Kalash Sommer
14. august - mitte sept. 05
Ishpata
Mein Herz geht über, wenn ich mein Email mit diesem Wort starten darf , ich sitze vorm Laptop und grinse über beide Ohren – es heißt, ich bin wieder zuhause – zuhause bei den Kalash, bei Rabichan, Irfan, Masran, Sher Alam, Azurma und Taj.
Die erste Woche verbrachten wir in Bumburet – wir, das heißt Sher Alam, der Lehrer; Joseph, ein Bursche aus Neuseeland, der auch freiwillig Englisch unterrichtet und ich. Sher Alams Frau bringt mir mit stolzem Lächeln einen wunderschönen Piran, das traditionelle Kleid, handgemacht, dazu ein Shushut, die kunstvollgefertigte Kappe mit einem bunten Mix aus Plastikperlen, Schellen, Knöpfen, Ketten und Kauri Muscheln. Sie wickelt mich ein und zeigt mir alle Handgriffe ganz genau, ab nun werde ich mich jeden morgen selbst einpacken – das wird spannend. Verschlafen wie ich bin am frühen Morgen werde ich die ganzen Falten völlig verkehrt zurechtzupfen. Aber es gibt immer helfende Hände die die „Angrezi“ erstmal herzlich auslachen und dann alles ordnen. Zum Schluss kommen noch die Halsketten, mindestens zwei Kilo Perlen und natürlich die fünf Zöpfe. Bis ich schließlich zur echten Kalash umgewandelt bin vergeht eine gute Stunde.
Als Dank schenke ich ihr einen Sack voll Perlen aus Lahore und Kauri Muscheln, sie ist happy, will es erst gar nicht annehmen, aber an ihren Augen merke ich, dass sie sich schon freut, die neuen ungewöhnlichen Perlen ihren Freundinnen vorzuführen. Es gibt selten Abwechslung. In Chitral, der einzigen Stadt hier gibts nur eine geringe Auswahl.
Das Utchao – Erntefest – steht an, wir bleiben natürlich. Frühmorgens marschieren ein paar Frühaufsteher zu den Weiden um den frischen Käse zu holen. Dreimal darfst du raten, wer nicht mit geht – gähn!
Zum ersten Mal sehe ich das 3. Tal Rumbur, wunderschön, aber irgendwie nicht dieses Heimatsgefühl wie ich es vom allerersten Tag in Birir hatte.
Anschließend gabs noch ein Begräbnis. Die Tradition bestimmt, dass am 1. Tag das eigene Tal trauert und feiert, am 2. Tag die beiden anderen Täler. Alle Kalash kommen und werden von Verwandten und Bekannten einen Tag lang verköstigt. So spielt auch Sher Alam Gastgeber. Tee, Kekse, Abendessen.
Wir verbringen die Tage halb beim Begräbnis oder beim Utchao, die andere Hälfte im kühlen Fluss, baden, plantschen, realxen nach der ach so anstrengenden 12h Busfahrt – eine Rekordzeit von Peshawar nach Chitral!
Ein Österreicher und ein Franzose würden auch im Bus sitzen, erklärt man mir bei der Reservierung. Fast – sie waren aus Kanada und Neuseeland, Letzterer wollte freiwillig bei den Kalash Englisch unterrichten. Wunderbar, jemand zum reden!
Nach der Zeit in der besonders konservativen Altstadt in Lahore ist es wie eine Befreiung fü mich, die Haare „nur“ mehr geflochten haben zu müssen, ein langes Kleid anziehen zu können und mit allen Leuten reden zu können, nicht nur mit den weiblichen Pakistanis, vorausgesetzt sie sprechen Englisch. Und ich kann – natürlich mit Kleidung, aber immer hin – im Fluss baden... wenn das nicht paradiesisch ist, weiß ich’s auch nicht mehr. Juhuuuuuu!
Je länger ich hier bin, desto öfter frage ich mich, ob ich die Kalash Kultur auch als „liberal“ bezeichnen würde, wenn ich direkt aus Europa käme und nicht vorher 4 Monate muslimische Gesellschaft erlebt hätte. Wahrscheinlich nicht. Ich habe dazu geneigt, alles was ich in Europa als gegeben und unbedingt erforderlich für ein annehmbares Leben gehalten habe, hier besonders zu bewerten. „Das dürfen sie ja doch...!“ Aber jetzt, wo ich hier lebe sehe ich die Einschränkungen für die Frauen besser. Sie tragen täglich ein zwar wunderschönes, aber zum Arbeiten oder Gehen ziemlich unpraktisches schwarzes Kleid, welches bei Hitze schwer und schnell heiß wird, und es dauert eine halbe Ewigkeit, bis man am Morgen angezogen ist. Sie dürfen gewisse Plätze im Haus nicht betreten, weil jede Frau als unrein gilt – daher muss sie auch während der Monatsblutung ins „Baishali“ – Frauenhaus - und niemand darf sie berühren, außer ihr eigenes Kind bis 2 Jahre. Sie darf nicht am Festmahl teilnehmen, wenn die Ziege am Altar geopfert wurde. Dafür darf sie heiraten wen sie will, sie darf tanzen und musizieren, sie darf mit den Männern reden – manche geben ihren Ehegatten ordentlich Gas, wenns sein muss vor versammelter Mannschaft, sie trägt keinen Schleier und sie hat jeden Monat eine Woche „Urlaub von den täglichen Aufgaben“ wenn sie im „Frauenhaus“ ist – welche Hausfrau hat das schon...
Während der wenigen Tage in Bumburet fanden auch die Wahlen zum Minderheitenvertreter und zum General Counsellor statt – in allen 3 Tälern. Irfan, der Besitzer des Kalash Guesthouses in Birir, Vater des kleinen Energiebündels Masran und letzter General Counsellor verlor die Wahlen zum Minderheitenvertreter nur knapp. Aus einem ganz bestimmten Grund: in Birir wurden die Wahlen frühzeitig gestoppt, weil die Leute mit dem Election Officer gekämpft haben – er hat einige Frauen unsittlich berührt und dafür von den Ehemännern ordentlich Hiebe bezogen, darauf hin hat er die Wahlen abgebrochen...
Irfan versucht nun übers Gericht eine Wahlwiederholung zu erreichen. Mal sehen – pakistanische Mühlen mahlen nicht nur langsam sondern auch mit schlechtem Korn...
Am Weg nach Birir fängt mein Herz an zu lachen – heim, endlich heim. Sobald der Jeep die ersten paar Meter ins Tal rumpelt fühle ich wieder diesen Frieden in mir, dieses Gefühl aufgehoben zu sein. Ich vergesse sogar – bis zum Abend – die Flohgefahr.
Das Gebirgswasser rausch glasklar an uns vorbei, kleine Strudel spielen mit dem Wasser, färben es türkisblau. Am Ufer grasen die Kühe, im Schatten sitzen die Hirtinnen in ihren schwarzen langen Kleidern mit den traditionellen, buntn Kalash Designs. „Ishpata Baba, prusht thi ai e?“ tönt es herüber. – „Willkommen Schwester, wohin fährst du?“ Ich schreie zurück, aber das Motorgeräusch schluckt alle Worte.
Wir deponieren das Gepäck bei unserem Host und machen uns gleich auf nach Bior, dem Ort an dem die Schule stehen soll. Nach einer Stunde im Laufschritt kommen wir an, ich schnaufe wie ein Walross. Nach 3 Monaten Lahore ohne Sport weil viel zu heiß sind die paar hundert Höhenmeter ziemlich anstrengend.
Spätabends kommen wir an, niemand weiß, dass ich an genau diesem Tag auftauchen würde, aber nach einer halben Stunde sind die Redelsführer zusammen getrommelt, sitzen in gemütlicher Runde bei Tee und Keksen und diskutieren über den Plan der Schule. Wieviele Arbeiter? Wieviele Maurer? Welcher Lohn? Wer hilft freiwillig usw. Ich habe als brave organisierte Europäerin an einen Arbeitsplan und Einteilung der Arbeiter gedacht, aber mehr als ein Tag im voraus ist zuviel. Ich werde mich auf die Erfahrung von Sher Alam und die der Arbeiter verlassen müssen.
Am Morgen stehen um 6Uhr tatsächlich 10 Arbeiter vor der Tür und diskutieren nochmals heftig. Einer macht ordentlich Radau, er will keine Schule. „Die Leher, diese Schurken, sind ständig hinter den Mädels her statt zu unterrichten. Schule ist Teufelswerk!“ Sher Alam beweist wieder mal sein Verhandlungsgeschick, überzeugt ruhig und gelassen, lässt ihn seinen Dampf ablassen und redet dann emotionell aber ruhig und ganz persönlich mit den anderen Dörflern. Schlussendlich kommt der Bursche zur Vernunft – wir versprechen ihm, auf die Lehrer acht zu geben und danach einen Zuständigen aus dem Dorf zu wählen, der hin und wieder in der Schule nach dem Rechten sieht.
Nun gehts unverzüglich zur Arbeit. Am ersten Tag helfen alle freiwillig ohne Lohn, das Fundament wird fast fertig. Moslems und Kalash arbeiten gleichermaßen, ihre Kinder werden gemeinsam hier zur Schule gehen. Generell muss man anmerken, dass Moslems die fleißigeren Arbeiter sind, aber einige Kalash spucken kräftig in die Hände für das Wohl ihrer Kinder.
Die Leute wollen 2 Räume, ich kalkuliere nochmals und erkläre ihnen, dass sie dann für relativ wenig Geld arbeiten werden müssen. Ich selbst habe meinen Beitrag auf 800EUR erhöht, Freunde und Bekannte spendeten bis jetzt insgesamt 300EUR. Da sollte sich knapp ausgehen – hoffentlich. Notfalls muss ich noch ein wenig beisteuern. Aber 2 Zimmer sind natürlich besser als eines für 4 Klassen. Die Toilette gehört ebenfalls zur Grundausstattung.
Jeden Tag wächst nun die Mauer ein Stück höher, wir bestellen die Fenster, bzw Sher Alam bestellt die Fenster. „Welche Größe hast du nun bestellt?“ „Keine bestimmte, der Tischler kennt unsere Bräuche, er wird das schon richtig machen.“
„Wieviel kostet das Ganze nun?“ „Das wissen wir wenn die Fenster geliefert werden!“
Willkommen in Pakistan. Aber ich brauche mir keine Sorgen zu machen, es wird ein fairer Preis werden.
Fast jeden Nachmittag marschiere ich nun rauf zur Baustelle, sehe die Mauern wachsen, Stein um Stein, immer wieder eine Schicht aus Schlamm und alle 4 Fuß ein Holzbalken. Wir haben uns entschlossen, ein traditionelles Gebäude zubauen, weil es erstens ins Dorfbild passt und außerdem noch die Erdbeben sicherste Variante ist. Hier ist dieses Risiko nicht zu unterschätzen, alle paar Tage spüren wir die Erde leicht wackeln. Viele andere Schulen wurden mit Beton gebaut, spätestens nach 1 Jahr sieht man die hübschen Risse im Beton, vollgestopft mit Dekomaterial – leere Keksschachteln, Chipssackerl und sonstigen netten Dingen. Das wollen wir vermeiden.
Das Wellblechdach lassen sich die Dorfleute aber nicht ausreden. Durch das traditionelle tropft es ständig. Auch wenn Athanasi, ein Grieche in Bumburet mit massenhaft Projekterfahrung mir verständlicher Weise dagegen wettert wird es wohl ein Wellblechdach werden. Ich habe mir vorgenommen, den Leuten nichts aufzudrängen. Ich will, dass sie die Schule als ihre Schule bezeichnen, nicht als gespendete Schule, dass sie dafür arbeiten WOLLEN und auf das Gebäude später aufpassen werden. Wenn ich ihnen meine Vorstellungen aufoktruiere wird das Gebäude in wenigen Jahren wohl dem Verfall preisgegeben sein wie so viele andere halbangefangene oder ungenützte „Projekte“. Dem will ich tunlichst aus dem Weg gehen.
Meine Vormittage verbringe ich in Sher Alams Schule als Englischlehrerin. Jeden Tag erstaunen mich die Kids aufs Neue, sie sind wissbegierig, es mangelt aber eben an Lehrern. Für 6 Klassen gibt es grade mal 3 Lehrer – seit Neuestem. Mit mir sind wir nun sogar 4, besser als in vielen Pakistanischen Regierungsschulen.
In der 5. Klasse lesen die Kids gerade 5 Seiten in kompliziertem English über das Leben der Delphine, einer schreit vor, der Rest schreit nach.
Als ich frage: „What is the name of this animal?“, blicken mir 56 Augen ratlos entgegen. Nicht weil sie den Namen des Tieres nicht wissen, sondern weil sie die Frage nicht verstehen. Wir spielen also Delphin, versuchen ein paar korrekte Sätze zusammen zu stöpseln und vor allem zu verstehen. Hier wird hauptsächlich auswendig gelernt – nachsagen, so laufen 80% des pakistanischen Unterrichts ab. Tradition schön und gut, für die Englishkenntnisse ist es nicht grade förderlich.
Ich blättere einige Seiten im Englischbuch zurück und stoße auf „Im Kaufhaus“
Nach einigen lamen veruschen den Kinds ein paar vernünftige Sätze aus der Nase zu ziehen laufe ich aus dem Klassenzimmer. Nein, nein, keine Angst, ich komme zurück. Der Schulwart ist gleichzeitig Shopbesitzer. Ihn suche ich – mit Erfolg - und überrede ihn, mir den Shop aufzusperren.
Mit der gesamten Klasse spaziere ich vorbei an den anderen Schülern und staunenden Lehrern. „Was macht sie nun schon wieder, die verrückte Angrezi?“ kann ich in ihren Augen lesen. Nur Sher Alam lächelt wissend. Er verwendet manchmal solch kreative Methoden mit großem Erfolg. Im Shop tauen die Mädels und Burschen dann auf und schaffen es, doch ein paar Brocken verständliches Englisch rauszubringen. DA ich zu wenig Kalashamun spreche tu ich mir schwer zu erklären, was ich grade will und hole oft Sher Alam oder einen anderen zufällig anwesenden Lehrer zu Hilfe und den Kleinen klar zu machen, was ich nun schon wieder will. Antworten, nicht nachplappern; lesen, nicht mir ins Gesicht starren; eigene Antworten finden, nicht immer die selbe; Hände weg vom Mund, weil ich sonst nichts verstehe.
Ich verlege den Rest des Unterricht meist in den Garten, wo wir die Farben der zahllosen Blumen, die gerade blühen lernen, Zahlen und sonstigen Grundwortschatz lernen, Dinge des täglichen Lebens. Delphine werden die meisten nie zu Gesicht bekommen.
Ich stelle sie vor, hinter und auf die Mauer um zu verdeutlichen, was denn nun „vor, hinter, auf“ bedeutet und quetsche mich zur Belustigung aller unter das Eingangstor um auch „unter“ verständlich zu machen.
In der Schule des Neuseeländers ist es um einiges besser. Er bekommt angeblich Antworten, wenn er etwas fragt.
Zur Zeit versuch er, dem Sohn unseres Gastgebers „please & thank you“ beizubringen. Unser Wake up call am morgen geht folgender Maßen: Türe halbeinschlagen, oder einfach reinspazieren, laut schreiend: „Hände waschen, Frühstück ist fertig!“ – „Oh, ja, dir auch einen wunderschönen Guten Morgen!!!“
Manchmal bleibe ich am Nachmittag in Guru und besuche Rabichan und Masran, spiele mit der Kleinen stundenlang
oder wasche meine Kleider im kalten Fluss – ich bin keine gute Wäscherin hab ich festgestellt – mit kaltem Wasser und Seife krieg ich nur wenige Flecken richtige raus. Besonders bei dem Riesenstoffballen von Piran weiß ich nie, wo ich anfangen soll.
Dann lasse ich Wäsche Wäsche sein und lege mich am Ufer in die Sonne, lese ein paar Seiten und spiele mit den Steinen.
Ein Buch fsziniert mich besonders. „Kalash Solstice“ von einem französischen Ehepaar (Loude), das hier einige Monate verbracht, die Sprache erlernt und sich besonders mit den Ursprüngen der Kultur auseinander gsetzt hat. Sie räumen auch mit dem Mythos „Alexander der Urkalash“ auf. Die Kalash stammen nach den letzten wissenschaftlichen Erkenntnissen von Indo-Ariern ab, die sich bei der Einwanderungswelle um 1500 vC in diese Gegend verirrten. Langsam stießen sie bis in die heutigen Siedlungsgebiete vor, oft verfolgt und niedergemetzelt. Die Legenden über ihre Götter, die von den alten Shamanen an die Kalash weitergegeben wurden versuchen, mit diesen Ungerechtigkeiten in der Geschichte der Kalash fertig zu werden und ihnen einen tieferen Sinn zu geben.
Alexander der Große war tatsächlich auch hier, aber in seinen Aufzeichnungen gibt es die Kalash bzw. damals Kafirs schon, was bedeutet, dass er nicht ihr Stammvater sein kann. Die paar griechischen Worte in der Kalashsprache wurden wahrscheinlich damals aufgenommen, so heißen z.B. Walnüße hier auch Birbo. Selbst einige Tänze und Rhythmen erinnern an Griechenland – aber kein Wunder, die Griechen waren ja auch lange genug hier und schließlich sind sie nicht die einzigen, von denen die Kalash Teile ihres Wortschatzes oder ihrer Traditionen entlehnt haben.
Einmal gehe ich mit Rabichan zur Frauenschule. Seit ein paar Tagen gibts Unterricht für Ladies in Urdu und Kalashamun. Ein riesen Spass. 14 Kalash Frauen, ein Dutzend Klein- bis Kleinstkinder, ein paar davon am Arm der Mama und ein Lehrer mit einer großen Portion Geduld und Humor. Die „Schülerinnen“ benehmen sich wie Kinder, sie spucken am Boden, schreiben noch kurz bevor der Lehrer kommt die Hausaufgaben von einander ab, stillen die hungrigen Babys, schreien raus wenn der Lehrer fragt und versuchen ungelenkt, die neuen Buchstaben nachzumalen.
Und auch hier wird auswendig gelernt. Mindestens 20 Mal leiern sie die 4 neuen Sätze des Tages herunter. Ich komme mir schon nach dem 6 Mal ein wenig komisch vor, aber naja, dem Spass zu liebe. Zum Schluss wird wie überall gesungen und getanzt – ausnahmsweise nicht die Nationalhymne, sondern Kalash Songs.
Nicht nur in der Schule wird gesungen, sondern auch an vielen vielen Abenden. Irgendwo taucht eine Blechkanister-Trommel auf, eine Flöte, eine Sitar. Jeder kann tanzen und singen, meist hintereinander, jeder bekommt die Chance, zu zeigen, was er drauf hat. Mir gefällt diese Art. Jedem einzelnen wird zugehört und zugesehen, jeder wird beklatscht und angefeuert. Und wehe einer versucht dem Spektakel zu entkommen. Er wird zur Tanzfläche gezerrt. Aber je mehr sich die Jungs und Mädels weigern, desto besser tanzen sie dann auch.
Das Gezerre zahlt sich aus.
Unterbrochen wird die Musik nur vom Gastgeber, der das Essen ankündigt. Plastiktischtücher werden am Boden ausgebreitet, Brot und Schüsseln voll Reis und Fleisch – manchmal ein wenig gewöhnungsedürftig – werden verteilt. Im Fleisch findet sich alles, was vorher auch in der Kuh oder Ziege war – auslösen ist eher unbekannt. Mit großen Äxten wird das Vieh erstmal zerhackt und dann ziemlich achtlos mit einer etwas kleineren Axt oder einem großen Messer in Mund gerechte Stücke zerteilt. Knochen, Sehnen, Venen, Knorpel, Fett, Haut und sonstige unkaubare Dinge bleiben einfach wo sie sind. Die Kalash scheint das nicht zu stören, sie schalgen sich begeistert die Bäuche voll. Über unsere Art von Fleischzubereitung würden sie wohl bloss die Köpfe schütteln. So eine Verschwendung.
Schnell wird nach dem Mahl alles aufgeräumt, und Musik und Tanz setzen wieder ein – bis zum gemeinsamen Tee...
Auch die Angrezi muss zu guter Letzt noch Tanzen. „Nati Baba, nati...!“ „Tanz Schwester, tanz!“ Da kann ich fast nicht nein sagen. Vor allem nicht in einer Kalash Gemeinschaft, wo niemand die Angrezi zum Tanzen auffordert, weil er Frauenkörper in Bewegung sehen will, sondern weil es hier einfach ein Beitrag zur allgemeinen Erheiterung ist, wie jeder andere Tänzer auch.
Bei moslemischen Gesellschaften achte ich immer mehr auf die Hintergründe. Einige der Hotelbesitzer, die sich als besonders väterlich und großzügig geben und für die Touristen „Volkstanzabende“ anbieten haben selbst mehr Freude an diesen als die Touristen selbst. Und wenn dann noch ein Guide aus dem Punjab dabei ist, ist die Touristin nur noch zum Begaffen da. Leider hab ich das schon einige Male mitansehen müssen. Aber ich weiß von mir selbst, dass man auf diese Dinge kaum achtet, wenn man von der streng moslemischen Gesellschaft, in der man auf fast jede Bewegung achten muss, zum ersten Mal in die Kalash Täler kommt, wo alles so viel liberaler scheint. Natürlich, es ist viel liberaler, auch bei den Moslems, die hier leben - aber nicht mit westlichen Maßstäben zu vergleichen. SO geschieht es oft, dass man zu viel Scheu ablegt und einfach in normaler Kleidung und westlichem Stil zu tanzen beginnt. Das ist natürlich für einige Nicht-Kalash ein gefundenes Fressen. Sie verteilen großzügig Tara (Schnaps) und Da (Wein) und hoffen, dass die Wirkung bald einsetzt.
Ich bin ja fast froh, dass ich dieses Zeug hier leider nicht trinken kann, mein Magen rebelliert sofort. Warum ist mir nicht klar – ich habe selbst in Lahore Leitungswasser und meine heißgeliebten gefährlichen Fruchtsäfte getrunken ohne auch nur das geringste Problem zu haben.
Sher Alam hat gemeint, es ist, weil die Leute Medikamente in den Tara mixen, um ihn stärker zu machen. Für den Wein gibt es keine besonderen Konservierungs oder Lagerungsmethoden, so wünsch ich mir manchmal eine Salatschüssel, über die ich ihn als Essig gießen kann.
Aber wenigsten bin ich so nicht ständig den Avancen dieser Burschen ausgesetzt. Mittlerweile haben sie verstanden, dass ich wirklich nicht trinke, der Kontakt zu diesen Leuten hat sich minimiert. Das zeigt, wie ehrlich das ganze Getue gemeint ist.
Aber nicht alle sind so – einer ist zumindest ein wirklich netter Bursch, mit dem man einfach Spass haben und lachen kann, ohne gleich einen Heiratsantrag zu riskieren. Taj ist schon 32, ist Guide und weiß, dass nicht jedes weiße Gesicht automatisch den Satz „Komm in mein Bett!“ ausspuckt, wenn man genug Tara reinfüllt oder mit sonstigen Versprechungen lockt. Am liebsten erzählt er Legenden von Feen und Gnomen, mit denen die Ur-Kalash in Eintracht gelebt haben. Einige Alte berichten noch von eigenen Erfahrungen mit diesen Wesen. Von vielen Menschen hört man, dass sie mit Feen sprechen können und nicht von dieser Welt sind. Gemeint sind geistig Behinderte, die in der Kalash Gesellschaft nicht irgendwie versteckt werden, sondern an allem teilnehmen. Durch die Feengeschichte haben sie sogar einen besonderen Status. Auch für körperlich Behinderte gibts eine Erklärung. Sie entspringen aus der Verbindung von Feen mit Menschen. Normalerweise ergibt diese Vereinigung wunderschöne Kinder, falls aber der menschlich Partner jemanden von seinem Feenpartner erzählt, so geschieht etwas Schreckliches mit ihm oder den Kindern.
Taj erzählt eine seiner Lieblingsgeschichten: „Der Nachbar meines Großvaters war ein komischer Mensch. Niemand konnte sehen, dass etwas mit ihm nicht stimmt [soll heißen er war nicht körperlich beindert] aber er sprach fast nie mit anderen Leuten, ging immer alleine weg, schlief manchmal im Wald und hatte keine Frau geheiratet. Die Menschen glaubten er wäre homosexuell. Als sie ihn damit aufzogen platzte ihm der Kragen und er schrie sie an: ‚Ich hab sehr wohl eine Frau, eine wunderschöne Fee, zu ihr gehe ich immer, wenn ihr glaubt ich sei alleine im Wald. Und wir haben 3 wunderschöne Kinder, viel schöner als eure alle zusammen.’ Am nächsten Tag fand ein Holzarbeiter den armen Mann tot im Wald – ohne sichtbare Todesursache. Das war die Rache der Fee... !“
An Tajs verträumtem Blick kann man erkennen, dass er sich manchmal auch so eine Fee wünscht. Er hats nicht leicht als konvertierter Kalash, der in Peshawar zur Schule gegangen ist, die Großstädte Pakistans kennt, als Trekking Guide schon fast alle möglichen Routen in Pakistan ausprobiert hat, eine 4-jährige Beziehung mit einer Ungarin – von der das ganze Tal gewusst hat – hatte. Den Kalashmädels und v.a. den Schwiegervätern ist er um einiges zu westlich und auch schon zu alt und er hat auch so seine ganz eigenen Vorstellungen von gemeinsam Trekken gehen, Urlaub machen, Spass haben und anderen Dingen, die er in dieser Beziehung mit der Ungarin gelernt hat, die aber für Pakistanische Traditionen so gar nicht passen.
Er ist nebenbei noch Manger eines Hotels in Bumburet in dem er „sogar nach jedem Gast das Zimmer reinigt, das macht fast niemand hier“... Nur mehr selten kommen mir die europäischen Sauberkeitsstandards ins Gedächtnis, sonst müsste ich mir den lieben lange Tag Gedanken machen. Ich habe keine Ahnung, wann das Zimmer, in dem ich meistens schlafe gereinigt wurde, geschweige denn das Bettlaken oder die Matratze. Die Flöhe krieg ich sowieso nicht raus, nicht mal mit täglichen Ungezieferspray-Attacken. Mittlerweile hab ich mich wirklich schon fast daran gewöhnt.
Selbst Taj hat keine Antwort außer: „Komm in mein Guesthouse, dort gibt es die Viecherl nicht – wenn sie nicht von einem Touristen aus einem anderen Hotel oder Privathaus mitgebracht werden. Aber sein „Ishpata Inn“ steht eben in einem anderen Tal.
Mit ihm kann man einfach einkaufen gehen ohne ständig eingeladen zu werden und dafür Blicke ertragen zu müssen die sagen: „Wann werde ich Gelegenheit bekommen?“ Ich bin schon ziemlich kühl und abgebrüht, antworte auf Fragen von unbekannten Männern nur noch mit „Ja“ und „Nein“ was meinen natürlichen Rededrang ziemlich unterdrückt. Der arme Taj muss sich dann immer alles anhören, aber auch Sher Alam und Imtiaz – und natürlich Josef, der Neuseeländer. Englisch-sprachige Frauen gibts so gut wie keine, bzw 3 in Bumburet, aber die sind in Chitral um die High School zu besuchen. Mehr als meine dringendsten Bedürfnisse und einige Höflickkeitsfloskeln in Kalashamun bringt mein eingerostetes Gehirn immer noch nicht zu stande – ich versuche manchmal schon auf Urdu auszuweichen, was mich aber nicht weiter bringt, weil die Ladies auch nicht Urdu sprechen. So beschränkt sich meine tägliche Kommunikation auf die englischsprachige Kalash Männerwelt, da sie es gewöhnt sind, mit Frauen zu reden, Imtiaz und Taj als Moslems, die aber fast nie da sind und Joseph. Manchmal ganz schön schwer. Ich bin von einer Kultur umgeben, die faszinierend und anders ist, bekomme zwar täglich ein paar Fragen beantwortet, die Antworten werfen aber noch viel viel mehr Fragen auf. Gibts noch Schamanen? Wo ist der Mann der die Fee geheiratet hat? Warum waschen sich die Kalash nicht? Hat diese oder jene Aktion einen bestimmten Grund oder ist es Willkür? Warum fließt schon wieder kein Wasser? Woraus besteht das Essen?
Selbst auf für europäische Geister einfache Fragen wie: „Wann endet die Schule täglich? Ist das Essen jetzt fertig? Wo wohnst du? Wieviel muss ich den Maurern zahlen?..“ gibts verschiedenste Antworten, je nach dem, wie oft und wen man fragt. Es ist alles ein veränderlicher Strom, der den Weg des geringsgen Widerstandes geht. Entscheidungen werden x mal umgeworfen bevor sie ganz getroffen sind, es gibt keine 100% Antworten, nicht mal 51%ige.
Ich liebe diese Art zu leben, es ergibt sich alles einfach irgendwie irgendwo irgendwann. In Europa hab ich mir oft gewünscht, dass mehr Leute so denken. Jetzt ertappe ich mich manchmal dabei, zumindest eine fixe Zeit pro Tag oder Woche zuhaben. Dann wird es Abend und der Mond geht auf, zur selben Zeit wie am Vortag und langsam kommen alle Leute von der Arbeit nach Hause – wenn sie nicht igendwo anders schlafen – es gibt wieder Strom und die Wasserleitungen funktionieren wieder – wie fast jeden Tag, wenn das tagsüber zur Bewässerung umgeleitete Wasser wieder zum kleinen Kraftwerk fließt – wenn nicht irgendeine Leitung kaputt ist.
Das Strom Problem ist auch einer der Gründe, warum es am Anfang keinen Strom in der neuen Schule geben wird. Die Leitungen werden vorhanden sein, aber eben kein Strom während der Schulzeit.
Trotzdem sind die Arbeiter meist gut motiviert. Vor allem, als sie hören, dass ich eine Ziege opfern werde, falls wir mit dem Geld auskommen – was ich doch stark hoffe, schließlich hab ich mein Budget schon ordentlich ausgedehnt. Sher Alam holt sich die Versicherung aller, dass sie mitarbeiten werden wo immer nötig, auch wenns knapp wird mit Geld und schlägt vor, die Ziege gleich zu schlachten – sobald sie von der Bergweide geholt wurde. Als Ansporn zwischendurch, weil die Dorfbewohner hier nicht so weit vor denken. Die Zukunft ändert sich sowieso von Minute zu Minute. Das Hier und Jetzt ist wichtig, das Vergangene ist Ok, aber vergangen. Ein Freiwilliger findet sich schnell und nach 3 Tagen ist die Ziege da. Ich sehe erstmals aus der Nähe, wie sowas von statten geht. Wir entscheiden, das Tier vor einem Haus zu schlachten, da somit gewährleistet ist, dass alle mitessen können (Altaropferung schließt Frauen und Moslems aus, Hausopfer schließt Moslems aus usw). Vegetarier überspringt die nächsten Zeilen einfach, ich bin auch eher auf der Teirfreundlichen Seite, aber hier gehören diese Dinge einfach zur Tradition. Erst Kehle durch, Kopf ab, Fell runter, Bauch auf, Organe raus, Darm vor der Haustüre aufstechen – das hält die Fliegen ab ins Haus zu kommen – sie bleiben bei der stinkenden braunen Brühe. Warum muss der Darm vor der Haustüre aufgestochen werden, ohne Schüssel zum Auffangen? Wieder eine Frage, die niemand beantwortet. Tradition oder Gleichgültigkeit? Dann den Darm durchspülen, einer bläst kräftig rein, bis auch das letzte schwarze „Kotkügelchen“ durch die Windungen geschwemmt ist. Nun wird dem immer noch kopfüber, nein: kopflos-über hängenden Kadaver mit einer Axt zu Leibe gerückt, dann das große Messer und alles zusammen in große Kochtöpfe. Fleisch wird generell gekocht, andere Zubereitungsarten findet man erst wieder in Chitral.
Dorthin fahre ich auch am nächsten Tag. Taj begleitet mich, hilft mir beim übersetzen, weil in Chitral Chitrali gesprochen wird, kein Kalashamun und kaum Urdu. Ich wurde von Imtiaz, einem weiteren der wenigen guten männlichen Freunde, zur Hochzeit seines Cousins eingeladen. Die Nächte verbringe ich bei einer Schwester von Imtiaz in einem richtigen Bett und heißer Dusche am frühen Morgen. Sie wäscht meinen Shalwar Kameez in der Waschmaschine – er ist wieder richtig sauber. Im kalten Fluss bei den Kalash hatte ich bisher wenig Erfolg, die ganzen fettigen Flecken rauszubekommen. Ich hätte mich mal mit meiner Großmutter über die Tipps und Tricks beim Waschen ohne Stromunterhalten sollen. Ein paar Tage oder Wochen krieg ich noch hin, aber irgendwann gibts Flecken, die ich mit kaltem Wasser einfach nicht loskriege. Und warmes Wasser gibts hier nicht. Ich erinnere mich an Lahore, wo ich mir kühles Wasser gewünscht hatte und nur kochende Brühe aus dem Duschkopf gesprudelt kam.
Chitral erscheint mir wie eine Großstadt, fast alles gibt es hier, vor allem abwechslungsreiches Essen. Unsere Diät in Birir besteht aus vielen Eiern mit Tomaten zum Frühstück und Bohnen oder Linsen zum Mittag- und Abendessen. Selten Reis oder anderes Gemüse. Das macht sich am Zustand meines Magens langsam bemerkbar. Und Weintrauben mit Feigen sind da nicht gerade förderlich.
Es ist das erstemal, dass ich überhaupt richtige Magenprobleme habe, weiß der Kuckuck wovon. Die einseitige Ernährung, das halb ranzige Öl, die vielen Bohnen und halbgekochten Eier, oder einfach vom Geschirr das mit nur vielleicht sauberem Wasser gewaschen wird, oder vom Fleisch, welches im vielleicht sauberen Fluss gewaschen wird – und dann am größten Stein abgeklopft wird um anschließend bis zum Verkauf ein paar Stunden von Fliegen umkreist zu werden. Die sonnengetrockneten Tomaten schimmeln in der Hitze vor sich hin – ich hoffe ich bin grade irgendwo anderes zum Essen eingeladen, wenn die Dinger ihren Weg in den Topf finden. Merken werde ich es bestimmt erst später...
Aber zurück zur Hochzeit. Eine moslemische Hochzeit, die größte in Chitral, erstmals gibt es Programm und Abendessen in Hotels. Die traditionelle Variante wird im eigenen Haus gefeiert. Aber nicht alle Traditionen gehen verloren. Frauen feiern getrennt von den Männern in einem anderen Hotel, die Ladies tanzen und essen, nur die Braut sitzt steif wie eine Statue auf dem zurecht gemachten Thron. Ihr Kleid ist prächtig, aber viel zu schwer zum Herumspazieren. Manchmal setzt sich jemand zu ihr um ein paar Worte zu wechseln, aber den Großteil der Zeit verbringt sie allein, wie zur Salzsäule erstarrt als ob sie Medusa höchstpersönlich ins Gesicht geblickt hätte. Die Livemusik fällt aus, weil 2 Tage zuvor ein naher Onkel gestorben ist.
Zum ersten Mal gibt es einige Frauen, die Englisch sprechen, ich habe auch viele viele Fragen an Moslemische Frauen und einige werden beantwortet, unterbrochen von den Kellnern, die das Essen bringen. Wie nach einem Startschuss fallen die Frauen über das Buffet her, zum Dessert komme ich zu spät, alles ist leer. Am nächsten Tag bin ich schneller und erhasche ein paar besonders süße Leckerbissen. Süße gelbe Creme mit Früchten, süße weiße Creme mit Nüssen, süsse rote Creme mit ???...
Am Vormittag laufen wir kreuz und quer durch den Bazaar, Imtiaz spendet Zement und Rohre für die Wasserversorgung der Schule. Mit Taj suche ich das billigste qualitativ gute Wellblech in der Stadt für das Dach und Kleinigkeiten wie Türgriffe, Schlösser, Nägel und sonstige Dinge, die es im Birir Tal nicht gibt.
Mit einem vollbeladenen Mietjeep rumpeln wir nach 3 Tagen zurück.
Ich liebe es hinten auf der Ladefläche zu sitzen, zur Überraschung der Männer nicht eingequetscht zwischen 2 Frauen und 2 Kindern neben dem Fahrer. Mittlerweile muss ich mich nicht mehr wie ein Affe festklammern sondern kann mein Gleichgewicht halten und trotz Geschaukel lesen – manchmal fliegt das Buch in hohem Bogen herum, weil einige Schlaglöcher eher Sprungschanzen gleichen, aber es macht Spass. Ein paar blaue Flecken erinnern immer an eine Jeepfahrt, aber meist komm ich nur einmal pro Woche in den Genuß, also heilen sie zwischendurch immer wieder ab.
Die Fenster sind eingepasst, die Wände der Schule sind fast fertig als wir zurück kommen, die Senkgrube ist ausgehoben, bald kommen die Zimmermänner um das Dachgerüst zu zimmern.
Es gibt in den letzten 2 Tagen Probleme mit den Arbeitern, die lieber in die Wälder gehen um dem viel lukrativeren Geschäft mit Pinienkernen nach zu gehen anstatt zum vereinbarten billigen Lohn zu arbeiten.
Ein gutes Argument. Ich habe vor Baubeginn daran gedacht, allerdings mit der Information, dass die Kernernte später beginnt. Leider marschieren die Arbeiter von Jahr zu Jahr früher in die Wälder, um den anderen zuvor zu kommen. Ich erhöhe das Gehalt ein wenig, soviel ich mir eben leisten kann. Ich will ja schließlich nicht, dass die Burschen Geld verlieren, das würde böses Blut gegen die Schule bedeuten. Nach 2 Tagen stehen die Wände und die Männer laufen in den Wald. Klar Schiff für das Dachgerüst. Wir brauchen nur 3 Zimmerer und 2 Arbeiter – mal sehen wie lange diese Kalkulation reicht....
Am Heimweg von der Schule gehe ich wieder mal in dem kleinen aufgestauten „Pool“ im Fluss schwimmen. Richtig schwimmen, nicht ins kalte Wasser setzen – was auch schon ein riesen Fortschritt gegenüber Lahore war. Nein, richtige Tempi – 10 im Kreis. Das schwerelose Gefühl im Wasser, ich glaube es heißt schwimmen – WOW!!! Im Stillen danke ich den Kids, die die Steine mühevoll rangeschleppt und kunstvoll aufgeschlichtet haben. Ein kleines Wunder hier. Nach dem anstrengenden Marsch – er ist immer noch anstrengend, nicht ganz so schlimm wie am Anfang, aber immer hin zum Schwitzen – tut das kühle Nass doppelt gut. Auch das Schwitzen ist genussvoll – hier weiß ich, warum ich schwitze – weil ich mich körperlich betätigt habe, nicht weil ich untätig vor dem Aircooler sitze und immer noch Ströme von Schweiß über Gesicht und meinen Rücken laufen...
Wie jeden Tag schätze ich wieder diese Kleinigkeiten besonders. Dinge, über die ich mir zu Hause nie Gedanken machen würde. Dinge, die ich als selbstverständlich sehe oder Dinge, mit denen ich mich in unserer ach so modernen Welt gar nicht auseinandersetzen muss oder darf. Der Einklang mit der Natur hier hilft sehr, dankbar zu sein für die einfachen Dinge und zu sehen, dass sie eben nicht selbstverständlich sind.
Danke also an „Gott“, wie immer er, sie oder es auch heißen mag, das er, sie oder es den Uranstoß zum Leben auf dieser Welt ermöglicht hat. Ich bin ja nicht wirklich gläubig und glaube schon gar nicht, dass man diese/n/s Gott durch irgendwelche Rituale beeinflussen oder besänftigen kann, aber für den Anstoß bin ich trotzdem dankbar. Wie auch immer die letzte anerkannte wissenschaftliche Theorie zur Entstehung der Erde aussehen mag (bin schon lange weg vom solchen News, daher keine Ahnung ob sich was geändert hat), irgendeine Energieform hat das Ganze ausgelöst, das glaube ich mal, bis ich restlos vom Gegenteil überzeugt bin.
Geri paschik (wir sehen uns bald - tschüss)
Bei Yahoo gibt's Fotos zum blog, falls Du nach dem Passwort gefragt wirst: acchigom
Sommer&Herbst bei den Kalash pics
Ishpata
Mein Herz geht über, wenn ich mein Email mit diesem Wort starten darf , ich sitze vorm Laptop und grinse über beide Ohren – es heißt, ich bin wieder zuhause – zuhause bei den Kalash, bei Rabichan, Irfan, Masran, Sher Alam, Azurma und Taj.
Die erste Woche verbrachten wir in Bumburet – wir, das heißt Sher Alam, der Lehrer; Joseph, ein Bursche aus Neuseeland, der auch freiwillig Englisch unterrichtet und ich. Sher Alams Frau bringt mir mit stolzem Lächeln einen wunderschönen Piran, das traditionelle Kleid, handgemacht, dazu ein Shushut, die kunstvollgefertigte Kappe mit einem bunten Mix aus Plastikperlen, Schellen, Knöpfen, Ketten und Kauri Muscheln. Sie wickelt mich ein und zeigt mir alle Handgriffe ganz genau, ab nun werde ich mich jeden morgen selbst einpacken – das wird spannend. Verschlafen wie ich bin am frühen Morgen werde ich die ganzen Falten völlig verkehrt zurechtzupfen. Aber es gibt immer helfende Hände die die „Angrezi“ erstmal herzlich auslachen und dann alles ordnen. Zum Schluss kommen noch die Halsketten, mindestens zwei Kilo Perlen und natürlich die fünf Zöpfe. Bis ich schließlich zur echten Kalash umgewandelt bin vergeht eine gute Stunde.
Als Dank schenke ich ihr einen Sack voll Perlen aus Lahore und Kauri Muscheln, sie ist happy, will es erst gar nicht annehmen, aber an ihren Augen merke ich, dass sie sich schon freut, die neuen ungewöhnlichen Perlen ihren Freundinnen vorzuführen. Es gibt selten Abwechslung. In Chitral, der einzigen Stadt hier gibts nur eine geringe Auswahl.
Das Utchao – Erntefest – steht an, wir bleiben natürlich. Frühmorgens marschieren ein paar Frühaufsteher zu den Weiden um den frischen Käse zu holen. Dreimal darfst du raten, wer nicht mit geht – gähn!
Zum ersten Mal sehe ich das 3. Tal Rumbur, wunderschön, aber irgendwie nicht dieses Heimatsgefühl wie ich es vom allerersten Tag in Birir hatte.
Anschließend gabs noch ein Begräbnis. Die Tradition bestimmt, dass am 1. Tag das eigene Tal trauert und feiert, am 2. Tag die beiden anderen Täler. Alle Kalash kommen und werden von Verwandten und Bekannten einen Tag lang verköstigt. So spielt auch Sher Alam Gastgeber. Tee, Kekse, Abendessen.
Wir verbringen die Tage halb beim Begräbnis oder beim Utchao, die andere Hälfte im kühlen Fluss, baden, plantschen, realxen nach der ach so anstrengenden 12h Busfahrt – eine Rekordzeit von Peshawar nach Chitral!
Ein Österreicher und ein Franzose würden auch im Bus sitzen, erklärt man mir bei der Reservierung. Fast – sie waren aus Kanada und Neuseeland, Letzterer wollte freiwillig bei den Kalash Englisch unterrichten. Wunderbar, jemand zum reden!
Nach der Zeit in der besonders konservativen Altstadt in Lahore ist es wie eine Befreiung fü mich, die Haare „nur“ mehr geflochten haben zu müssen, ein langes Kleid anziehen zu können und mit allen Leuten reden zu können, nicht nur mit den weiblichen Pakistanis, vorausgesetzt sie sprechen Englisch. Und ich kann – natürlich mit Kleidung, aber immer hin – im Fluss baden... wenn das nicht paradiesisch ist, weiß ich’s auch nicht mehr. Juhuuuuuu!
Je länger ich hier bin, desto öfter frage ich mich, ob ich die Kalash Kultur auch als „liberal“ bezeichnen würde, wenn ich direkt aus Europa käme und nicht vorher 4 Monate muslimische Gesellschaft erlebt hätte. Wahrscheinlich nicht. Ich habe dazu geneigt, alles was ich in Europa als gegeben und unbedingt erforderlich für ein annehmbares Leben gehalten habe, hier besonders zu bewerten. „Das dürfen sie ja doch...!“ Aber jetzt, wo ich hier lebe sehe ich die Einschränkungen für die Frauen besser. Sie tragen täglich ein zwar wunderschönes, aber zum Arbeiten oder Gehen ziemlich unpraktisches schwarzes Kleid, welches bei Hitze schwer und schnell heiß wird, und es dauert eine halbe Ewigkeit, bis man am Morgen angezogen ist. Sie dürfen gewisse Plätze im Haus nicht betreten, weil jede Frau als unrein gilt – daher muss sie auch während der Monatsblutung ins „Baishali“ – Frauenhaus - und niemand darf sie berühren, außer ihr eigenes Kind bis 2 Jahre. Sie darf nicht am Festmahl teilnehmen, wenn die Ziege am Altar geopfert wurde. Dafür darf sie heiraten wen sie will, sie darf tanzen und musizieren, sie darf mit den Männern reden – manche geben ihren Ehegatten ordentlich Gas, wenns sein muss vor versammelter Mannschaft, sie trägt keinen Schleier und sie hat jeden Monat eine Woche „Urlaub von den täglichen Aufgaben“ wenn sie im „Frauenhaus“ ist – welche Hausfrau hat das schon...
Während der wenigen Tage in Bumburet fanden auch die Wahlen zum Minderheitenvertreter und zum General Counsellor statt – in allen 3 Tälern. Irfan, der Besitzer des Kalash Guesthouses in Birir, Vater des kleinen Energiebündels Masran und letzter General Counsellor verlor die Wahlen zum Minderheitenvertreter nur knapp. Aus einem ganz bestimmten Grund: in Birir wurden die Wahlen frühzeitig gestoppt, weil die Leute mit dem Election Officer gekämpft haben – er hat einige Frauen unsittlich berührt und dafür von den Ehemännern ordentlich Hiebe bezogen, darauf hin hat er die Wahlen abgebrochen...
Irfan versucht nun übers Gericht eine Wahlwiederholung zu erreichen. Mal sehen – pakistanische Mühlen mahlen nicht nur langsam sondern auch mit schlechtem Korn...
Am Weg nach Birir fängt mein Herz an zu lachen – heim, endlich heim. Sobald der Jeep die ersten paar Meter ins Tal rumpelt fühle ich wieder diesen Frieden in mir, dieses Gefühl aufgehoben zu sein. Ich vergesse sogar – bis zum Abend – die Flohgefahr.
Das Gebirgswasser rausch glasklar an uns vorbei, kleine Strudel spielen mit dem Wasser, färben es türkisblau. Am Ufer grasen die Kühe, im Schatten sitzen die Hirtinnen in ihren schwarzen langen Kleidern mit den traditionellen, buntn Kalash Designs. „Ishpata Baba, prusht thi ai e?“ tönt es herüber. – „Willkommen Schwester, wohin fährst du?“ Ich schreie zurück, aber das Motorgeräusch schluckt alle Worte.
Wir deponieren das Gepäck bei unserem Host und machen uns gleich auf nach Bior, dem Ort an dem die Schule stehen soll. Nach einer Stunde im Laufschritt kommen wir an, ich schnaufe wie ein Walross. Nach 3 Monaten Lahore ohne Sport weil viel zu heiß sind die paar hundert Höhenmeter ziemlich anstrengend.
Spätabends kommen wir an, niemand weiß, dass ich an genau diesem Tag auftauchen würde, aber nach einer halben Stunde sind die Redelsführer zusammen getrommelt, sitzen in gemütlicher Runde bei Tee und Keksen und diskutieren über den Plan der Schule. Wieviele Arbeiter? Wieviele Maurer? Welcher Lohn? Wer hilft freiwillig usw. Ich habe als brave organisierte Europäerin an einen Arbeitsplan und Einteilung der Arbeiter gedacht, aber mehr als ein Tag im voraus ist zuviel. Ich werde mich auf die Erfahrung von Sher Alam und die der Arbeiter verlassen müssen.
Am Morgen stehen um 6Uhr tatsächlich 10 Arbeiter vor der Tür und diskutieren nochmals heftig. Einer macht ordentlich Radau, er will keine Schule. „Die Leher, diese Schurken, sind ständig hinter den Mädels her statt zu unterrichten. Schule ist Teufelswerk!“ Sher Alam beweist wieder mal sein Verhandlungsgeschick, überzeugt ruhig und gelassen, lässt ihn seinen Dampf ablassen und redet dann emotionell aber ruhig und ganz persönlich mit den anderen Dörflern. Schlussendlich kommt der Bursche zur Vernunft – wir versprechen ihm, auf die Lehrer acht zu geben und danach einen Zuständigen aus dem Dorf zu wählen, der hin und wieder in der Schule nach dem Rechten sieht.
Nun gehts unverzüglich zur Arbeit. Am ersten Tag helfen alle freiwillig ohne Lohn, das Fundament wird fast fertig. Moslems und Kalash arbeiten gleichermaßen, ihre Kinder werden gemeinsam hier zur Schule gehen. Generell muss man anmerken, dass Moslems die fleißigeren Arbeiter sind, aber einige Kalash spucken kräftig in die Hände für das Wohl ihrer Kinder.
Die Leute wollen 2 Räume, ich kalkuliere nochmals und erkläre ihnen, dass sie dann für relativ wenig Geld arbeiten werden müssen. Ich selbst habe meinen Beitrag auf 800EUR erhöht, Freunde und Bekannte spendeten bis jetzt insgesamt 300EUR. Da sollte sich knapp ausgehen – hoffentlich. Notfalls muss ich noch ein wenig beisteuern. Aber 2 Zimmer sind natürlich besser als eines für 4 Klassen. Die Toilette gehört ebenfalls zur Grundausstattung.
Jeden Tag wächst nun die Mauer ein Stück höher, wir bestellen die Fenster, bzw Sher Alam bestellt die Fenster. „Welche Größe hast du nun bestellt?“ „Keine bestimmte, der Tischler kennt unsere Bräuche, er wird das schon richtig machen.“
„Wieviel kostet das Ganze nun?“ „Das wissen wir wenn die Fenster geliefert werden!“
Willkommen in Pakistan. Aber ich brauche mir keine Sorgen zu machen, es wird ein fairer Preis werden.
Fast jeden Nachmittag marschiere ich nun rauf zur Baustelle, sehe die Mauern wachsen, Stein um Stein, immer wieder eine Schicht aus Schlamm und alle 4 Fuß ein Holzbalken. Wir haben uns entschlossen, ein traditionelles Gebäude zubauen, weil es erstens ins Dorfbild passt und außerdem noch die Erdbeben sicherste Variante ist. Hier ist dieses Risiko nicht zu unterschätzen, alle paar Tage spüren wir die Erde leicht wackeln. Viele andere Schulen wurden mit Beton gebaut, spätestens nach 1 Jahr sieht man die hübschen Risse im Beton, vollgestopft mit Dekomaterial – leere Keksschachteln, Chipssackerl und sonstigen netten Dingen. Das wollen wir vermeiden.
Das Wellblechdach lassen sich die Dorfleute aber nicht ausreden. Durch das traditionelle tropft es ständig. Auch wenn Athanasi, ein Grieche in Bumburet mit massenhaft Projekterfahrung mir verständlicher Weise dagegen wettert wird es wohl ein Wellblechdach werden. Ich habe mir vorgenommen, den Leuten nichts aufzudrängen. Ich will, dass sie die Schule als ihre Schule bezeichnen, nicht als gespendete Schule, dass sie dafür arbeiten WOLLEN und auf das Gebäude später aufpassen werden. Wenn ich ihnen meine Vorstellungen aufoktruiere wird das Gebäude in wenigen Jahren wohl dem Verfall preisgegeben sein wie so viele andere halbangefangene oder ungenützte „Projekte“. Dem will ich tunlichst aus dem Weg gehen.
Meine Vormittage verbringe ich in Sher Alams Schule als Englischlehrerin. Jeden Tag erstaunen mich die Kids aufs Neue, sie sind wissbegierig, es mangelt aber eben an Lehrern. Für 6 Klassen gibt es grade mal 3 Lehrer – seit Neuestem. Mit mir sind wir nun sogar 4, besser als in vielen Pakistanischen Regierungsschulen.
In der 5. Klasse lesen die Kids gerade 5 Seiten in kompliziertem English über das Leben der Delphine, einer schreit vor, der Rest schreit nach.
Als ich frage: „What is the name of this animal?“, blicken mir 56 Augen ratlos entgegen. Nicht weil sie den Namen des Tieres nicht wissen, sondern weil sie die Frage nicht verstehen. Wir spielen also Delphin, versuchen ein paar korrekte Sätze zusammen zu stöpseln und vor allem zu verstehen. Hier wird hauptsächlich auswendig gelernt – nachsagen, so laufen 80% des pakistanischen Unterrichts ab. Tradition schön und gut, für die Englishkenntnisse ist es nicht grade förderlich.
Ich blättere einige Seiten im Englischbuch zurück und stoße auf „Im Kaufhaus“
Nach einigen lamen veruschen den Kinds ein paar vernünftige Sätze aus der Nase zu ziehen laufe ich aus dem Klassenzimmer. Nein, nein, keine Angst, ich komme zurück. Der Schulwart ist gleichzeitig Shopbesitzer. Ihn suche ich – mit Erfolg - und überrede ihn, mir den Shop aufzusperren.
Mit der gesamten Klasse spaziere ich vorbei an den anderen Schülern und staunenden Lehrern. „Was macht sie nun schon wieder, die verrückte Angrezi?“ kann ich in ihren Augen lesen. Nur Sher Alam lächelt wissend. Er verwendet manchmal solch kreative Methoden mit großem Erfolg. Im Shop tauen die Mädels und Burschen dann auf und schaffen es, doch ein paar Brocken verständliches Englisch rauszubringen. DA ich zu wenig Kalashamun spreche tu ich mir schwer zu erklären, was ich grade will und hole oft Sher Alam oder einen anderen zufällig anwesenden Lehrer zu Hilfe und den Kleinen klar zu machen, was ich nun schon wieder will. Antworten, nicht nachplappern; lesen, nicht mir ins Gesicht starren; eigene Antworten finden, nicht immer die selbe; Hände weg vom Mund, weil ich sonst nichts verstehe.
Ich verlege den Rest des Unterricht meist in den Garten, wo wir die Farben der zahllosen Blumen, die gerade blühen lernen, Zahlen und sonstigen Grundwortschatz lernen, Dinge des täglichen Lebens. Delphine werden die meisten nie zu Gesicht bekommen.
Ich stelle sie vor, hinter und auf die Mauer um zu verdeutlichen, was denn nun „vor, hinter, auf“ bedeutet und quetsche mich zur Belustigung aller unter das Eingangstor um auch „unter“ verständlich zu machen.
In der Schule des Neuseeländers ist es um einiges besser. Er bekommt angeblich Antworten, wenn er etwas fragt.
Zur Zeit versuch er, dem Sohn unseres Gastgebers „please & thank you“ beizubringen. Unser Wake up call am morgen geht folgender Maßen: Türe halbeinschlagen, oder einfach reinspazieren, laut schreiend: „Hände waschen, Frühstück ist fertig!“ – „Oh, ja, dir auch einen wunderschönen Guten Morgen!!!“
Manchmal bleibe ich am Nachmittag in Guru und besuche Rabichan und Masran, spiele mit der Kleinen stundenlang
oder wasche meine Kleider im kalten Fluss – ich bin keine gute Wäscherin hab ich festgestellt – mit kaltem Wasser und Seife krieg ich nur wenige Flecken richtige raus. Besonders bei dem Riesenstoffballen von Piran weiß ich nie, wo ich anfangen soll.
Dann lasse ich Wäsche Wäsche sein und lege mich am Ufer in die Sonne, lese ein paar Seiten und spiele mit den Steinen.
Ein Buch fsziniert mich besonders. „Kalash Solstice“ von einem französischen Ehepaar (Loude), das hier einige Monate verbracht, die Sprache erlernt und sich besonders mit den Ursprüngen der Kultur auseinander gsetzt hat. Sie räumen auch mit dem Mythos „Alexander der Urkalash“ auf. Die Kalash stammen nach den letzten wissenschaftlichen Erkenntnissen von Indo-Ariern ab, die sich bei der Einwanderungswelle um 1500 vC in diese Gegend verirrten. Langsam stießen sie bis in die heutigen Siedlungsgebiete vor, oft verfolgt und niedergemetzelt. Die Legenden über ihre Götter, die von den alten Shamanen an die Kalash weitergegeben wurden versuchen, mit diesen Ungerechtigkeiten in der Geschichte der Kalash fertig zu werden und ihnen einen tieferen Sinn zu geben.
Alexander der Große war tatsächlich auch hier, aber in seinen Aufzeichnungen gibt es die Kalash bzw. damals Kafirs schon, was bedeutet, dass er nicht ihr Stammvater sein kann. Die paar griechischen Worte in der Kalashsprache wurden wahrscheinlich damals aufgenommen, so heißen z.B. Walnüße hier auch Birbo. Selbst einige Tänze und Rhythmen erinnern an Griechenland – aber kein Wunder, die Griechen waren ja auch lange genug hier und schließlich sind sie nicht die einzigen, von denen die Kalash Teile ihres Wortschatzes oder ihrer Traditionen entlehnt haben.
Einmal gehe ich mit Rabichan zur Frauenschule. Seit ein paar Tagen gibts Unterricht für Ladies in Urdu und Kalashamun. Ein riesen Spass. 14 Kalash Frauen, ein Dutzend Klein- bis Kleinstkinder, ein paar davon am Arm der Mama und ein Lehrer mit einer großen Portion Geduld und Humor. Die „Schülerinnen“ benehmen sich wie Kinder, sie spucken am Boden, schreiben noch kurz bevor der Lehrer kommt die Hausaufgaben von einander ab, stillen die hungrigen Babys, schreien raus wenn der Lehrer fragt und versuchen ungelenkt, die neuen Buchstaben nachzumalen.
Und auch hier wird auswendig gelernt. Mindestens 20 Mal leiern sie die 4 neuen Sätze des Tages herunter. Ich komme mir schon nach dem 6 Mal ein wenig komisch vor, aber naja, dem Spass zu liebe. Zum Schluss wird wie überall gesungen und getanzt – ausnahmsweise nicht die Nationalhymne, sondern Kalash Songs.
Nicht nur in der Schule wird gesungen, sondern auch an vielen vielen Abenden. Irgendwo taucht eine Blechkanister-Trommel auf, eine Flöte, eine Sitar. Jeder kann tanzen und singen, meist hintereinander, jeder bekommt die Chance, zu zeigen, was er drauf hat. Mir gefällt diese Art. Jedem einzelnen wird zugehört und zugesehen, jeder wird beklatscht und angefeuert. Und wehe einer versucht dem Spektakel zu entkommen. Er wird zur Tanzfläche gezerrt. Aber je mehr sich die Jungs und Mädels weigern, desto besser tanzen sie dann auch.
Das Gezerre zahlt sich aus.
Unterbrochen wird die Musik nur vom Gastgeber, der das Essen ankündigt. Plastiktischtücher werden am Boden ausgebreitet, Brot und Schüsseln voll Reis und Fleisch – manchmal ein wenig gewöhnungsedürftig – werden verteilt. Im Fleisch findet sich alles, was vorher auch in der Kuh oder Ziege war – auslösen ist eher unbekannt. Mit großen Äxten wird das Vieh erstmal zerhackt und dann ziemlich achtlos mit einer etwas kleineren Axt oder einem großen Messer in Mund gerechte Stücke zerteilt. Knochen, Sehnen, Venen, Knorpel, Fett, Haut und sonstige unkaubare Dinge bleiben einfach wo sie sind. Die Kalash scheint das nicht zu stören, sie schalgen sich begeistert die Bäuche voll. Über unsere Art von Fleischzubereitung würden sie wohl bloss die Köpfe schütteln. So eine Verschwendung.
Schnell wird nach dem Mahl alles aufgeräumt, und Musik und Tanz setzen wieder ein – bis zum gemeinsamen Tee...
Auch die Angrezi muss zu guter Letzt noch Tanzen. „Nati Baba, nati...!“ „Tanz Schwester, tanz!“ Da kann ich fast nicht nein sagen. Vor allem nicht in einer Kalash Gemeinschaft, wo niemand die Angrezi zum Tanzen auffordert, weil er Frauenkörper in Bewegung sehen will, sondern weil es hier einfach ein Beitrag zur allgemeinen Erheiterung ist, wie jeder andere Tänzer auch.
Bei moslemischen Gesellschaften achte ich immer mehr auf die Hintergründe. Einige der Hotelbesitzer, die sich als besonders väterlich und großzügig geben und für die Touristen „Volkstanzabende“ anbieten haben selbst mehr Freude an diesen als die Touristen selbst. Und wenn dann noch ein Guide aus dem Punjab dabei ist, ist die Touristin nur noch zum Begaffen da. Leider hab ich das schon einige Male mitansehen müssen. Aber ich weiß von mir selbst, dass man auf diese Dinge kaum achtet, wenn man von der streng moslemischen Gesellschaft, in der man auf fast jede Bewegung achten muss, zum ersten Mal in die Kalash Täler kommt, wo alles so viel liberaler scheint. Natürlich, es ist viel liberaler, auch bei den Moslems, die hier leben - aber nicht mit westlichen Maßstäben zu vergleichen. SO geschieht es oft, dass man zu viel Scheu ablegt und einfach in normaler Kleidung und westlichem Stil zu tanzen beginnt. Das ist natürlich für einige Nicht-Kalash ein gefundenes Fressen. Sie verteilen großzügig Tara (Schnaps) und Da (Wein) und hoffen, dass die Wirkung bald einsetzt.
Ich bin ja fast froh, dass ich dieses Zeug hier leider nicht trinken kann, mein Magen rebelliert sofort. Warum ist mir nicht klar – ich habe selbst in Lahore Leitungswasser und meine heißgeliebten gefährlichen Fruchtsäfte getrunken ohne auch nur das geringste Problem zu haben.
Sher Alam hat gemeint, es ist, weil die Leute Medikamente in den Tara mixen, um ihn stärker zu machen. Für den Wein gibt es keine besonderen Konservierungs oder Lagerungsmethoden, so wünsch ich mir manchmal eine Salatschüssel, über die ich ihn als Essig gießen kann.
Aber wenigsten bin ich so nicht ständig den Avancen dieser Burschen ausgesetzt. Mittlerweile haben sie verstanden, dass ich wirklich nicht trinke, der Kontakt zu diesen Leuten hat sich minimiert. Das zeigt, wie ehrlich das ganze Getue gemeint ist.
Aber nicht alle sind so – einer ist zumindest ein wirklich netter Bursch, mit dem man einfach Spass haben und lachen kann, ohne gleich einen Heiratsantrag zu riskieren. Taj ist schon 32, ist Guide und weiß, dass nicht jedes weiße Gesicht automatisch den Satz „Komm in mein Bett!“ ausspuckt, wenn man genug Tara reinfüllt oder mit sonstigen Versprechungen lockt. Am liebsten erzählt er Legenden von Feen und Gnomen, mit denen die Ur-Kalash in Eintracht gelebt haben. Einige Alte berichten noch von eigenen Erfahrungen mit diesen Wesen. Von vielen Menschen hört man, dass sie mit Feen sprechen können und nicht von dieser Welt sind. Gemeint sind geistig Behinderte, die in der Kalash Gesellschaft nicht irgendwie versteckt werden, sondern an allem teilnehmen. Durch die Feengeschichte haben sie sogar einen besonderen Status. Auch für körperlich Behinderte gibts eine Erklärung. Sie entspringen aus der Verbindung von Feen mit Menschen. Normalerweise ergibt diese Vereinigung wunderschöne Kinder, falls aber der menschlich Partner jemanden von seinem Feenpartner erzählt, so geschieht etwas Schreckliches mit ihm oder den Kindern.
Taj erzählt eine seiner Lieblingsgeschichten: „Der Nachbar meines Großvaters war ein komischer Mensch. Niemand konnte sehen, dass etwas mit ihm nicht stimmt [soll heißen er war nicht körperlich beindert] aber er sprach fast nie mit anderen Leuten, ging immer alleine weg, schlief manchmal im Wald und hatte keine Frau geheiratet. Die Menschen glaubten er wäre homosexuell. Als sie ihn damit aufzogen platzte ihm der Kragen und er schrie sie an: ‚Ich hab sehr wohl eine Frau, eine wunderschöne Fee, zu ihr gehe ich immer, wenn ihr glaubt ich sei alleine im Wald. Und wir haben 3 wunderschöne Kinder, viel schöner als eure alle zusammen.’ Am nächsten Tag fand ein Holzarbeiter den armen Mann tot im Wald – ohne sichtbare Todesursache. Das war die Rache der Fee... !“
An Tajs verträumtem Blick kann man erkennen, dass er sich manchmal auch so eine Fee wünscht. Er hats nicht leicht als konvertierter Kalash, der in Peshawar zur Schule gegangen ist, die Großstädte Pakistans kennt, als Trekking Guide schon fast alle möglichen Routen in Pakistan ausprobiert hat, eine 4-jährige Beziehung mit einer Ungarin – von der das ganze Tal gewusst hat – hatte. Den Kalashmädels und v.a. den Schwiegervätern ist er um einiges zu westlich und auch schon zu alt und er hat auch so seine ganz eigenen Vorstellungen von gemeinsam Trekken gehen, Urlaub machen, Spass haben und anderen Dingen, die er in dieser Beziehung mit der Ungarin gelernt hat, die aber für Pakistanische Traditionen so gar nicht passen.
Er ist nebenbei noch Manger eines Hotels in Bumburet in dem er „sogar nach jedem Gast das Zimmer reinigt, das macht fast niemand hier“... Nur mehr selten kommen mir die europäischen Sauberkeitsstandards ins Gedächtnis, sonst müsste ich mir den lieben lange Tag Gedanken machen. Ich habe keine Ahnung, wann das Zimmer, in dem ich meistens schlafe gereinigt wurde, geschweige denn das Bettlaken oder die Matratze. Die Flöhe krieg ich sowieso nicht raus, nicht mal mit täglichen Ungezieferspray-Attacken. Mittlerweile hab ich mich wirklich schon fast daran gewöhnt.
Selbst Taj hat keine Antwort außer: „Komm in mein Guesthouse, dort gibt es die Viecherl nicht – wenn sie nicht von einem Touristen aus einem anderen Hotel oder Privathaus mitgebracht werden. Aber sein „Ishpata Inn“ steht eben in einem anderen Tal.
Mit ihm kann man einfach einkaufen gehen ohne ständig eingeladen zu werden und dafür Blicke ertragen zu müssen die sagen: „Wann werde ich Gelegenheit bekommen?“ Ich bin schon ziemlich kühl und abgebrüht, antworte auf Fragen von unbekannten Männern nur noch mit „Ja“ und „Nein“ was meinen natürlichen Rededrang ziemlich unterdrückt. Der arme Taj muss sich dann immer alles anhören, aber auch Sher Alam und Imtiaz – und natürlich Josef, der Neuseeländer. Englisch-sprachige Frauen gibts so gut wie keine, bzw 3 in Bumburet, aber die sind in Chitral um die High School zu besuchen. Mehr als meine dringendsten Bedürfnisse und einige Höflickkeitsfloskeln in Kalashamun bringt mein eingerostetes Gehirn immer noch nicht zu stande – ich versuche manchmal schon auf Urdu auszuweichen, was mich aber nicht weiter bringt, weil die Ladies auch nicht Urdu sprechen. So beschränkt sich meine tägliche Kommunikation auf die englischsprachige Kalash Männerwelt, da sie es gewöhnt sind, mit Frauen zu reden, Imtiaz und Taj als Moslems, die aber fast nie da sind und Joseph. Manchmal ganz schön schwer. Ich bin von einer Kultur umgeben, die faszinierend und anders ist, bekomme zwar täglich ein paar Fragen beantwortet, die Antworten werfen aber noch viel viel mehr Fragen auf. Gibts noch Schamanen? Wo ist der Mann der die Fee geheiratet hat? Warum waschen sich die Kalash nicht? Hat diese oder jene Aktion einen bestimmten Grund oder ist es Willkür? Warum fließt schon wieder kein Wasser? Woraus besteht das Essen?
Selbst auf für europäische Geister einfache Fragen wie: „Wann endet die Schule täglich? Ist das Essen jetzt fertig? Wo wohnst du? Wieviel muss ich den Maurern zahlen?..“ gibts verschiedenste Antworten, je nach dem, wie oft und wen man fragt. Es ist alles ein veränderlicher Strom, der den Weg des geringsgen Widerstandes geht. Entscheidungen werden x mal umgeworfen bevor sie ganz getroffen sind, es gibt keine 100% Antworten, nicht mal 51%ige.
Ich liebe diese Art zu leben, es ergibt sich alles einfach irgendwie irgendwo irgendwann. In Europa hab ich mir oft gewünscht, dass mehr Leute so denken. Jetzt ertappe ich mich manchmal dabei, zumindest eine fixe Zeit pro Tag oder Woche zuhaben. Dann wird es Abend und der Mond geht auf, zur selben Zeit wie am Vortag und langsam kommen alle Leute von der Arbeit nach Hause – wenn sie nicht igendwo anders schlafen – es gibt wieder Strom und die Wasserleitungen funktionieren wieder – wie fast jeden Tag, wenn das tagsüber zur Bewässerung umgeleitete Wasser wieder zum kleinen Kraftwerk fließt – wenn nicht irgendeine Leitung kaputt ist.
Das Strom Problem ist auch einer der Gründe, warum es am Anfang keinen Strom in der neuen Schule geben wird. Die Leitungen werden vorhanden sein, aber eben kein Strom während der Schulzeit.
Trotzdem sind die Arbeiter meist gut motiviert. Vor allem, als sie hören, dass ich eine Ziege opfern werde, falls wir mit dem Geld auskommen – was ich doch stark hoffe, schließlich hab ich mein Budget schon ordentlich ausgedehnt. Sher Alam holt sich die Versicherung aller, dass sie mitarbeiten werden wo immer nötig, auch wenns knapp wird mit Geld und schlägt vor, die Ziege gleich zu schlachten – sobald sie von der Bergweide geholt wurde. Als Ansporn zwischendurch, weil die Dorfbewohner hier nicht so weit vor denken. Die Zukunft ändert sich sowieso von Minute zu Minute. Das Hier und Jetzt ist wichtig, das Vergangene ist Ok, aber vergangen. Ein Freiwilliger findet sich schnell und nach 3 Tagen ist die Ziege da. Ich sehe erstmals aus der Nähe, wie sowas von statten geht. Wir entscheiden, das Tier vor einem Haus zu schlachten, da somit gewährleistet ist, dass alle mitessen können (Altaropferung schließt Frauen und Moslems aus, Hausopfer schließt Moslems aus usw). Vegetarier überspringt die nächsten Zeilen einfach, ich bin auch eher auf der Teirfreundlichen Seite, aber hier gehören diese Dinge einfach zur Tradition. Erst Kehle durch, Kopf ab, Fell runter, Bauch auf, Organe raus, Darm vor der Haustüre aufstechen – das hält die Fliegen ab ins Haus zu kommen – sie bleiben bei der stinkenden braunen Brühe. Warum muss der Darm vor der Haustüre aufgestochen werden, ohne Schüssel zum Auffangen? Wieder eine Frage, die niemand beantwortet. Tradition oder Gleichgültigkeit? Dann den Darm durchspülen, einer bläst kräftig rein, bis auch das letzte schwarze „Kotkügelchen“ durch die Windungen geschwemmt ist. Nun wird dem immer noch kopfüber, nein: kopflos-über hängenden Kadaver mit einer Axt zu Leibe gerückt, dann das große Messer und alles zusammen in große Kochtöpfe. Fleisch wird generell gekocht, andere Zubereitungsarten findet man erst wieder in Chitral.
Dorthin fahre ich auch am nächsten Tag. Taj begleitet mich, hilft mir beim übersetzen, weil in Chitral Chitrali gesprochen wird, kein Kalashamun und kaum Urdu. Ich wurde von Imtiaz, einem weiteren der wenigen guten männlichen Freunde, zur Hochzeit seines Cousins eingeladen. Die Nächte verbringe ich bei einer Schwester von Imtiaz in einem richtigen Bett und heißer Dusche am frühen Morgen. Sie wäscht meinen Shalwar Kameez in der Waschmaschine – er ist wieder richtig sauber. Im kalten Fluss bei den Kalash hatte ich bisher wenig Erfolg, die ganzen fettigen Flecken rauszubekommen. Ich hätte mich mal mit meiner Großmutter über die Tipps und Tricks beim Waschen ohne Stromunterhalten sollen. Ein paar Tage oder Wochen krieg ich noch hin, aber irgendwann gibts Flecken, die ich mit kaltem Wasser einfach nicht loskriege. Und warmes Wasser gibts hier nicht. Ich erinnere mich an Lahore, wo ich mir kühles Wasser gewünscht hatte und nur kochende Brühe aus dem Duschkopf gesprudelt kam.
Chitral erscheint mir wie eine Großstadt, fast alles gibt es hier, vor allem abwechslungsreiches Essen. Unsere Diät in Birir besteht aus vielen Eiern mit Tomaten zum Frühstück und Bohnen oder Linsen zum Mittag- und Abendessen. Selten Reis oder anderes Gemüse. Das macht sich am Zustand meines Magens langsam bemerkbar. Und Weintrauben mit Feigen sind da nicht gerade förderlich.
Es ist das erstemal, dass ich überhaupt richtige Magenprobleme habe, weiß der Kuckuck wovon. Die einseitige Ernährung, das halb ranzige Öl, die vielen Bohnen und halbgekochten Eier, oder einfach vom Geschirr das mit nur vielleicht sauberem Wasser gewaschen wird, oder vom Fleisch, welches im vielleicht sauberen Fluss gewaschen wird – und dann am größten Stein abgeklopft wird um anschließend bis zum Verkauf ein paar Stunden von Fliegen umkreist zu werden. Die sonnengetrockneten Tomaten schimmeln in der Hitze vor sich hin – ich hoffe ich bin grade irgendwo anderes zum Essen eingeladen, wenn die Dinger ihren Weg in den Topf finden. Merken werde ich es bestimmt erst später...
Aber zurück zur Hochzeit. Eine moslemische Hochzeit, die größte in Chitral, erstmals gibt es Programm und Abendessen in Hotels. Die traditionelle Variante wird im eigenen Haus gefeiert. Aber nicht alle Traditionen gehen verloren. Frauen feiern getrennt von den Männern in einem anderen Hotel, die Ladies tanzen und essen, nur die Braut sitzt steif wie eine Statue auf dem zurecht gemachten Thron. Ihr Kleid ist prächtig, aber viel zu schwer zum Herumspazieren. Manchmal setzt sich jemand zu ihr um ein paar Worte zu wechseln, aber den Großteil der Zeit verbringt sie allein, wie zur Salzsäule erstarrt als ob sie Medusa höchstpersönlich ins Gesicht geblickt hätte. Die Livemusik fällt aus, weil 2 Tage zuvor ein naher Onkel gestorben ist.
Zum ersten Mal gibt es einige Frauen, die Englisch sprechen, ich habe auch viele viele Fragen an Moslemische Frauen und einige werden beantwortet, unterbrochen von den Kellnern, die das Essen bringen. Wie nach einem Startschuss fallen die Frauen über das Buffet her, zum Dessert komme ich zu spät, alles ist leer. Am nächsten Tag bin ich schneller und erhasche ein paar besonders süße Leckerbissen. Süße gelbe Creme mit Früchten, süße weiße Creme mit Nüssen, süsse rote Creme mit ???...
Am Vormittag laufen wir kreuz und quer durch den Bazaar, Imtiaz spendet Zement und Rohre für die Wasserversorgung der Schule. Mit Taj suche ich das billigste qualitativ gute Wellblech in der Stadt für das Dach und Kleinigkeiten wie Türgriffe, Schlösser, Nägel und sonstige Dinge, die es im Birir Tal nicht gibt.
Mit einem vollbeladenen Mietjeep rumpeln wir nach 3 Tagen zurück.
Ich liebe es hinten auf der Ladefläche zu sitzen, zur Überraschung der Männer nicht eingequetscht zwischen 2 Frauen und 2 Kindern neben dem Fahrer. Mittlerweile muss ich mich nicht mehr wie ein Affe festklammern sondern kann mein Gleichgewicht halten und trotz Geschaukel lesen – manchmal fliegt das Buch in hohem Bogen herum, weil einige Schlaglöcher eher Sprungschanzen gleichen, aber es macht Spass. Ein paar blaue Flecken erinnern immer an eine Jeepfahrt, aber meist komm ich nur einmal pro Woche in den Genuß, also heilen sie zwischendurch immer wieder ab.
Die Fenster sind eingepasst, die Wände der Schule sind fast fertig als wir zurück kommen, die Senkgrube ist ausgehoben, bald kommen die Zimmermänner um das Dachgerüst zu zimmern.
Es gibt in den letzten 2 Tagen Probleme mit den Arbeitern, die lieber in die Wälder gehen um dem viel lukrativeren Geschäft mit Pinienkernen nach zu gehen anstatt zum vereinbarten billigen Lohn zu arbeiten.
Ein gutes Argument. Ich habe vor Baubeginn daran gedacht, allerdings mit der Information, dass die Kernernte später beginnt. Leider marschieren die Arbeiter von Jahr zu Jahr früher in die Wälder, um den anderen zuvor zu kommen. Ich erhöhe das Gehalt ein wenig, soviel ich mir eben leisten kann. Ich will ja schließlich nicht, dass die Burschen Geld verlieren, das würde böses Blut gegen die Schule bedeuten. Nach 2 Tagen stehen die Wände und die Männer laufen in den Wald. Klar Schiff für das Dachgerüst. Wir brauchen nur 3 Zimmerer und 2 Arbeiter – mal sehen wie lange diese Kalkulation reicht....
Am Heimweg von der Schule gehe ich wieder mal in dem kleinen aufgestauten „Pool“ im Fluss schwimmen. Richtig schwimmen, nicht ins kalte Wasser setzen – was auch schon ein riesen Fortschritt gegenüber Lahore war. Nein, richtige Tempi – 10 im Kreis. Das schwerelose Gefühl im Wasser, ich glaube es heißt schwimmen – WOW!!! Im Stillen danke ich den Kids, die die Steine mühevoll rangeschleppt und kunstvoll aufgeschlichtet haben. Ein kleines Wunder hier. Nach dem anstrengenden Marsch – er ist immer noch anstrengend, nicht ganz so schlimm wie am Anfang, aber immer hin zum Schwitzen – tut das kühle Nass doppelt gut. Auch das Schwitzen ist genussvoll – hier weiß ich, warum ich schwitze – weil ich mich körperlich betätigt habe, nicht weil ich untätig vor dem Aircooler sitze und immer noch Ströme von Schweiß über Gesicht und meinen Rücken laufen...
Wie jeden Tag schätze ich wieder diese Kleinigkeiten besonders. Dinge, über die ich mir zu Hause nie Gedanken machen würde. Dinge, die ich als selbstverständlich sehe oder Dinge, mit denen ich mich in unserer ach so modernen Welt gar nicht auseinandersetzen muss oder darf. Der Einklang mit der Natur hier hilft sehr, dankbar zu sein für die einfachen Dinge und zu sehen, dass sie eben nicht selbstverständlich sind.
Danke also an „Gott“, wie immer er, sie oder es auch heißen mag, das er, sie oder es den Uranstoß zum Leben auf dieser Welt ermöglicht hat. Ich bin ja nicht wirklich gläubig und glaube schon gar nicht, dass man diese/n/s Gott durch irgendwelche Rituale beeinflussen oder besänftigen kann, aber für den Anstoß bin ich trotzdem dankbar. Wie auch immer die letzte anerkannte wissenschaftliche Theorie zur Entstehung der Erde aussehen mag (bin schon lange weg vom solchen News, daher keine Ahnung ob sich was geändert hat), irgendeine Energieform hat das Ganze ausgelöst, das glaube ich mal, bis ich restlos vom Gegenteil überzeugt bin.
Geri paschik (wir sehen uns bald - tschüss)
Bei Yahoo gibt's Fotos zum blog, falls Du nach dem Passwort gefragt wirst: acchigom
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