühlen. Ganz neu gebaut, noch nie benutzt, nur ein paar Flöhe haben sich schon breit gemacht wie wir am nächsten Morgen an den neuen juckenden roten Flecken überall am Körper feststellen können.
Wir werden geweckt als es an der Tür klopft. Martin steckt den Kopf raus und ich höre nur: „Hallo Onkel, endlich haben wir euch gefunden, wir suchen euch schon seit 3 Tage, haben alle Hotels abgeklappert. Du weißt doch noch, ich bins, Akmal - wir haben uns in Bat Khela getroffen, als ihr am Weg nach Chitral wart. Ich habe gesagt ich möchte euch einladen. Das mache ich jetzt. Hier ist mein Freund Nazeer, ein Chitrali. Bei seinen Verwandten bringen wir euch unter. Packt eure Sachen, ihr zieht um.“
Soviel zur Gastfreundschaft der Patanen. Ich finde das ein wenig übertrieben, in einem Kalash Tal wohne ich lieber bei Kalashs. Aber Akmal ist sehr bestimmt. Ein fundamentalistischer Sunnit wie ich später erfahren werde. Wir überreden sie zumindest, erst zum Fest zu gehen und dann das Zeug umzupacken.
Hinter dem Guesthouse auf einem der Dächer tummeln sich schon einige Festbesucher, trommelnund tanzensich warm. Überall im Tal sammeln sich so die Leute und schlendern dann gemeinsam zum Fest. Über die staubige Straße und einen kleinen Weg geht es zur Festwiese, von überall kommen die Kalash mit ihren prächtigsten Gewändern und noch einem extra Kopfschmuck, der über den anderen gelegt wird und noch aufwendiger gearbeitet ist. Der Wichtigtuer aus Peshawar ist ebenfalls anwesend. Erst sehen wir „sein Plakat“: „welcome to the faMOUSE Kalash Festival fromPrince Mahir Ullah Khan …“ Er selbst stapft mit schwarzem Krempenhut und selbstsicherer Miene auf und ab und weist uns zum PTV Fernsehteam, dem wir ein Interview geben „dürfen“.
Meine Aufmerksamkeit dafür ist reichlich gering. Viel anziehender sind die geschmückten Frauen und Männer. Sie wedeln mit Walnusszweigen, tanzen entweder langsam meditativ in großen Gruppen und singen in berührenden langgezogenen Tönen oder in 3er Gruppen, mit wilden Drehungen, zertrampelten Zehen und Chaos artiger Choreographie, die aber im aufgewirbelten Staub untergeht.
Mittanzen ist kein Problem, solange man sich nicht an Staub und kaputten Zehen stört. In der Mitte stehen die alten Männer und erzählen in wehmütigem Singsang Geschichten aus vergangenen Zeiten mit eindringlichen Gesten und viel sagenden bewegenden Gesichtern. Die besten Erzähler bekommen symbolisch kleine Geldscheine in die Kappe gesteckt. Daneben stehen Trommler und Flötenspieler, rundherum tanzen die Frauen. Die Dorfältesten, die gleichzeitig die Funktion einer Art religiösen Führers innenhaben und gewählt werden sitzen erst abseits und mischen sich dann zu den Erzählern.
Ich treffe Martins Schüler Faham von PTDC, der mich freundlich vorwurfsvoll fragt, warum wir nicht bei ihm wohnen. Er nimmt mich mit in ein Kalashhaus, in dem ich endlich den berühmten Kalashwein kosten kann. Hier gibt es den einzigen offiziellen Wein in ganz Pakistan – Allah verbietet den Genuss von Alkohol. Die Kalash dürfen ihn auch nicht verkaufen oder nur auf der Straße rum tragen. Nur im eigenen Haus darf er getrunken werden. Köstlich, schmeckt wie Sturm (junger frischer Wein, Sauser für Schweizer) obwohl er schon einige Zeit im Keller liegt. Kellertechnik ist völlig unbekannt – was die Traube von selbst hergibt ist gut genug. Nach langen Diskussionen mit unseren derzeitigen Gastgebern Akmal und Nazeer, dem Schüler und Sheeralam Khan, einem wundervollen Kalash der uns ebenfalls beherbergen möchte beschießen wir, morgen Fahams Einladung anzunehmen, gemeinsames Dinner mit allen und ein Treffen mit Sheeralams Frau, die mir ihr Kleid + Schmuck leihen möchte und meine zerrupften Zöpfe auf Vordermann bringen wird.
Am Weg zurück kommen wir wieder beim Pommes Verkäufer vorbei. Er begrüßt mich wie eine alte Bekannte, schenkt uns ein paar Pommes. Diesmal schreit mein Körper nach Milch. Ich nehme anscheinend zu wenige Milchprodukte zu mir. Ein halber Liter ist sofort weg.
Der 2. Tag wird fast noch schöner, wir siedeln zum 3. Mal um, diesmal wie versprochen zu Faham ins PTDC Hotel. Sheeralam bringt die Kleider und eine Verwandte, die meine Zöpfe frisch flechtet. Ich fühle mich wie eine Kalash in der traditionellen Kleidung. Hätte ich nicht so rote Haare könnte man manchmal wirklich nicht sagen, wer wer ist. Unter den Kalash gibt es auch Rotschöpfe, blonde Kinder, Brünette, usw. Blaue Augen grüne Augen, hellbraune Augen. Die Mehrheit hat aber dunkle Haare und Augen. Am schlimmsten führen sich pakistanische Touristen auf, die selten Frauen sehen und noch dazu ohne Schleier. Aus Karachi, Lahore, Peshawar – von überall werden Reisen zum Frühlingsfest angeboten. David vergleicht es mit Sextourismus in Thailand. Ich erinnere mich an Chandbhai aus Lahore, der sagte dass Prostitution hier tanzen für Geld heißt, nicht Sex. Die Pakistanis zahlen hier nicht direkt die Tänzerinnen, sondern das Reisebüro für den Transport – Sonst sieht es wirklich ähnlich aus. Sie sind entsetzlich aufdringlich, zwängen sich zwischen die Tänzerinnen, fragen nicht sondern knipsen einfach drauf los. Sie stellen sich „unauffällig“ neben eine, der Kollege drückt ab und sie laufen mit die schlechtes Gewissen und Geilheit vereinen schnell weg, denn meist droht dann die unwissend ausgenutzte Kalash mit einem Stein. Es besteht ein großes Aufklärungspotential für die inländischen Touristen. Einige Kalash Frauen erzählen mir von ihrem Wunsch, zumindest gefragt zu werden. Ich versuche, jeden der mich „heimlich“ zu fotografierenversucht zu schnappen und erkläre ihm mit Hilfe von Nazeer oder Sheeralam, dass er wenigstens um Erlaubnis beten kann. Ein klein wenig Respekt, die Chance „nein“ sagen zu können. Einige sind ziemlich erschreckt. Eine dreiste Frau wagt es tatsächlich sie in nicht grade allzu freundlichem Ton anzusprechen und ihnen zu sagen, wie sie sich benehmen sollen, aber es wirkt. Zu gut fast. Unter den Besuchern spricht es sich schnell herum. X mal muss ich für ein Foto posieren. Ich kann fast nicht nein sagen, wenn sie es schon endlich schaffen, nett zu fragen. Positive Verstärkung haben sie das während meiner Ausbildung zur Sozialpädagogin genant. Das nimmt auch den Ausdruck des schlechten Gewissens aus ihren Gesichtern. Zuhause werden sie trotzdem erklären, dass die am Foto ihre neue Freundin ist. Aber Rom wurde auch nicht an einem tag erbaut. Einige Frauen nicken mir freundlich zu, danken mir für die „Erziehung“ der unangenehmen Burschen und lassen sich nun auch fotografieren. Eine sagt mir, ich solle es unterlassen. Sie würde sich niemals mit einem Ausländer (gemeint sind Paksitanis aus dem Punjab) ablichten lassen, Das zerstöre die Kultur. Ihre Reaktion macht mich nachdenklich. Gibt es mehr Frauen, die gar nicht glücklich sind über meine Aktion und über die nun etwas freundlicheren Pakistanis, weil sie Fotos sowieso ablehnen? Ich frage alle, die ein wenig Englisch verstehen und hoffe dass auch diese Auskünfte so direkt und ehrlich sind wie ihre sonstigen Mitteilungen. Ich höre nur noch positive Antworten. Sie stören sich nur an der Unart, den Ladies Geld für Fotos zu geben. „Das zerstört die Kultur wirklich!“, meint Sheeralam. Der Großteil ist ganz zufrieden mit der kleinen Verbesserung.
Vor einer kleinen Bude sitzt ein Mann mit einem Bündel Geld im Mund. Ich frage ihn, ob ich auch ein paar Pommes Frites haben kann. Er blickt mich an, lächelt mir mit seinen blitzblauen Augen mitten ins Gesicht. Ab dem Moment muss ich ihm einfach zusehen. Er fasziniert mich. Seine Ausstrahlung ist einzigartig, seine Gesichtszüge voll europäisch, sein Lächeln bestechend. Sein Blick hat dieses „na, was stellen wir heute an?“ verbunden mit Respekt vor allen Menschen und jeder Antwort. Sein Englisch ist very british, so elegant und gewandt, obwohl der Wortschatz nicht allzu groß ist. Eine Schar Kinder umzingeln ihn und warten darauf, dass ein Pommes oder ein Keks abfällt. Er behandelt sie mit viel Humor und Respekt. Sie folgen ihm aufs Wort. Kein Wunder bei dem Charme. Sein Alter ist schwer zu schätzen - irgendwo zwischen 35 und 45 wahrscheinlich.
Während dem Essen unterhalte ich mich mit Nazeer, unserem Gastgeber. Er ist so liberal, das völlige Gegenteil seines Freundes Akmal, der mir immer einreden will, dass ich wegsoll vom Fest, weil nur böse Leute um uns sind. Erwill mich beschützen vor den angetrunkenen Pakistanischen Touristen, nett von ihm, aber ich will das Fest sehen. Nazeer begleitet mich überall hin, aber nicht mit der aufdringlichen Aufmerksamkeit und dem Kommandoton eines Akmal, sondern eher mit dem Instinkt eines Vaters. Schon in seinem Gesicht kann man die Aufgeschlossenheit erkennen, die leuchtenden Augen und den weiten Horizont. Akmals Blick verrät eher die engstirnige Sicht eines Fundamentalisten. Seine Gastfreundschaft ist zwar auch echt, er schwimmt aber auf der missionarischen Welle. Eine fruchtbare Diskussion über einige Fragen, die mir beim Lesen des Korans offen geblieben waren stellt sich mit ihm nicht ein. Er wiederholt stur die Verse, begründet den einen mit dem anderen und bietet mir nur Analogieschlüsse, die mir nicht wirklich weiter helfen.
Am Abend im PTDC wir musiziert und getanzt, selbst Sheeralam kommt und feiert mit. Es wird eine lange Nacht mit Blechkanistertrommel, Flöte, Tänzern, Sängern, Kalash Wein und Marillenschnaps (Aprikosenbrandy), köstlichem Abendessen und lustigen Spielen. Steffi und David sind ziemlich fertig, sie gehen früh zu Bett. Ich hoffe sie können schlafen bei dem Lärm, den wir machen. Jeder einzelne erhebt sich zum Tanz, ist er müde so verstummt die Musik, nur um ein paar Minuten später mit einem neuen Tänzer wieder zu ertönen. Faham stellt sich als wunderbarer Gastgeber heraus, der von allen gemocht wird. Obwohl er nicht aus den Kalash Tälern stammt genießt er und seine Familie großes Ansehen hier. Seine Vorfahren waren die Fürsten Chitrals. Sein Urgroßvater stellte sich offiziell gegen den Islamisierungsbefehl des angrenzenden Afghanischen Königs Ende des 19. Jhs. In einem Brief teilte er ihm mit, dass er nur ein kleiner Mahter (Fürst) sei und nicht die Macht besitze ein ganzes Volk zu bekehren. So ermöglichte er den Kalash ein Überleben mit ihren altherbegrachten Traditionen.
Faham kümmert sich rührend um alle, füllt Wein und Wasser nach, bittet vorbei kommende Passanten herein und lädt sie ein, mitzumachen, ermuntert schüchterne Teilnehmer zumTanzen. Alle betonenimmer wieder, wie international der Abend sei. Leute aus Lahore, Hunza, Kalash, Peshawar, Faisalabad, Karachi und Chitral (alles Pakistan) und sogar Österreich sind da. Sunniten, Schiiten, Ismaeliten, Kalash und Christen feiern gemeinsam in einem kleinen Zimmer. „The global room“ nennt es ein Kalash.
Am Morgen versuchen wir Infos über den Rückweg aus dem Chitral Tal mit dem Auto zu sammeln – jeder bestätigt das Gegenteil des Vorigen. Der 2. Pass ist gesperrt, gerade offen, sicher, unsicher, steil, flach, 2-3Tage lang, 1 Tag lang,… Wir entscheiden uns, die lange Strecke zu fahren, die Infos stehen ca. 51:49. Zwei Ismaelis (die dritte Gruppe zu Schiiten und Sunniten im Islam) bieten an, die Strecke mit uns zu fahren. Sie wollen nach Hunza. Sollte der Pass noch nicht offen sein, warten wir gemeinsam in Buni nahe Chitral im Haus ihres Onkels ab.
Nach diesen Diskussionen begleitet uns Sheeralam noch auf einem Dorfrundgang, bei dem wir eine Begräbniszeremonie sehen können. Der Tote liegt aufgebahrt im Freien, die Verwandten tragen keine Kappe.Erst beim nächsten Fest des Jahreskreises – in diesem Fallim September – werden sie sie wieder aufsetzen. Alle Frauen tanzen langsam klagend um den Toten, die Männer stehen bei ihm und erzählen sich und ihm die Geschichte seines Lebens. Wird er direkt angesprochen, so wird sein Gesicht aufgedeckt. Sehr ergreifend und berührend, die leise trauernden Frauen, die sprechenden Männer, die so aufgewühlt an die vergangenen Tage mit dem Verstorbenen denken und ihm danken - ich verstehe kein Wort, doch mir stehen die Tränen in den Augen. Ein wenig Abseits sägen und zimmern 2 Männer gerade den Sarg zu Recht. Immer wieder kommen sie zum Toten und messen ihn mit einem Stock, damit seine letzte Bleibe auch nicht zu klein wird. Ganz dezent, ohne die Trauernden zu stören.
Ein Schuss fällt, noch ein zweiter und dritter folgen. Dann taucht ein alter Mann mit Gewehr auf. Er geht zum Verstorbenen und erzählt ihm, dass er nun die Leute aus allen Dörfern verständigt hat. Alle haben die Schüsse gehört und machen sich nun auf zum Begräbnis. Die Zeit der Feier im engsten Familienkreis ist zu Ende. Im Hinterhof werden Ziegen geschlachtet, die Trauergemeinde wird aus allen Dörfern und Tälern kommen und muss verköstigt werden. Jeder im Dorf steuert nach seinen Möglichkeiten etwas bei – eine Ziege, Gemüse, Brot, Wein… Bis zum Morgengrauen wird getanzt.
In einem anderen Haus kaufen wir noch ein paar Flaschen Kalash Wein, essen getrocknete Maulbeeren und Walnüsse. Sheeralam beschwert sich gründlich über die Misserfolge der NGOs und der Regierungsprojekte: „Schau, hier: für die Befestigung des Tanzbodens gab die Regierung 5 Lakh Rupien (500.000), sieh es dir an: jetzt nach einem halben Jahr ist die Mauer kaputt. Das kann keine 5 lakh gekostet haben. Wer hat den Rest? Wir nicht! Die Aufträge werden von der Regierung vergeben + geplant. Uns fragt niemand. Jeder verdient sich hier nur eine goldenen Nase und haut wieder ab. Da steht eine Toilette. 25 000 Rupien – sieh sie dir an: nichts funktioniert, nicht mal ein Abflussrohr ist da. Die einzige NGO die hier Gutes vollbringt ist die des Griechen! Er ist selbst 3-6 Monate im Jahr hier, arbeitet mit, ruft monatliche Versammlungen ein, bei denen er uns mitteilt wieviel Geld da ist und uns fragt, wofür wir es ausgeben wollen. Es sollte mehr solche Leute geben. Wir bauen gerade ein Multifunktionshaus mit Erster Hilfe Station, Aufklärungszentrum, Schule, Bibliothek und Museum. Wir haben entschieden welche Projekte wir aufnehmen, der Grieche setzt sich für die Durchführung ein und kontrolliert die Arbeit. Das ist auch gut so. Wir haben noch nie so etwas gebaut, wie können wir wissen wie das geht?!“
Ich liebe die direkte Art der Kalash, keine falsche Höflichkeit oder Bescheidenheit. Er hat völlig recht mit seiner Kritik. Das Volk bekommt einen Minibruchteil vom “vorgesehenen“ Betrag.
Der Rückweg führt an einem Friedhof vorbei. Offene Holzkisten liegen herum. „Früher haben wir unsere Toten in Holzkisten gelegt und in die Wiese gestellt. Ihr kostbarstes Gewand, der Schmuck und dieWaffen waren die Grabbeiggaben. Moslems von Chitral und sonstwo haben die Särge aufgebrochen und die ‚Schätze’ gestolen. Die Leichen begannen aus den offenen Särgen zu stinken und uns wurde vorgeschrieben, unsere Toten eingraben zu müssen – von Moslems. Das war vor nicht mal 10 Jahren. Seither vergraben wir die Holzkisten. Das alte holz rühren wir nicht an. Es wird eines Tages verrotten.“
Nach weiteren konträren Infos zum Weg aus Chitral entschließen wir uns noch mal, den Plan nicht zu ändern und Shamsers Einladung für Buni anzunehmen. Wir mieten einen Jeep und fahren nachmittags ab Richtung Chitral zum Auto. Die Einladung zum Mittagessen bei Fahams Bruder in Ayun, dem ersten Ort des Bumburet Tales, können wir nicht ablehnen. Sein protziges Hotel steht am höchsten Punkt mit beeindruckendem Blick vom Rosengarten auf den TirichMir – es wirkt nur ein bisschen unpassend in einem Kalash Tal. Die Jeepfahrt ist lustig, wir stehen auf der offenen Ladefläche und genießen zum letzten Mal die Aussicht im Bumburet Tal. Alle paar Meter heißt es „Kopf einziehen“. Herunter hängende Äste sorgen dafür, dass die Fahrt nicht langweilig wird. Um 18h erreichen wir Chitral, laden kurz zum ersten Mal seit 1 Woche die Mails runter und fahren los nach Buni, wo unsere nächsten Gastgeber auf uns warten. Mit ihnen wollen wir in ein paar Tagen den Pass überqueren. Das Abendmahl wir traditionell am Boden ausgebreitet, köstliches Gemüse, Brot, Dahl, Salat, Reis, Käsekuchen…
Wir besuchen die Frauen im Küchenbereich. Nach einerWoche „Freiheit“ tragen Steffi und ich wieder Schleier und gewöhnen uns wieder an die Begrüßung der Frauen im separaten Bereich. David und Martin sehen keine Frau, obwohl unsere Gastgeber Ismaeliten sind, die als die lieberalste Gruppe der Moslems gelten. Sie haben sich von den Schiiten abgespalten, ihre Imame setzten sich im Gegensatz zu den Schiitischen bis heute in Erbfolge fort. Ihr jetziges Oberhaupt ist der Aga Khan, ein ehemaliger Playboy mit guter Hand für finanzielle Dinge. Zu den „Thronjubileen“ wird er von seinen Anhängern in Silber, Gold oder Diamanten aufgewogen. Dieses Geld kommt dann in den z.B. „Diamond Jubilee Trust“ mit welchem Projekte wie Schulen, Wasserversorgungen, Frauenarbeit, Frauenbildung etc finanziert werden. Die Aga Khan Organisation funktioniert sogar so unpakistanisch gut, dass die Regierung viele öffentliche Schulen unter ihre Verwaltung gestellt hat. Das führt wiederum zu bösem Blut bei Schiiten und noch viel mehr bei Sunniten. Wie kann man diesen lieberalen, fast ungläubigen Moslems so viel Verantwortung geben? Der Onkel von Shamser lässt sich lang über diese Thematik aus, er weiß einiges, da er eine wichtige Position im Aga Khan Netzwerk hier im Ort inne hat.
Einigen Telefonaten zufolge ist der Pass angeblich schon offen, morgen werden wir mehr wissen.
Vor dem Einschlafen will ich mir endlich Gewissheit über eventuell vorhandene Flöhe verschaffen und ringle alle sichtbaren Bisse mit Kugelschreiber ein. Sollte morgen früh einer ohne blauem Ring auftauchen, weiß ich genau dass er neu ist. Warum ich das sonst nicht merke? Weil es schon jetzt 73 Bisse sind. Da fällt einer mehr oder weniger nicht wirklich auf.
Die beiden Begleitengerl drängen um 7h morgens zur Abfahrt, der Weg ist lang. In 9h sollten wir in Gilgit sein – Incha Allah.
Grandiose Landschaften strecken sich hier zwischen den Tälern aus, tosende Flüsse rauschen neben her, teilen sich auf weiten Ebenen in 1000 kleine friedliche Rinnsale und vereinen sich wieder zu einem großen Fluss. Als Kulisse stehen die Hindukush Berge im Sonnenlicht, der höchste sichtbare heißt Buni Zom und misst 6500m. Ein Zwergerl also. Bis kurz vorm Pass begleitet uns der Mastuj und trennt sich beim Anstieg von unserem Weg.
Auf halber Höhe überholen wir 3 Radfahrer. „Österreicher, Deutsche, Italiener?“ Ich tippe auf Franzosen. David sollte recht behalten. Sie kommen aus Italien und trainieren eigentlich nur für den Gipfelsturm auf den 8035m hohen Gasherbrunn II. Sie wollen es heuer in Ruhe versuchen. Nächstes Jahr zum 50. Jubileum der Erstbesteigung, welche die Mitglieder der Expedition der Naturfreunde Steyr, Sepp Larch, Fritz Moravec und Hans Willenpart aus Österreich im Juli 1956 vollbracht haben, wird ein regelrechter Run auf den Berg erwartet. Wir wünschen ihnen viel Glück und fahren weiter.
SHANDUR
Sämtlichen Befürchtungen zum Trotz erreichen wir ohne großartige Probleme den Pass, eine wunderschöne Hochebene fürt einige Km an Schneebergen, einem See mit Yakherden, einem verlassenen Polofeld und einigen wenigen Lehmhütten vorbei. Auf 3700m ist es etwas kalt, wir bestaunen hauptsächlich die Landschaft. Alle Tiere haben dicke Wollpullis gegen die Kälte an. Hier laufen pakistanische Wollesel, Wollkühe, Yaks, sehr wollige Schafe mit kleinen Lämmchen, die man von einem dicken Wollknäuel nur unterscheiden kann, wenn sie übermütige Sprünge vollführen. Wollziegen und sonstig Getier treibt sich rum und springt glücklich zwischen Steinen, Bächen, Wiesen und Schneefeldern umher. Die hirtenschlendern gemütlich hinterdrein und werfen dann und wann einen Stein in die Herdeum sie auf den richtigen Weg zu leiten.
An der einzig kritischen Stelle hängt ein Jeep einen Meter weit im Schlamm, wir sehen dadurch die gefährliche Stelle und können weiträumig ausweichen. Nach der Abfahrt spätnachmittags meldet sich der Hunger, David und Steffi kaufen Gemüse. Brot finden wir nicht. Im Ghizar Tal scheint es soetwas nicht zu geben. Martin ruft plötzlich: „Hier bleiben wir, da steht ein bunter Sonnenschirm am Ufer!“ Ein Schild am Straßenrand weißt auf das Uferrestaurant hin. Wir gehen runter und fragen hoffnungsvoll nach Essen. „Haben wir nicht!“ Wir machen uns daran unser Gemüse zu schneiden, David inspiziert die Küche. Nach 10min kommt er zurück. „Sie haben ein bisschen Reis und Gewürze, wissen aber nicht wie man kocht. Ich mache jetzt Fried Rice!“
Gesagt getan, unter den staunenden Augen der 3 unfähigen Wirte zaubert David gebratenen Reis. In der Zwischenzeit schaffen es die drei, umständlichst 4 Teller abzuwaschen – mit herrlich schmierigem Seewasser. Andere Gäste kommen und fragen nach Tee. „Gibt es nicht. Wir habe kein heißes Wasser!“, meint der Koch/Wirt. Sehr interessant.
Dank Davids Kochkünsten mussten wir also nicht verhungern.
Bei Mushko gesellt sich vom Norden der Gilgit zu uns, ab jetzt stehen am anderen Ufer nicht mehr die Berge des Hindu Kush sondern die des Karakorams. Nach eingehender Betrachtung meint David lakonisch: „Sieht auch nicht anders aus!“
Am Abend sind wir tatsächlich in Gilgit – Wahnsinn!
Incha Allah bis bald, genießt jeden Tag, jeden Moment – er ist es wert!!!
* Der Begriff Shangri La wurde in dem berühmten Buch „Lost Horizont“ 1930 von James Hilton geprägt, in dem ein Flugzeug in einem völlig unzugänglichen Tal im Tibetischen Hochland entführt wurde. Nach der Bruchlandung am ewigen Eis finden sich die unwissenden Entführten in einer Art Schlaraffenland wieder – völlig abgeschottet von allem, friedliche Koexistenz, uralte tibetische Mönche, atemberaubende
Landschaft. Eigentlich hatte es SHAMBALA geheißen, einem Übersetzungsfehler zu folge glaubt nun der Großteil der Welt es müsse SHANGRI LA heißen. Die Geschichte ist angeblich wahr, aber außer diesem Erzähler ist noch nie jemand zurückgekehrt.
Bei Yahoo gibt's Fotos zum blog, falls Du nach dem Passwort gefragt wirst: acchigom
Pakistan mit Auto Pics
Ishpata!
Vor ein paar Tagen habe ich ein Mail von einem Slowenischen Reisenden bekommen, den wir in Lahore getroffen haben – er hätte sein Shangri La* gefunden: in Skardu.
Ich war noch nicht in Skardu – an der Grenze zu China, in einer Gegend, in der so gar nicht kleine Berge wie der K2 rum stehen.
Nun muss ich sagen, ich habe MEIN Shambala* gefunden. Die Kalash Täler in Chitral.
Les ein bisschen weiter, vielleicht schaffe ich es, die Faszination und Einzigartigkeit übermitteln zu können – vielleicht spürst du ein bisschen von der Besonderheit dieser Kultur:
Von Martins ehemaligem Schüler Faham Aziz aus Klessheim, der nun Oberhaupt des PTDC (Pakistan tourism developement cooperation) in Chitral ist, bekommen wir einen Vorschlag für die Gestaltung der nächsten Tage (dass er nicht halten wird, brauche ich nicht zu sagen, aber für den Anfang wunderbar). Wir sollen zuerst ins südlichste (Birir) der noch übrigen 3 Kalash Täler fahren, von dort aus ins nächste (Bumburet) trekken. Dort möchte er uns ins PTDC Hotel einladen und wir werden Gelegenheit haben, das Fest mitzuerleben.
Die Kalash besiedelten fast ganz Chitral und Teile des angrenzenden Afghanistans (Nuristan), bis Ende des 19. Jh. der Islam Einzug hielt und viele zwangsweise konvertierten. Jetzt gibt es nur mehr ca. 4000 Kalash, aber die Zahl steigt. Man merkt es an den vielen vielen Kindern.
Schon das erste Gesicht einer Kalashfrau erinnert stark an europäische Züge.
Wir fahren also mit einem gemieteten Jeep 1,5h ins Birir Tal. 1000 Rupien kostet der Spass – also fast nichts für 4 Leute. (3 EUR pro Nase).
Sobald wir von der Hauptstraße abbiegen verwandelt sich die ohnehin schon bezaubernde Landschaft in ein Wunderland. Schroffe Felsen, zartgrüne Wiesen, saftige Walnuss- und Aprikosenbäume, kleine Bäche und von Weitem die ersten Kalash.
Wir kommen im Dorf Guru an und steigen beim Guesthouse aus. Hier gäbe es keine Zimmer-nur mit Vorreservierung. Die haben wir natürlich nicht. Nach einer Weiledes Rumstehens und Bewunderns der Landschaft werden wir von einem der ebenfalls hier wohnenden Moslems gleich ins einzige Kalash Guesthouse des Dorfes geführt. Sein Onkel Irfan ist Kalash, Beauftragter der Minderheitenvertreter und Besitzer des GHs. Rabichan, die Hausherrin begrüßt uns mit warmem Lächeln und zeigt uns die Zimmer. In einem stehen 2 Seilbetten, im anderen liegen Decken am Boden. Ich registriere das gar nicht so wirklich. Viel mehr fasziniert mich ihre Kleidung, ihr Aussehen und ihre selbstbewusste Haltung, ihr fester Blick und ihr Kopfschmuck mit der kunstvollen Haarpracht darunter. Ich hatte vorher im Lonley Planet ein Bild einer Kalash Frau in Tracht gesehen und gehofft, wir würden so eine zu Gesicht bekommen – vielleicht beim Fest. Die Überraschung ist groß. Alle Frauen tragen ständig das schwarze, weite Kleid, an der Hüfte mit einem bunten Gürtel zusammengerafft; am Kragen, den Ärmelenden und am Halsausschnitt prächtig mit bunten grellen Wollfäden bestickt. Dazu kommt der Kopfschmuck – sieh in dir am besten selbst an!! (foto) Er sitzt auf den 5 Zöpfen, je 2 vor und 2 hinter den Ohren und einem an der Stirn, der um den Kopf gewickelt und verknotet wird, um dem Kopfschmuck Halt zu geben.
Um ihren Hals hängen dutzende Ketten, meist orange oder gelb in verschiedenen Längen. Ihre Gesichtszüge erinnern an europäische.
Angeblich sollen die Kalash ja von Alexander dem Großen abstammen, der 326 vC nach dem Sieg über den indischen Herrscher Poros am Jhelum (der Fluss an dessen Nähe das Rothas Fort aus einem der früheren Mails steht) wegen einer Meuterei seiner nach langen Eroberungszügen erschöpften Soldaten den Rückzug antreten musste. Einige seiner Soldaten blieben aber. Sie sollen die legendären Vorfahren sein. Andere behaupten, dass dem Diadoch Seleukos, der Alexanders Nachfolge in dem Reich von Syrien bis zum Indus antrat, diese Ehre gebührt – jedenfalls griechisch/makedonisch.
Die Holzhäuser sind schachtelförmig über und nebeneinander teils auf Stelzen gebaut. Am Dach des einen befindet sich der Eingang des anderen. Unter dem Dach befinden sich zur Hälfte meist 2 überdachte Wohnräume – weil mindestens 2 Brüder oder Schwestern sich mit Anhang das Haus teilen – und eine überdachte, aber sonst offene Terrasse oder Balkon, je nach dem auf welchem Level das Haus gebaut wurde, wo sich untertags das Leben abspielt.
Rabichan und ihre Cousine, von der niemand genau weiß wie alt sie ist, weil es keine Geburtenregistrierung gibt, sitzen bei der Feuerstelle des Balkons. Eines wissen aber alle: seit 6 Sommern ist sie schon verheiratet. Jetzt ist sie irgendwo zwischen 22 und 26. Sie sieht aus wie 17, hat schon 2 Kinder. Die beiden Frauen verteilen gleichmäßig breiartigen Teig auf einer mobilen konkaven Herdplatte, die aussieht wie der verbogene Deckel einer großen Pfanne. Das Brot duftet herrlich, wir sind hungrig. Die Kleinen sortieren Klee von restlichem Gras und stopfen sich zwischendurch immer wieder ein Kleeblatt in den Mund. Unser Lunch ist in der Vorbereitungsphase. Neugierig und fasziniert beobachte ich sie. Wir sitzen alle ebenfalls am Balkon auf niedrigen Hockern mit geflochtenen Sitzflächen und warten bis das Teewasser kocht. Dazu reicht Rabichan erstmal Nussbrot als Vorspeise, damit der Magen nicht ganz so laut knurren muss. Das Brot ist ähnlich wie Chapati (runde Fladen aus Mehlteig) hat in der Mitte aber eine Schicht aus köstlich schmeckendem, salzigen Nussbrei und eine knusprige Kruste.
Rabichan geht der restlichen Arbeit nach. Es ist schön hier, nicht ständig der Specialguest zu sein und besondere Behandlung zu erfahren, sondern einfach in der Familie aufgenommen und dabei aber für sich selbst verantwortlich zu sein. Ich darf einfach da sitzen und zusehen, ohne dass 8 Leute fragen ob ich etwas brauche und trotz Verneinung irgendein Programm oder sonst was absolvieren. Ich kann weg gehen ohne dass 5 Leute kommen und sagen: „Wo willst du hin, warte, ich begleite dich. Nein du kannst nicht alleine gehen… Warum? Du bist mein Gast, das ist meine Pflicht!“
Während Rabichan also weiter kocht mache ich mich auf zur Entdeckungsreise durchs Dorf – das heißt immer ein paar Stiegen weiter, in jeden Haus willkommen sein, sich zum Tee dazu sitzen wenn grade welchen gibt, sonst einfach so.
Ein kleiner Junge spielt Guide, begleitet mich – ohne um Geld zu fragen oder es zu wollen – scheint aber zu wissen, dass Frauen hier ihren eigenen Kopf haben und stört sich nicht daran, wenn ich seinen Schritten nicht immer folge. Viel zu interessant sind all die neuen bzw. manchmal altbekannten und deshalb überraschenden Dinge, die sich an jeder Ecke finden.
Fakher, ein pensionierter Schulwart, klagt über entsetzliche Kopfschmerzen. Der kleine Junge übersetzt in brüchigem Englisch, dass eine Britin jeden Sommer Medizin bringt und sie gratis verteilt. Jeden Winter wird die Medizin aufgebraucht. Ihr nächster Besuch werde erst Ende Mai erwartet, so fehlt es nun an allen Medikamenten. Ich verspreche, meine „Erste Hilfe Box“ zu durchsuchen.
Ganz klar ist mir nicht, warum die Kalash nicht einfach Medizin aus Chitral bringen, es ist per Jeep nur max. 2h entfernt. Im Winter muss man bis zur Hauptstraße gehen – 2h im Schweinsgallopp. Mit jedem Schritt in dem Wunderland erfahre ich immer mehr, dass die Kalash lieber unter sich sind, mit den Pakistanis nicht viel am Hut haben. „Sie leben so ohne Freude, so streng, behandeln ihre Frauen nicht gleichwertig. Wir haben immer schon auf traditionelle Art gelebt und wollen die modernen Dinge gar nicht!“ bekomme ich oft als Antwort.
Nur so konnten sie es wahrscheinlich schaffen, ihre eigene Kultur so ursprünglich zu erhalten obwohl sie nicht unbedingt an einem abgeschiedenen Ort leben.
Mit den Moslems, die im selben Tal wohnen, leben sie aber in friedlicher Eintracht. Sie besuchen sich gegenseitig, helfen sich, spielen gemeinsam und lassen jedem in gewissen Dingen einfach seine Eigenarten. „Die Moslems beten 5x am Tag - viel zu anstrengend, sie waschen sich so häufig, sie essen nur mit der rechten Hand, die Frauen setzen ihre Meinung nicht durch, sie schreiben arabisch… usw. – sollen sie ruhig, wir brauchen das nicht!“
„Die Kalash waschen sich so selten, sie beten den falschen Gott an, sie bedecken sich nicht, sie essen auch mit der linken Hand, sie schreiben als einzige hier in lateinischer Schrift, sie lehnen Modernisierung weitgehend ab … sollen sie halt, wir brauchen das nicht!“
Es gibt keine Kriminalität – „außer wenn jemand von Außen kommt!“
Der Großteil der Moslems hier konvertierte irgendwann, sie stammen aber alle vom Kalash Volk. Äußerlich unterscheiden sich die Männer kaum, die Frauen sehr deutlich durch ihre Tracht. Islamische Frauen tragen auch hier den Schleier. Die liberale Gemeinschaft trägt aber auch dazu bei, dass moslemische Männer beim Anblick einer unverschleierten Frau nicht zusammenzucken, sondern es eben als kulturelle Eigenheit sehen. Manchmal drücken sie mir sogar die Hand zur Begrüßung.
Kalash glauben an einen Gott, haben keine Tempel, Kirchen oder Moscheen sondern opfern ihre Ziegen in freier Natur, an heiligen Plätzen in den Bergen. Sie beten nicht, leben aber mit ihrer Umwelt in friedlichem, respektvollem Einklang.
Eine Etage tiefer wohnt Azurma, die mir gleich 2 Zöpfe flechtet und ihre Kappe zum Ausprobieren gibt.
Ich hole ein paar Paracetamol und klettere mit Steffi und einem der Brüder des GH Besitzers als Übersetzer wieder hoch zu Fakher, der mir überschwänglich dankt und uns zu Rührei mit Brot einlädt. Nebenbei spielt sein Sohn auf der Sitar, die Kinder und unser Begleiter singen, Fakher tanzt und fragt, ob wir ihn filmen wollen. Dafür würde er uns sogar ein Lied vorsingen. Ein berührende Melodie, dazu leise der wehmütige Klang der Sitar. Zwischen den Sätzen spuckt er kräftig in die Zimmerecke, direkt vor die Kamera. „Ich habe ein kurzes Lied gesungen, weil ich glaube, dass das Videoband sehr teuer ist!“ Er erklärt mir den Liedtext – in Kalash. Ich verstehe kein Wort, aber er spricht eindringlich mit mir, sieht mir dabei warmherzig ins Gesicht und wartet geduldig, bis alles übersetzt ist. Vieles habe ich schon ohne Worte verstanden. Es geht um eine Liebesbeziehung – wie bei fast allen Kalashweisen. „Aber nicht persönlich nehmen, ich will dich deinem Mann nicht wegnehmen. Es ist nur ein Lied! Betrachte mich als deinen Baya – Bruder. Darf ich Baba – Schwester sagen?“ Ich bin ganz gerührt von seiner persönlichen, authentischen und feinfühligen Art, in jedem seiner Worte schwingt Respekt, Liebe für alle Menschen und der Glaube an das Gute in allen mit. Mit seiner liebenswürdigen Persönlichkeit lenkt er mich fast von der Einrichtung seiner typischen Wohnung ab. Der beißende Rauch vom kleinen Ofen in der Raummitte trägt dazu bei. Die Sicht ist ziemlich eingeschränkt. Die Wohnfläche befindet in der Mitte um den Ofen, und macht die Hälfte aus, zu beiden Seiten stehen die kunstvoll geschnitzten aber vom vielen Rauch geschwärzten Holzstützen. Am Rand stehen je 2 Charpois – die Seilbetten mit vor Dreck starrenden Decken. Überall liegt eine dicke Schicht Russ du Staub. Reinlichkeit gehört nicht zu den angestrebten Zielen. Kinder mit richtig Dreck verschmierten Gesichtern, Grind in den Ohren und an den Beinen. Es duftet nicht immer nach Rosenwasser, wenn ich zu nahe an einen Kalash komme. Nicht ganz so schlimm wie bei manchen tibetischen Mönchen, aber trotzdem…
Martin und David spielen bereits am Volleyballplatz der öffentlichen Schule mit den großteils muslimischen Lehrern.
Nach ein paar weiteren Besuchen und dem Mittag/Abendessen im Arfan Guesthouse bei Rabichan trifft ihr Mann ein und erzählt uns noch interessante Sachen über die alten Traditionen. Er berichtet auch von den vielen NGOs, die hier eine Art Spielwiese haben. Schulen, Trinkwasserleitungen, Gemeinschaftstanzhallen, Strom (jeder Raum hat 1 Glühbirne) usw.
Ich frage nach der Toilette, erwarte ein Plumpsklo und finde das Resultat eines weiteren Projektes: Ein separates Holzhäuschen mit sauberer Dusche, Hocklatrine und Waschbecken überraschen mich hinter der mitgenommenen Holztüre.
Danach flechtet Rabichan meine Haare zu den üblichen 5 Zöpfen und hat ihre liebe Mühe mit meinem widerspenstigen Gestrüpp. So oft hatte ich nun auch wieder nicht die Gelegenheit, mir die Haare zu kämmen. Auf das natürliche Haargel verzichte ich lieber. Es besteht aus weich gekochtem Harz und ein paar anderen Bestandteilen, die ich nicht verstanden habe. Das erklärt auch, warum bei mir diese Kappe nicht ganz so gut hält. Sie klebt nicht fest… Dafür haftet auch der omnipräsente Staub nicht so gut wie an ihren Haaren.
Den lästigen Mosquitos aus den heißen Ebenen ist es hier schon zu frisch, sie werden aber sehr erfolgreich von den Floharmeen vertreten. Obwohl ich mich fest in meinen Schlafsack einwickle finden sie den Weg zum süßen Blut – mehrfach. Vielleicht sollte ich mir auch eine den Körper bedeckende Schicht aus Schweiß und Staub zulegen wie alle hier.
Wir bleiben einen Tag länger als geplant in diesem Wunderland. Vom nächsten Tal hören wir, dass es 45 Gästehäuser und Hotels gibt, das schreckt uns eher ab. Das Yoshi Frühlingsfestival beginnt erst in 2 Tagen, also Zeit genug.
Ein weiterer Tag also in Guru mit Rabichan, Azurma, Irfan und Co. Wir streunen durchs Dorf, begrüßen nun alle schon mit „Abujia“ statt „Ishpata“. Ishpata sagen sich nur Leute, die sich nicht kennen oder schon lange nicht gesehen haben. Ein paar Kalash Worte habe ich schon aufgeschnappt, es ist immer ein großes Hallo, wenn die vergessliche „angrezi“ zum 5. Mal fragt, was den nun „Tisch, Kind, bis bald, Kappe, Kette, Brot, bitte, danke…“ heißt. Mit meinen Urdu-Brocken komme ich hier nicht weiter. Im Bezirk Chitral spricht man Khowari, in den Kalash Tälern Kalashamun. Bei einer kleinen malerischen Quelle oberhalb des Dorfes rinnt frisches klares Wasser aus dem Fels. Ein großer Stein trennt das Rinnsal gerecht in2 Seitenarme. Guru teilt das Wasser brüderlich mit dem nächsten Dorf weiter unten. Wir werden wieder zu Tee eingeladen – Salztee diemal. Nicht Surya (Tibetischer Schwarztee mit Butter und Salz) sondern Milchtee mit Salz.
Ein Stück weiter klettert eine uralte zwergenhaft kleine Kalash flink wie ein Teenager über die Böschung.
Azurma leiht mir für einen weiteren Rundgang ein traditionelles Kleid und ihre Kappe, mit meinen Zöpfen fühle ich mich fast wie eine Kalash. Am Nachmittag nach dem Volleyballmatch wird eine Runde getrommelt, gesungen, getanzt. Außer Steffi und mir sind nur Männer anwesend. Ganz gleich sind Frauen selbst hier nicht.
Wir erfahren, dass hier gerade mal für 7-9 Monate genug Nahrung produziert wird, der Rest wird teuer zugekauft. Daher gibt es auch wenige Einnahmequellen. Walnüsse, Marillen (Aprikosen) und Getreide werden manchmal verkauft aber zu teuren Preisen – die Menschen brauchen die Nahrungsmittel selbst dringend. Im letzten Jahr vernichtete der ungewöhnlich frühe Frost im September den Großteil der Ernte und viel Bäume, die nun im neuen Jahr ebenfalls keine Früchte tragen werden.
Unser Rätselraten, warum es nur ganz wenige Hühner gibt beendet Irfan lächelnd: „Wir essen weder Hühner noch Eier – aus dem selben Grund weswegen Moslems keine Schweine essen. Unsere Religion verbietet es uns.“ „Ich habe bei Fakher heute Rührei bekommen?!“ „Fakhers Tochter ist zum Islam übergetreten. Sie hat es zubereitet. Hat er davon gegessen?“ Ich kann mich nicht erinnern.
Jetzt gibt’s von den Hauptfleischlieferanten also nur mehr Schaf und Ziege, die von allen verspeist werden dürfen. Moslems essen keine Schweine, Hindus keine Kühe und Kalash keine Hühner. Kennst Du ein weiteres Beispiel?
Die Ziegen haben besonderes Pech: Sie sind die heiligen Tiere der Kalash, werden aber nicht etwa verschont sondern sehr oft geopfert.
In einem anderen Haus kaufe ich endlich eine der schönen Ketten. Herrlich bunte kleine Perlen in vielen Reihen. Das Kleid ist mir doch zu teuer. 1200 Rupien, dazu bräuchte ich aber noch den Kopfschmuck, der für stolze 4000 Lewonzen zu haben ist. Das sind fast 70 EUR, zuviel für mein Budget.
Am Abend tanzen wir auf den Dächern, die Mädels singen, der Sitarspieler vom Vortag, der nach dem Volleyballmatch als Flötist fungierte trommelt nun auf einem alten Küchentopf. Von den Dächern sieht das ganze Dorf zu, jung und alt ist versammelt.
„Wir machen fast alles gemeinsam, du müsstest mal im Winter da sein. Der Schnee liegt ganz hoch und wir spielen Schneehockey von Haus zu Haus. Alle Häuser sind wie ein Haus. Wir sind überall daheim.“ Das stimmt. Erst beim Zubettgehen merkt man, wer wohin verschwindet.
Ein kleines Moslemmädchen zeigt mir, wie man hier tanzt. Sie schwebt im Twistschritt über den Boden undbewegt ihre kleinen Hände elegant zur Musik. Bei mir sieht es nicht ganz so leichtfüßig aus. Die Flipflops sind nicht so recht geeignet für Seitwärtsbewegungen. Ständig stehe ich neben den Schuhen. Es dauert einige Zeit bis ich herausgefunden habe,wie es am Leichtesten geht. Dann will jede einmal durch die Luft geschwungen werden – ich fasse sie unter den Schultern, hebe sie hoch und wirble sie rum bis uns allen schwindlig ist. Großes Gelächter tönt von den umliegenden Dächern.
Am Abend kommt Rabichan mit dem Gästeregister zum Eintragen. Wir sind zu Zeit die einzigen Touristen im Tal, pro Jahr hat sie im Schnitt 30 Gäste. Sie erklärt uns, dass sie morgen nicht da sei, ihre Cousine würde Frühstück bereiten, ihr Mann die Abrechnung übernehmen, falls wir gehen. Sie muss ins „Frauenhaus“. Während der Geburt eines Kindes und jedes Monat während der Menstruation müssen die als „unrein“ geltenden Frauen ins Frauenhaus. Männer sollen sie in dieser Zeit weder sehen noch berühren. Für die Frauen ist es aber auch eine Zeit der Entspannung, sie brauchen nicht hart zu arbeiten wie im restlichen Monat, sie musizieren, tratschen, spielen. 6 Tage in denen die häuslichen Pflichten vergessen sind. „Manchmal ist es lästig, weggesperrt zu sein. Ich sehe es aber als Ferien. Welche Guesthouse Betreiberin, Hausfrau und Mutter hat schon monatlich 6 freie Tage? Diesmal hab ich allerdings Pech. Ich kann nicht am Frühlingsfest teilnehmen.“
Wir zahlen also am Morgen – keinen Fixpreis sondern „was ihr wollt!“. Ein Guide wird organisiert und wir machen uns auf. An der Brücke erwartet uns noch eine Überraschung: Rabichan will Lebwohl sagen und küsst uns zum Abschied beide Wangen und die Hand – der traditionelle Gruß unter Freunden.
Wir brechen bei ca. 1800m auf und biegen kurz vor dem Ende des Birir Tales in ein kleines Tal ab, welches uns über den 3000m Pass ins Bumburet Tal bringen wird. Die allgemeine Auskunft lautete: „Touristen brauchen 6 Stunden. Wir gehen es in 3h.“ Trotzdem starten wir früh am Morgen um halb 8h.
„Es wird ein bisschen steil“, meint der Guide – derselbe, der uns am ersten Tag ins Kalash Guesthouse brachte. Das Tal gleicht einer engen Schlucht, eingezwängt zwischen zwei Felswänden rauscht uns ein Wildbach entgegen – kristallklares Wasser, kühl und gut rinnt meine Kehle hinunter. Zuerst noch aus Spass, weil’s so schön ist. Nach einer Stunde schon gegen den Durst. Immer noch geht es steil bergauf über lose Schieferplatten, die jeden Moment abrutschen können. „Auf der Bumburet Seite gibt es keine Steine!“ tröstet uns der Guide. Am Anfang ist jeder Schritt eine Überwindung. Nach fast 2 Monaten im Auto mit eher sehr sporadischen körperlichen Betätigungen wie Kricket spielen , ein Stück laufen oder ausgedehnte Spaziergänge zwecks Besichtigungen fehlt mir die Kondition. Nach 2 Stunden merke ich, wie der Körper beginnt, sich zu erinnern. Schließlich bin ich genug Berge hinaufgelaufen in den letzten Jahren. Es wird immer leichter, macht richtig Spaß und der krasse Gegensatz von dunkler enger Schlucht und grell hellblauem Himmel hinter Schneebergen außerhalb und das romantisch glucksenden Bächlein helfen mit. Unser Guide ist kein richtiger Guide. Er weiß nicht, wie die Berge rundherum heißen, wie hoch wir sind und dass er hätte sagen sollen, als wir die letzte Quelle passiert hatten. Dafür erzählt er viel über die Kalash Kultur, obwohl er selbst ja Moslem ist und über das Zusammenleben beider Kulturen. Steffi ist glaub ich ziemlich hinundher gerissen, was sie nun vom trekken halten soll. „Bisher waren Sonntagsausflüge auf dem Pöstlingberg (Minihausberg in Linz mit Grottenbahn und Kreuzweg) meine einzige ‚Bergerfahrung’ und nun gleich so was!“
Sie ist sichtlich Beeindruckt von der herrlichen Natur, mit der Zeit weicht das aber einer großen Erschöpfung. Zeit lassen ist das Wichtigste, wir warten immer irgendwo zusammen, sie soll nie alleine gehen.
Am Weg treffen wir 2 Polen, die am Pass übernachtet hatten.
Diesmal bin es ausnahmsweise ich, die als erste vor geht und mittags den Pass erreicht. Der Pass ist ein richtiger Sattel. Hinten steil runter ins Birirtal, vorne steil runter ins Bumburet Tal, dazwischen vielleicht eine 15m lange und 1,5m breite ebene Fläche, links und rechts ragen Felsen auf. Wo diese 2 Polen das Zelt hingestellt hatten ist mir unklar.
Ein Ziegenhirte grinst mir entgegen, rote schläfrige Augen, in der Hand eine leere Zigarettenhülle, in der anderen den Tabak vermischt mit Haschisch. Er grinst immer noch und saugt durch die leere Hülle den Tabak wieder an seine ursprüngliche Stelle – „veredelt“ sagen sie hier. Die Ziegen sind irgendwo, er ruft sie manchmal halbherzig, was dazu führt, dass sie ein paar halbherzige Schritte runter von den Felsen zu ihrem Geißenpeter machen. Sie wissen, dass seine Aufmerksamkeit nicht lange währt. Bald wird er sich mit dem nächsten Joint zurücklehnen. Der Guide gesellt sich zu ihm, ich klettere auf die Felsen und suche mir einen gemütlichen Stein, von dem aus ich beide Täler sehen kann. Relaxing!
Nach 45min kommt Martin, wenig später auch David und Steffi. Geschafft.
Bald liegen alle auf der kleinen Fläche lang ausgestreckt und schlafen. Von meinem Platz aus ein tolles Bild. Der Guide packt Brot aus. Hunger hab ich keinen, eher Durst. Ich schmelze mir ein wenig Schnee in der Hand und schlürfe das eisige Nass, in der Hoffnung, dass es mir nicht die Kehle ausdörrt sondern bis zur nächsten Quelle im Bumburet Tal reicht. Die angeblichen 5-6h Gesamtzeit haben wir schon überschritten als wir uns um 14h an den Abstieg wagen. Der Ziegenhirte kifft schon wieder. Wie findet der Bursche bloss den Weg ins Tal?
Wie schwierig das selbst für uns werden würde sehen wir nach den ersten 10m. Eine Decke aus Schnee, Erde, losen Steinen und alten Föhrennadeln breitet sich über den Hang und ist fast unpassierbar. Durch die Sonne ist der Schnee an manchen Stellen weich, wir sinken bis zur Hüfte ein. Dann wieder eisig, wir rutschen quer über den Hang, fangen uns irgendwo kurz vor dem nächsten Baum. Jeder schlägt die Bergschuhe in den Schnee um fürden nächsten eine Art Stiege zu hinterlassen, aber es funktioniert nicht immer. Oft bricht der Schnee weg, weil er unterhalb von einem Rinnsal ausgehölt wurde. Aufstehen – nächster Schritt, versuchen ob der Schnee hält – platsch. Ich muss lachen. Da turnen 5 Wahnsinnige akrobatisch den Hang runter, statt einfach von einem Tal raus und ins nächste rein mit dem Jeep zu fahren. Ich versuche das Gewicht soweit es irgend geht nicht auf meine Knie zu verlagern, aber es gelingt bei weitem nicht immer. Der Weg ist steiler als auf der anderen Seite des Passes beim Anstieg, immer wieder Schnee- und Eispassagen, der Waldboden selbst ist nicht weniger rutschig. Er setzt sich aus kleinen losen Schieferplatten, loser Erde und losen Nadeln zusammen. Wie war das noch gleich „Keine Steine auf der anderen Seite!“ ?! Egal. Zum Nachdenken haben wir wenig Zeit. Die gesamte Konzentration gilt dem nächsten Schritt und der besten Richtung ins Tal. Der ursprüngliche Weg ist hier inkognito unterWEGs, falls es ihn überhaupt mal gegeben hat. Seit 5 Tagen soll der Pass offen sein. Von Schnee hat niemand geredet.
Nach stundenlangem vorsichtigem Treten, Fallen, Rutschen und Lachen sind wir endlich unten, es ist fünf Uhr abends. Zum ersten Mal nach einem steilen Abstieg schmerzen meine Knie nicht. Das muss ein gutes Omen sein. Das Tal ist wieder malerisch, ich weiß gar nicht wie ich das alles immer beschreiben soll, mir gehen die Worte aus. Hinter grünen Wiesen mit großen grauen Steinen thronen die Schneeberge, ein breiter Fluss donnert durchs Tal.
Am Eingang des ersten Dorfes Batrik sitzt ein riesiger Moslem mit wallend grauem Bart in einer kleinen Holzbude und frittiert geschnittene Kartoffel. Er schöpft 3 Portionen aus dem heißen Fett und reicht sie uns auf dem Papier alter Schulhefte mit Gleichungen und einer alten griechischen Zeitung. Hungrig machen wir uns über das erste Essen seit dem Frühstück her – es ist 17h. Moment – griechische Zeitung? Ist das ein versteckter Hinweis auf die Abstammung der Kalash? Kann hier jemand griechisch? Der Guide klärt uns auf: „Das ist importiertes Altpapier aus Griechenland. Unsere Zeitungen können wir nicht verwenden. Der Name Allahs wird oft darin erwähnt und darf nicht beschmutzt werden.“ Das erklärt vieles. Das erste nicht moslemische Land ist tatsächlich Griechenland. Indien fällt als Lieferant aus – dort wohnen ja die „Feinde“.
Wir gehen ins Kalash Guesthouse, es gehört Rabichans Schwester. Martin ist überzeugt, dass das Zimmer im PTDC wegen unserer um 1 Tag verspäteten Ankunft und der hohen Nachfrage in der Festivalzeit vergeben ist. Ein gemütliches Zimmer mit Bad und echten Betten lässt uns heimelig fühlen. Ganz neu gebaut, noch nie benutzt, nur ein paar Flöhe haben sich schon breit gemacht wie wir am nächsten Morgen an den neuen juckenden roten Flecken überall am Körper feststellen können.
Wir werden geweckt als es an der Tür klopft. Martin steckt den Kopf raus und ich höre nur: „Hallo Onkel, endlich haben wir euch gefunden, wir suchen euch schon seit 3 Tage, haben alle Hotels abgeklappert. Du weißt doch noch, ich bins, Akmal - wir haben uns in Bat Khela getroffen, als ihr am Weg nach Chitral wart. Ich habe gesagt ich möchte euch einladen. Das mache ich jetzt. Hier ist mein Freund Nazeer, ein Chitrali. Bei seinen Verwandten bringen wir euch unter. Packt eure Sachen, ihr zieht um.“
Soviel zur Gastfreundschaft der Patanen. Ich finde das ein wenig übertrieben, in einem Kalash Tal wohne ich lieber bei Kalashs. Aber Akmal ist sehr bestimmt. Ein fundamentalistischer Sunnit wie ich später erfahren werde. Wir überreden sie zumindest, erst zum Fest zu gehen und dann das Zeug umzupacken.
Hinter dem Guesthouse auf einem der Dächer tummeln sich schon einige Festbesucher, trommelnund tanzensich warm. Überall im Tal sammeln sich so die Leute und schlendern dann gemeinsam zum Fest. Über die staubige Straße und einen kleinen Weg geht es zur Festwiese, von überall kommen die Kalash mit ihren prächtigsten Gewändern und noch einem extra Kopfschmuck, der über den anderen gelegt wird und noch aufwendiger gearbeitet ist. Der Wichtigtuer aus Peshawar ist ebenfalls anwesend. Erst sehen wir „sein Plakat“: „welcome to the faMOUSE Kalash Festival fromPrince Mahir Ullah Khan …“ Er selbst stapft mit schwarzem Krempenhut und selbstsicherer Miene auf und ab und weist uns zum PTV Fernsehteam, dem wir ein Interview geben „dürfen“.
Meine Aufmerksamkeit dafür ist reichlich gering. Viel anziehender sind die geschmückten Frauen und Männer. Sie wedeln mit Walnusszweigen, tanzen entweder langsam meditativ in großen Gruppen und singen in berührenden langgezogenen Tönen oder in 3er Gruppen, mit wilden Drehungen, zertrampelten Zehen und Chaos artiger Choreographie, die aber im aufgewirbelten Staub untergeht.
Mittanzen ist kein Problem, solange man sich nicht an Staub und kaputten Zehen stört. In der Mitte stehen die alten Männer und erzählen in wehmütigem Singsang Geschichten aus vergangenen Zeiten mit eindringlichen Gesten und viel sagenden bewegenden Gesichtern. Die besten Erzähler bekommen symbolisch kleine Geldscheine in die Kappe gesteckt. Daneben stehen Trommler und Flötenspieler, rundherum tanzen die Frauen. Die Dorfältesten, die gleichzeitig die Funktion einer Art religiösen Führers innenhaben und gewählt werden sitzen erst abseits und mischen sich dann zu den Erzählern.
Ich treffe Martins Schüler Faham von PTDC, der mich freundlich vorwurfsvoll fragt, warum wir nicht bei ihm wohnen. Er nimmt mich mit in ein Kalashhaus, in dem ich endlich den berühmten Kalashwein kosten kann. Hier gibt es den einzigen offiziellen Wein in ganz Pakistan – Allah verbietet den Genuss von Alkohol. Die Kalash dürfen ihn auch nicht verkaufen oder nur auf der Straße rum tragen. Nur im eigenen Haus darf er getrunken werden. Köstlich, schmeckt wie Sturm (junger frischer Wein, Sauser für Schweizer) obwohl er schon einige Zeit im Keller liegt. Kellertechnik ist völlig unbekannt – was die Traube von selbst hergibt ist gut genug. Nach langen Diskussionen mit unseren derzeitigen Gastgebern Akmal und Nazeer, dem Schüler und Sheeralam Khan, einem wundervollen Kalash der uns ebenfalls beherbergen möchte beschießen wir, morgen Fahams Einladung anzunehmen, gemeinsames Dinner mit allen und ein Treffen mit Sheeralams Frau, die mir ihr Kleid + Schmuck leihen möchte und meine zerrupften Zöpfe auf Vordermann bringen wird.
Am Weg zurück kommen wir wieder beim Pommes Verkäufer vorbei. Er begrüßt mich wie eine alte Bekannte, schenkt uns ein paar Pommes. Diesmal schreit mein Körper nach Milch. Ich nehme anscheinend zu wenige Milchprodukte zu mir. Ein halber Liter ist sofort weg.
Der 2. Tag wird fast noch schöner, wir siedeln zum 3. Mal um, diesmal wie versprochen zu Faham ins PTDC Hotel. Sheeralam bringt die Kleider und eine Verwandte, die meine Zöpfe frisch flechtet. Ich fühle mich wie eine Kalash in der traditionellen Kleidung. Hätte ich nicht so rote Haare könnte man manchmal wirklich nicht sagen, wer wer ist. Unter den Kalash gibt es auch Rotschöpfe, blonde Kinder, Brünette, usw. Blaue Augen grüne Augen, hellbraune Augen. Die Mehrheit hat aber dunkle Haare und Augen. Am schlimmsten führen sich pakistanische Touristen auf, die selten Frauen sehen und noch dazu ohne Schleier. Aus Karachi, Lahore, Peshawar – von überall werden Reisen zum Frühlingsfest angeboten. David vergleicht es mit Sextourismus in Thailand. Ich erinnere mich an Chandbhai aus Lahore, der sagte dass Prostitution hier tanzen für Geld heißt, nicht Sex. Die Pakistanis zahlen hier nicht direkt die Tänzerinnen, sondern das Reisebüro für den Transport – Sonst sieht es wirklich ähnlich aus. Sie sind entsetzlich aufdringlich, zwängen sich zwischen die Tänzerinnen, fragen nicht sondern knipsen einfach drauf los. Sie stellen sich „unauffällig“ neben eine, der Kollege drückt ab und sie laufen mit die schlechtes Gewissen und Geilheit vereinen schnell weg, denn meist droht dann die unwissend ausgenutzte Kalash mit einem Stein. Es besteht ein großes Aufklärungspotential für die inländischen Touristen. Einige Kalash Frauen erzählen mir von ihrem Wunsch, zumindest gefragt zu werden. Ich versuche, jeden der mich „heimlich“ zu fotografierenversucht zu schnappen und erkläre ihm mit Hilfe von Nazeer oder Sheeralam, dass er wenigstens um Erlaubnis beten kann. Ein klein wenig Respekt, die Chance „nein“ sagen zu können. Einige sind ziemlich erschreckt. Eine dreiste Frau wagt es tatsächlich sie in nicht grade allzu freundlichem Ton anzusprechen und ihnen zu sagen, wie sie sich benehmen sollen, aber es wirkt. Zu gut fast. Unter den Besuchern spricht es sich schnell herum. X mal muss ich für ein Foto posieren. Ich kann fast nicht nein sagen, wenn sie es schon endlich schaffen, nett zu fragen. Positive Verstärkung haben sie das während meiner Ausbildung zur Sozialpädagogin genant. Das nimmt auch den Ausdruck des schlechten Gewissens aus ihren Gesichtern. Zuhause werden sie trotzdem erklären, dass die am Foto ihre neue Freundin ist. Aber Rom wurde auch nicht an einem tag erbaut. Einige Frauen nicken mir freundlich zu, danken mir für die „Erziehung“ der unangenehmen Burschen und lassen sich nun auch fotografieren. Eine sagt mir, ich solle es unterlassen. Sie würde sich niemals mit einem Ausländer (gemeint sind Paksitanis aus dem Punjab) ablichten lassen, Das zerstöre die Kultur. Ihre Reaktion macht mich nachdenklich. Gibt es mehr Frauen, die gar nicht glücklich sind über meine Aktion und über die nun etwas freundlicheren Pakistanis, weil sie Fotos sowieso ablehnen? Ich frage alle, die ein wenig Englisch verstehen und hoffe dass auch diese Auskünfte so direkt und ehrlich sind wie ihre sonstigen Mitteilungen. Ich höre nur noch positive Antworten. Sie stören sich nur an der Unart, den Ladies Geld für Fotos zu geben. „Das zerstört die Kultur wirklich!“, meint Sheeralam. Der Großteil ist ganz zufrieden mit der kleinen Verbesserung.
Vor einer kleinen Bude sitzt ein Mann mit einem Bündel Geld im Mund. Ich frage ihn, ob ich auch ein paar Pommes Frites haben kann. Er blickt mich an, lächelt mir mit seinen blitzblauen Augen mitten ins Gesicht. Ab dem Moment muss ich ihm einfach zusehen. Er fasziniert mich. Seine Ausstrahlung ist einzigartig, seine Gesichtszüge voll europäisch, sein Lächeln bestechend. Sein Blick hat dieses „na, was stellen wir heute an?“ verbunden mit Respekt vor allen Menschen und jeder Antwort. Sein Englisch ist very british, so elegant und gewandt, obwohl der Wortschatz nicht allzu groß ist. Eine Schar Kinder umzingeln ihn und warten darauf, dass ein Pommes oder ein Keks abfällt. Er behandelt sie mit viel Humor und Respekt. Sie folgen ihm aufs Wort. Kein Wunder bei dem Charme. Sein Alter ist schwer zu schätzen - irgendwo zwischen 35 und 45 wahrscheinlich.
Während dem Essen unterhalte ich mich mit Nazeer, unserem Gastgeber. Er ist so liberal, das völlige Gegenteil seines Freundes Akmal, der mir immer einreden will, dass ich wegsoll vom Fest, weil nur böse Leute um uns sind. Erwill mich beschützen vor den angetrunkenen Pakistanischen Touristen, nett von ihm, aber ich will das Fest sehen. Nazeer begleitet mich überall hin, aber nicht mit der aufdringlichen Aufmerksamkeit und dem Kommandoton eines Akmal, sondern eher mit dem Instinkt eines Vaters. Schon in seinem Gesicht kann man die Aufgeschlossenheit erkennen, die leuchtenden Augen und den weiten Horizont. Akmals Blick verrät eher die engstirnige Sicht eines Fundamentalisten. Seine Gastfreundschaft ist zwar auch echt, er schwimmt aber auf der missionarischen Welle. Eine fruchtbare Diskussion über einige Fragen, die mir beim Lesen des Korans offen geblieben waren stellt sich mit ihm nicht ein. Er wiederholt stur die Verse, begründet den einen mit dem anderen und bietet mir nur Analogieschlüsse, die mir nicht wirklich weiter helfen.
Am Abend im PTDC wir musiziert und getanzt, selbst Sheeralam kommt und feiert mit. Es wird eine lange Nacht mit Blechkanistertrommel, Flöte, Tänzern, Sängern, Kalash Wein und Marillenschnaps (Aprikosenbrandy), köstlichem Abendessen und lustigen Spielen. Steffi und David sind ziemlich fertig, sie gehen früh zu Bett. Ich hoffe sie können schlafen bei dem Lärm, den wir machen. Jeder einzelne erhebt sich zum Tanz, ist er müde so verstummt die Musik, nur um ein paar Minuten später mit einem neuen Tänzer wieder zu ertönen. Faham stellt sich als wunderbarer Gastgeber heraus, der von allen gemocht wird. Obwohl er nicht aus den Kalash Tälern stammt genießt er und seine Familie großes Ansehen hier. Seine Vorfahren waren die Fürsten Chitrals. Sein Urgroßvater stellte sich offiziell gegen den Islamisierungsbefehl des angrenzenden Afghanischen Königs Ende des 19. Jhs. In einem Brief teilte er ihm mit, dass er nur ein kleiner Mahter (Fürst) sei und nicht die Macht besitze ein ganzes Volk zu bekehren. So ermöglichte er den Kalash ein Überleben mit ihren altherbegrachten Traditionen.
Faham kümmert sich rührend um alle, füllt Wein und Wasser nach, bittet vorbei kommende Passanten herein und lädt sie ein, mitzumachen, ermuntert schüchterne Teilnehmer zumTanzen. Alle betonenimmer wieder, wie international der Abend sei. Leute aus Lahore, Hunza, Kalash, Peshawar, Faisalabad, Karachi und Chitral (alles Pakistan) und sogar Österreich sind da. Sunniten, Schiiten, Ismaeliten, Kalash und Christen feiern gemeinsam in einem kleinen Zimmer. „The global room“ nennt es ein Kalash.
Am Morgen versuchen wir Infos über den Rückweg aus dem Chitral Tal mit dem Auto zu sammeln – jeder bestätigt das Gegenteil des Vorigen. Der 2. Pass ist gesperrt, gerade offen, sicher, unsicher, steil, flach, 2-3Tage lang, 1 Tag lang,… Wir entscheiden uns, die lange Strecke zu fahren, die Infos stehen ca. 51:49. Zwei Ismaelis (die dritte Gruppe zu Schiiten und Sunniten im Islam) bieten an, die Strecke mit uns zu fahren. Sie wollen nach Hunza. Sollte der Pass noch nicht offen sein, warten wir gemeinsam in Buni nahe Chitral im Haus ihres Onkels ab.
Nach diesen Diskussionen begleitet uns Sheeralam noch auf einem Dorfrundgang, bei dem wir eine Begräbniszeremonie sehen können. Der Tote liegt aufgebahrt im Freien, die Verwandten tragen keine Kappe.Erst beim nächsten Fest des Jahreskreises – in diesem Fallim September – werden sie sie wieder aufsetzen. Alle Frauen tanzen langsam klagend um den Toten, die Männer stehen bei ihm und erzählen sich und ihm die Geschichte seines Lebens. Wird er direkt angesprochen, so wird sein Gesicht aufgedeckt. Sehr ergreifend und berührend, die leise trauernden Frauen, die sprechenden Männer, die so aufgewühlt an die vergangenen Tage mit dem Verstorbenen denken und ihm danken - ich verstehe kein Wort, doch mir stehen die Tränen in den Augen. Ein wenig Abseits sägen und zimmern 2 Männer gerade den Sarg zu Recht. Immer wieder kommen sie zum Toten und messen ihn mit einem Stock, damit seine letzte Bleibe auch nicht zu klein wird. Ganz dezent, ohne die Trauernden zu stören.
Ein Schuss fällt, noch ein zweiter und dritter folgen. Dann taucht ein alter Mann mit Gewehr auf. Er geht zum Verstorbenen und erzählt ihm, dass er nun die Leute aus allen Dörfern verständigt hat. Alle haben die Schüsse gehört und machen sich nun auf zum Begräbnis. Die Zeit der Feier im engsten Familienkreis ist zu Ende. Im Hinterhof werden Ziegen geschlachtet, die Trauergemeinde wird aus allen Dörfern und Tälern kommen und muss verköstigt werden. Jeder im Dorf steuert nach seinen Möglichkeiten etwas bei – eine Ziege, Gemüse, Brot, Wein… Bis zum Morgengrauen wird getanzt.
In einem anderen Haus kaufen wir noch ein paar Flaschen Kalash Wein, essen getrocknete Maulbeeren und Walnüsse. Sheeralam beschwert sich gründlich über die Misserfolge der NGOs und der Regierungsprojekte: „Schau, hier: für die Befestigung des Tanzbodens gab die Regierung 5 Lakh Rupien (500.000), sieh es dir an: jetzt nach einem halben Jahr ist die Mauer kaputt. Das kann keine 5 lakh gekostet haben. Wer hat den Rest? Wir nicht! Die Aufträge werden von der Regierung vergeben + geplant. Uns fragt niemand. Jeder verdient sich hier nur eine goldenen Nase und haut wieder ab. Da steht eine Toilette. 25 000 Rupien – sieh sie dir an: nichts funktioniert, nicht mal ein Abflussrohr ist da. Die einzige NGO die hier Gutes vollbringt ist die des Griechen! Er ist selbst 3-6 Monate im Jahr hier, arbeitet mit, ruft monatliche Versammlungen ein, bei denen er uns mitteilt wieviel Geld da ist und uns fragt, wofür wir es ausgeben wollen. Es sollte mehr solche Leute geben. Wir bauen gerade ein Multifunktionshaus mit Erster Hilfe Station, Aufklärungszentrum, Schule, Bibliothek und Museum. Wir haben entschieden welche Projekte wir aufnehmen, der Grieche setzt sich für die Durchführung ein und kontrolliert die Arbeit. Das ist auch gut so. Wir haben noch nie so etwas gebaut, wie können wir wissen wie das geht?!“
Ich liebe die direkte Art der Kalash, keine falsche Höflichkeit oder Bescheidenheit. Er hat völlig recht mit seiner Kritik. Das Volk bekommt einen Minibruchteil vom “vorgesehenen“ Betrag.
Der Rückweg führt an einem Friedhof vorbei. Offene Holzkisten liegen herum. „Früher haben wir unsere Toten in Holzkisten gelegt und in die Wiese gestellt. Ihr kostbarstes Gewand, der Schmuck und dieWaffen waren die Grabbeiggaben. Moslems von Chitral und sonstwo haben die Särge aufgebrochen und die ‚Schätze’ gestolen. Die Leichen begannen aus den offenen Särgen zu stinken und uns wurde vorgeschrieben, unsere Toten eingraben zu müssen – von Moslems. Das war vor nicht mal 10 Jahren. Seither vergraben wir die Holzkisten. Das alte holz rühren wir nicht an. Es wird eines Tages verrotten.“
Nach weiteren konträren Infos zum Weg aus Chitral entschließen wir uns noch mal, den Plan nicht zu ändern und Shamsers Einladung für Buni anzunehmen. Wir mieten einen Jeep und fahren nachmittags ab Richtung Chitral zum Auto. Die Einladung zum Mittagessen bei Fahams Bruder in Ayun, dem ersten Ort des Bumburet Tales, können wir nicht ablehnen. Sein protziges Hotel steht am höchsten Punkt mit beeindruckendem Blick vom Rosengarten auf den TirichMir – es wirkt nur ein bisschen unpassend in einem Kalash Tal. Die Jeepfahrt ist lustig, wir stehen auf der offenen Ladefläche und genießen zum letzten Mal die Aussicht im Bumburet Tal. Alle paar Meter heißt es „Kopf einziehen“. Herunter hängende Äste sorgen dafür, dass die Fahrt nicht langweilig wird. Um 18h erreichen wir Chitral, laden kurz zum ersten Mal seit 1 Woche die Mails runter und fahren los nach Buni, wo unsere nächsten Gastgeber auf uns warten. Mit ihnen wollen wir in ein paar Tagen den Pass überqueren. Das Abendmahl wir traditionell am Boden ausgebreitet, köstliches Gemüse, Brot, Dahl, Salat, Reis, Käsekuchen…
Wir besuchen die Frauen im Küchenbereich. Nach einerWoche „Freiheit“ tragen Steffi und ich wieder Schleier und gewöhnen uns wieder an die Begrüßung der Frauen im separaten Bereich. David und Martin sehen keine Frau, obwohl unsere Gastgeber Ismaeliten sind, die als die lieberalste Gruppe der Moslems gelten. Sie haben sich von den Schiiten abgespalten, ihre Imame setzten sich im Gegensatz zu den Schiitischen bis heute in Erbfolge fort. Ihr jetziges Oberhaupt ist der Aga Khan, ein ehemaliger Playboy mit guter Hand für finanzielle Dinge. Zu den „Thronjubileen“ wird er von seinen Anhängern in Silber, Gold oder Diamanten aufgewogen. Dieses Geld kommt dann in den z.B. „Diamond Jubilee Trust“ mit welchem Projekte wie Schulen, Wasserversorgungen, Frauenarbeit, Frauenbildung etc finanziert werden. Die Aga Khan Organisation funktioniert sogar so unpakistanisch gut, dass die Regierung viele öffentliche Schulen unter ihre Verwaltung gestellt hat. Das führt wiederum zu bösem Blut bei Schiiten und noch viel mehr bei Sunniten. Wie kann man diesen lieberalen, fast ungläubigen Moslems so viel Verantwortung geben? Der Onkel von Shamser lässt sich lang über diese Thematik aus, er weiß einiges, da er eine wichtige Position im Aga Khan Netzwerk hier im Ort inne hat.
Einigen Telefonaten zufolge ist der Pass angeblich schon offen, morgen werden wir mehr wissen.
Vor dem Einschlafen will ich mir endlich Gewissheit über eventuell vorhandene Flöhe verschaffen und ringle alle sichtbaren Bisse mit Kugelschreiber ein. Sollte morgen früh einer ohne blauem Ring auftauchen, weiß ich genau dass er neu ist. Warum ich das sonst nicht merke? Weil es schon jetzt 73 Bisse sind. Da fällt einer mehr oder weniger nicht wirklich auf.
Die beiden Begleitengerl drängen um 7h morgens zur Abfahrt, der Weg ist lang. In 9h sollten wir in Gilgit sein – Incha Allah.
Grandiose Landschaften strecken sich hier zwischen den Tälern aus, tosende Flüsse rauschen neben her, teilen sich auf weiten Ebenen in 1000 kleine friedliche Rinnsale und vereinen sich wieder zu einem großen Fluss. Als Kulisse stehen die Hindukush Berge im Sonnenlicht, der höchste sichtbare heißt Buni Zom und misst 6500m. Ein Zwergerl also. Bis kurz vorm Pass begleitet uns der Mastuj und trennt sich beim Anstieg von unserem Weg.
Auf halber Höhe überholen wir 3 Radfahrer. „Österreicher, Deutsche, Italiener?“ Ich tippe auf Franzosen. David sollte recht behalten. Sie kommen aus Italien und trainieren eigentlich nur für den Gipfelsturm auf den 8035m hohen Gasherbrunn II. Sie wollen es heuer in Ruhe versuchen. Nächstes Jahr zum 50. Jubileum der Erstbesteigung, welche die Mitglieder der Expedition der Naturfreunde Steyr, Sepp Larch, Fritz Moravec und Hans Willenpart aus Österreich im Juli 1956 vollbracht haben, wird ein regelrechter Run auf den Berg erwartet. Wir wünschen ihnen viel Glück und fahren weiter.
SHANDUR
Sämtlichen Befürchtungen zum Trotz erreichen wir ohne großartige Probleme den Pass, eine wunderschöne Hochebene fürt einige Km an Schneebergen, einem See mit Yakherden, einem verlassenen Polofeld und einigen wenigen Lehmhütten vorbei. Auf 3700m ist es etwas kalt, wir bestaunen hauptsächlich die Landschaft. Alle Tiere haben dicke Wollpullis gegen die Kälte an. Hier laufen pakistanische Wollesel, Wollkühe, Yaks, sehr wollige Schafe mit kleinen Lämmchen, die man von einem dicken Wollknäuel nur unterscheiden kann, wenn sie übermütige Sprünge vollführen. Wollziegen und sonstig Getier treibt sich rum und springt glücklich zwischen Steinen, Bächen, Wiesen und Schneefeldern umher. Die hirtenschlendern gemütlich hinterdrein und werfen dann und wann einen Stein in die Herdeum sie auf den richtigen Weg zu leiten.
An der einzig kritischen Stelle hängt ein Jeep einen Meter weit im Schlamm, wir sehen dadurch die gefährliche Stelle und können weiträumig ausweichen. Nach der Abfahrt spätnachmittags meldet sich der Hunger, David und Steffi kaufen Gemüse. Brot finden wir nicht. Im Ghizar Tal scheint es soetwas nicht zu geben. Martin ruft plötzlich: „Hier bleiben wir, da steht ein bunter Sonnenschirm am Ufer!“ Ein Schild am Straßenrand weißt auf das Uferrestaurant hin. Wir gehen runter und fragen hoffnungsvoll nach Essen. „Haben wir nicht!“ Wir machen uns daran unser Gemüse zu schneiden, David inspiziert die Küche. Nach 10min kommt er zurück. „Sie haben ein bisschen Reis und Gewürze, wissen aber nicht wie man kocht. Ich mache jetzt Fried Rice!“
Gesagt getan, unter den staunenden Augen der 3 unfähigen Wirte zaubert David gebratenen Reis. In der Zwischenzeit schaffen es die drei, umständlichst 4 Teller abzuwaschen – mit herrlich schmierigem Seewasser. Andere Gäste kommen und fragen nach Tee. „Gibt es nicht. Wir habe kein heißes Wasser!“, meint der Koch/Wirt. Sehr interessant.
Dank Davids Kochkünsten mussten wir also nicht verhungern.
Bei Mushko gesellt sich vom Norden der Gilgit zu uns, ab jetzt stehen am anderen Ufer nicht mehr die Berge des Hindu Kush sondern die des Karakorams. Nach eingehender Betrachtung meint David lakonisch: „Sieht auch nicht anders aus!“
Am Abend sind wir tatsächlich in Gilgit – Wahnsinn!
Incha Allah bis bald, genießt jeden Tag, jeden Moment – er ist es wert!!!
* Der Begriff Shangri La wurde in dem berühmten Buch „Lost Horizont“ 1930 von James Hilton geprägt, in dem ein Flugzeug in einem völlig unzugänglichen Tal im Tibetischen Hochland entführt wurde. Nach der Bruchlandung am ewigen Eis finden sich die unwissenden Entführten in einer Art Schlaraffenland wieder – völlig abgeschottet von allem, friedliche Koexistenz, uralte tibetische Mönche, atemberaubende
Landschaft. Eigentlich hatte es SHAMBALA geheißen, einem Übersetzungsfehler zu folge glaubt nun der Großteil der Welt es müsse SHANGRI LA heißen. Die Geschichte ist angeblich wahr, aber außer diesem Erzähler ist noch nie jemand zurückgekehrt.
Bei Yahoo gibt's Fotos zum blog, falls Du nach dem Passwort gefragt wirst: acchigom
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