asiatische traeume

angefangen in 2005 war die urspruengliche idee, von bhutan ueberland nach oesterreich zu fahren - in pakistan wendete sich das blatt, das land und die leute nahmen mich gefangen, so blieb ich laenger als gedacht...

Tuesday, May 02, 2006

Lahore - heisser Alltag

29 mai - 6. juni

Assalam aleykum,

ich bin immer noch in Lahore und genieße hier jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde. Ich liebe es in den Tag rein zu leben, ohne Pläne, ohne wissen was morgen sein wird, ohne wissen was in der nächsten Stunde sein wird. Inchallah wird sie schön. „Inchallah“ heißt soviel wie: „so Gott/Allah will“. Mit ist relativ egal, wie diese Macht nun wirklich heißt, die Bedeutung des Wortes ist wunderschön und passt richtig zu Pakistan. „Inchallah ist es so, und wenn nicht, sind wir nicht schuld, dann war es nicht Allahs Wille.“
Ich bin ganz froh dass ich das jetzt kann, sonst wäre Pakistan glaub ich nicht auszuhalten. Es gibt keine richtigen Zeitpunkte, nur schwammige Zeiträume, die nach Belieben gedehnt werden können. Aber gerade durch dieses Dehnen können gewinnt hier alles soviel an Lebensqualität. Der Stressfaktor ist gleich null – wenn nicht grade ein hupendes Auto ranbraust und nicht daran denkt für eine Frau abzubremsen… oder wenn man nicht grade unbedingt etwas Besonderes zu einem gewissen Zeitpunkt braucht – dazu später mehr.
Die Tage sind bunt und abwechslungsreich. Mal im Bazaar einkaufen gehen und an jeder Ecke überrascht werden, mal gemütlich zuhause hängen und sich vor der Hitze verstecken, dazwischen 17 Mal mit heißem Wasser duschen, mal mit Freunden zu Abend essen - daheim oder in der Stadt, mal leckere Fruchtsäfte trinken – meine letzten Reste irgendwelcher Bedenken habe ich über Bord geworfen, angesichts meines Fruchtshakekonsums mit sicher nicht allzu sauberem Wasser, Milch, Eis und sonstigen gefährlichen Zutaten wäre übertriebene Vorsicht in anderen Bereichen nicht mehr zu rechtfertigen. Die Erdbeeren sind jetzt leider aus, aber dafür hat's hier „Falsa“, eine Mischung aus Kirsche und Heidelbeere, schmeckt lustig, hat 2 kleine Kerne, die mitgemixt werden und ist mega erfrischend… und dann gibt’s da noch die herrlichen Mangos, von denen Andreas immer sagt, dass sie doch noch gar nicht gut seien.. bin mal gespannt wie die in 2-3 Wochen schmecken.
Letzte Woche waren kurz 2 Schweizer aus Wettingen bei Baden da (für alle Nicht-Schweizer: ist in der Nähe von Bremgarten, wo ich gearbeitet habe). Mit ihrem Landcruiser sind sie ziemlich flott über die Türkei und den Iran hergekommen. Ludek, der Ältere will das Auto seinem Sohn bringen, der in Delhi arbeitet bzw. gearbeitet hat und nun heimfahren will. Ludek wird dann heimfliegen. Matthias ist ein Freund von Ludeks Sohn und wird mit diesem und seiner Freundin wieder mit mehr Zeit zurückfahren und nochmals in Lahore vorbei kommen. Es war lustig, wieder mal SchwiizerDytsch zu hören, ich liebe diese Sprache. – zu Sprache fällt mir gerade ein, dass ich noch ein wenig Urdu lernen soll, da der Urdulehrer heute Abend wieder kommt – dazu aber auch später noch mal wenn ich’s nicht vergesse.
(an meinem Schreibstil merkt man glaub ich schon, dass ich das chaotisch, unorganisierte Pakistan ins Herz geschlossen hab und versuche mich anzupassen. )
Also die Schweizer sind da. Chandbhai jagt uns mit dem Auto direkt in die Altstadt mitten ins Gewühl. „Jetzt seid ihr im Zentrum vom Zentrum“, grinst er schelmisch. Ich hatte nicht gedacht, dass man im innersten Zentrum von Lahore noch Autofahren kann. Ganz so unrecht hatte ich auch nicht, es ist eher ein sehr langsames Kriechen und schnelles Ausnutzen von zufällig entstehenden Löchern. Ein Landcruiser ist eben kein Minisuzuki, wie ihn jeder Pakistani, der kein Motorrad besitzt sein eigen nennt.
Die Badshai Moschee, die ich bereits mit David, Steffi und Martin besichtigt habe steht wieder am Programm. Die heißen Pflastersteine zischen fast unter den nackten Füßen. „Früher war das eine Art Prüfung. Nur wer auf den heißen Steinen zur Moschee gehen konnte war würdig, zu beten.“ Jetzt sind Stoffbahnen ausgebreitet, ein Freiwilliger besprenkelt sie alle 30min mit Wasser. Ok, 30min – 10min, 50min, keine Ahnung, ab und zu halt, wenn sie wieder trocken sind. Was ist schon Zeit.
Neben der Moschee im Schrein des Sir Mohammed Iqbal knipse ich einen wunderschönen Torbogen – so sollte Inchallah der Ausschnitt meiner neuen Shalwar Kameez aussehen. Den Stoff habe ich grade zuvor erstanden.
Sir Mohammeds Iqbal gilt als geistiger Gründervater Pakistans. Er war Dichter und Politiker, zuletzt Präsident der Muslim Liga Partei in Pakistan. Die Umsetzung seiner Vision von einem freien, selbständigen Pakistan konnte er zwar selbst nicht mehr miterleben, die Pakistanis verehren ihn aber für die Verbreitung dieser Idee.
Beim Heimfahren brummt das Auto wieder in Schneckentempo durch die Stadt, aus dem Fester grinst mir ein Fleischhauer entgegen, in der rechten Hand ein scharfes Messer, dessen Klinge in der Sonne blitzt, in der linken ein dürres, halbgerupftes aber noch lebendes Huhn, das genau weiß was nun passieren wird. Die einzige die nicht damit rechnet bin ich, so überrascht es mich doch ein bisserl, als der Fleischer ohne seinen Blick von uns abzuwenden mit schnellem Schnitt dem armen Henderl die Gurgel durchtrennt und das zuckende Bündel in eine Tonne fallen lässt. Mein erschrockener Blick lässt den Mörder freundlich Lächeln – „So ist das bei uns, Mädel“, scheint er zu sagen. „bei euch bekommen die Viecherl keine so persönliche Behandlung. Und das Chicken Kebab gestern hat dir doch geschmeckt, oder?“
Ich überlege wiedermal, ob ich nicht doch Vegetarierin werden soll, aber auf Chicken Kebab mit Zitrone beträufelt und frischem Naan verzichten? Nein, lieber doch nicht!
Am Abend bekomme ich meine erste Urdustunde. Urdu ist die verbreitetste und offizielle Sprache hier, die selbst in ganz Nordindien verstanden wird. Die Engländer habe sie eingeführt, darüber hab ich aber glaub ich im letzten Mail schon berichtet. Ich find die Sprache irrsinnig reizvoll. Mir ist, als ob ich sie nicht neu lernen würde, sondern mich daran erinnere. Schon nicht ganz von selbst, aber manchmal sind einfach Dinge da, die nicht von außen kommen können. Vielleicht hab ich in einem früheren Leben mal in Pakistan gelebt… Das muss dann eines der letzteren Leben gewesen sein, so lange gibt’s die Sprache noch nicht…
Am schwierigsten ist es, mich in den verschiedenen Lernbüchern, die hier im Haus so rumliegen zurecht zu finden. Urdu in Lateinischer Schrift sieht immer anderes aus, heh (ist) im einen Buch ist hai oder he in den anderen, aber nur manchmal, manchmal hat es auch eine eigenen Bedeutung. Das ist noch leicht zu durchschauen, aber mit nicht so häufig verwendeten Worten ist es nicht mehr ganz so leicht, aber ich tüftle gern solange herum bis ich (glaube) mich auskenne. Dafür gehen mir die Fragen an den Urdulehrer nicht aus.
Es ist wieder Donnerstag: Sufi Zeit. Spätnachts im Shah Jhamal trommeln und wirbeln wieder die Derwische. Die Zuseher sitzen brav, einige wiegen sich im Takt. Tanzen dürfen nur echte Sufis. Frauen müssen froh sein, wenn sie zusehen dürfen. Ich sitze mit Pierre mitten unter dem Publikum und muss mich beherrschen, um nicht einfach aufzuspringen und mitzutanzen. Unwillkürlich muss ich meinen Kopf im Takt wiegen, die Musik rast davon, mein Kopf fliegt mit. Ich bin völlig versunken in den Rhythmus der Trommeln. Erst als die Musikanten nachlassen merke ich, dass meine Dupata (Schleier) vom Kopf gerutscht ist. Manche grinsen freundlich, manche starren mich an aber der Großteil ist selbst noch versunken in seine eigenen Gedanken.
Die Derwische schütteln ihre Köpfe, stampfen mit den Füßen, schleudern das tiefschwarze, feucht-glänzende Haar wild von einer Seite zur andern, schnell und immer schneller, ihre Augen starren gerade aus, mit leerem Blick in die Ferne. Mal in wilder Extase, dann wieder ruhig und relaxt.
Die Zeit vergeht oder vergeht nicht, sie ist nicht mehr wichtig. Chandbhai kommt und grinst in seinen Bart über die wahnsinnige Europäerin, die nicht aufhören will, zumindest den Kopf im Takt zu wiegen. Andreas, die Schweizer, Bilal aus Mauritius, Nicole aus Canada/Antigua und Abdul Maliq aus Tschad sitzen unten im Freien, wo die 2. Gruppe spielt. Pierre, Chandbhai und ich sitzen jetzt oben auf der Balustrade und hören beide Gruppen, mal die von oben stärker, mal die von unten. Sie ergänzen sich auf eigenartige Weise, obwohl sie nicht gemeinsam spielen oder sich auch nur hören würden.
Ich könne ewig zuhören, tief versunken aber trotzdem manchmal mit der unendlichen Spannung im Körper, endlich mittanzen zu können. Zuhause dann…

Die Dusche daheim tut gut, wenn sie auch wieder mal heiß ist. Das Wasser steht den Tag über in den Leitungen und fängt fast an zu kochen. Keine richtige Erfrischung also. Ein kleiner Trick, der vielleicht 10min kühlt: vom Ventilator trocknen lassen. Herrlich!! Aber man soll nicht den Punkt übersehen, an dem man trocken ist, denn dann spürt man wieder, dass er nur die warme Luft im Zimmer besser verteilt.
Die Nächte werden immer heißer, wir schlafen mal draußen, mal drinnen, mal unten mal oben, mit Mosquitonetz, ohne Mosquitonetz immer auf der Suche nach einem erträglichen Platz. Es gibt zwar Klimaanlage in den Zimmern, aber Andreas meint: Ich hab das versucht letztes Jahr, als ich dann die erste Stromrechnung gesehen habe ist es mir vergangen.“
4 EUR kostet es pro Nacht, 10EUR für den ganzen Tag - das summiert sich und v.a. gewöhnt man sich so nie an die Hitze und ist untertags immer fertig wenn man mal raus muss oder will. So tropft halt der Schweiß aus allen Poren, ich bin froh über jeden kleinen Windhauch und empfinde 30 Grad im Schlafzimmer als angenehm kühl. Sollte ich vielleicht schon eine Decke nehmen?
Zur Zeit sind die 30 Grad eher Wunschdenken. Untertags klettert das Thermometer meiner Uhr im Schatten bereits auf knapp 45 Grad, in die Sonne will ich es gar nicht legen. Ende Juni wollen Pierre und ich Inchallah nach Chitral in den Norden fahren – zu den Kalashi. Ich freu mich auf die kühlen Temperaturen.
Am Freitag nimmt mich Andi mit ins SOS Kinderdorf, wo er seinen Auslandszivildienst leistet. Er kennt dort eine gute Schneiderin, ihr will ich meinen Stoff und das Bild aus dem Iqbal Schrein geben.
Sie nimmt alle Maße, ich bin gespannt, wie es wird. Im SOS Büro finde ich Gelegenheit zu einem Gespräch über ehrenamtliche Tätigkeiten. Mein Herz springt, ich kann Inchallah wieder ein bisschen mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Projekte sind jederzeit erwünscht, vor allem für die älteren Mädels, die immer ein wenig vernachlässigt werden. Ältere Mädels heißt hier 16- Heirat, denn vorher können sie nicht aus dem Dorf raus.
Im weiteren Gespräch kommt auf, dass die Bürodamen und die Chefin des Dorfes selbst dringend Computerschulung brauchen, sie sollten zumindest Outlook, Word, Excel und einfache Fotobearbeitung beherrschen. Normalerweise gibt es einen Mann, der das alles kann, er ist aber zur Zeit weg und die Ladies können weder Mails beantworten noch Briefe schreiben. Das soll sich ändern. Hier werde ich die Vormittage verbringen, erst mit Motivation, dann mit Lehren. Am Nachmittag soll es dann zu den Mädels gehen. Ich freu mich, Montag werde ich beginnen.

Den Samstag verbringen wir ausnahmsweise ohne viel Programm, einfach ausrasten, rumhängen, Filme schaun, ein wenig kochen… Am Nachmittag gehen Pierre und ich zum Bazaar um DVDs zu kaufen. Der Schwarzmarkt hier blüht, ein Film kostet gut 1 EUR, mit hübschem Cover in Hardbox, sieht aus wie echt. Natürlich gibt’s auch die anderen, in einfachen Plastikhüllen, frisch aus einer heimlich eingeschmuggelten Kamera bei der Premiere des neuen Filmes. Man merkts spätestens dann, wenn während des Filmes ständig der Schatten eines Kopfes zu sehen ist – der Schatten eines Besuchers der Premiere, der zufällig genau vor der illegalen Kamera gesessen hat.
Nächstes Monat will die Regierung strenger vorgehen, die Preise werden auf 500 Rupien steigen (6EUR), also schnell vorher noch einkaufen! Ich genehmige mir die Vollversion des Acrobat Professional, damit ich endlich selbst PDF machen kann für ganze 40 Rupien (50 Cent) ein Wunderland. Leider nur für Pakistan, da die Post keine CD Sendungen akzeptiert. Ich wollte ganz unschuldig FotoCDs heimschicken – keine Chance.

Spätabends kommen wir zum Chitrkar, wo der angeblich „beste Christliche Sänger Pakistans“ sein Können zum besten geben will. Das Konzert ist schon vorbei als wir ankommen, aber ein paar Leute sitzen noch dort. Darunter ein begnadeter Bambusflötenspieler, der noch ein paar Weisen spielt. Wir sitzen im gemütlichen Kreis, ich sehe ihm erst aufmerksam zu, weil ich mit dem Gedanken spiele, Inchallah das Instrument hier im Chitrkar zu lernen. Dann packt die Musik meine Gedanken, trägt sie weit fort, wie eine nie endende Welle, auf der sie sanft getragen werden. Ganz langsam, sanft, keine abrupten Wechsel, nur harmonische Übergänge. Manchmal öffne ich zwischen durch die Augen, um den anderen Leuten zuzusehen, aber dabei belasse ich es auch. Mir ist nicht nach reden, ich will nur fliegen und den Leuten zusehen. Man lernt soviel aus ihrer Körpersprache, der Sprachmelodie wenn sie mit anderen Reden. Es ist nicht so wichtig, selbst zu reden. Zusehen und erkennen ist manchmal viel intensiver. Ich bin froh, dass wir zu spät gekommen sind, nein, nicht zu spät: genau richtig. Nach einer Stunde – oder waren es zwei? – machen wir uns langsam auf den Heimweg. Ich träume immer noch. 1 Jahr soll es dauern, bis man überhaupt eine Bambusflöte spielen kann – in diesem Jahr muss man mit normalen Flöten üben, den Atem zu kontrollieren. 1 Jahr? Vielleicht findet sich ein anderer Weg…

Sonntag abends will Chandbhai Inchallah nun endlich zu seiner neuen Mission aufbrechen. Er will eine Frau – nein, er will eine Frau, die Kinder bekommen kann, sonst ist es ihm ziemlich egal. Seine Familie ist nicht einverstanden, Mutter und Schwester, die bisher in der „Jury“ saßen und alle möglichen Anwärterinnen über äußerliche Beurteilung abgelehnt haben, sehen es nicht gerne, dass sich der nun schon 50jährige Sohn/Bruder allein auf die Suche macht. Sie sind sehr konservativ und heikel, was die neue Frau im Haus angeht.
Chandbhai geht nicht ganz alleine, Bilal kommt mit und ein Freund, der das Dorf mit potentiellen Kandidatinnen nahe – ja nahe ? – Chandbhai spricht von Nuristan und Shandurpass, leider liegen die beiden auf meiner Karte nicht nebeneinander. Egal, er wird schon wissen wohin erfährt. Auch Shabnam, ebenfalls eine Studentin aus Mauritius fährt mit. Sie ist Moslemin und wird die Rolle der Frau ausüben: die neue Frau aussuchen.
Chandbhai fragt, ob Andi ihn nicht auf 21h zum Bus bringen kann, zum Bus nach Peshawar. Natürlich. Ich fahre auch mit. Um 20h treffen wir bei Chandbhai ein und stellen fest, dass er noch die frische Farbe im Bart hat. „Das hat Zeit, der Bus fährt erst um 22h, ich wollte nur noch ein wenig Zeit mit euch verbringen!“ Na gut, wir essen, trinken Fruchtshakes, reden, fragen Chandbhai, wie er sich seine Frau nun vorstellt. Wie soll sie sein, gibt es irgendetwas Besonderes, das sie mitbringen sollte? Wir schlagen vor: Leuchten in den Augen, Humor, Interesse, ein bisschen Durchsetzungsvermögen (ein sehr westlicher Wunsch)…
„Was soll diese Kreuzverhör? Ihr Europäer habt schon komische Ansichten. Ich habe keine Ansprüche. Sie muss mir nur ein paar Kinder schenken, wenn sie will lerne ich ihr Englisch und zeige ihr ganz Lahore, sie kann zum Markt gehen, wenn sie will auch allein. Sie muss nur Kinder bekommen können.“
Ein kleines Mädchen, vielleicht 6 Jahre, räumt den Tisch ab. „Deine Nichte, Chandbhai?“ „Nein, meine Schwester!“ „Wirklich, Schwester?“ Schon wieder falle ich auf die eigenartigen Verwandtschaftsbeziehungen und –bezeichnungen rein. Alle Moslems sind Brüder und Schwestern. „Niemandes Schwester hier“, erklärt Andreas. „Sie kommt aus einer schlimmen Familie, Chandbhais Familie hat sie aufgenommen, schickt sie zur Schule, gibt ihr Wärme und Geborgenheit.“
Um halb zehn erfahren wir, dass noch jemand mitkommt, er ist grade im Bus am Weg hier her. In einer halben Stunde oder so wird er eintreffen. Das kann also noch dauern. Ich rauche eine Zigarette mit Bilal und frage ihn, wie der Zeitfaktor in Mauritius gehandhabt wird. Er schnaubt. „Es ist so schwierig hier. Chandbhai erklärt mir seit gestern Abend, dass wir ‚jetzt’ fahren. Ich bin seit gestern Abend fertig, er hat immer noch Farbe im Bart. Ich weiß nicht mal, ob wir heute noch wegkommen. In Mauritius sind die Leute schon pünktlich…!“

Andreas wird’s zu bunt, wir fahren wieder heim. Die anderen werden sich ihren Transport irgendwie anderes regeln. Uns wird’s sonst auch zu spät und wer weiß ob sie wirklich noch fahren.

Am Montag begleite ich Andreas wieder ins Dorf. Heute soll ich anfangen, mir mal ein Bild der Ist-Situation zu schaffen.
Ich komme ins Büro – niemand da. Die jungen Ladies haben sich sofort in Sicherheit gebracht. Sie wollen nichts lernen. Sie arbeiten hier fast 11h jeden Tag. Lernen ist nicht mehr drin. Nach ein paar Tassen Tee ist Frau Malik, die Stellvertreterin der Chefin, bereit ein paar Blicke ins Outlook zu werfen. Sie lernt schnell, ist wissbegierig und weiß, warum sie sich ein paar Grundkenntnisse aneignen will. Im Geiersturzflug-Tippsystem schreibt sie am Ende ein richtiges Email, dafür hat sie den PC eingeschaltet, das Programm ausgewählt und dort die richtigen Befehle gegeben. Sie freut ich richtig. Das Mail taucht in meiner Inbox auf. Ein Dankeschön für meine Geduld.
Ein schönes Erlebnis, gedauert hat das Ganze nicht sehr lange, vielleicht eine Stunde mit 15 Unterbrechungen, weil immer irgendjemand aus dem Dorf etwas braucht und gerade noch die ganzen jungen freiwilligen Praktikanten für den Sommer kommen, die bei den täglichen Arbeiten 2h pro Tag mithelfen werden. 130 sind es schon und kein Ende in Sicht. „Wir können maximal 80 nehmen!“, meint Frau Malik. „Keine Ahnung, was wir mit den anderen tun werde…!“ Ablehnen???
Den Rest des Tages verbringe ich zwischen Aircooler, Tee, köstlichem ausgedehnten Mittagessen, PC und Getratsche mit jungen Ladies, um sie vielleicht doch noch zu motivieren. Eine spielt ständig mit ihrem Kamerahandy, sie hat zumindest mal interessierte Blicke aufs Fotoprogramm geworfen. Wenn sie zumindest ihre eigenen Fotos bearbeiten würde… für später ist es egal, mit welchem Motiv sie gelernt hat. Mal sehen, vielleicht frisst sie den Wurm am Haken ja irgendwann. Einstweilen ist sie eher an ihrer Frisur, dem Sitz ihrer Shalwar Kameez und der neuesten Modezeitschrift interessiert. Ich erfahre dass sie schon 29 ist und 2 Kinder hat.
Nun ja, so ist Arbeiten in Pakistan. Langsam, langsam, gaaaanz langsam. Immer motivieren, immer versuchen und zwischendurch einfach abwarten und Tee trinken, die eigene Motivation möglichst behalten. Glücklicherweise ist es nicht das erste Mal für mich im asiatischen Raum zu arbeiten. Die Reisegruppen und deren Buchungen incl. Korrespondenz waren eine gute Schule.
Bin gespannt wie’s nächstes Mal wird. Die Kids hab ich diesmal nicht gesehen, das Essen hat zu lange gedauert und der anschließende Besuch in der Zahnarztpraxis des Dorfes hat den Rest der Zeit aufgebraucht.
Der Arzt ordiniert täglich und untersucht täglich 10 Kinder. Im Dorf leben 150, in der angrenzenden Schule sind insgesamt 1500 registriert. Sie alle kommen in den Genuss einer halbjährlichen Zahnbehandlung. Ich staune.

Später hole ich meine erste Shalwar Kameez ab, sie ist wundervoll, die Schneiderin hat ganze Arbeit geleistet. Mittwochs gibt’s die nächsten. Ich freu mich drauf.

Am Abend kommt Nicole, sie wohnt in Canada, kommt ursprünglich aus Antigua (Antillen, Karibik) und arbeitet für Human Rights Watch Pakistan an einer Recherche über Gewalt an Schulen. Wir kochen Gemüse Spaghetti und als Nachspeise mein Lieblingsdessert von meiner früheren Arbeitstelle im Salzburger Hort: Rohkostsalat (geriebene Karotten, Äpfel, Nüsse, Rosinen, Honig, Orangensaft). 3 Tage lang hab ich nun versucht, eine Karottenreibe zu bekommen, heute hab ich es endlich geschafft. Dazu noch eine Limettenpresse (die kleinen Dinger sind einfach nicht richtig auszuquetschen mit Fingern oder sonstigen Hilfsmitteln) für erfrischende LemonNana (Limonensaft, zerhackte frische Minze, Crushed Ice + Wasser) Mir fehlen hier ein wenig die süßen Sachen. Kaiserschmarrn wir das nächste Projekt. Kennt irgendjemand ein Rezept für idiotensicheren Kartoffelteig zum Selbermachen – einer der wirklich nicht zerfällt? (ich bin die Fertigmischungen von Hofer gewöhnt) – es ist Marillensaison!!!

Nun wird ich mich wieder ein bisschen an die Urdu-Vokabeln halten, in einer halben Stunde kommt der Lehrer.

Bis bald
Allah hafez

Bei Yahoo gibt's Fotos zum blog, falls Du nach dem Passwort gefragt wirst: acchigom
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