Pushkar - Idylle an den Ghats
29. april - 2. mai 05
Namaste,
wahrscheinlich zum letzten Mal aus Indien. Wir haben unseren Aufenthalt in Pushkar auf 4 Tage verlängert. Beinahe wollten wir nicht hinfahren, da unser eigentlich sehr zuverlässiges Guidebook kein gutes Haar an dem Städchen gelassen hatte. Das bereits im letzten Mail beschrieben Zimmer in bester Lage versüßte den Aufenthalt noch mehr. Der Wettergott – wie auch immer er heißen mag – meinte es gut mit uns. Jeden Tag ein kurzes, klärendes, erfrischendes Gewitter, ich wusste nicht, dass die Temperaturen in Indien so angenehm sein können. Die Augen des Hotelbesitzers leuchten von Tag zu Tag mehr, als er hört, dass wir noch mal verlängern werden.
Untertags sitzen wir an den Ghats, sehen den Hindus bei ihren rituellen Waschungen zu, lauschen dem Geschnatter ihrer ewigen Diskussionen und Beobachten die Sadhus beim Wickels ihres Turbans. Ein ganz gewiefter bindet das eine Ende des fast 7m Stoffes an den Baum, stellt sich darunter und wickelt sich ein. So spart er das ständige hin und her Gewurstel mit dem noch nicht verwickelten Teil. Manchmal kommt ein selbsternannter Priester, um Puja zu machen – einmal muss man herhalten, dann ist das Spektakel für den ganzen Aufenthalt ausgestanden. Der Priester weist einen ganz bestimmten Platz + Körperhaltung zu, in der man dann die verschiedensten Dinge ausführen muss. Blumen und Reis in der Handhalten, nachsprechen, rote Farbtupfer auf die Stirn, gelbe Farbtupfer auf die Stirn, nachsprechen, Blüten wegwerfen, nachsprechen, noch mal Reis nehmen, nachsprechen, wegwerfen, ein rotes Band ums Handgelenk bekommen + zahlen. Seine Preisvorstellungen passen mit unseren irgendwie nicht so ganz zusammen – er fängt bei 1000 Rupien an – Spende heißt es natürlich und ist freiwillig. Als wir ihm jeder 100 Rupien geben ist er entsetzt. Wie kann jemand sein Karma und sein Glück so leichtfertig aufs Spiel setzen? Die indischen Pilger vollziehen dieses Ritual ebenfalls, mit dem kleinen Unterschied, dass sie geradezu einen Priester suchen, während wir uns immer in die ruhigeren Ghats verzogen haben und sie drängen ihm das Geld nur so auf. Wir erklären ihm, dass wir nicht glauben, Glück kaufen zu können. Er sieht das zwar ein, hofft innerlich aber innständig, dass wir diese Erkenntnis für uns behalten. Das rote Band ist eine Art Pass, damit können wir uns dann frei bewegen. Wenn wieder einer kommt in der Hoffnung auf ein bisschen Pujageld zeige ich ihm einfach dieses Band, er grinst und fängt ganz nett an zu plaudern ohne irgendwelche Erwartungen oder zieht einfach wieder ab. Trotzdem gibt es noch genug andere bettelnde Leute. Sadhus, die ihr Leben der Religion verschrieben haben und Im Schatten ist es auszuhlten, zwischendurch einen (sehr) dickflüssigen Mangosaft oder einen erfrischenden Limonen-Minze Shake. Köstlichst!!
Im vegetarischen Pushkar gibt es auch keine Eier, so bestelle ich zum Frühstück immer eine Riesenschüssel Müsli (frische Früchte aller Art, Milch + Cornflakes) um ganze 30 Rupien (50 Cent).
Einen der 2 Tempelberge haben wir tatsächlich zum Sonnenuntergang in Angriff genommen. Dort oben haust ein etwas eigentümlicher Heiliger, der sich 3 Tempelaffen hält. Der kleinste reitet stets auf dem Kopf des alten Mannes, wobei er sich an den Ohren festhält. Kurz springt er mal auf meine Schulter, aber nur um eine bessere Ausgangsposition für seinen Plan zu erreichen. Die große Wasserflasche an der Kante der obersten Stiege hat es ihm angetan. Mit einem Riesensatz springt er zielsicher mitten auf die Flasche, stößt sich an ihr ab und hüpft im selben Sprung wieder zurück zu seinem Heiligen. Die Flasche – ja die Flasche steht nicht mehr auf der obersten Stufe – viel mehr rollt sie grade auf der untersten aus. Der kleine Affe grinst, der alte Mann auch.
Amletzten Tag begnet mir eine alte Frau mit 5 Kindern, die mich zum Tee einlädt. Den Trick kenn ich auch, ich lade also sie ein (5 Tees kosten 15 Rupien = ca. 25 Cent) um nachher nicht in ihrer „Schuld“ zu stehen. Sie erzählt mir ihre Geschichte, an der natürlcih nicht alles stimmen muss. Am Vormittag traf ich allerdings den freiwilligen Mitarbeiter einer italienischen Hilfsorganisation hier in Pushkar, der mir von den Einzelschicksalen der hilfsbedürftigen Familien erzählt. Sie zahlen das Schulgeld für 200 Kinder, unterstützen 20 Familien und arbeiten an weiteren Projekten. Er war der erste, der nicht um eine Spende gefragt hat, dafür ließ ich 300 Rupien dort. Nicht viel, aber ich habe das Gefühl, so mehr für die richtige Verteilung zu tun. Deepu meinte nur, sowas sei unter Kollegen nicht nötig, als er hörte, dass ich auch im Sozialen Bereich tätig war. Er hat mir alle feinsäuberlich dokumentierten Fälle (Foto, Beschreibung, Familiensituation…) gezeigt und war sehr neugierig, wie das in Österreich funktioniert. Er selbst arbeitet wie gesagt ohne Bezahlung. „Wenn jemand aus Italien so weit herkommt um uns zu helfen, muss ich doch auch helfen. Ich wohne hier, hab keinen Arbeitweg und kenne alle Schäfchen höchstpersönlich.“
Gerade Witwen haben es schwer in Indien. Sie begehen zwar nicht mehr Sati (Witwenselbstverbrennung am Scheiterhaufen ihres verstorbenen Mannens) um der Schande zu entgehen, trotzdem glaubt der Großteil noch, dass sie als böse Frau den Tod über ihren Mann gebracht hat. Sie dürfen keine bunten Saris mehr anziehen, werden verachtet, dürfen nicht arbeiten und nicht zurück zu ihren Eltern, da dies Unglück über die noch unverheirateten Schwestern bringen würde. Ungeachtet dessen hat sie meist mehrere Kinder die Hunger haben und zur Schule möchten. Die einzige Methode ist betteln.
Die alte Frau ist ebenfalls Witwe. Sie zeigt mir ihr Haus: ein Zelt aus alten Plastiksackerln und ein paar Holzlatten. Ich gebe ihr statt Geld die Adresse der Italienischen Orgaisation Fiori di Loto. Dort kann ihr nachhaltiger geholfen werden. Auf die Frage, ob sie ein paar Stück Obst für die Kinder haben möchte meint sie nur: „Besser ein wenig Mehl, von Chapati werden sie schneller satt.“ Es gibt verschiedene Arten von Bettlern. Kinder, die „Have a pen?“ jedem Touristen nachrufen als hieße es „Hallo“ ermutige ich nie. Sie lernen sonst nur, dass sie so viel besser Geld verdienen können anstatt zur Schule zu gehen. Der spätere Nutzen ist ihnen nicht klar - wie überall. Manchmal, wenn mir die Organisiation bekannt ist, bringe ich sie zur Obdachlosenhilfe. Hier bekommen sie warme Mahlzeiten und Wasser zum Waschen, aber dort bleiben sie meist nicht lange. Behinderte und Witwen betteln ums Überleben, auch Einheimische Spenden ihnen. Für sie gibt es leider keine andere Möglichkeit. Sadhus betteln für gute religiöse Dienste, Einheimische versuchen sich bei ihnen ein gutes Karma zu kaufen, was den Heiligen ein angenehmes Leben beschert – ich bin kein Hindu, sehe also auch keinen Sinn für „Sündenablass“ zu zahlen, was die selbstbewussten Sadhus meist ein wenig verärgert.
Auf der Fahrt in die nördlich gelegene Shekawati Region kommen wir wieder durch Jaipur, wo wir in einem Hyundai Workshop die richtige Radmutter finden – wir fahren schon längere Zeit ohne dieses Ding – es gibt ja noch ein paar mehr..
Bei der Ausfahrt zieht es den Starex förmlich zu einem bestimmten Geschäft, als ob er von einem Magneten angezogen würde. Lassi Wala steht drauf. So ein Zufall. Na wenn wir schon mal da sind, können wir auch ein Lassi trinken, oder 2 oder 3…
Die Shekawati Region ist bekannt für ihre alten großen Havelis - Herrschaftshäuser, die im 18 + 19. Jh von reichen indischen Seidenstraßen-Händlern erbaut wurden. Um der lokalen Bevölkerung auch eine Vorstellung vom Leben in Europa oder nur im entfernten Mumbai oder Kolkatta zu geben, trommelten sie die fähigsten indischen Maler zusammen und ließen neben Götterbildern, Sagen + Tieren auch so exotische Dinge wie Eisenbahnen, Fahrräder, Dampfschiffe, Rotröcke, Königin Victoria (nicht sehr schmeichelhaft dargestellt), Jesus, Engeln und sogar ganze Skylines vom alten Venedig + Wien. Die Wiedergabe der technischen Einzelheiten wurde nicht so genau genommen, da die Maler selbst diese fremden Dinge meist nicht selbst gesehen hatten, sondern nach Erzählungen pinselten.
Eine Nacht verbrachten wir im ausgezeichnet geführten Gästehaus einer Familie in Nawalgat. Der Hausherr hatte einst in einem 5* Hotel gearbeitet und kennt die kleinen Annehmlichkeiten, die es dort gibt, aber auch die lästigen unnötigen touristischen Übertreibungen. Er hat sich das Feinste herasugepickt und lebt gut von seinen 6 geräumigen, einfachen aber liebevoll authentisch eingerichteten sauberen Zimmern. Sein Trinkwasser filtert er nicht einfach sondern er verwendet die Technik der reversiven Osmose, er hat Internetanschluss und kann seinen Gästen auch helfen wenn Probleme auftreten. Seine letzte Tochter heißt Delli, nach einem Buchhaltungsprogram, welches das Ehepaar beim letzten Computerkurs kennengelernt hatten und seither verwenden. Seine Frau kocht köstlichen Thali (Dal Bhat) und ist genauso wie er überzeugt, dass die Gäste nicht den anonymen Luxus im Sternehotel bevorzugen, sondern die familiäre Atmosphäre in authentischen Gästehäusern. Wie recht sie haben!
Meine Versuche, mir ein Rajastani Gewand schneidern zu lassen scheitern ständig entweder am nicht vorhandenen Material, am ausgebuchten Schneider oder an den wahnsinnigen Preisvorstellungen beider. Das heißt wohl, dass die beste Gelegenheit noch kommt oder ich keines brauche. Die Kleidung besteht aus Rock, kurzer bauchfreier Bluse und einem Schleier. Sieht aus wie ein Sari, ist aber wesentlich einfacher anzuziehen.
Obwohl wir eigentlich weiter wollen, bleiben wir trotzdem nochmal in Mandawa, wo es ein Hotel in einem Haveli gibt. Das lassen wir uns nicht nehmen. Im vorigen Ort waren die Havelis immer nur verlassene halbverfallene Häuser, in denen maximal ein Caretaker rumschlurft. Die Besitzer – reiche Mawari, die in Mumbai oder Kolkatta wohnen haben scheinbar genug Geld. Sie verkaufen die Havelis um keinen Preis, renovieren sie aber auch nicht.
Viele der wunderschönen Zeichnungen sind bereits verblasst oder abgebröckelt – einige auch einfach brutal übermalt. Manchmal ein trauriger Anblick, manachmal aber fühle ich mich einfach in diese Zeit damals versetzt. In einigen der Häuser können wir auf Entdeckungstour gehen, alle Ecken und Ritzen, Erker und Halbetagen beäugen.
Jedes Haveli ist von außen betrachtet schon ein Kunstwerk, über und über bemalt mit wundersamen Dingen. Der erste Eingang führt durch ein Eisen beschlagenes Holztor in den ersten Innenhof, in dem Gäste empfangen wurden. Rundherum befinden sich Zimmer, der obere Stock weiter überhängend als der untere, mit großen Stützsäulen, unter denen ein schattiger Platz zum Relaxen entsteht. Hinter einer der Türen führt eine breite steinerne Treppe ins obere Geschoß und weiter auf die großzügige Dachterasse, die oft noch mit kleinen Pavillons und sonstigen Unterständen bestückt ist. Nach dem ersten Innenhof, in dem die Frauen damals nicht zugelassen waren, wegen der traditionellen Verhüllung (die auch im Islam verwendung fand). Sie saßen im 2. Hof und hinter den kleinen Fenstern um Männergespräche belauschen zu können. Auch hier befinden sich wieder ringsherum Gemächer und die Küche. Durch eine kleine Tür servierten die Damen des Hauses ohne Blickkontakt das Essen. In jedem Tanzsaal oder Meetingroom gibt es eine Art Galerie als Halbetage eingezogen, mit kleinen löchrigen Steinfenstern durch die sie ungesehen das Geschehen verfolgen durften.
Eine 15-20köpfige familie fand hier leicht Platz. Ich meine wirklich Platz, nicht so wie man sich jetzt Platz in Mumbai oder Delhi vorstellt – richtig viel Platz!
Die erste Generation der Neapli Round Tabler (vielleicht erinnert sich noch jemand an die Reisegruppen, mit denen ich letztes Jahr zu tun hatte) waren ebenfalls Mawari aus Rajasthan – das liegt allerdings schon ein Weilchen zurück.
Am Abend will ich noch die restlichen Havelis ansehen und mache mich allein auf den Weg. Gleich nach der 2. Kreuzung gabeln mich ein paar junge Burschen zwischen 7 und 15 auf und zeigen mir, wie man Cricket spielt. Cricket ist eine undurchschaubare sportliche Unart, die die netten Briten hinterlassen haben. Den Kids dient eine Müllhalde als Spielfeld, viel Sportgeist gewürzt mit Eifer und einer Prise Stolz – ein Mordspaß. Von den Regeln hab ich genau so wenig Ahnung wie vorher, ich weiß aber jetzt in welche Richtung der Ball geschlagen werden muss. Die Burschen kennen ihre Kollegen sehr gut und erklären mir freimütig: „Komm, spiel mit uns Ma’am, wir wollen kein Geld, nur Spaß!“ Das hör ich gerne. Sie drücken mir den Schläger in die Hand, erklären mir kurz wo vorne und hinten ist und schon läuft einer, um den Ball zu schießen. Ich steh auf meinem zugewiesenen Platz, den Schläger fest umklammert und warte – bis sie mir sagen, dass der Ball schon längst geflogen ist.
Gelächter. Eine weitere Erklärung folgt: ich sollte mit dem Schläger am Boden klopfen, damit der andere Spieler weiß, dass ich bereit bin. Vorher wusste er es nicht und hat einfach sofort geschossen. Ok, verstanden. Klopfen. Schießen. – treffen! Juhuu! Meine Trefferquote kann sich nun zwar sehen lassen, aber der Ball fliegt nicht weit. „Ma’am, fester, du musst fester schlagen – der Schläger beißt nicht!“ „Richtig ausholen!“ rufen sie mir zu. Na das hoffe ich. Ich gestehe ihnen von meinen Ängsten, einen der „Zuseher“ die nicht mehr als einen halben Meter von mir entfernt stehen mit dem Holzschläger eine Beule zu verpassen. Sie zeigen mir die alten Beulen und der Ausdruck in ihren Gesichtern sagt: das gehört dazu!“ Ich bin nicht überzeugt. Ein Kommando vom „Teamkapitän“ und sie springen erschrocken zur Seite. Zu gern würd ich Hindi verstehen und wissen womit er ihnen gerade gedroht hat. Es herrscht das Gesetz des Stärkeren. Wer nicht spurt bekommt eine auf die Nase, die Versöhnung folgt am Fuße. Nachdem „Ma’am“ nun fester schlägt, fliegt der Ball gleich mal über den nächsten Zaun – begeistert klatschen sie „Wow, guter Schlag“ und laufen unverdrossen los um das corpus delicti zwischen Plastiksäcken, Biomüll, Eisenteilen und Kuhsch…. auszugraben. Wirklich, ein toller Schlag…
Als ich meine Lektion gelernt habe, wollen sie natürlich einzeln unter Beweis stellen, wie gut sie selbst schießen und schlagen können. Sie imitieren zweifellos (mir un-)bekannte Cricketspieler und sind fast ein wenig enttäuscht als sie merken, dass ich nicht beurteilen kann, wie gut ihre Sache beherrschen. Erstaunlicher Weise gehören auch pakistanische Spieler zu ihrem Repetoire. Schon in Bharatpur hat mir ein junger, sehr weltoffener und intelligenter Inder erzählt, dass die vermehrten Freundschaftsmatches zwischen Indien und Paksitan zur Entspannung in der Bevölkerung beitragen sollen. Sie wurden außerdem von 5 Sätzen oder Runden (?) auf 6 erweitert, damit ein Unentschieden erspielt werden kann – was häufig passiert. Selbst in den Bollywoodfilmen sollen angeblich nicht mehr nur die Pakistanis als Terroristen und „Böse“ hingestellt werden. Seit 3 Jahren arbeiten sie verstärkt an der Massage: Menschen sind wichtig, nicht Staaten oder alte Volksfehden. Hoffentlich wirkts. Seit ein paar Wochen fährt erstmals wieder ein Bus von Jammu&Kashmir/India ins pakistanische Kashmir – dem ewigen Zankapfel der beiden Nationen wegen dem schon 1000e Menschen ihr Leben verloren haben und die beiden Länder kurz vor dem Atomkrieg standen. Am ersten Tag der Öffnung flog zum Dank die Haltestelle in die Luft – ein Feuerwerk zum Freudentag. Der neue Indische Premier Manmohan Singh vermittelt Friedensbotschaften in alle Richtungen. Selbst mit Nepal macht er nun wieder auf Gut-Freund. Vor knapp 2 Monaten bestreikten sie das SAARG Meeting, weil sie mit dem im Ausnahmezustand befindlichen Nepal nicht an einem Tisch sitzen wollten. An Nepals Zustand hat sich seither nichts geändert.
Meine Besichtigungspläne hab ich längst aufgegeben, Cricketspielen ist lustiger als das 100. Haveli zu fotografieren, also bleibe ich noch ein wenig.
Im Hotel wartet bereits unser „Guide“. In jedem Ort gibt’s findige Kinder, die dir bei der Frage nach dem Weg zum Hotel erklären: das gehört meiner Tante, ich zeige es euch. Viele Tricks hab ich schon gekannt, das war ein neuer. Er weicht dann nicht mehr von der Seite, meist aber auf nicht unangenehme Art und erzählt was er so weiß – das ist meist eine Menge. Vor allem sind wir am Leben im jeweiligen Dorf interessiert. Dazu hat er immer viel zu berichten. Dieser hatte uns erklärt, er sei 15 Jahre, gehe zur Schule aber im Moment seien Ferien. Wir erfahren von seiner „Tante“, dass sie gar nicht mit ihm verwandt ist, dass er 18 ist und die Schule in der 8. abgebrochen hat um Guide zu werden.
Er bringt uns zu seinem (echten) Vater, der Schneider ist. Ich versuche zum x-ten Mal meine Wünsche zu äußern. Der Stoffhändler, seine Frau, der Guide, der Vater und einige Nachbarn schreien was das Zeug hält, jeder glaubt verstanden zu haben was ich will, so richtig klappte es bei keinem. Als wir nach harten Diskussionen, gestenreichen Erklärungen und einer Zeichnung zur Einigung kommen erfahren wir, dass es mindestens bis 10 oder 11h früh dauern würde. Um diese Zeit wollten wir allerdings schon am halben Weg nach Amritsar sein. Also wieder nichts.
Ein ziemlich schräges Abendessen beschließt den Tag. Im Haveli Hotel glauben sie offenbar, dass alle Touristen gerne ein sehr touristisches Marionettentheater mit unsagbar lautem Gequitsche, Getrommle und Gesang einem ruhigen Dinner, bei dem man sich unterhalten kann vorziehen. Als wir zurückkommen ist die Bühne shon aufgebaut, die Augen des Marionettenspielers glänzen in Vorfreude auf die Rupies, die trommelnde Sängerin verschlingt noch kurz 3 Zigaretten und hebt mit rauchiger Stimme an, indischen Weisen zu keuchen. Ihre Stimme ist aber wirklich das Beste an dem ganzen Theater. Die selbstgemachten Puppen tanzen an ihren Fäden monoton zu den Klängen. Die Tänzerin bewegt nur Kopf, Hände und Hintern – die Beine haben keine Fäden. Beim Soldat schwingen gerade mal Kopf und Säbel, ein ??? Dämon? Schüttelt wütend seinen Schwanz – immer schön einer nach dem anderen, es befinden sich nie 2 Figuren auf der Bühne. Das Essen wird serviert, wir müssen in voller Lautstärke quer über den Tisch rufen, falls der Reis außer Reichweite steht und wir uns irgendwie bemerkbar machen wollen. Die beiden Schreihälse sitzen nicht etwa auf einer Bühne in einiger Entfernung, nein. Genau neben unseren Ohren, damit wir auch ja keinen Ton überhören.
Eine halbe Stunde später ertönen die letzten heißeren Krächzer, ein wildgewordenens, betrunkenes Kamel schießt sich wild gebärdend über die Marionettenbühne; ich konnte es mir lange verkneifen, aber nun muss ich lachen. Der Krach verstummt so abrupt wie er begonnen hat und die beiden Radaumacher warten auf ihr Bakshish. (Trinkgeld) Martin gibt ganze 100 Rupien, die Gefahr ist gebannt – Nein. Zum Dank für den edlen Spender erweitern sie ihr Programm um eine Zugabe.
Ich verzieh mich auf die Dachterasse, von wo aus Trommel und Gesang viel besser klingen.
Es sollte nicht das letzte Mal sein hier oben. Mitten in der heißen Nacht, gepiesackt von dutzenden Mosquitos stürme ich aus dem Zimmer und rette mich wieder aufs windige Dach.
Am frühen Morgen fahren wir los Richtung Amritsar, welches wir voraussichtlich erst am Folgetag erreichen werden. Von dort aus ist es nicht mehr weit nach Pakistan. Auf den Strassen herrscht das uebliche Chaos. Wenn ein Stau besonders lange dauert liegt meist eine der vielen heiligen Kuehe rum, die genau wissen, dass niemand sie anruehren darf und daher nicht daran denken sich vom Fleck zu ruehren...
Wie weit ist bei Euch schon der Frühling ins Land gezogen? Sonnenstrahlen?
Bis nächstes Mal, herzliche Grüße
namaste
Bei Yahoo gibt's Fotos zum blog, falls Du nach dem Passwort gefragt wirst: acchigom
Buntes Indien Pics
Namaste,
wahrscheinlich zum letzten Mal aus Indien. Wir haben unseren Aufenthalt in Pushkar auf 4 Tage verlängert. Beinahe wollten wir nicht hinfahren, da unser eigentlich sehr zuverlässiges Guidebook kein gutes Haar an dem Städchen gelassen hatte. Das bereits im letzten Mail beschrieben Zimmer in bester Lage versüßte den Aufenthalt noch mehr. Der Wettergott – wie auch immer er heißen mag – meinte es gut mit uns. Jeden Tag ein kurzes, klärendes, erfrischendes Gewitter, ich wusste nicht, dass die Temperaturen in Indien so angenehm sein können. Die Augen des Hotelbesitzers leuchten von Tag zu Tag mehr, als er hört, dass wir noch mal verlängern werden.
Untertags sitzen wir an den Ghats, sehen den Hindus bei ihren rituellen Waschungen zu, lauschen dem Geschnatter ihrer ewigen Diskussionen und Beobachten die Sadhus beim Wickels ihres Turbans. Ein ganz gewiefter bindet das eine Ende des fast 7m Stoffes an den Baum, stellt sich darunter und wickelt sich ein. So spart er das ständige hin und her Gewurstel mit dem noch nicht verwickelten Teil. Manchmal kommt ein selbsternannter Priester, um Puja zu machen – einmal muss man herhalten, dann ist das Spektakel für den ganzen Aufenthalt ausgestanden. Der Priester weist einen ganz bestimmten Platz + Körperhaltung zu, in der man dann die verschiedensten Dinge ausführen muss. Blumen und Reis in der Handhalten, nachsprechen, rote Farbtupfer auf die Stirn, gelbe Farbtupfer auf die Stirn, nachsprechen, Blüten wegwerfen, nachsprechen, noch mal Reis nehmen, nachsprechen, wegwerfen, ein rotes Band ums Handgelenk bekommen + zahlen. Seine Preisvorstellungen passen mit unseren irgendwie nicht so ganz zusammen – er fängt bei 1000 Rupien an – Spende heißt es natürlich und ist freiwillig. Als wir ihm jeder 100 Rupien geben ist er entsetzt. Wie kann jemand sein Karma und sein Glück so leichtfertig aufs Spiel setzen? Die indischen Pilger vollziehen dieses Ritual ebenfalls, mit dem kleinen Unterschied, dass sie geradezu einen Priester suchen, während wir uns immer in die ruhigeren Ghats verzogen haben und sie drängen ihm das Geld nur so auf. Wir erklären ihm, dass wir nicht glauben, Glück kaufen zu können. Er sieht das zwar ein, hofft innerlich aber innständig, dass wir diese Erkenntnis für uns behalten. Das rote Band ist eine Art Pass, damit können wir uns dann frei bewegen. Wenn wieder einer kommt in der Hoffnung auf ein bisschen Pujageld zeige ich ihm einfach dieses Band, er grinst und fängt ganz nett an zu plaudern ohne irgendwelche Erwartungen oder zieht einfach wieder ab. Trotzdem gibt es noch genug andere bettelnde Leute. Sadhus, die ihr Leben der Religion verschrieben haben und Im Schatten ist es auszuhlten, zwischendurch einen (sehr) dickflüssigen Mangosaft oder einen erfrischenden Limonen-Minze Shake. Köstlichst!!
Im vegetarischen Pushkar gibt es auch keine Eier, so bestelle ich zum Frühstück immer eine Riesenschüssel Müsli (frische Früchte aller Art, Milch + Cornflakes) um ganze 30 Rupien (50 Cent).
Einen der 2 Tempelberge haben wir tatsächlich zum Sonnenuntergang in Angriff genommen. Dort oben haust ein etwas eigentümlicher Heiliger, der sich 3 Tempelaffen hält. Der kleinste reitet stets auf dem Kopf des alten Mannes, wobei er sich an den Ohren festhält. Kurz springt er mal auf meine Schulter, aber nur um eine bessere Ausgangsposition für seinen Plan zu erreichen. Die große Wasserflasche an der Kante der obersten Stiege hat es ihm angetan. Mit einem Riesensatz springt er zielsicher mitten auf die Flasche, stößt sich an ihr ab und hüpft im selben Sprung wieder zurück zu seinem Heiligen. Die Flasche – ja die Flasche steht nicht mehr auf der obersten Stufe – viel mehr rollt sie grade auf der untersten aus. Der kleine Affe grinst, der alte Mann auch.
Amletzten Tag begnet mir eine alte Frau mit 5 Kindern, die mich zum Tee einlädt. Den Trick kenn ich auch, ich lade also sie ein (5 Tees kosten 15 Rupien = ca. 25 Cent) um nachher nicht in ihrer „Schuld“ zu stehen. Sie erzählt mir ihre Geschichte, an der natürlcih nicht alles stimmen muss. Am Vormittag traf ich allerdings den freiwilligen Mitarbeiter einer italienischen Hilfsorganisation hier in Pushkar, der mir von den Einzelschicksalen der hilfsbedürftigen Familien erzählt. Sie zahlen das Schulgeld für 200 Kinder, unterstützen 20 Familien und arbeiten an weiteren Projekten. Er war der erste, der nicht um eine Spende gefragt hat, dafür ließ ich 300 Rupien dort. Nicht viel, aber ich habe das Gefühl, so mehr für die richtige Verteilung zu tun. Deepu meinte nur, sowas sei unter Kollegen nicht nötig, als er hörte, dass ich auch im Sozialen Bereich tätig war. Er hat mir alle feinsäuberlich dokumentierten Fälle (Foto, Beschreibung, Familiensituation…) gezeigt und war sehr neugierig, wie das in Österreich funktioniert. Er selbst arbeitet wie gesagt ohne Bezahlung. „Wenn jemand aus Italien so weit herkommt um uns zu helfen, muss ich doch auch helfen. Ich wohne hier, hab keinen Arbeitweg und kenne alle Schäfchen höchstpersönlich.“
Gerade Witwen haben es schwer in Indien. Sie begehen zwar nicht mehr Sati (Witwenselbstverbrennung am Scheiterhaufen ihres verstorbenen Mannens) um der Schande zu entgehen, trotzdem glaubt der Großteil noch, dass sie als böse Frau den Tod über ihren Mann gebracht hat. Sie dürfen keine bunten Saris mehr anziehen, werden verachtet, dürfen nicht arbeiten und nicht zurück zu ihren Eltern, da dies Unglück über die noch unverheirateten Schwestern bringen würde. Ungeachtet dessen hat sie meist mehrere Kinder die Hunger haben und zur Schule möchten. Die einzige Methode ist betteln.
Die alte Frau ist ebenfalls Witwe. Sie zeigt mir ihr Haus: ein Zelt aus alten Plastiksackerln und ein paar Holzlatten. Ich gebe ihr statt Geld die Adresse der Italienischen Orgaisation Fiori di Loto. Dort kann ihr nachhaltiger geholfen werden. Auf die Frage, ob sie ein paar Stück Obst für die Kinder haben möchte meint sie nur: „Besser ein wenig Mehl, von Chapati werden sie schneller satt.“ Es gibt verschiedene Arten von Bettlern. Kinder, die „Have a pen?“ jedem Touristen nachrufen als hieße es „Hallo“ ermutige ich nie. Sie lernen sonst nur, dass sie so viel besser Geld verdienen können anstatt zur Schule zu gehen. Der spätere Nutzen ist ihnen nicht klar - wie überall. Manchmal, wenn mir die Organisiation bekannt ist, bringe ich sie zur Obdachlosenhilfe. Hier bekommen sie warme Mahlzeiten und Wasser zum Waschen, aber dort bleiben sie meist nicht lange. Behinderte und Witwen betteln ums Überleben, auch Einheimische Spenden ihnen. Für sie gibt es leider keine andere Möglichkeit. Sadhus betteln für gute religiöse Dienste, Einheimische versuchen sich bei ihnen ein gutes Karma zu kaufen, was den Heiligen ein angenehmes Leben beschert – ich bin kein Hindu, sehe also auch keinen Sinn für „Sündenablass“ zu zahlen, was die selbstbewussten Sadhus meist ein wenig verärgert.
Auf der Fahrt in die nördlich gelegene Shekawati Region kommen wir wieder durch Jaipur, wo wir in einem Hyundai Workshop die richtige Radmutter finden – wir fahren schon längere Zeit ohne dieses Ding – es gibt ja noch ein paar mehr..
Bei der Ausfahrt zieht es den Starex förmlich zu einem bestimmten Geschäft, als ob er von einem Magneten angezogen würde. Lassi Wala steht drauf. So ein Zufall. Na wenn wir schon mal da sind, können wir auch ein Lassi trinken, oder 2 oder 3…
Die Shekawati Region ist bekannt für ihre alten großen Havelis - Herrschaftshäuser, die im 18 + 19. Jh von reichen indischen Seidenstraßen-Händlern erbaut wurden. Um der lokalen Bevölkerung auch eine Vorstellung vom Leben in Europa oder nur im entfernten Mumbai oder Kolkatta zu geben, trommelten sie die fähigsten indischen Maler zusammen und ließen neben Götterbildern, Sagen + Tieren auch so exotische Dinge wie Eisenbahnen, Fahrräder, Dampfschiffe, Rotröcke, Königin Victoria (nicht sehr schmeichelhaft dargestellt), Jesus, Engeln und sogar ganze Skylines vom alten Venedig + Wien. Die Wiedergabe der technischen Einzelheiten wurde nicht so genau genommen, da die Maler selbst diese fremden Dinge meist nicht selbst gesehen hatten, sondern nach Erzählungen pinselten.
Eine Nacht verbrachten wir im ausgezeichnet geführten Gästehaus einer Familie in Nawalgat. Der Hausherr hatte einst in einem 5* Hotel gearbeitet und kennt die kleinen Annehmlichkeiten, die es dort gibt, aber auch die lästigen unnötigen touristischen Übertreibungen. Er hat sich das Feinste herasugepickt und lebt gut von seinen 6 geräumigen, einfachen aber liebevoll authentisch eingerichteten sauberen Zimmern. Sein Trinkwasser filtert er nicht einfach sondern er verwendet die Technik der reversiven Osmose, er hat Internetanschluss und kann seinen Gästen auch helfen wenn Probleme auftreten. Seine letzte Tochter heißt Delli, nach einem Buchhaltungsprogram, welches das Ehepaar beim letzten Computerkurs kennengelernt hatten und seither verwenden. Seine Frau kocht köstlichen Thali (Dal Bhat) und ist genauso wie er überzeugt, dass die Gäste nicht den anonymen Luxus im Sternehotel bevorzugen, sondern die familiäre Atmosphäre in authentischen Gästehäusern. Wie recht sie haben!
Meine Versuche, mir ein Rajastani Gewand schneidern zu lassen scheitern ständig entweder am nicht vorhandenen Material, am ausgebuchten Schneider oder an den wahnsinnigen Preisvorstellungen beider. Das heißt wohl, dass die beste Gelegenheit noch kommt oder ich keines brauche. Die Kleidung besteht aus Rock, kurzer bauchfreier Bluse und einem Schleier. Sieht aus wie ein Sari, ist aber wesentlich einfacher anzuziehen.
Obwohl wir eigentlich weiter wollen, bleiben wir trotzdem nochmal in Mandawa, wo es ein Hotel in einem Haveli gibt. Das lassen wir uns nicht nehmen. Im vorigen Ort waren die Havelis immer nur verlassene halbverfallene Häuser, in denen maximal ein Caretaker rumschlurft. Die Besitzer – reiche Mawari, die in Mumbai oder Kolkatta wohnen haben scheinbar genug Geld. Sie verkaufen die Havelis um keinen Preis, renovieren sie aber auch nicht.
Viele der wunderschönen Zeichnungen sind bereits verblasst oder abgebröckelt – einige auch einfach brutal übermalt. Manchmal ein trauriger Anblick, manachmal aber fühle ich mich einfach in diese Zeit damals versetzt. In einigen der Häuser können wir auf Entdeckungstour gehen, alle Ecken und Ritzen, Erker und Halbetagen beäugen.
Jedes Haveli ist von außen betrachtet schon ein Kunstwerk, über und über bemalt mit wundersamen Dingen. Der erste Eingang führt durch ein Eisen beschlagenes Holztor in den ersten Innenhof, in dem Gäste empfangen wurden. Rundherum befinden sich Zimmer, der obere Stock weiter überhängend als der untere, mit großen Stützsäulen, unter denen ein schattiger Platz zum Relaxen entsteht. Hinter einer der Türen führt eine breite steinerne Treppe ins obere Geschoß und weiter auf die großzügige Dachterasse, die oft noch mit kleinen Pavillons und sonstigen Unterständen bestückt ist. Nach dem ersten Innenhof, in dem die Frauen damals nicht zugelassen waren, wegen der traditionellen Verhüllung (die auch im Islam verwendung fand). Sie saßen im 2. Hof und hinter den kleinen Fenstern um Männergespräche belauschen zu können. Auch hier befinden sich wieder ringsherum Gemächer und die Küche. Durch eine kleine Tür servierten die Damen des Hauses ohne Blickkontakt das Essen. In jedem Tanzsaal oder Meetingroom gibt es eine Art Galerie als Halbetage eingezogen, mit kleinen löchrigen Steinfenstern durch die sie ungesehen das Geschehen verfolgen durften.
Eine 15-20köpfige familie fand hier leicht Platz. Ich meine wirklich Platz, nicht so wie man sich jetzt Platz in Mumbai oder Delhi vorstellt – richtig viel Platz!
Die erste Generation der Neapli Round Tabler (vielleicht erinnert sich noch jemand an die Reisegruppen, mit denen ich letztes Jahr zu tun hatte) waren ebenfalls Mawari aus Rajasthan – das liegt allerdings schon ein Weilchen zurück.
Am Abend will ich noch die restlichen Havelis ansehen und mache mich allein auf den Weg. Gleich nach der 2. Kreuzung gabeln mich ein paar junge Burschen zwischen 7 und 15 auf und zeigen mir, wie man Cricket spielt. Cricket ist eine undurchschaubare sportliche Unart, die die netten Briten hinterlassen haben. Den Kids dient eine Müllhalde als Spielfeld, viel Sportgeist gewürzt mit Eifer und einer Prise Stolz – ein Mordspaß. Von den Regeln hab ich genau so wenig Ahnung wie vorher, ich weiß aber jetzt in welche Richtung der Ball geschlagen werden muss. Die Burschen kennen ihre Kollegen sehr gut und erklären mir freimütig: „Komm, spiel mit uns Ma’am, wir wollen kein Geld, nur Spaß!“ Das hör ich gerne. Sie drücken mir den Schläger in die Hand, erklären mir kurz wo vorne und hinten ist und schon läuft einer, um den Ball zu schießen. Ich steh auf meinem zugewiesenen Platz, den Schläger fest umklammert und warte – bis sie mir sagen, dass der Ball schon längst geflogen ist.
Gelächter. Eine weitere Erklärung folgt: ich sollte mit dem Schläger am Boden klopfen, damit der andere Spieler weiß, dass ich bereit bin. Vorher wusste er es nicht und hat einfach sofort geschossen. Ok, verstanden. Klopfen. Schießen. – treffen! Juhuu! Meine Trefferquote kann sich nun zwar sehen lassen, aber der Ball fliegt nicht weit. „Ma’am, fester, du musst fester schlagen – der Schläger beißt nicht!“ „Richtig ausholen!“ rufen sie mir zu. Na das hoffe ich. Ich gestehe ihnen von meinen Ängsten, einen der „Zuseher“ die nicht mehr als einen halben Meter von mir entfernt stehen mit dem Holzschläger eine Beule zu verpassen. Sie zeigen mir die alten Beulen und der Ausdruck in ihren Gesichtern sagt: das gehört dazu!“ Ich bin nicht überzeugt. Ein Kommando vom „Teamkapitän“ und sie springen erschrocken zur Seite. Zu gern würd ich Hindi verstehen und wissen womit er ihnen gerade gedroht hat. Es herrscht das Gesetz des Stärkeren. Wer nicht spurt bekommt eine auf die Nase, die Versöhnung folgt am Fuße. Nachdem „Ma’am“ nun fester schlägt, fliegt der Ball gleich mal über den nächsten Zaun – begeistert klatschen sie „Wow, guter Schlag“ und laufen unverdrossen los um das corpus delicti zwischen Plastiksäcken, Biomüll, Eisenteilen und Kuhsch…. auszugraben. Wirklich, ein toller Schlag…
Als ich meine Lektion gelernt habe, wollen sie natürlich einzeln unter Beweis stellen, wie gut sie selbst schießen und schlagen können. Sie imitieren zweifellos (mir un-)bekannte Cricketspieler und sind fast ein wenig enttäuscht als sie merken, dass ich nicht beurteilen kann, wie gut ihre Sache beherrschen. Erstaunlicher Weise gehören auch pakistanische Spieler zu ihrem Repetoire. Schon in Bharatpur hat mir ein junger, sehr weltoffener und intelligenter Inder erzählt, dass die vermehrten Freundschaftsmatches zwischen Indien und Paksitan zur Entspannung in der Bevölkerung beitragen sollen. Sie wurden außerdem von 5 Sätzen oder Runden (?) auf 6 erweitert, damit ein Unentschieden erspielt werden kann – was häufig passiert. Selbst in den Bollywoodfilmen sollen angeblich nicht mehr nur die Pakistanis als Terroristen und „Böse“ hingestellt werden. Seit 3 Jahren arbeiten sie verstärkt an der Massage: Menschen sind wichtig, nicht Staaten oder alte Volksfehden. Hoffentlich wirkts. Seit ein paar Wochen fährt erstmals wieder ein Bus von Jammu&Kashmir/India ins pakistanische Kashmir – dem ewigen Zankapfel der beiden Nationen wegen dem schon 1000e Menschen ihr Leben verloren haben und die beiden Länder kurz vor dem Atomkrieg standen. Am ersten Tag der Öffnung flog zum Dank die Haltestelle in die Luft – ein Feuerwerk zum Freudentag. Der neue Indische Premier Manmohan Singh vermittelt Friedensbotschaften in alle Richtungen. Selbst mit Nepal macht er nun wieder auf Gut-Freund. Vor knapp 2 Monaten bestreikten sie das SAARG Meeting, weil sie mit dem im Ausnahmezustand befindlichen Nepal nicht an einem Tisch sitzen wollten. An Nepals Zustand hat sich seither nichts geändert.
Meine Besichtigungspläne hab ich längst aufgegeben, Cricketspielen ist lustiger als das 100. Haveli zu fotografieren, also bleibe ich noch ein wenig.
Im Hotel wartet bereits unser „Guide“. In jedem Ort gibt’s findige Kinder, die dir bei der Frage nach dem Weg zum Hotel erklären: das gehört meiner Tante, ich zeige es euch. Viele Tricks hab ich schon gekannt, das war ein neuer. Er weicht dann nicht mehr von der Seite, meist aber auf nicht unangenehme Art und erzählt was er so weiß – das ist meist eine Menge. Vor allem sind wir am Leben im jeweiligen Dorf interessiert. Dazu hat er immer viel zu berichten. Dieser hatte uns erklärt, er sei 15 Jahre, gehe zur Schule aber im Moment seien Ferien. Wir erfahren von seiner „Tante“, dass sie gar nicht mit ihm verwandt ist, dass er 18 ist und die Schule in der 8. abgebrochen hat um Guide zu werden.
Er bringt uns zu seinem (echten) Vater, der Schneider ist. Ich versuche zum x-ten Mal meine Wünsche zu äußern. Der Stoffhändler, seine Frau, der Guide, der Vater und einige Nachbarn schreien was das Zeug hält, jeder glaubt verstanden zu haben was ich will, so richtig klappte es bei keinem. Als wir nach harten Diskussionen, gestenreichen Erklärungen und einer Zeichnung zur Einigung kommen erfahren wir, dass es mindestens bis 10 oder 11h früh dauern würde. Um diese Zeit wollten wir allerdings schon am halben Weg nach Amritsar sein. Also wieder nichts.
Ein ziemlich schräges Abendessen beschließt den Tag. Im Haveli Hotel glauben sie offenbar, dass alle Touristen gerne ein sehr touristisches Marionettentheater mit unsagbar lautem Gequitsche, Getrommle und Gesang einem ruhigen Dinner, bei dem man sich unterhalten kann vorziehen. Als wir zurückkommen ist die Bühne shon aufgebaut, die Augen des Marionettenspielers glänzen in Vorfreude auf die Rupies, die trommelnde Sängerin verschlingt noch kurz 3 Zigaretten und hebt mit rauchiger Stimme an, indischen Weisen zu keuchen. Ihre Stimme ist aber wirklich das Beste an dem ganzen Theater. Die selbstgemachten Puppen tanzen an ihren Fäden monoton zu den Klängen. Die Tänzerin bewegt nur Kopf, Hände und Hintern – die Beine haben keine Fäden. Beim Soldat schwingen gerade mal Kopf und Säbel, ein ??? Dämon? Schüttelt wütend seinen Schwanz – immer schön einer nach dem anderen, es befinden sich nie 2 Figuren auf der Bühne. Das Essen wird serviert, wir müssen in voller Lautstärke quer über den Tisch rufen, falls der Reis außer Reichweite steht und wir uns irgendwie bemerkbar machen wollen. Die beiden Schreihälse sitzen nicht etwa auf einer Bühne in einiger Entfernung, nein. Genau neben unseren Ohren, damit wir auch ja keinen Ton überhören.
Eine halbe Stunde später ertönen die letzten heißeren Krächzer, ein wildgewordenens, betrunkenes Kamel schießt sich wild gebärdend über die Marionettenbühne; ich konnte es mir lange verkneifen, aber nun muss ich lachen. Der Krach verstummt so abrupt wie er begonnen hat und die beiden Radaumacher warten auf ihr Bakshish. (Trinkgeld) Martin gibt ganze 100 Rupien, die Gefahr ist gebannt – Nein. Zum Dank für den edlen Spender erweitern sie ihr Programm um eine Zugabe.
Ich verzieh mich auf die Dachterasse, von wo aus Trommel und Gesang viel besser klingen.
Es sollte nicht das letzte Mal sein hier oben. Mitten in der heißen Nacht, gepiesackt von dutzenden Mosquitos stürme ich aus dem Zimmer und rette mich wieder aufs windige Dach.
Am frühen Morgen fahren wir los Richtung Amritsar, welches wir voraussichtlich erst am Folgetag erreichen werden. Von dort aus ist es nicht mehr weit nach Pakistan. Auf den Strassen herrscht das uebliche Chaos. Wenn ein Stau besonders lange dauert liegt meist eine der vielen heiligen Kuehe rum, die genau wissen, dass niemand sie anruehren darf und daher nicht daran denken sich vom Fleck zu ruehren...
Wie weit ist bei Euch schon der Frühling ins Land gezogen? Sonnenstrahlen?
Bis nächstes Mal, herzliche Grüße
namaste
Bei Yahoo gibt's Fotos zum blog, falls Du nach dem Passwort gefragt wirst: acchigom
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