Zu Hause in den Taelern
Der staubige Weg fuehrt steil durchs Dorf, links davon stehen die Wohnhaeuser, eines uebers andere gestapelt, das gesampfte Erddach des Unteren dient als Veranda des Oberen. Der Eingang nur ueber einen kleinen Holzsteg, der vom Weg zum Dach gelegt wurde, erreichbar. Vorbei am halbverrosteten Ofenrohr des Unteren und dem kleinen Loch, durch das er ins Freie ragt. Das letzte Haus linkerhand ist mein Ziel. Mein Zuhause. Im unteren Stock wohnen 2 Familien, im oberen ebenfalls. Eine steile, ungleichmaessige Holztreppe fuehrt hinauf auf zur mit Holzbrettern seitlich verkleideten Veranda. Der Wind zieht so ein bisschen weniger durch. Gestampfter Lehm dient als Boden, seitlich gehen zwei Tueren weg, je eine fuer eine (Gross)Familie. Zwischen den Tueren befindet sich der Herd, eine aus Steinplatten errichtete Kochstelle mit Mulde, in der Feuer entzuendet wird. Darueber wird die Onza, eine nach oben gewoelbte gusseiserne Kochplatte gelegt, auf der Chapati gebacken wird. Oder es wird ein 3-Bein, welches den Topf traegt, mitten hineingestellt. In der Wand dahinter stecken Loeffel und ein paar wenige andere Kochutensilien. Im Sommer wird meist hier draussen gekocht, der Ofen in der Stube steht leer oder wird als Schrank verwendet. Ein niedriger Tisch steht zwischen ein paar Hockern, deren Sitzflaeche aus Ziegenlederstreifen geflochten wird. Mama kocht gerade Tomaten, die Nachbarin verteilt gleichzeitig auf der Onza den fast fluessigen Teig fuer die Chapati gekonnt in gleichmaessigen Kreisbewegungen. Bald duften die runden Fladen und werden zu den uebrigen in den geflochtenen Korb geworfen.
Eine weitere Tuer fuehrt von der Veranda auf einen zweiten Balkon, von dem aus die zwei Gaestezimmer zu erreichen sind. In einem davon habe ich wieder mein Lager aufgeschlagen. Mitten im Zimmer steht ein Seilbett, an der Wand ein Tisch. Darauf sind meine Sachen gestapelt, soweit sie Staub fest sind. Der Rest befindet sich in den Taschen, wohlverpackt und geschuetzt. In den Seitenwaenden sind Schraenke eingebaut, die mit allerhand Zeugs vollgestopft sind. Keiner schliesst mehr richtig – Holz lebt – und wie – so quellen Shalwar Kameez, Buecher, Naehmaschine und sonstige Gegenstaende daraus hervor.
Staub legt sich ueberall an, aufgewirbelt von einer Windboe, aber nur um ein Stueckchen weiter wieder als lueckenlose Schicht alles zu ueberziehen.
Wen wunderts, dass meine Kalash-Mama beim Kehren kopfschuettelnd neben mir steht. Ausnahmsweise ist sie, bzw alle hier der Meinung, dass ich es viel zu genau nehme mit Saubermachen – obwohl das wirklich nicht der Fall ist.
Lieber sitze ich am Balkongelaender und lasse meinen Blick uebers Tal schweifen. Direkt unter mir fuehrt der Weg zur Bruecke, wo auch die Jeeps wegfahren – wenn sie fahren. Auf der anderen Seite des graufarbenen Gebirgsbaches, der gerade das Wasser der Schneeschmelze bringt stehen ein paar einzelne Haeuser. In manchen befindet sich im Untergeschoss ein kleiner Shop, in dem man ein paar Dinge findet, wenn man Glueck hat. Gluehbirnen, Zucker, Kekse, Tee, Kartoffel, Nadeln, Zwirn, Wolle und jede Menge unnoetiger Suessigkeiten, deren bunte Plastikverpackungen das ganze Tal zieren.
Shah bezeichnet die 3 Geschaefte, die sich innerhalb eines Kilometers befinden als „Bazaar“. Ich muss wohl meine Vorstellug von dicht aneinander gereihten Kleinstgeschaeften, Tee schluerfenden Verkaeufern und Waren aller Art ein bisschen modifizieren.
Am Flussufer steht ein Government Guesthouse fuer offizielle Gaeste aus dem Staatsdienst, die hier gratis urlauben duerfen, dahinter die einzige Mittelschule im Tal. Eine Apotheke ohne Medikamente, dafuer mit einem warmherzigen Pharmazeuten, der die Leute notduerftig behandelt oder zumindest ein beruhigendes Wort uebrig hat. Sind gerade keine Patienten anwesend, wird in seiner Stube Karten gespielt oder geplaudert.
Die Volksschule, in der ich letzten Sommer unterrichtet habe sieht man schon nicht mehr von unserer Veranda aus.
Dafuer das kleine Feld rechts, auf dem gerade das Getreide mit gezaehnten Sicheln geschnitten wird. Sechs Frauen arbeiten nebeneinander, gemeinsam ist die Arbeit halb so schwer, alle Feldarbeit wird so in kurzer Zeit verrichtet. Ein kleiner Teil bleibt stehen, die Halme sollen frisch und geschmeidig bleiben und zum Binden des in wenigen Tagen getrockneten Weizen dienen.
Auf den Maulbeerbaeumen tummeln sich die Kinder, darunter stehen Frauen, die ein grosses Tuch spannen um die kleinen suessen Fruechte aufzufangen, die die Kinder johlend von den Baeumen schuetteln. „Ein bisschen weiter links, ein Stueck nach vorne – schuetteln!! Jetzt rechts und vor, nein – andere Seite – schuetteln.“ Der Grossteil wird frisch verspeist, ein Teil ist fuer die Ziegen und der Rest wird in geflochtenen Koerben zum Trocknen aufgestellt – sehr zur Freude der Voegel...
Dutzende braun-weisse Mynas und gelbe Pirole fliegen um die Wette, jagen sich von Baum zum Baum. Einer landet in der Weide, der naechste am Nussbaum. Die Baeume saeumen das Flussufer ohne besondere Ordnung. Jedem gehoert irgendwo ein Walnussbaum, ein Maulbeerbaum, ein Apfelbaum, ein Birnbaum, ein Pomegranatebaum (ich glaube das sind Granataepfel bei uns) oder zwei. Im Schatten der Baeume sitzen Kinder, die alle eine Ziege oder Kuh aesen lassen. Der Grossteil der Tiere ist im Sommer auf den Almen, manchmal macht sich jemand auf den Weg um frischen Kaese zu holen oder Mehl fuer die Sennen hinauf zu tragen.
Heute hat mein Kalash Bruder Kaese geholt und ein paar Mini-Rhododendren mitgebracht, die nun saemtliche Shushuts der Frauen zieren, es soll Glueck bringen und vor Unheil schuetzen.
Ein ander Mal sitze ich grade am Wasserkanal, wasche meine und meiner Schwester Waesche – meine Kalash Mutter ist grade im Frauenhaus/Baishali. Ploetzlich Eselgebruell – jawohl, Gebruell. An sich nicht so aussergewoehnlich, waere die Lautstaerke und die mitschwingende Angst nicht so auffaellig. Die Baeume versperren die Sicht so hoere ich nur weiter hin. Die Kinder, die uebermuetig nackt im Wasser plantschen fangen an zu schreien und johlen. Das Geschrei verstummt und ein pitschnasser Esel taucht hinter der Schutzmauer auf. Sichtlich der Verlierer des vorgegangenen Kampfes fegt der sonst eher langsame Geselle im Schweisgallopp in den sicheren Verschlag unter unserem Haus und verzieht sich in den letzten Winkel. Vergeblich versucht er, das Wasser aus seinen langen Eselsohren zu schuetteln, nach einer Viertelstunde gibt er auf, die Ohren haengend, das wenige Fell, dass er noch hat, immer noch tropfend, der Ausdruck resiginiert. Als ohnehin lausigster Esel im Tal sollte man nicht unbedingt versuchen dem Obermuli die Freundin auszuspannen... wenn man dann auch nicht schwimmen kann, wird man zum Gespoett von Mensch und Tier. Die Kinder schreien schadenfroh den Hergang vom anderen Ufer herueber, die Erwachsenen lachen sich schief, der Esel steht einsam im Stall, dankbar fuer die Streicheleinheiten, die ich mir im Vorbeigehen erlaube – zum Erstaunen der anderen.
Nach ein paar Tagen, in denen ich nicht so richtig Fuss fassen kann, weil ich von Chitral nach Biriu, Mumuret (mit Touristen) und Drosh (weil Imtiaz nun doch Union Council Nazim wurde) und zurueck hetze, gehts auf nach Rukmu, dem 3. Tal, in dem ich bis jetzt erst 2 Tage zugebracht habe. Vorher noch ein Besuch in Chitral beim Registration Office, weil wieder jemand nach mir geschickt hat, das 2. Mal nun schon. Ich komme an, frage was sie von mir wollen worauf ich hoeren muss, dass ich umsonst erschienen bin, irgendjemand muss irgendwas falsch ausgerichtet haben. Ich bitte mir aus, einen offiziellen Brief zu bekommen, der von hoechster Stelle uterzeichnet wird und jedem, der vielleicht wieder irgendwas falsch ausrichten will unmissverstaendlich erklaert, dass alle Formalitaeten erledigt sind. Ich werde zum Bahuk See gehen und habe in den naechsten 6 Tagen nicht Zeit von den Almen runterzuhetzen, erklaere ich. Ausserdem will ich – falls wirklich nochmal irgendjemand das Beduerfnis haben sollte mich zu sehen, eine geschriebene Mitteilung bekommen, nicht eine ueber 7 Ecken gehende muendliche Botschaft. Der Stellvertreter des DPO ist sehr hilfreich und nett, entschuldigt sich sogar fuer das Fehlverhalten seiner Kollegen, die mich unnoetiger Weise durch die Weltgeschichte hetzen. Ihn sollte ich am naechsten Abend in Rukmu wieder treffen, bei einem Tanz-, Kartenspiel- und Plauderabend. Von Rukmu aus sollte auch ein Trek zum Bahuk See fuehren und ueber Almen zurueck. Vorher aber sollen ein paar PCs repariert werden und der Computer Lehrer erfahren duerfen, was man mit Word, Excel etc so alles machen kann. Um hier als „IT teacher“ angesehen zu werden muss man die Dinger zusammenstecken und einschalten koenne. Wenn dann noch der Typing Master laeuft ist alles paletti. Nun sollen fuer ihn also die hoeheren Weihen folgen. Zuerst muss ich aber einige Kabel, Stecker, CD und Floppy Laufwerke richten – wobei letzteres fuer mich am Schwierigsten ist – wo hab ich zum letzten Mal mit Floppy gearbeitet? Keine Ahnung. Na macht nix. Alle 7 gestifteten PC sind von der Bauart voellig gleich, ein wenig Hausverstand und Vergleichen reicht also aus – ein grosses Dankeschoen noch an Robert von dem ich einiges gelernt habe. Zum Schluss laufen bis auf einen alle – bei diesem einen fehlt ein Kabel. Nicht kaputt oder falsch angeschlossen wie die anderen – einfach nicht da. Naja. Es wird jedenfalls viel weniger kosten, diesen in Chitral richten zu lassen, als alle zusammen.
Ein Staub freier Platz, kein wildes Tragen oder Schuetteln, saubere Haende etc. wuerden der Lebensdauer dieser PCs gut bekommen, erwaehne ich. „Oh, das ist Kalash Style!“, entfaehrt es einem Burschen. Damit meint er wohl die gestampften Erdboden, den Wind der Staub durch die Ritzen blaest, die fehlenden Abdeckungen und die dreckingen Haende, die wie ein emotioneller Klavierspieler auf die Tastatur haemmern. „Aber ein PC ist nicht Kalash und sollte auch nicht so behandelt werden. Es ist wie bei einem europaeischen Magen – dem kann man auch nicht euren Wein einfloessen und hoffen dass er es ueberlebt!“ Das laesst sie nachdenken. Ob das Versprechen, fuer geeignete Umstaende zu sorgen je umgesetzt wird, werd ich vielleicht beim naechsten Besuch erfahren.
In Rukmu treffe ich auch zum ersten Mal Akiko, die japanische Frau, die seit fast 20 Jahren ohne Unterbrechung hier lebt, mit einem Kalash verheiratet ist und die einzige Langzeitanwesende-Angrezi, ueber die nicht geschimpft wird. Mit ihr will ich ein wenig reden.
Nach 2 durchgequatschten Vormittagen weiss ich ein wenig mehr und bin froh, die Sicht einer Nicht-Kalash erfahren haben zu duerfen. Viele Dinge sieht man einfach mit westlichen – oder ihrem Fall oestlichen Augen ganz anders, manches stellt einen vor unvorhergesehene Probleme. Sie hat in den 20 Jahren einige praktische Loesungen gefunden, die eine Symbiose aus Kalash Tradition und praktischem Funktions – oder lieblichem Ziergegenstand der westlichen Welt bilden. So besteht ihr Kleid aus 2 Teilen mit Elastikbund (viel leichter und einfacher zu tragen), ihr Kopfschmuck ist nach alter Weise teils gestickt, was ihn erheblich leichter macht. Sie versucht den Kindern rundherum zu erklaeren, die Aprikosen von ihrem Aprikosenbaum mit ihr zu teilen anstatt sie alle zu stehlen bevor sie reif und suess sind, die Weinreben in ihrem Garten sind zu einer Laube gesteckt anstatt wild auf Baeumen rum zu wachsen – was die Ernte ziemlich erleichtert.
Sie lebt getrennt von ihrem Mann, der, als sie ein groesseres Elektrizitaet-Projekt via japanische Botschaft und UNDP brachte, nun glaubt sie sei reich und ihre soziale Ader ausnuetzen will. Ihr Auto hat er waehrend ihres letzten Japan Besuches verkauft, das Geld... reden wir nicht drueber!
Sie wohnt nun in einem Teil der neuen Mehrzweckhalle, die eine ihrer Freudinnen gestiftet hat. Taeglich bemalt sie die gerade fertiggestellten Kaesten, Tische, Sessel, Waende. Eine Bibliothek, ein visueller Fortbildungsbereich (DVD Dokus), ein Platz fuer Meetings und ein Bereich fuer das Weitergeben alter Traditionen wie Wollefaerben mit Indigosteinen etc. sind im Entstehen.
Der Noch-Ehemann empfindet den Gemeinschaftssinn seiner Frau als belastend das familiaere Budget betreffend – obwohl die Halle mit Spendengeldern finanziert wurde. Es ist schwierig hier zu erklaeren, wie Gelder gesammelt werden koennen und wie sie dann verwendet werden sollen, muessen, duerfen.
Wie es nicht gemacht werden soll zeigt eine Kalash Frau, die einizige die hier eine eigene NGO betreibt und Regierungsgelder bekommt. Der Grossteil fliesst in ihre Tasche, in Rukmu steht ihr Palast gleiches Haus, stolz praesentiert, selbst auf ihrer Homepage – viele Kalash sind einfachen Gemuets, sie sind stolz auf ihre Jamili (Clan Tochter), die so viel Geld verdient und sogar mit dem Praesidenten sprechen darf. Ein paar merken sehr wohl, dass mit diesen Geldern einige erfolgreiche Projekte moeglich gewesen waeren.
Ich bin nicht beleidigt, dass mir nicht viel Zeit zum Nachdenken bleibt, am Nachmittag kommen die Birilas um einer frischgebackenen Mutter aus dem Clan zum Nachwuchs zu gratulieren. Meine Kalash Eltern und Freunde werden fuerstlich bewirtet, am Abend werden Ziegen geschlachtet und ein Musikprogramm organisiert. Es schreckt mich, wie viele Jungs hier schon mit Jeans und T-Shirt rumlaufen, vermeintlich coole indische oder westliche Tanzbewegungen zum besten geben und die noch Juengeren damit beeindrucken. Untereinander sprechen sie oft Urdu, ihre eigene Sprache vergessend. Wie interessant ist es doch, die Sprache der grossen weiten Welt zu sprechen. Der Ansatz ist bei weitem nicht so ausgepraegt wie in Mumuret, doch nicht aufhaltbar. In Biriu gibt es sowas zum Glueck noch nicht, wer weiss wie lange?
Am naechsten Morgen starten wir in die Berge, ich moechte zum sagenumwobenen Bahuk See, dort 1-2 Tage bleiben und dann ueber die Almen und die temporaere Siedlung Achorga zwischen den Taelern Rukmu und Mumuret absteigen. Ein kleines Zelt habe ich mit, ich dachte wir koennten zu zweit gehen, doch Shah – mein Onkel – meinte, wir muessen Essen mitnehmen und daher einen Rukmula als Traeger engagieren. Jamal, ein junger Bursche und Shahs Freund erklaert sich bereit – natuerlich ohne Bezahlung. Er wird einen Schlafsack und Essen mitnehmen und das Zelt tragen. Dachte ich jedenfalls vor Abmarsch. Wir hatten Glueck, ein Auto bringt uns bis zum Strassenende und spart uns so 2 Stunden staubigen Weg. Nach einem weiteren Tee im Gorasondik auf 2220m gehts durch eine enge Schlucht hoch, an ein paar weiteren vereinzelten Haeusern vorbei und steil hoch. Steil ist immer relativ. Ich wuerde es jedenfalls so bezeichnen. Mir blieben dann allerdings zu wenig Steigerungsstufen. Ich beging den Fehler zu glauben, dass der Weg vom letzten Jahr von Biriu nach Mumuret schon steil und schwierig genug war und glaubte, pakistanische Wege zu kennen – ein Irrtum wie ich lernen werde.
Noch ist es lieblich schoen, auf Lichtungen zwischen saftigem Gras und bunten Blumen stehen ein paar Haeuser, der Blick zurueck lohnt sich immer wieder, das Tal liegt immer weiter unten, das Bachrauschen verkommt zu einem sanften Murmeln. Noch einmal steigt der Pfad als Vorwarnung direkt den Hang hoch, fuehrt aber, um die idyllische Illusion hoehnisch aufrecht zu erhalten zum Wasserkanal, dem wir nun folgen. Breit und nur sanft ansteigend, das Wasser ruhig fliessend, ein paar Baeume am Weg und bunte Blumen dazwischen, die malerisch das Bild des perfekten Weges abrunden.
Dass dies mit Abstand – mit viel Abstand – der beste Weg fuer die naechsten 4 Tage sein wuerde ist mir noch nicht bewusst, wahrscheinlich ist das auch besser so.
Jeder Wasserkanal hat einen Ursprung, und diesen erreichen wir bald, viel zu bald. Das uebermuetige Schaeumen des Baches sollte mir schon zu denken geben, der Weg verschwindet ins Nichts. Am rechten Fels klettern wir am „Ufer“ entlang, die kleinen vorstehenden Felsteile gereade breit genug fuer 2 Zehen. Ich erinnere mich an meine wenigen Kletterstunden, der Versuch, mich mit den Haenden ein wenig zu stuetzen scheitert klaeglich an den vielen Disteln, die auf den noch so kleinen Spalten zwischen den Steinen froehlich jede Halt suchende Hand mit ihren Stacheln zum Bluten bringen. Nach ein paar schmerzhaften Versuchen habe ich es gelernt, der Reflex, mich am Fels hoch zu ziehen ist ausgeschaltet, ein Parade Beispiel fuer Praegung, Pawlow waere stolz! Waehrend ich nach 1 Stunde immer noch denke, dass nun bald wieder ein richtiger Trail beginnen wuerde steigen die Jungs vor mir tiefer um den Fluss auf einer ploetzlich auftauchenden Holzbruecke – ich werde die groben, achtlos ueber das Wasser gelegten Balken einfach so nennen, zu ueberqueren. Wir sind knappe 2 Stunden unterwegs unsd schon auf 2700m. Eine Weile geht es nun immer hin und her, an ein paar vereinzelten unbewohnten Almhuetten der letzten Nomaden, der Gujars, vorbei. Viele gibt es nicht mehr, die ihr Leben nur den Ziegen widmen. Ein paar zur Mauer getuermte Steine mit grossen Aesten gedeckt dienen als Kueche und Schlafplatz, daneben eine kleinere Huette, in der Kaese gemacht wird. Ein Verschlag fuer Kitze, damit sie nachts nicht ueber die steilen Felsen purzeln. Sich eine gruene Alm mit sanften Wiesen vorzustellen ist hier eher Traeumerei.
Und weiter hinauf, hinauf hinauf, bis wir auf die ersten Gujars stossen, die ihre Ziegen ueber riesige Steine in den heimatlichen Verschlag treiben. Nach einigen weiteren gequerten Seitentaelern taucht auf 3500m die Huette eines Verwandten auf, bei dem wir naechtigen werden. Die Tiere liegen schon hinter der Huette, die zwar ein bisschen gepflegter aussieht als die vorher beschirebenen, aber die Latte liegt nicht hoch, der Anspruch ebenso wenig. Der Cousin empfaengt uns ueberschwaenglich, der grosse Hirtenhund anfangs aggressiv, dann neugierig. Nicht oft kommen Leute hier hoch, schon gar keine Frauen. Eine Ziege wird zu unseren Ehren geschlachtet, frischer Kaese aufgetischt, dazu Ziegenmilch und Tee. Zum ueppigen Abendmahl kommen alle „Nachbarhirten“, es wird ein lustiger Abend. Wir haben Zigaretten, Salz und Fruechte mitgebracht und nach dem ich sehe, wie gern sie Karten spielen, lasse ich auch meine Spielkarten dort. Wir schlafen frueh im einzigen Raum, ausgelegt mit weichen Tannenzweigen, der letzte Rauch des Feuers zieht durch die Tueroeffnung ungehindert ins Freie, der Senn schlaeft am Dach. Frueh am Morgen weckt uns die Sonne, die ebenfalls ungehindert in den Raum scheint – 4:30 Uhr ist es, als wir fruehstuecken. Kaltes Fleisch, frische Milch, Kaese. Der Geschmack ist hier oben noch intensiver, noch authentischer. Ein paar andere Senner, die meist ihre Ziegen gemeinsam hueten helfen am Morgen, die Zicklein in den Stall zu sperren um die Muttertiere ungehindert melken zu koennen. Viel Milch gibt es nicht, grade mal eine kleine Tasse pro Ziege. Um halb 6 zieht der Senn los, er will am Weg zum See irgendwo auf uns warten. Die Ziegen trotten langsam aber stetig vorwaerts und zupfen die spaerlichen Grashalme zwischen den Steinen aus. Auch hier hat es lange nicht geregnet.
Wir steigen hinter der Huette direkt hoch, am Weg sind zu viele Ziegen von allen angrenzenden Almen am Weg zu ein paar saftigen Stengeln. Zu gefaehrlich waere es, hinter ihnen zu gehen. Ein Stein ist schnell ins Rollen gebracht, loest eine Muraene aus auf den trockenen Geroellhalden. Nach den ersten 400 Hoehenmetern am Stueck fast senkrecht hoch, geht es etwas flacher weiter ueber grosse Felsbrocken, die von Gott weiss wo her kommen. Viel hoeher hinauf geht es an diesem Huegel nicht, ueber uns sind keine nackten Felsen. Lange muessen diese Gesellen schon hier rumliegen.
Hinter einer weiteren kleinen Anhoehe liegt der See. Das Wasser glitzert tuerkis in der Sonne, die Schnee bedeckten Berge spiegeln sich in der glatten Wasseroberflaeche. Wie ein achtlos fallengelassener Diamant mitten im Oedland, gefangen zwischen Paessen, nur ein kleiner Abfluss oeffnet die Bergkette die ihn umgibt. Hier sollen sich den Legenden nach die Seelen der Verstorbenen, Feen und sonstige Fabelwesen tummeln. Naht der Tod des Betrachters, so verwandelt sich das Seewasser in Blut. Wir haben anscheinend noch eine gute Weile vor uns, der See denkt nicht daran, sein bezauberndes Blau zu veraendern. Vergessen sind alle Muehen, wir ruhen am Seeufer aus, lassen die Fuesse im kalten Wasser baumeln, essen das mitgebrachte Walnussbrot mit frischem Kaese. Die Kraft der Mittagssonne waermt uns auf – als ob uns nicht schon heiss genug waere vom steilen Aufstieg. Ich lasse meine Augen ueber das Gelaende schweifen, einen ebenen Zeltplatz am Ufer suchend. In Tagtraeumen stelle ich mir schon die sternenklare Nacht vor. Ich schlummere gerade nichts boeses ahnend auf einem Stein, eine Hand im Wasser als mich der Ruf unseres Traegerfreundes aufschreckt: „Parik!“, Abmarsch! Leicht verwirrt hebe ich den Kopf, es muss ein Irrtum vorliegen, ich will hier bleiben, ich hatte das doch ziemlich deutlich ausgedrueckt vor Trekbeginn...
„Ich habe aber meinen Schlafsack vergessen!“ „Ich auch!“ Immer noch glaube ich an einen Scherz. Beide? Nach einer Weile ist klar, dass wir weiter muessen. Erst ist ein Pass zu ueberwinden, auf den steinigen Haengen wachsen allerlei Blumen, die viel mehr an die heimatlichen Alpen erinnern als die meist nicht vorhandenen Wege. Ueber zwischen den Steinen versteckte Kuckucksblumen, Primeln, Erika, Dotterblumen, und Vergissmeinnicht stolpern wir hoch zum Pass auf 4220m. Der Blick ins Tal ist atemberaubend – der Weg hinunter noch viel mehr. Weg ist nun wirklich uebertrieben, es gibt KEINEN Weg. Senkrecht geht es vor meinen Augen nach unten, nur lose Steinplatten und Geroell zieren das steile Seitental, durch das mich meine sogenannten Guides schleppen wollen. Zum ersten Mal stehe ich vor einem Abstieg, der mir unmoeglich erscheint.. Nur der Gedanke an den See, der sich nicht in Blut verwandelt hat, gibt mir Hoffnung, den Abstieg zu ueberleben. An mein Knie will ich noch gar nicht denken, das meldet sich von selbst – sehr bald! Jeder Tritt loest nur eine Steinlawine aus, an ein Vorwaertskommen ist nicht zu denken. Halt finden wird zur Qual, 2 Stunden brauchen wir – oder besser gesagt ich mit meinem kaputten Knie – fuer die ersten 100 Hoehenmeter. Ich verlagere meine Gehversuche an die Felswand, wo wenigstens meine Finger in ein paar kleinen Ritzen Halt finden, meine Fuesse sind hier unbrauchbar. Dass wir erst um 3 Uhr nachmittags beim See aufgebrochen sind, macht die Mission nicht einfacher. Querfelsein geht es dann ueber ein paar Grate, mit „Wegen“ am Steilhang, die gerade Platz fuer 2 mickrige Zehen lassen und selbst fuer diese nur truegerischen Halt bieten. Jeder Schritt erfordert eindringliche Pruefung der Trittstelle. Die Burschen laufen vor – ihre Knie schmerzen nicht. Ich wuerde auch lieber im Eilschritt ueber die unsicheren Stellen hasten, um nicht zu viel Zeit dort zu verbringen, aber leider funktioniert das nicht. Also weiter langsam und stetig, das Gelenk kracht manchmal sehr bedenklich, besonders bei den tiefen Steinsteigen. Ein Stich faerht durch mein Bein – nicht der erste - und mahnt mich wieder zu mehr Umsicht. Es raecht sich, den Blick schweifen zu lassen, die Landschaft, die direkt unter mir und weit vor mir liegt zu bewundern. Um uns herum waechst Wacholder, der zum Raeuchern bei Reinigungszeremonien und gegen Krankheiten verwendet wird, dann klettern wir wieder direkt hinunter, oft sind steilste Passagen zu ueberwinden. Steilst ist noch milde, aber mir fehlen die Steigerungsstufen um das Gelaende richtig zu beschreiben. Ich zweifle am Wissen meiner Begleiter um den richtigen Weg und bin nahe daran den Tag zu verwuenschen, an dem mir die verrueckte Idee eingefallen ist, hier herum zu klettern. Irgendwo muss es einen halbwegs gehbaren Pfad geben, allerdings nicht unter meinen Fuessen. Weiter unten stehen Zedern, von denen das Holz zum Hausbau geschlaegert wird und Tannen mit langen weichen Nadeln die als Schlafunterlage dienen. Unter uns tauchen die Almhuetten von Anishgom auf, die Daemmerung bricht herein. Wir glauben an ein Ende unserer Tagesetappe, ich beisse noch mal die Zehne fuer den letzten Extremabstieg zusammen, wie durch ein Wunder taucht sogar soetwas wie ein Weg auf, der angeblich fuer Touristen gemacht wurde, jedoch nie fertig gestellt. An den schwierigen Stellen verschwindet er allerdings wiederholt und taucht irgedwo anders wieder auf. Anders als in den Schweizer Alpen, wo die Wege im Vergleich zu diesen hier Autobahnen gleichen, fallen selbst die extra angelegten Pfade steil in die Tiefe – gut so, sonst wuerde ich fast vergessen, dass ich in Pakistan bin. Die Vorfreude war grundlos, die Almen sind verlassen. Also weiter. Nun fuehrt der Weg zum Fluss, den wir queren, dann wieder am Fels entlang zur nachesten Alm auf 3000m. In Dunkelheit erreichen wir eine Huette, die von Vater und Sohn bewirtschaftet wird. Freundlich werden wir aufgenommen, unangekuendigt, weit nach Sonnenuntergang. Wie ueberall in den Bergen herrscht Solidaritaet unter allen, die es aus welchen Gruenden auch immer hierher verschlaegt. Die Burschen sind gleucklich, hier werden sie Decken finden. Wir werden wieder mit frischen Kaese verkoestigt und teilen unser mitgebrachtes kaltes Fleisch. Der Sohn bereitet Chapati, teilt seine Zigarette mit dem Vater, dem der Stolz auf seinen einzigen maennlichen Nachkommen, der so talentiert in seine Fussstapfen tritt ins Gesicht geschrieben steht. Ich bin ziemlich erschoepft und schlafe bald auf den weichen Zweigen ein. Die Sonne weckt uns wieder um 5 Uhr. Sohnemann begleitet uns noch eine Weile, zeigt uns den Weg – was meine Zweifel an meinen Begleitern nicht grade verringert. Am rechten Almrand steigt der Weg durch Waelder, faellt wieder steil ab und fuehrt, nach dem wir 500 absolute Hoehenmeter bewaeltigt haben ueber kleine Gebirgsbaeche zum „roten Wasser“ von dem mir schon viel erzaehlt wurde. Ein vielbesuchte Eisen-Soda Quelle sprudelt hier aus der Tiefe hervor und faerbt die Steine rot. Der Geschmack ist nicht gerade umwerfend, so trinke ich nur wenig Schlucke. Die Jungs lassen sich die Baeuche voll laufen, waehrend dessen plantsche ich ein wenig im glasklaren Bach neben an. Der Vormittag ist noch nicht zu Ende, die Hitze noch ertraeglich, wir machen uns also auf nach Achorga, eine angeblich wunderschoene Streusiedlung, von der viele Kalash schwaremen. Jetzt fuehrt der Weg nach vielem auf und ab, nicht ohne weitere schmerzhafte Pruefungen fuer meine Knie, hoch zum Wasserkanal, wo wir erstmals wieder eine Weile gerade dahin laufen koennen.
Immer wieder tun sich zwischen den Baeumen Blicke zu Wasserfaellen und nach Achorga auf, saftige Wiesen und gelbe Felder sind zu sehen, ein paar Haeuser – die perfekte Idylle. Gerade als ich mich daran gewoehne, waehrend dem Gehen die Landschaft bewundern zu koennen, springen die Jungs vor mir rechts den Hang hinunter. Wie immer genau zur richtigen Zeit, als meine Knie voellig versagen, stehen wir vor dem Haus, in dem wir naechtigen werden. Der Onkel unseres Traegers wohnt hier, er ist einer der wenigen, die auch im Winter hier bei den Ziegen bleiben. Nun sind die Tiere auf den Almen, ein Sohn huetet sie. Papa bestellt in der Zwischenzeit die Felder, richtet saemtliche Winterschaeden und hat fuer jede auftauchde Seele ein paar deftige Scherze auf Lager. Seine Frau ist ebenfalls hier, sie hat ihre fruchtbare Zeit hinter sich und darf nun als Belohnung sozusagen hier schuften. Es gibt weder Frauenhaus noch Friedhof, somit finden sich nur sehr junge oder sehr alte weibliche Wesen in den Feldern. Wir werden aufs Dach gebeten, wo eine Art Unterstand gezimmert wurde. Die aufgestellten Betten versprechen eine kuehle Nacht mit freier Sicht auf den Sternenhimmel. Am anderen Ende des Daches fuehrt eine grobe Baumstammleiter hinunter, ein kleiner Bach bietet die beste Gelegenheit zum Waschen meiner verschwitzten Kleider. Ich mache mich gleich an die Arbeit. Rund um mich waechst saftigstes Gras, Kuh und Ziege, die fuer den taeglichen Milchbedarf sorgen, lassen es sich schmecken und sehen mir aus grossen, sanften Augen zu. Sie schlummern gerade friedlich unter den Schatten spendenden Feigen- und Walnussbaeumen. Als meine Waesche eingeseift ist und ich mich zum Spuelen anschicke, verwandelt sich das klare Wasser in eine braune Bruehe. Es dauert nicht lange, da biegt eine Schaufel mit Schlammresten um die Ecke, am Stiel die Hand des Uebeltaeters, der mir ein faltiges, zahnloses Laecheln schenkt. „Oh, Baba, ich habe den Bach verbreitert. In 1-2 Stunden ist das Wasser wieder sauber – ist doch toll, nicht?“ „Aber natuerlich!“, wer kann bei so einem Gesicht schon boese sein. Ich lasse Waesche Waesche sein und seh mich ein wenig im Garten um, der sich neben dem Haus befindet. Auf 2300m wachsen Marillen – Aprikosen fuer alle Nichtoesterreicher – Aepfel, Feigen, Maulbeeren, Nuesse, Birnen und Weintrauben in rauhen Mengen. Vor dem Haus breiten sich Weizenfelder wie goldene Teppiche aus, daneben wird Mais angepflanzt. Die Hausfrau bittet mich unten ins Haus, wir trinken Tee und plaudern ein wenig ueber das Leben hier. Sie hat Kopfweh, kann dem wundervollen Tag ueberhaupt nichts abgewinnen. Eine Tablette wirkt Wunder, die harten Gesichtszuege machen einem zufriedenen Laecheln Platz. Medizin gibt es hier nicht. Zwar liegt diese Oase nicht ganz abgeschieden, doch muesste man erst 2 Stunden zur Rukmustrasse gehen, dann mit viel Glueck ein Auto finden, 2h in die Stadt fahren, 2h zureuck und wieder 2h zu Fuss nach Hause. Der Grossteil tut sich diesen Zeitaufwand nur im Notfall an, zu viel Arbeit gibt es hier, die taeglich erledigt werden muss. Tiere versorgen, Feld bewaessern, etc.
Die Tante laesst mich koestliche Buttermilch kosten, die nach Alm, Sommer und Ziege schmeckt, die leichte Saeure erfrischt herrlich. Nach einer Weile ist wirklich das Wasser hinterm Haus nicht mehr ganz so schlammig, ich spuele meine Kleider und haenge sie zum Trocknen ueber die Buesche.
Abends kommen 2 Neffen des Hausherren, die seinen Wein austrinken, den er selbst schon als zu sauer beschreibt – untrinkbar waere angebracht, aber Geschmaecker sind verschieden, Toleranzgrenzen in Magengegend ebenfalls. Er schimpft ueber die faulen Nichtsnutze, die in Peshawar einem schoenen Leben froenen, an seinem Blick und dem verschmitzten Laecheln merkt man aber wohl, dass er sie eigentlich beglueckwuenscht zu ihrer Moeglichkeit, an einer guten Schule zu studieren und sich freut, dass sie ihn wenigstens in den Ferien besuchen. Der Platz laedt zum Bleiben, doch mein Onkel-Guide muss zurueck, Arbeit wartet. So marschieren wir fruehmorgens los, in Richtung Strasse, um direkt nach Chitral zu fahren. Den letzten Pass nach Mumuret lasse ich meinen laedierten Knien zuliebe sausen. Obwohl der Weg zur Strasse oft begangen wird, Lasten hereingetragen werden entspricht sein Zustand nicht unbedingt einem richtigen Weg. Wieder am Felsen entlang hanteln, Queren des reissenden Flusses ohne Bruecke. Aber nach 2,5h sind wir dort und zum Glueck faehrt gerade ein Auto nach Chitral. Die Fahrt aus dem Tal ist holprig. Am Wegrand wenden die am Feld arbeitenden Muslimfrauen das Gesicht ab, um von den Maennern am Jeep nicht gesehen zu werden. Kinder treiben Kuehe und Ziegen vor sich her, Maenner schleppen Holz und Reissaecke nach Hause, andere sitzen Haendchenhalted am Strassenrand und starren in die Ferne, traeumen von der grossen Welt oder, wie ich gehoert habe, beobachten den Vater ihrer Geliebten, wohin er geht, wann er heimkommt und ob sich vielleicht ein kurzer unbeobachteter Moment auftut, in dem die Herzensdame ungestoert angesehen werden kann.
Bei einer Saegemuehle halten wir, die Holzladung, auf der wir es uns mehr oder weniger gemuetlich gemacht hatten wird abgeladen. Ein Bursche verletzt sich an der Hand und kommt mir stark blutend entgegen. Viel kann ich nicht tun. Reinigen, Wunddesinfektion, eine tempoeraere Bandage und den Rat, mit uns zu kommen und die klaffende Wunde sofort naehen zu lassen kann ich ihm geben. Er hat Angst vor dem Arzt, ich kann nur hoffen, dass er ihn trotzdem aufsucht.
Nach 2 gemuetlichen, aber heissen Tagen zu Hause, kommt wieder ein Polizist mit einem Zettel wedelnd auf mich zu: „Auf nach Chitral!“ Was denn nun schon wieder sei? Er wisse es nicht, aber der DPO (district Police Officer) hat eben diesen Zettel geschrieben, sogar ein Stempel befindet sich darauf – welch ein Fortschritt. Ein Frau hat mich am Vortag aufgesucht – sie fing mich beim Baden im kleinen aufgestauten See nahe ihrem Haus ab, wo ich versuchte, der extremen Hitze nach 2 regenlosen Monaten zu entkommen. Ihr Gesicht sieht aus wie eine Kraterlandschaft, viele Arztbesuche haetten nichts geholfen, ob ich sie nicht mitnehmen koenne und mit dem Doktor reden. Ihr letzter Zahn im Oberkiefer schmerzt ebenfalls, in einem Aufwischen koennten wir den auch gleich ziehen meint sie. Ich informiere sie ueber die Gelegenheit am naechsten Tag, ueberlege mir, was ich sonst noch so alles aus der Stadt brauche und wir brechen am Morgen auf.
Im DPO Buero erwartet mich eine Ueberraschung. Es gaebe eine Beschwerde ueber mich, empfaengt mich der Oberguru nach 1 Stunde warten. Ich waere 2 Tage im Dschungel rum gelaufen. Dschungel? Er meint wohl den Trek. Dies sei fuer Touristen zur Zeit gesperrt, weil es sehr nahe zur Afghanischen Grenze liege und auf der anderen Seite eben dieser gerade eine Militaeraktion der Amerikanischen Armee liefe. Nach dem ich so unkooperativ sei und trotz Verbot in die Sperrzone gelaufen bin, muesse er nach Islamabad schreiben und mein Visa beenden. Ich glaube im falschen Film zu sein. Ich erklaere dass ich eine Woche zuvor extra bekannt gegeben haette, wohin ich gehen werde ohne irgendeine negative Reaktion zu erhalten, nun aber ausreisen soll. Er behauptet, ich waere nie dagewesen, selbst als der jenige, der den Brief damals geschrieben hat auftaucht und meine Version bestaetigt. Weiters beschwert sich Herr DPO, dass ich keinen Securityguard hatte – auch dieses Thema wurde von mir beim letzten Besuch abgeklaert, was er wiederum als Luege abtut. Ich bin schon ziemlich genervt von diesem Kerl, als er noch behauptet, ich kaeme nicht wenn er mich her beordern wuerde. Leicht gereizt frage ich ihn, mit wem er denn dann reden wuerde, wenn ich nicht hier waere, doch seinen haltlosen, immer wieder heruntergespulten Argumenten ist nicht mit Logik beizukommen. Er wirft mir noch vor, nur Projekte fuer die Kalashgemeinschaft zu organisieren, worauf ich ihn einlade, die Schule doch zu besuchen, die er als reine Kalash Schule bezeichnet – es ist eine Regierungsschule, die von mindestens 50% Moslems besucht wird.
Wir einigen uns schliesslich, dass ich meinen Kalash Vater bringe und dieser eine Erklaerung unterschreibt, dass er verantwortlich fuer mich sei. Er ist zufrieden – dafuer kein Wachmann, nur wenn ich die Taeler verlasse. Ich glaube mich mit einem blauen Auge davon gekommen, der Grieche in Mumuret hat 3 Schatten.
Ich bringe also meinen Vater, die Geschichte wird in einem anderen Buero, beim SP (Superintendent Police) abgewickelt, er ist wesentlich netter, gratuliert zur Schule und wuenscht mir einen netten Aufenthalt, entschuldigt sich fuer die komplizierten Prozedere hier und versichert mir, dass es nur um meine persoenliche Sicherheit geht, da ich ja als Frau allein hier bin.
2 Tage spaeter erscheint ein Mann auf unserer Veranda, zivil, keiner weiss woher. Mein Kalash Vater kennt ihn schliesslich, er wird mein Schatten sein – auch wenn ich nirgends anders hingehe. Die Militaeraktion in Afghanistan sei zu gefaehrlich. Ich frage nicht nach den anderen Touristen, die alle ohne Security rumlaufen.
In meinem Gehirn blockiert jedesmal etwas, wenn ich den Burschen sehe, obwohl er mir ein sehr angenehmes Leben laesst. Er verschwindet tagsueber im Tal zu Freunden – ein grosser Vorteil, dass er hier welche hat, die letzten Wachnasen sorgten fuer mehr Verwirrung und Aerger als suspekte Elemente von Aussen als sie hilfreich waren – kommt am Nachmittag mal vorbei, spielt Karten mit uns, versucht Kalash zu lernen, liest Buecher, singt und tanzt und traegt weder Uniform noch Gewehr. Ich habe nie irgendeine Art von Bestaetigung oder Ausweis gesehen, der ihn berechtigt, hier zu sein und Security zu spielen, ich glaube einfach meinem Kalash Vater.
Vor meiner Abreise zum Trek traf ich erstmals Miss Maureen, die hier schon seit 20 Jahren Projekte bringt und das Tal als ihr eigen bezeichnet. Die Unterhaltung beschraenkte sich auf 2 kuehle Saetze, ich habe aber schon oefters gehoert, dass sie sich ueber mich beschwert hat. Nicht nur ueber mich, ueber alle, die hier ins Tal kommen und etwas fuer Bildung tun. Sie haelt Bildung fuer den Tod der Kultur, was ich in gewisser Weise sogar verstehe. Ich habe schon einige abgelegene Winkel hier in Asien gesehen, wo die Jugend abwandert, auf der Suche nach einem gute Job in der Stadt und den heimatlichen Bauerhof Bauernhof sein laesst. Hier ist es aber anders wie ich gesehen habe. Nur eine Handvoll Kalash ist im Ausland, 2 dort verheiratet, der Rest, ob in Stadten zur Ausbildung oder zur Arbeit kommt immer zurueck. Ein weiteres wichtiges Argument ist, dass keiner nach einer hoeheren Ausbildung je konvertiert ist. Mit Bildung steigt auch das Wissen um die Wichtigkeit der eigenen Kultur. Fuer ungebildete aeltere verwitwete Kalash Maenner reicht manchmal schon das Versprechen, im Islamischen Paradies wuerden Dutzende huebsche Jungfrauen auf sie warten um sie zum Konvertieren zu ueberreden.
Ihre Projekte breiten sich ueber die Bereiche Gesundheit, medizinische Versorgung, Wasserleitung – alles sehr sinnvolle Dinge, leider hat sich ihr Verhaeltnis zu den Talbewohnern ueber die Jahre durch ihre egozentrischen Ansprueche sehr getruebt. Sie ist 63, allein, hat weder Mann noch Kinder und sucht nach Bestaetigung und Anerkennung, die nun immer schwieriger zu finden sind fuer sie. Es hat sie verbittert. Sie tut mir Leid, will wohl nur das Beste und hat vielleicht einfach den falschen Weg gewaehlt, zumindest den falschen in der Sicht der Talbewohner, die wohl am meisten davon betroffen sind. Ihre letzte Aktion, ein Schild fuer Touristen aufzustellen, raubte den Birilas endgueltig die Geduld.
“Tourist: Don’t give money, toys and medicine and do not construct buildings. If you want to help contact the reputable local NGOs and the provincial government!”
Ansich kein schlechter Ansatz, unterzeichtet ist dieses Schild allerdings nur von ihrer eigenen NGO. Die Kalash Gemeinschaft, andere NGOs oder gar die erwaehnte Provinzregierung wussten nichts von der Aktion und sind in keinster Weise einverstanden.
Bei meiner Rueckkuft vom Trek – 6 Tage nach Aufstellen des Schildes, liegt es ziemlich verbeult und durchloechert unter der Bruecke, es gab ein Meeting – nun haben sich 10 Stellvertreter je einer aus jedem Dorf zusammengetan und bilden den Kalash/Biriu Rat, den sie fuer jedes Projekt konsultieren muss.
Sie zieht sich veraergert nach Peshawar zurueck, der Alltag in den Taelern, der im Sommer aus viel Arbeit besteht, geht weiter.
Oft kommen wieder Leute, die mich fuer den Dorfarzt halten, ich marschiere mit ihnen zum Dispensar, ein hart arbeitender, wohlwollender und kompetenter Mann, der oft als ungenuegend angesehen wird, weil es eben keine Medikamente gibt hier im Tal. Dafuer habe ich kuerzlich gehoert, dass sich die Kraemer in Mumuret als Aerzte aufspielen und nach ihrem eigenen Gutduenken einem 6 Monate altem Kind mit Fieber 13 verschiedene Medikamente verschrieben haben.
Eines Morgens taucht ein alter Mann auf mit faltigem Gesicht, Haare wachsen aus allen sichtbaren Koerperoeffnungen, ein paar Zahnstummeln wackeln lustig im herabhaengenden Mund herum, er erzaehlt in Nuschelkalash irgendetwas von einer Kuh, Baeumen am Berg, Unfall, Knieschmerzen und bittet um Medizin. Ich bin mir nicht ganz sicher was er will, und vorallem wo der Patient ist, meine Frage ob er im Haus ist wurde verneint. So bitte ich meinen Kalash Vater zu uebersetzen. Er hoert ruhig zu und laechelt dann. „Seine Kuh ist im Wald von den Felsen gefallen und hat sich am Bein verletzt. Kannst du helfen?“
Das wird ja immer besser. Meine Karriere vom Arzt zum Veterinaer haette rascher nicht sein koennen.
Wie jeden Tag ist es heiss, wir warten auf Regen, seit 2 Monaten. Ein paar Wolken ziehen von Afghanistan herueber („Kommen die aus deinem Land? Du hast doch gesagt es liegt in Richtung Afghanistan.“ Entfernungen und Richtungen zu erklaeren entpuppt sich als Mission Impossible, ich beliess es bei ‚Richtung Afghanistan’ fuer ‚Austria’ und ‚Richtung Indien’ fuer ‚Australia’ um endlich den Unterschied klar zu machen. Ich entschuldige mich bei allen Geographen, aber dies sind die einzigen bekannten Richtungen)
Doch immer ziehen sie rasch vorbei, lassen uns wieder in der Hitze schmoren. Im kleinen Stausee am Fluss kuehlen wir uns ab.
In der langen Trockenzeit wird der Weizen geerntet, fuer die Kinder ist es ein Grossereignis, als die Dreschmaschine ins Tal kommt und ein Feld nach dem anderen abfaehrt, um das Korn zu dreschen. Maenner tragen die getrockneten Garben herbei, und der Zauber beginnt. Die Kleinen sind die erste Generation, die diese Maschine von anfang an kennen.
Eines Tages faellt das Barometer rapide ab, dunkelschwarze Wolken ziehen sich langsam wie ein Vorhang ueber das ganze Tal, die Leute arbeiten unbeeindruckt auf den Felder weiter, bis die ersten schweren Tropfen fallen. Ploetzlich beginnen sie quiekend zu laufen, Kuehe, Esel und Ziegen im Eiltempo in den Stall jagend, die schon halb trockenen Maulbeeren und Aprokosen werden in den geflochtenen Koerben ins Haus getragen, Waesche reingeholt. Nach einer halben Stunde kommen immer noch voellig durchnaesste Leute, die auf entfernteren Feldern gearbeitet haben, ein Nachbar versucht vergeblich den voellig kaputten Regenschirm aufzuspannen und seinen letzten Esel heim zu holen – den lausigen Verlierer, der es wahrscheinlich geniesst irgendwo unter einem Baum zu stehen und gerade mal nicht gejagt zu werden.
Der Regen hoert nach 2 Stunden auf, ein paar Minuten spaeter ist das Tal in heller Aufregeung, Kinder und Maenner laufen zur Bruecke. „Die Flut kommt, schnell komm schauen!“ ich hetze also auch hinunter. Ein braune Schlammflut waelzt sich aus dem Tal heraus, ueberschwemmt alles. Wir stehen auf der Bruecke, manche laufen zum Fluss, um angeschwemmte Holzstuecke aus dem Wasser zu fischen. Ich starre in die braune Masse, die sich fast dickfluessig um die grossen Felsen im Bachbett draengt und aufschaeumt und denke an Schokoladenmousse. Der Schokoladegeist sucht mich immer noch manchmal heim. Ich ertappe mich in Gedanken versunken an einer imaginaeren Lindtschokokugel zu lecken, meine Zunge damit spielen zulassen und das noch viel unwirklichere weiche Nougat heraus zu saugen.
Die Aufraeumarbeiten beginnen unvermittelt, die in Sicherheit gebrachte aus 2 Staemmen und ein paar Brettern zusammengenagelte Zweitbruecke ein Stuck Tal aufwaerts wird wieder ueber den Fluss gelegt. Ein Bewaesserungskanal wird trocken gelegt und freigeschaufelt, die Kinder springen auf und ab in der Hoffnung, ein paar gestrandete Fische zu finden. Gluecklich kommen sie mit der Beute ins Haus, vier mickrige Fischchen tragen sie stolz in Haenden. „Baba, kannst du sie braten?“ Ich mache mich also dran, die Viecherl zuzubereiten, meine Familie ist ganz erstaunt, dass man Fische auch braten kann ohne sie voellig zu zerstoeren und die Graeten mit ein paar einfachen Schnitten fast zu Gaenze entfernen kann. „Du solltest oefter kochen!“ Das war auch die Reaktion, als ich Kartoffelschmarrn mit meinen letzten, von lieben Touristen gespendenten Speckstuecken zubereite. Moslems konnten die Leckerbissen leider nicht essen, dafuer die Kalash um so lieber. Weiteres Erstaunen loest meine spaerliche Verwendung von Ghee aus, dem lokalen Schmalz, in dem, ganz zum Verdruss meines Magens, ueblicherweise alles schwimmt.
Ich wundere mich oft, warum gerade Lebensmittel wie Fett, Zucker und Salz, die mit Geld bezahlt werden muessen, in so rauhen unnoetigen Mengen verwendet werden.
Nach dem Regen faengt eine kleine getiegerte Katze meinen Blick, die ihre neue Welt vorsichtig aber neugierig entdeckt, die hohen Baumstammtreppen ungeschickt hinunter springt, mit dem kleinen Schwanz das Gleichgewicht suchend, an der Wasserstelle schnueffelt, im letzen Moment einem Esel ausweicht, der im Freiheitsdrang von weiter oben herunter stuermt, den Kopf schief legt als ein Kleikind ohne Hosen im Dreck auf sie zukrabbelt und spielerisch die Haendchen ausstreckt. Was fuer eine Wunderwelt.
Am Abend kommt Serena vorbei, wie immer, setzt sich zu mir auf die Verandabruestung und erzaehlt von ihrer Welt. Sie ist grade mal 8 Jahre, spricht wie eine Erwachsene und scheint genau zu wissen, welche Worte ich verstehe. Vor kurzem ist der Vater von Sher Alam, meinem Lieblingslehrer gestorben. Es veranlasst sei mir von ihrem Bruder zu erzaehlen. „Als ich klein war, und meine Schwester auch, kam ein Bruederlein zu uns, aber es war nur kurz auf Besuch. Wir waren in Bumburet, viele Leute waren im Haus zum Gratulieren, der Kleine lag in den Armen meiner Tante. Er hat munter heurm gesehen, alle war ok, ploetzlich war er tot. Nach nur vielleicht 10 Tagen oder so. Die ganzen Leute waren dann alle sehr traurig, haben Mama getroestet, aber sie hat viel geweint. Papa hat gesagt, alles ist ok, er hat seine Eltern und Schwestern gesehen, seine Verwandten und ist dann wieder gegangen. Nun hab ich wieder einen Bruder. Er ist schon 3 Jahre alt, du kennst ihn. Am Anfang waren alle aufgeregt, sie haben geglaubt, er wird auch sterben, so haben sie ein Kitz geschlachtet fuer ihn, (nach alter KalashTradition, obwohl die Familie konvertiert ist) das hat ihn stark gemacht. Schau wie froehlich und stark er ist!“
Manchmal kommen ein paar Touristen vorbei fuer einen oder 2 Tage – zur Zeit ausschliesslich Franzosen – ich schlafe dann im Haus bei meiner Kalash Familie und versuche, mein Flohpulver nicht im Gaestezimmer zu vergessen. Um halb 5 Uhr wacht die Familie spaetestens auf, meine Kalash Mama macht Brot, Grossmutter holt Futter fuer die Ziege vom Feld, dann erwachen die naechsten, Papa und meine Kalash Geschwister. Ich bin nun auch immer frueh auf den Beinen, allerding ist 6 Uhr fuer mich frueh genug.
Der Tag beginnt angenehm kuehl, um 10 Uhr ist meist schon zu heiss um irgendwo hinzugehen. Ich muss mir dann immer in Erinnerung rufen, dass es in Lahore viel heisser ist.
Kuehl war es allerdings, als wir in Chitral zum Sommerpalast hochgefahren sind, der auf knappen 3000m liegt. Gael, ein Schweizer, der schon im Winter hier war und Santa Claus gespielt hatte, dreht einen Film ueber Chitral und es wurde ein traditionelle Musikabend arrangiert. In den letzten wunderschoenen Sonnenstrahlen, die die Berge wie Gold glaenzen liessen kamen wir mit Imtiaz wie immer viel zu spaet an, aber das Setting war perfekt. Die Musiker, eine Komoediantengruppe, wie sich spaeter herausstellte, drappierten sich vor der hinreissenden Kulisse der Schnee bedeckten Pamirs, des Hindukusch und Raj Gebirges im Hintergrund, ein paar Karakoramspitzen lugten hervor, der verfallene Sommerpalast des alten Mehtars lag in Lehmziegelruinen ein Stueck weiter unten.
„Pst, bitte nicht drein reden, nur spielen.“ Ich versuchte, die umstehenden Koeche, Assistenten und Hausmeister ein wenig einzubremsen, Gael wollte wenigstens 2-3 Lieder ohne Gejohle, Gestampfe, Geklatsche, Pfeifen und Schreien aufnehmen. Ein fast unmoeglicher Prozess, zu sehr liegt ihnen alle die Musik im Blut. Wir verlegenen nach getaner Arbeit das Fest ins Haus, nun koennen sie sich austoben, wir tanzen ungestuem. Die Musiker streuten Spaesse zwischen die Lieder, die selbst Gael und mich zum ungehemmten Lachen brachten. Allein die Mimik und scheinbar unabgesprochene Zusammenarbeit waren koestlich. Ob es hier irgendwo ein Kabarrett gaebe? Nein. Die 3 koennten jedenfalls eines oeffnen.
Nun sind wir, Imtiaz und ich, am Weg zum Shandur Polofestival, eine Legende hier, mal sehen... Security habe ich keinen bekommen, zu beschaeftigt sind sie mit der Vorbereitung der Ankunft des Praesidenten General Pervez Muzharaff, der fuer ein paar Stunden wie jedes Jahr das Fest heimsucht und das Areal in eine Security Massenansammlug verwandelt. Sehr angenehm fuer mich.
Bahuk Trek etc pics
Eine weitere Tuer fuehrt von der Veranda auf einen zweiten Balkon, von dem aus die zwei Gaestezimmer zu erreichen sind. In einem davon habe ich wieder mein Lager aufgeschlagen. Mitten im Zimmer steht ein Seilbett, an der Wand ein Tisch. Darauf sind meine Sachen gestapelt, soweit sie Staub fest sind. Der Rest befindet sich in den Taschen, wohlverpackt und geschuetzt. In den Seitenwaenden sind Schraenke eingebaut, die mit allerhand Zeugs vollgestopft sind. Keiner schliesst mehr richtig – Holz lebt – und wie – so quellen Shalwar Kameez, Buecher, Naehmaschine und sonstige Gegenstaende daraus hervor.
Staub legt sich ueberall an, aufgewirbelt von einer Windboe, aber nur um ein Stueckchen weiter wieder als lueckenlose Schicht alles zu ueberziehen.
Wen wunderts, dass meine Kalash-Mama beim Kehren kopfschuettelnd neben mir steht. Ausnahmsweise ist sie, bzw alle hier der Meinung, dass ich es viel zu genau nehme mit Saubermachen – obwohl das wirklich nicht der Fall ist.
Lieber sitze ich am Balkongelaender und lasse meinen Blick uebers Tal schweifen. Direkt unter mir fuehrt der Weg zur Bruecke, wo auch die Jeeps wegfahren – wenn sie fahren. Auf der anderen Seite des graufarbenen Gebirgsbaches, der gerade das Wasser der Schneeschmelze bringt stehen ein paar einzelne Haeuser. In manchen befindet sich im Untergeschoss ein kleiner Shop, in dem man ein paar Dinge findet, wenn man Glueck hat. Gluehbirnen, Zucker, Kekse, Tee, Kartoffel, Nadeln, Zwirn, Wolle und jede Menge unnoetiger Suessigkeiten, deren bunte Plastikverpackungen das ganze Tal zieren.
Shah bezeichnet die 3 Geschaefte, die sich innerhalb eines Kilometers befinden als „Bazaar“. Ich muss wohl meine Vorstellug von dicht aneinander gereihten Kleinstgeschaeften, Tee schluerfenden Verkaeufern und Waren aller Art ein bisschen modifizieren.
Am Flussufer steht ein Government Guesthouse fuer offizielle Gaeste aus dem Staatsdienst, die hier gratis urlauben duerfen, dahinter die einzige Mittelschule im Tal. Eine Apotheke ohne Medikamente, dafuer mit einem warmherzigen Pharmazeuten, der die Leute notduerftig behandelt oder zumindest ein beruhigendes Wort uebrig hat. Sind gerade keine Patienten anwesend, wird in seiner Stube Karten gespielt oder geplaudert.
Die Volksschule, in der ich letzten Sommer unterrichtet habe sieht man schon nicht mehr von unserer Veranda aus.
Dafuer das kleine Feld rechts, auf dem gerade das Getreide mit gezaehnten Sicheln geschnitten wird. Sechs Frauen arbeiten nebeneinander, gemeinsam ist die Arbeit halb so schwer, alle Feldarbeit wird so in kurzer Zeit verrichtet. Ein kleiner Teil bleibt stehen, die Halme sollen frisch und geschmeidig bleiben und zum Binden des in wenigen Tagen getrockneten Weizen dienen.
Auf den Maulbeerbaeumen tummeln sich die Kinder, darunter stehen Frauen, die ein grosses Tuch spannen um die kleinen suessen Fruechte aufzufangen, die die Kinder johlend von den Baeumen schuetteln. „Ein bisschen weiter links, ein Stueck nach vorne – schuetteln!! Jetzt rechts und vor, nein – andere Seite – schuetteln.“ Der Grossteil wird frisch verspeist, ein Teil ist fuer die Ziegen und der Rest wird in geflochtenen Koerben zum Trocknen aufgestellt – sehr zur Freude der Voegel...
Dutzende braun-weisse Mynas und gelbe Pirole fliegen um die Wette, jagen sich von Baum zum Baum. Einer landet in der Weide, der naechste am Nussbaum. Die Baeume saeumen das Flussufer ohne besondere Ordnung. Jedem gehoert irgendwo ein Walnussbaum, ein Maulbeerbaum, ein Apfelbaum, ein Birnbaum, ein Pomegranatebaum (ich glaube das sind Granataepfel bei uns) oder zwei. Im Schatten der Baeume sitzen Kinder, die alle eine Ziege oder Kuh aesen lassen. Der Grossteil der Tiere ist im Sommer auf den Almen, manchmal macht sich jemand auf den Weg um frischen Kaese zu holen oder Mehl fuer die Sennen hinauf zu tragen.
Heute hat mein Kalash Bruder Kaese geholt und ein paar Mini-Rhododendren mitgebracht, die nun saemtliche Shushuts der Frauen zieren, es soll Glueck bringen und vor Unheil schuetzen.
Ein ander Mal sitze ich grade am Wasserkanal, wasche meine und meiner Schwester Waesche – meine Kalash Mutter ist grade im Frauenhaus/Baishali. Ploetzlich Eselgebruell – jawohl, Gebruell. An sich nicht so aussergewoehnlich, waere die Lautstaerke und die mitschwingende Angst nicht so auffaellig. Die Baeume versperren die Sicht so hoere ich nur weiter hin. Die Kinder, die uebermuetig nackt im Wasser plantschen fangen an zu schreien und johlen. Das Geschrei verstummt und ein pitschnasser Esel taucht hinter der Schutzmauer auf. Sichtlich der Verlierer des vorgegangenen Kampfes fegt der sonst eher langsame Geselle im Schweisgallopp in den sicheren Verschlag unter unserem Haus und verzieht sich in den letzten Winkel. Vergeblich versucht er, das Wasser aus seinen langen Eselsohren zu schuetteln, nach einer Viertelstunde gibt er auf, die Ohren haengend, das wenige Fell, dass er noch hat, immer noch tropfend, der Ausdruck resiginiert. Als ohnehin lausigster Esel im Tal sollte man nicht unbedingt versuchen dem Obermuli die Freundin auszuspannen... wenn man dann auch nicht schwimmen kann, wird man zum Gespoett von Mensch und Tier. Die Kinder schreien schadenfroh den Hergang vom anderen Ufer herueber, die Erwachsenen lachen sich schief, der Esel steht einsam im Stall, dankbar fuer die Streicheleinheiten, die ich mir im Vorbeigehen erlaube – zum Erstaunen der anderen.
Nach ein paar Tagen, in denen ich nicht so richtig Fuss fassen kann, weil ich von Chitral nach Biriu, Mumuret (mit Touristen) und Drosh (weil Imtiaz nun doch Union Council Nazim wurde) und zurueck hetze, gehts auf nach Rukmu, dem 3. Tal, in dem ich bis jetzt erst 2 Tage zugebracht habe. Vorher noch ein Besuch in Chitral beim Registration Office, weil wieder jemand nach mir geschickt hat, das 2. Mal nun schon. Ich komme an, frage was sie von mir wollen worauf ich hoeren muss, dass ich umsonst erschienen bin, irgendjemand muss irgendwas falsch ausgerichtet haben. Ich bitte mir aus, einen offiziellen Brief zu bekommen, der von hoechster Stelle uterzeichnet wird und jedem, der vielleicht wieder irgendwas falsch ausrichten will unmissverstaendlich erklaert, dass alle Formalitaeten erledigt sind. Ich werde zum Bahuk See gehen und habe in den naechsten 6 Tagen nicht Zeit von den Almen runterzuhetzen, erklaere ich. Ausserdem will ich – falls wirklich nochmal irgendjemand das Beduerfnis haben sollte mich zu sehen, eine geschriebene Mitteilung bekommen, nicht eine ueber 7 Ecken gehende muendliche Botschaft. Der Stellvertreter des DPO ist sehr hilfreich und nett, entschuldigt sich sogar fuer das Fehlverhalten seiner Kollegen, die mich unnoetiger Weise durch die Weltgeschichte hetzen. Ihn sollte ich am naechsten Abend in Rukmu wieder treffen, bei einem Tanz-, Kartenspiel- und Plauderabend. Von Rukmu aus sollte auch ein Trek zum Bahuk See fuehren und ueber Almen zurueck. Vorher aber sollen ein paar PCs repariert werden und der Computer Lehrer erfahren duerfen, was man mit Word, Excel etc so alles machen kann. Um hier als „IT teacher“ angesehen zu werden muss man die Dinger zusammenstecken und einschalten koenne. Wenn dann noch der Typing Master laeuft ist alles paletti. Nun sollen fuer ihn also die hoeheren Weihen folgen. Zuerst muss ich aber einige Kabel, Stecker, CD und Floppy Laufwerke richten – wobei letzteres fuer mich am Schwierigsten ist – wo hab ich zum letzten Mal mit Floppy gearbeitet? Keine Ahnung. Na macht nix. Alle 7 gestifteten PC sind von der Bauart voellig gleich, ein wenig Hausverstand und Vergleichen reicht also aus – ein grosses Dankeschoen noch an Robert von dem ich einiges gelernt habe. Zum Schluss laufen bis auf einen alle – bei diesem einen fehlt ein Kabel. Nicht kaputt oder falsch angeschlossen wie die anderen – einfach nicht da. Naja. Es wird jedenfalls viel weniger kosten, diesen in Chitral richten zu lassen, als alle zusammen.
Ein Staub freier Platz, kein wildes Tragen oder Schuetteln, saubere Haende etc. wuerden der Lebensdauer dieser PCs gut bekommen, erwaehne ich. „Oh, das ist Kalash Style!“, entfaehrt es einem Burschen. Damit meint er wohl die gestampften Erdboden, den Wind der Staub durch die Ritzen blaest, die fehlenden Abdeckungen und die dreckingen Haende, die wie ein emotioneller Klavierspieler auf die Tastatur haemmern. „Aber ein PC ist nicht Kalash und sollte auch nicht so behandelt werden. Es ist wie bei einem europaeischen Magen – dem kann man auch nicht euren Wein einfloessen und hoffen dass er es ueberlebt!“ Das laesst sie nachdenken. Ob das Versprechen, fuer geeignete Umstaende zu sorgen je umgesetzt wird, werd ich vielleicht beim naechsten Besuch erfahren.
In Rukmu treffe ich auch zum ersten Mal Akiko, die japanische Frau, die seit fast 20 Jahren ohne Unterbrechung hier lebt, mit einem Kalash verheiratet ist und die einzige Langzeitanwesende-Angrezi, ueber die nicht geschimpft wird. Mit ihr will ich ein wenig reden.
Nach 2 durchgequatschten Vormittagen weiss ich ein wenig mehr und bin froh, die Sicht einer Nicht-Kalash erfahren haben zu duerfen. Viele Dinge sieht man einfach mit westlichen – oder ihrem Fall oestlichen Augen ganz anders, manches stellt einen vor unvorhergesehene Probleme. Sie hat in den 20 Jahren einige praktische Loesungen gefunden, die eine Symbiose aus Kalash Tradition und praktischem Funktions – oder lieblichem Ziergegenstand der westlichen Welt bilden. So besteht ihr Kleid aus 2 Teilen mit Elastikbund (viel leichter und einfacher zu tragen), ihr Kopfschmuck ist nach alter Weise teils gestickt, was ihn erheblich leichter macht. Sie versucht den Kindern rundherum zu erklaeren, die Aprikosen von ihrem Aprikosenbaum mit ihr zu teilen anstatt sie alle zu stehlen bevor sie reif und suess sind, die Weinreben in ihrem Garten sind zu einer Laube gesteckt anstatt wild auf Baeumen rum zu wachsen – was die Ernte ziemlich erleichtert.
Sie lebt getrennt von ihrem Mann, der, als sie ein groesseres Elektrizitaet-Projekt via japanische Botschaft und UNDP brachte, nun glaubt sie sei reich und ihre soziale Ader ausnuetzen will. Ihr Auto hat er waehrend ihres letzten Japan Besuches verkauft, das Geld... reden wir nicht drueber!
Sie wohnt nun in einem Teil der neuen Mehrzweckhalle, die eine ihrer Freudinnen gestiftet hat. Taeglich bemalt sie die gerade fertiggestellten Kaesten, Tische, Sessel, Waende. Eine Bibliothek, ein visueller Fortbildungsbereich (DVD Dokus), ein Platz fuer Meetings und ein Bereich fuer das Weitergeben alter Traditionen wie Wollefaerben mit Indigosteinen etc. sind im Entstehen.
Der Noch-Ehemann empfindet den Gemeinschaftssinn seiner Frau als belastend das familiaere Budget betreffend – obwohl die Halle mit Spendengeldern finanziert wurde. Es ist schwierig hier zu erklaeren, wie Gelder gesammelt werden koennen und wie sie dann verwendet werden sollen, muessen, duerfen.
Wie es nicht gemacht werden soll zeigt eine Kalash Frau, die einizige die hier eine eigene NGO betreibt und Regierungsgelder bekommt. Der Grossteil fliesst in ihre Tasche, in Rukmu steht ihr Palast gleiches Haus, stolz praesentiert, selbst auf ihrer Homepage – viele Kalash sind einfachen Gemuets, sie sind stolz auf ihre Jamili (Clan Tochter), die so viel Geld verdient und sogar mit dem Praesidenten sprechen darf. Ein paar merken sehr wohl, dass mit diesen Geldern einige erfolgreiche Projekte moeglich gewesen waeren.
Ich bin nicht beleidigt, dass mir nicht viel Zeit zum Nachdenken bleibt, am Nachmittag kommen die Birilas um einer frischgebackenen Mutter aus dem Clan zum Nachwuchs zu gratulieren. Meine Kalash Eltern und Freunde werden fuerstlich bewirtet, am Abend werden Ziegen geschlachtet und ein Musikprogramm organisiert. Es schreckt mich, wie viele Jungs hier schon mit Jeans und T-Shirt rumlaufen, vermeintlich coole indische oder westliche Tanzbewegungen zum besten geben und die noch Juengeren damit beeindrucken. Untereinander sprechen sie oft Urdu, ihre eigene Sprache vergessend. Wie interessant ist es doch, die Sprache der grossen weiten Welt zu sprechen. Der Ansatz ist bei weitem nicht so ausgepraegt wie in Mumuret, doch nicht aufhaltbar. In Biriu gibt es sowas zum Glueck noch nicht, wer weiss wie lange?
Am naechsten Morgen starten wir in die Berge, ich moechte zum sagenumwobenen Bahuk See, dort 1-2 Tage bleiben und dann ueber die Almen und die temporaere Siedlung Achorga zwischen den Taelern Rukmu und Mumuret absteigen. Ein kleines Zelt habe ich mit, ich dachte wir koennten zu zweit gehen, doch Shah – mein Onkel – meinte, wir muessen Essen mitnehmen und daher einen Rukmula als Traeger engagieren. Jamal, ein junger Bursche und Shahs Freund erklaert sich bereit – natuerlich ohne Bezahlung. Er wird einen Schlafsack und Essen mitnehmen und das Zelt tragen. Dachte ich jedenfalls vor Abmarsch. Wir hatten Glueck, ein Auto bringt uns bis zum Strassenende und spart uns so 2 Stunden staubigen Weg. Nach einem weiteren Tee im Gorasondik auf 2220m gehts durch eine enge Schlucht hoch, an ein paar weiteren vereinzelten Haeusern vorbei und steil hoch. Steil ist immer relativ. Ich wuerde es jedenfalls so bezeichnen. Mir blieben dann allerdings zu wenig Steigerungsstufen. Ich beging den Fehler zu glauben, dass der Weg vom letzten Jahr von Biriu nach Mumuret schon steil und schwierig genug war und glaubte, pakistanische Wege zu kennen – ein Irrtum wie ich lernen werde.
Noch ist es lieblich schoen, auf Lichtungen zwischen saftigem Gras und bunten Blumen stehen ein paar Haeuser, der Blick zurueck lohnt sich immer wieder, das Tal liegt immer weiter unten, das Bachrauschen verkommt zu einem sanften Murmeln. Noch einmal steigt der Pfad als Vorwarnung direkt den Hang hoch, fuehrt aber, um die idyllische Illusion hoehnisch aufrecht zu erhalten zum Wasserkanal, dem wir nun folgen. Breit und nur sanft ansteigend, das Wasser ruhig fliessend, ein paar Baeume am Weg und bunte Blumen dazwischen, die malerisch das Bild des perfekten Weges abrunden.
Dass dies mit Abstand – mit viel Abstand – der beste Weg fuer die naechsten 4 Tage sein wuerde ist mir noch nicht bewusst, wahrscheinlich ist das auch besser so.
Jeder Wasserkanal hat einen Ursprung, und diesen erreichen wir bald, viel zu bald. Das uebermuetige Schaeumen des Baches sollte mir schon zu denken geben, der Weg verschwindet ins Nichts. Am rechten Fels klettern wir am „Ufer“ entlang, die kleinen vorstehenden Felsteile gereade breit genug fuer 2 Zehen. Ich erinnere mich an meine wenigen Kletterstunden, der Versuch, mich mit den Haenden ein wenig zu stuetzen scheitert klaeglich an den vielen Disteln, die auf den noch so kleinen Spalten zwischen den Steinen froehlich jede Halt suchende Hand mit ihren Stacheln zum Bluten bringen. Nach ein paar schmerzhaften Versuchen habe ich es gelernt, der Reflex, mich am Fels hoch zu ziehen ist ausgeschaltet, ein Parade Beispiel fuer Praegung, Pawlow waere stolz! Waehrend ich nach 1 Stunde immer noch denke, dass nun bald wieder ein richtiger Trail beginnen wuerde steigen die Jungs vor mir tiefer um den Fluss auf einer ploetzlich auftauchenden Holzbruecke – ich werde die groben, achtlos ueber das Wasser gelegten Balken einfach so nennen, zu ueberqueren. Wir sind knappe 2 Stunden unterwegs unsd schon auf 2700m. Eine Weile geht es nun immer hin und her, an ein paar vereinzelten unbewohnten Almhuetten der letzten Nomaden, der Gujars, vorbei. Viele gibt es nicht mehr, die ihr Leben nur den Ziegen widmen. Ein paar zur Mauer getuermte Steine mit grossen Aesten gedeckt dienen als Kueche und Schlafplatz, daneben eine kleinere Huette, in der Kaese gemacht wird. Ein Verschlag fuer Kitze, damit sie nachts nicht ueber die steilen Felsen purzeln. Sich eine gruene Alm mit sanften Wiesen vorzustellen ist hier eher Traeumerei.
Und weiter hinauf, hinauf hinauf, bis wir auf die ersten Gujars stossen, die ihre Ziegen ueber riesige Steine in den heimatlichen Verschlag treiben. Nach einigen weiteren gequerten Seitentaelern taucht auf 3500m die Huette eines Verwandten auf, bei dem wir naechtigen werden. Die Tiere liegen schon hinter der Huette, die zwar ein bisschen gepflegter aussieht als die vorher beschirebenen, aber die Latte liegt nicht hoch, der Anspruch ebenso wenig. Der Cousin empfaengt uns ueberschwaenglich, der grosse Hirtenhund anfangs aggressiv, dann neugierig. Nicht oft kommen Leute hier hoch, schon gar keine Frauen. Eine Ziege wird zu unseren Ehren geschlachtet, frischer Kaese aufgetischt, dazu Ziegenmilch und Tee. Zum ueppigen Abendmahl kommen alle „Nachbarhirten“, es wird ein lustiger Abend. Wir haben Zigaretten, Salz und Fruechte mitgebracht und nach dem ich sehe, wie gern sie Karten spielen, lasse ich auch meine Spielkarten dort. Wir schlafen frueh im einzigen Raum, ausgelegt mit weichen Tannenzweigen, der letzte Rauch des Feuers zieht durch die Tueroeffnung ungehindert ins Freie, der Senn schlaeft am Dach. Frueh am Morgen weckt uns die Sonne, die ebenfalls ungehindert in den Raum scheint – 4:30 Uhr ist es, als wir fruehstuecken. Kaltes Fleisch, frische Milch, Kaese. Der Geschmack ist hier oben noch intensiver, noch authentischer. Ein paar andere Senner, die meist ihre Ziegen gemeinsam hueten helfen am Morgen, die Zicklein in den Stall zu sperren um die Muttertiere ungehindert melken zu koennen. Viel Milch gibt es nicht, grade mal eine kleine Tasse pro Ziege. Um halb 6 zieht der Senn los, er will am Weg zum See irgendwo auf uns warten. Die Ziegen trotten langsam aber stetig vorwaerts und zupfen die spaerlichen Grashalme zwischen den Steinen aus. Auch hier hat es lange nicht geregnet.
Wir steigen hinter der Huette direkt hoch, am Weg sind zu viele Ziegen von allen angrenzenden Almen am Weg zu ein paar saftigen Stengeln. Zu gefaehrlich waere es, hinter ihnen zu gehen. Ein Stein ist schnell ins Rollen gebracht, loest eine Muraene aus auf den trockenen Geroellhalden. Nach den ersten 400 Hoehenmetern am Stueck fast senkrecht hoch, geht es etwas flacher weiter ueber grosse Felsbrocken, die von Gott weiss wo her kommen. Viel hoeher hinauf geht es an diesem Huegel nicht, ueber uns sind keine nackten Felsen. Lange muessen diese Gesellen schon hier rumliegen.
Hinter einer weiteren kleinen Anhoehe liegt der See. Das Wasser glitzert tuerkis in der Sonne, die Schnee bedeckten Berge spiegeln sich in der glatten Wasseroberflaeche. Wie ein achtlos fallengelassener Diamant mitten im Oedland, gefangen zwischen Paessen, nur ein kleiner Abfluss oeffnet die Bergkette die ihn umgibt. Hier sollen sich den Legenden nach die Seelen der Verstorbenen, Feen und sonstige Fabelwesen tummeln. Naht der Tod des Betrachters, so verwandelt sich das Seewasser in Blut. Wir haben anscheinend noch eine gute Weile vor uns, der See denkt nicht daran, sein bezauberndes Blau zu veraendern. Vergessen sind alle Muehen, wir ruhen am Seeufer aus, lassen die Fuesse im kalten Wasser baumeln, essen das mitgebrachte Walnussbrot mit frischem Kaese. Die Kraft der Mittagssonne waermt uns auf – als ob uns nicht schon heiss genug waere vom steilen Aufstieg. Ich lasse meine Augen ueber das Gelaende schweifen, einen ebenen Zeltplatz am Ufer suchend. In Tagtraeumen stelle ich mir schon die sternenklare Nacht vor. Ich schlummere gerade nichts boeses ahnend auf einem Stein, eine Hand im Wasser als mich der Ruf unseres Traegerfreundes aufschreckt: „Parik!“, Abmarsch! Leicht verwirrt hebe ich den Kopf, es muss ein Irrtum vorliegen, ich will hier bleiben, ich hatte das doch ziemlich deutlich ausgedrueckt vor Trekbeginn...
„Ich habe aber meinen Schlafsack vergessen!“ „Ich auch!“ Immer noch glaube ich an einen Scherz. Beide? Nach einer Weile ist klar, dass wir weiter muessen. Erst ist ein Pass zu ueberwinden, auf den steinigen Haengen wachsen allerlei Blumen, die viel mehr an die heimatlichen Alpen erinnern als die meist nicht vorhandenen Wege. Ueber zwischen den Steinen versteckte Kuckucksblumen, Primeln, Erika, Dotterblumen, und Vergissmeinnicht stolpern wir hoch zum Pass auf 4220m. Der Blick ins Tal ist atemberaubend – der Weg hinunter noch viel mehr. Weg ist nun wirklich uebertrieben, es gibt KEINEN Weg. Senkrecht geht es vor meinen Augen nach unten, nur lose Steinplatten und Geroell zieren das steile Seitental, durch das mich meine sogenannten Guides schleppen wollen. Zum ersten Mal stehe ich vor einem Abstieg, der mir unmoeglich erscheint.. Nur der Gedanke an den See, der sich nicht in Blut verwandelt hat, gibt mir Hoffnung, den Abstieg zu ueberleben. An mein Knie will ich noch gar nicht denken, das meldet sich von selbst – sehr bald! Jeder Tritt loest nur eine Steinlawine aus, an ein Vorwaertskommen ist nicht zu denken. Halt finden wird zur Qual, 2 Stunden brauchen wir – oder besser gesagt ich mit meinem kaputten Knie – fuer die ersten 100 Hoehenmeter. Ich verlagere meine Gehversuche an die Felswand, wo wenigstens meine Finger in ein paar kleinen Ritzen Halt finden, meine Fuesse sind hier unbrauchbar. Dass wir erst um 3 Uhr nachmittags beim See aufgebrochen sind, macht die Mission nicht einfacher. Querfelsein geht es dann ueber ein paar Grate, mit „Wegen“ am Steilhang, die gerade Platz fuer 2 mickrige Zehen lassen und selbst fuer diese nur truegerischen Halt bieten. Jeder Schritt erfordert eindringliche Pruefung der Trittstelle. Die Burschen laufen vor – ihre Knie schmerzen nicht. Ich wuerde auch lieber im Eilschritt ueber die unsicheren Stellen hasten, um nicht zu viel Zeit dort zu verbringen, aber leider funktioniert das nicht. Also weiter langsam und stetig, das Gelenk kracht manchmal sehr bedenklich, besonders bei den tiefen Steinsteigen. Ein Stich faerht durch mein Bein – nicht der erste - und mahnt mich wieder zu mehr Umsicht. Es raecht sich, den Blick schweifen zu lassen, die Landschaft, die direkt unter mir und weit vor mir liegt zu bewundern. Um uns herum waechst Wacholder, der zum Raeuchern bei Reinigungszeremonien und gegen Krankheiten verwendet wird, dann klettern wir wieder direkt hinunter, oft sind steilste Passagen zu ueberwinden. Steilst ist noch milde, aber mir fehlen die Steigerungsstufen um das Gelaende richtig zu beschreiben. Ich zweifle am Wissen meiner Begleiter um den richtigen Weg und bin nahe daran den Tag zu verwuenschen, an dem mir die verrueckte Idee eingefallen ist, hier herum zu klettern. Irgendwo muss es einen halbwegs gehbaren Pfad geben, allerdings nicht unter meinen Fuessen. Weiter unten stehen Zedern, von denen das Holz zum Hausbau geschlaegert wird und Tannen mit langen weichen Nadeln die als Schlafunterlage dienen. Unter uns tauchen die Almhuetten von Anishgom auf, die Daemmerung bricht herein. Wir glauben an ein Ende unserer Tagesetappe, ich beisse noch mal die Zehne fuer den letzten Extremabstieg zusammen, wie durch ein Wunder taucht sogar soetwas wie ein Weg auf, der angeblich fuer Touristen gemacht wurde, jedoch nie fertig gestellt. An den schwierigen Stellen verschwindet er allerdings wiederholt und taucht irgedwo anders wieder auf. Anders als in den Schweizer Alpen, wo die Wege im Vergleich zu diesen hier Autobahnen gleichen, fallen selbst die extra angelegten Pfade steil in die Tiefe – gut so, sonst wuerde ich fast vergessen, dass ich in Pakistan bin. Die Vorfreude war grundlos, die Almen sind verlassen. Also weiter. Nun fuehrt der Weg zum Fluss, den wir queren, dann wieder am Fels entlang zur nachesten Alm auf 3000m. In Dunkelheit erreichen wir eine Huette, die von Vater und Sohn bewirtschaftet wird. Freundlich werden wir aufgenommen, unangekuendigt, weit nach Sonnenuntergang. Wie ueberall in den Bergen herrscht Solidaritaet unter allen, die es aus welchen Gruenden auch immer hierher verschlaegt. Die Burschen sind gleucklich, hier werden sie Decken finden. Wir werden wieder mit frischen Kaese verkoestigt und teilen unser mitgebrachtes kaltes Fleisch. Der Sohn bereitet Chapati, teilt seine Zigarette mit dem Vater, dem der Stolz auf seinen einzigen maennlichen Nachkommen, der so talentiert in seine Fussstapfen tritt ins Gesicht geschrieben steht. Ich bin ziemlich erschoepft und schlafe bald auf den weichen Zweigen ein. Die Sonne weckt uns wieder um 5 Uhr. Sohnemann begleitet uns noch eine Weile, zeigt uns den Weg – was meine Zweifel an meinen Begleitern nicht grade verringert. Am rechten Almrand steigt der Weg durch Waelder, faellt wieder steil ab und fuehrt, nach dem wir 500 absolute Hoehenmeter bewaeltigt haben ueber kleine Gebirgsbaeche zum „roten Wasser“ von dem mir schon viel erzaehlt wurde. Ein vielbesuchte Eisen-Soda Quelle sprudelt hier aus der Tiefe hervor und faerbt die Steine rot. Der Geschmack ist nicht gerade umwerfend, so trinke ich nur wenig Schlucke. Die Jungs lassen sich die Baeuche voll laufen, waehrend dessen plantsche ich ein wenig im glasklaren Bach neben an. Der Vormittag ist noch nicht zu Ende, die Hitze noch ertraeglich, wir machen uns also auf nach Achorga, eine angeblich wunderschoene Streusiedlung, von der viele Kalash schwaremen. Jetzt fuehrt der Weg nach vielem auf und ab, nicht ohne weitere schmerzhafte Pruefungen fuer meine Knie, hoch zum Wasserkanal, wo wir erstmals wieder eine Weile gerade dahin laufen koennen.
Immer wieder tun sich zwischen den Baeumen Blicke zu Wasserfaellen und nach Achorga auf, saftige Wiesen und gelbe Felder sind zu sehen, ein paar Haeuser – die perfekte Idylle. Gerade als ich mich daran gewoehne, waehrend dem Gehen die Landschaft bewundern zu koennen, springen die Jungs vor mir rechts den Hang hinunter. Wie immer genau zur richtigen Zeit, als meine Knie voellig versagen, stehen wir vor dem Haus, in dem wir naechtigen werden. Der Onkel unseres Traegers wohnt hier, er ist einer der wenigen, die auch im Winter hier bei den Ziegen bleiben. Nun sind die Tiere auf den Almen, ein Sohn huetet sie. Papa bestellt in der Zwischenzeit die Felder, richtet saemtliche Winterschaeden und hat fuer jede auftauchde Seele ein paar deftige Scherze auf Lager. Seine Frau ist ebenfalls hier, sie hat ihre fruchtbare Zeit hinter sich und darf nun als Belohnung sozusagen hier schuften. Es gibt weder Frauenhaus noch Friedhof, somit finden sich nur sehr junge oder sehr alte weibliche Wesen in den Feldern. Wir werden aufs Dach gebeten, wo eine Art Unterstand gezimmert wurde. Die aufgestellten Betten versprechen eine kuehle Nacht mit freier Sicht auf den Sternenhimmel. Am anderen Ende des Daches fuehrt eine grobe Baumstammleiter hinunter, ein kleiner Bach bietet die beste Gelegenheit zum Waschen meiner verschwitzten Kleider. Ich mache mich gleich an die Arbeit. Rund um mich waechst saftigstes Gras, Kuh und Ziege, die fuer den taeglichen Milchbedarf sorgen, lassen es sich schmecken und sehen mir aus grossen, sanften Augen zu. Sie schlummern gerade friedlich unter den Schatten spendenden Feigen- und Walnussbaeumen. Als meine Waesche eingeseift ist und ich mich zum Spuelen anschicke, verwandelt sich das klare Wasser in eine braune Bruehe. Es dauert nicht lange, da biegt eine Schaufel mit Schlammresten um die Ecke, am Stiel die Hand des Uebeltaeters, der mir ein faltiges, zahnloses Laecheln schenkt. „Oh, Baba, ich habe den Bach verbreitert. In 1-2 Stunden ist das Wasser wieder sauber – ist doch toll, nicht?“ „Aber natuerlich!“, wer kann bei so einem Gesicht schon boese sein. Ich lasse Waesche Waesche sein und seh mich ein wenig im Garten um, der sich neben dem Haus befindet. Auf 2300m wachsen Marillen – Aprikosen fuer alle Nichtoesterreicher – Aepfel, Feigen, Maulbeeren, Nuesse, Birnen und Weintrauben in rauhen Mengen. Vor dem Haus breiten sich Weizenfelder wie goldene Teppiche aus, daneben wird Mais angepflanzt. Die Hausfrau bittet mich unten ins Haus, wir trinken Tee und plaudern ein wenig ueber das Leben hier. Sie hat Kopfweh, kann dem wundervollen Tag ueberhaupt nichts abgewinnen. Eine Tablette wirkt Wunder, die harten Gesichtszuege machen einem zufriedenen Laecheln Platz. Medizin gibt es hier nicht. Zwar liegt diese Oase nicht ganz abgeschieden, doch muesste man erst 2 Stunden zur Rukmustrasse gehen, dann mit viel Glueck ein Auto finden, 2h in die Stadt fahren, 2h zureuck und wieder 2h zu Fuss nach Hause. Der Grossteil tut sich diesen Zeitaufwand nur im Notfall an, zu viel Arbeit gibt es hier, die taeglich erledigt werden muss. Tiere versorgen, Feld bewaessern, etc.
Die Tante laesst mich koestliche Buttermilch kosten, die nach Alm, Sommer und Ziege schmeckt, die leichte Saeure erfrischt herrlich. Nach einer Weile ist wirklich das Wasser hinterm Haus nicht mehr ganz so schlammig, ich spuele meine Kleider und haenge sie zum Trocknen ueber die Buesche.
Abends kommen 2 Neffen des Hausherren, die seinen Wein austrinken, den er selbst schon als zu sauer beschreibt – untrinkbar waere angebracht, aber Geschmaecker sind verschieden, Toleranzgrenzen in Magengegend ebenfalls. Er schimpft ueber die faulen Nichtsnutze, die in Peshawar einem schoenen Leben froenen, an seinem Blick und dem verschmitzten Laecheln merkt man aber wohl, dass er sie eigentlich beglueckwuenscht zu ihrer Moeglichkeit, an einer guten Schule zu studieren und sich freut, dass sie ihn wenigstens in den Ferien besuchen. Der Platz laedt zum Bleiben, doch mein Onkel-Guide muss zurueck, Arbeit wartet. So marschieren wir fruehmorgens los, in Richtung Strasse, um direkt nach Chitral zu fahren. Den letzten Pass nach Mumuret lasse ich meinen laedierten Knien zuliebe sausen. Obwohl der Weg zur Strasse oft begangen wird, Lasten hereingetragen werden entspricht sein Zustand nicht unbedingt einem richtigen Weg. Wieder am Felsen entlang hanteln, Queren des reissenden Flusses ohne Bruecke. Aber nach 2,5h sind wir dort und zum Glueck faehrt gerade ein Auto nach Chitral. Die Fahrt aus dem Tal ist holprig. Am Wegrand wenden die am Feld arbeitenden Muslimfrauen das Gesicht ab, um von den Maennern am Jeep nicht gesehen zu werden. Kinder treiben Kuehe und Ziegen vor sich her, Maenner schleppen Holz und Reissaecke nach Hause, andere sitzen Haendchenhalted am Strassenrand und starren in die Ferne, traeumen von der grossen Welt oder, wie ich gehoert habe, beobachten den Vater ihrer Geliebten, wohin er geht, wann er heimkommt und ob sich vielleicht ein kurzer unbeobachteter Moment auftut, in dem die Herzensdame ungestoert angesehen werden kann.
Bei einer Saegemuehle halten wir, die Holzladung, auf der wir es uns mehr oder weniger gemuetlich gemacht hatten wird abgeladen. Ein Bursche verletzt sich an der Hand und kommt mir stark blutend entgegen. Viel kann ich nicht tun. Reinigen, Wunddesinfektion, eine tempoeraere Bandage und den Rat, mit uns zu kommen und die klaffende Wunde sofort naehen zu lassen kann ich ihm geben. Er hat Angst vor dem Arzt, ich kann nur hoffen, dass er ihn trotzdem aufsucht.
Nach 2 gemuetlichen, aber heissen Tagen zu Hause, kommt wieder ein Polizist mit einem Zettel wedelnd auf mich zu: „Auf nach Chitral!“ Was denn nun schon wieder sei? Er wisse es nicht, aber der DPO (district Police Officer) hat eben diesen Zettel geschrieben, sogar ein Stempel befindet sich darauf – welch ein Fortschritt. Ein Frau hat mich am Vortag aufgesucht – sie fing mich beim Baden im kleinen aufgestauten See nahe ihrem Haus ab, wo ich versuchte, der extremen Hitze nach 2 regenlosen Monaten zu entkommen. Ihr Gesicht sieht aus wie eine Kraterlandschaft, viele Arztbesuche haetten nichts geholfen, ob ich sie nicht mitnehmen koenne und mit dem Doktor reden. Ihr letzter Zahn im Oberkiefer schmerzt ebenfalls, in einem Aufwischen koennten wir den auch gleich ziehen meint sie. Ich informiere sie ueber die Gelegenheit am naechsten Tag, ueberlege mir, was ich sonst noch so alles aus der Stadt brauche und wir brechen am Morgen auf.
Im DPO Buero erwartet mich eine Ueberraschung. Es gaebe eine Beschwerde ueber mich, empfaengt mich der Oberguru nach 1 Stunde warten. Ich waere 2 Tage im Dschungel rum gelaufen. Dschungel? Er meint wohl den Trek. Dies sei fuer Touristen zur Zeit gesperrt, weil es sehr nahe zur Afghanischen Grenze liege und auf der anderen Seite eben dieser gerade eine Militaeraktion der Amerikanischen Armee liefe. Nach dem ich so unkooperativ sei und trotz Verbot in die Sperrzone gelaufen bin, muesse er nach Islamabad schreiben und mein Visa beenden. Ich glaube im falschen Film zu sein. Ich erklaere dass ich eine Woche zuvor extra bekannt gegeben haette, wohin ich gehen werde ohne irgendeine negative Reaktion zu erhalten, nun aber ausreisen soll. Er behauptet, ich waere nie dagewesen, selbst als der jenige, der den Brief damals geschrieben hat auftaucht und meine Version bestaetigt. Weiters beschwert sich Herr DPO, dass ich keinen Securityguard hatte – auch dieses Thema wurde von mir beim letzten Besuch abgeklaert, was er wiederum als Luege abtut. Ich bin schon ziemlich genervt von diesem Kerl, als er noch behauptet, ich kaeme nicht wenn er mich her beordern wuerde. Leicht gereizt frage ich ihn, mit wem er denn dann reden wuerde, wenn ich nicht hier waere, doch seinen haltlosen, immer wieder heruntergespulten Argumenten ist nicht mit Logik beizukommen. Er wirft mir noch vor, nur Projekte fuer die Kalashgemeinschaft zu organisieren, worauf ich ihn einlade, die Schule doch zu besuchen, die er als reine Kalash Schule bezeichnet – es ist eine Regierungsschule, die von mindestens 50% Moslems besucht wird.
Wir einigen uns schliesslich, dass ich meinen Kalash Vater bringe und dieser eine Erklaerung unterschreibt, dass er verantwortlich fuer mich sei. Er ist zufrieden – dafuer kein Wachmann, nur wenn ich die Taeler verlasse. Ich glaube mich mit einem blauen Auge davon gekommen, der Grieche in Mumuret hat 3 Schatten.
Ich bringe also meinen Vater, die Geschichte wird in einem anderen Buero, beim SP (Superintendent Police) abgewickelt, er ist wesentlich netter, gratuliert zur Schule und wuenscht mir einen netten Aufenthalt, entschuldigt sich fuer die komplizierten Prozedere hier und versichert mir, dass es nur um meine persoenliche Sicherheit geht, da ich ja als Frau allein hier bin.
2 Tage spaeter erscheint ein Mann auf unserer Veranda, zivil, keiner weiss woher. Mein Kalash Vater kennt ihn schliesslich, er wird mein Schatten sein – auch wenn ich nirgends anders hingehe. Die Militaeraktion in Afghanistan sei zu gefaehrlich. Ich frage nicht nach den anderen Touristen, die alle ohne Security rumlaufen.
In meinem Gehirn blockiert jedesmal etwas, wenn ich den Burschen sehe, obwohl er mir ein sehr angenehmes Leben laesst. Er verschwindet tagsueber im Tal zu Freunden – ein grosser Vorteil, dass er hier welche hat, die letzten Wachnasen sorgten fuer mehr Verwirrung und Aerger als suspekte Elemente von Aussen als sie hilfreich waren – kommt am Nachmittag mal vorbei, spielt Karten mit uns, versucht Kalash zu lernen, liest Buecher, singt und tanzt und traegt weder Uniform noch Gewehr. Ich habe nie irgendeine Art von Bestaetigung oder Ausweis gesehen, der ihn berechtigt, hier zu sein und Security zu spielen, ich glaube einfach meinem Kalash Vater.
Vor meiner Abreise zum Trek traf ich erstmals Miss Maureen, die hier schon seit 20 Jahren Projekte bringt und das Tal als ihr eigen bezeichnet. Die Unterhaltung beschraenkte sich auf 2 kuehle Saetze, ich habe aber schon oefters gehoert, dass sie sich ueber mich beschwert hat. Nicht nur ueber mich, ueber alle, die hier ins Tal kommen und etwas fuer Bildung tun. Sie haelt Bildung fuer den Tod der Kultur, was ich in gewisser Weise sogar verstehe. Ich habe schon einige abgelegene Winkel hier in Asien gesehen, wo die Jugend abwandert, auf der Suche nach einem gute Job in der Stadt und den heimatlichen Bauerhof Bauernhof sein laesst. Hier ist es aber anders wie ich gesehen habe. Nur eine Handvoll Kalash ist im Ausland, 2 dort verheiratet, der Rest, ob in Stadten zur Ausbildung oder zur Arbeit kommt immer zurueck. Ein weiteres wichtiges Argument ist, dass keiner nach einer hoeheren Ausbildung je konvertiert ist. Mit Bildung steigt auch das Wissen um die Wichtigkeit der eigenen Kultur. Fuer ungebildete aeltere verwitwete Kalash Maenner reicht manchmal schon das Versprechen, im Islamischen Paradies wuerden Dutzende huebsche Jungfrauen auf sie warten um sie zum Konvertieren zu ueberreden.
Ihre Projekte breiten sich ueber die Bereiche Gesundheit, medizinische Versorgung, Wasserleitung – alles sehr sinnvolle Dinge, leider hat sich ihr Verhaeltnis zu den Talbewohnern ueber die Jahre durch ihre egozentrischen Ansprueche sehr getruebt. Sie ist 63, allein, hat weder Mann noch Kinder und sucht nach Bestaetigung und Anerkennung, die nun immer schwieriger zu finden sind fuer sie. Es hat sie verbittert. Sie tut mir Leid, will wohl nur das Beste und hat vielleicht einfach den falschen Weg gewaehlt, zumindest den falschen in der Sicht der Talbewohner, die wohl am meisten davon betroffen sind. Ihre letzte Aktion, ein Schild fuer Touristen aufzustellen, raubte den Birilas endgueltig die Geduld.
“Tourist: Don’t give money, toys and medicine and do not construct buildings. If you want to help contact the reputable local NGOs and the provincial government!”
Ansich kein schlechter Ansatz, unterzeichtet ist dieses Schild allerdings nur von ihrer eigenen NGO. Die Kalash Gemeinschaft, andere NGOs oder gar die erwaehnte Provinzregierung wussten nichts von der Aktion und sind in keinster Weise einverstanden.
Bei meiner Rueckkuft vom Trek – 6 Tage nach Aufstellen des Schildes, liegt es ziemlich verbeult und durchloechert unter der Bruecke, es gab ein Meeting – nun haben sich 10 Stellvertreter je einer aus jedem Dorf zusammengetan und bilden den Kalash/Biriu Rat, den sie fuer jedes Projekt konsultieren muss.
Sie zieht sich veraergert nach Peshawar zurueck, der Alltag in den Taelern, der im Sommer aus viel Arbeit besteht, geht weiter.
Oft kommen wieder Leute, die mich fuer den Dorfarzt halten, ich marschiere mit ihnen zum Dispensar, ein hart arbeitender, wohlwollender und kompetenter Mann, der oft als ungenuegend angesehen wird, weil es eben keine Medikamente gibt hier im Tal. Dafuer habe ich kuerzlich gehoert, dass sich die Kraemer in Mumuret als Aerzte aufspielen und nach ihrem eigenen Gutduenken einem 6 Monate altem Kind mit Fieber 13 verschiedene Medikamente verschrieben haben.
Eines Morgens taucht ein alter Mann auf mit faltigem Gesicht, Haare wachsen aus allen sichtbaren Koerperoeffnungen, ein paar Zahnstummeln wackeln lustig im herabhaengenden Mund herum, er erzaehlt in Nuschelkalash irgendetwas von einer Kuh, Baeumen am Berg, Unfall, Knieschmerzen und bittet um Medizin. Ich bin mir nicht ganz sicher was er will, und vorallem wo der Patient ist, meine Frage ob er im Haus ist wurde verneint. So bitte ich meinen Kalash Vater zu uebersetzen. Er hoert ruhig zu und laechelt dann. „Seine Kuh ist im Wald von den Felsen gefallen und hat sich am Bein verletzt. Kannst du helfen?“
Das wird ja immer besser. Meine Karriere vom Arzt zum Veterinaer haette rascher nicht sein koennen.
Wie jeden Tag ist es heiss, wir warten auf Regen, seit 2 Monaten. Ein paar Wolken ziehen von Afghanistan herueber („Kommen die aus deinem Land? Du hast doch gesagt es liegt in Richtung Afghanistan.“ Entfernungen und Richtungen zu erklaeren entpuppt sich als Mission Impossible, ich beliess es bei ‚Richtung Afghanistan’ fuer ‚Austria’ und ‚Richtung Indien’ fuer ‚Australia’ um endlich den Unterschied klar zu machen. Ich entschuldige mich bei allen Geographen, aber dies sind die einzigen bekannten Richtungen)
Doch immer ziehen sie rasch vorbei, lassen uns wieder in der Hitze schmoren. Im kleinen Stausee am Fluss kuehlen wir uns ab.
In der langen Trockenzeit wird der Weizen geerntet, fuer die Kinder ist es ein Grossereignis, als die Dreschmaschine ins Tal kommt und ein Feld nach dem anderen abfaehrt, um das Korn zu dreschen. Maenner tragen die getrockneten Garben herbei, und der Zauber beginnt. Die Kleinen sind die erste Generation, die diese Maschine von anfang an kennen.
Eines Tages faellt das Barometer rapide ab, dunkelschwarze Wolken ziehen sich langsam wie ein Vorhang ueber das ganze Tal, die Leute arbeiten unbeeindruckt auf den Felder weiter, bis die ersten schweren Tropfen fallen. Ploetzlich beginnen sie quiekend zu laufen, Kuehe, Esel und Ziegen im Eiltempo in den Stall jagend, die schon halb trockenen Maulbeeren und Aprokosen werden in den geflochtenen Koerben ins Haus getragen, Waesche reingeholt. Nach einer halben Stunde kommen immer noch voellig durchnaesste Leute, die auf entfernteren Feldern gearbeitet haben, ein Nachbar versucht vergeblich den voellig kaputten Regenschirm aufzuspannen und seinen letzten Esel heim zu holen – den lausigen Verlierer, der es wahrscheinlich geniesst irgendwo unter einem Baum zu stehen und gerade mal nicht gejagt zu werden.
Der Regen hoert nach 2 Stunden auf, ein paar Minuten spaeter ist das Tal in heller Aufregeung, Kinder und Maenner laufen zur Bruecke. „Die Flut kommt, schnell komm schauen!“ ich hetze also auch hinunter. Ein braune Schlammflut waelzt sich aus dem Tal heraus, ueberschwemmt alles. Wir stehen auf der Bruecke, manche laufen zum Fluss, um angeschwemmte Holzstuecke aus dem Wasser zu fischen. Ich starre in die braune Masse, die sich fast dickfluessig um die grossen Felsen im Bachbett draengt und aufschaeumt und denke an Schokoladenmousse. Der Schokoladegeist sucht mich immer noch manchmal heim. Ich ertappe mich in Gedanken versunken an einer imaginaeren Lindtschokokugel zu lecken, meine Zunge damit spielen zulassen und das noch viel unwirklichere weiche Nougat heraus zu saugen.
Die Aufraeumarbeiten beginnen unvermittelt, die in Sicherheit gebrachte aus 2 Staemmen und ein paar Brettern zusammengenagelte Zweitbruecke ein Stuck Tal aufwaerts wird wieder ueber den Fluss gelegt. Ein Bewaesserungskanal wird trocken gelegt und freigeschaufelt, die Kinder springen auf und ab in der Hoffnung, ein paar gestrandete Fische zu finden. Gluecklich kommen sie mit der Beute ins Haus, vier mickrige Fischchen tragen sie stolz in Haenden. „Baba, kannst du sie braten?“ Ich mache mich also dran, die Viecherl zuzubereiten, meine Familie ist ganz erstaunt, dass man Fische auch braten kann ohne sie voellig zu zerstoeren und die Graeten mit ein paar einfachen Schnitten fast zu Gaenze entfernen kann. „Du solltest oefter kochen!“ Das war auch die Reaktion, als ich Kartoffelschmarrn mit meinen letzten, von lieben Touristen gespendenten Speckstuecken zubereite. Moslems konnten die Leckerbissen leider nicht essen, dafuer die Kalash um so lieber. Weiteres Erstaunen loest meine spaerliche Verwendung von Ghee aus, dem lokalen Schmalz, in dem, ganz zum Verdruss meines Magens, ueblicherweise alles schwimmt.
Ich wundere mich oft, warum gerade Lebensmittel wie Fett, Zucker und Salz, die mit Geld bezahlt werden muessen, in so rauhen unnoetigen Mengen verwendet werden.
Nach dem Regen faengt eine kleine getiegerte Katze meinen Blick, die ihre neue Welt vorsichtig aber neugierig entdeckt, die hohen Baumstammtreppen ungeschickt hinunter springt, mit dem kleinen Schwanz das Gleichgewicht suchend, an der Wasserstelle schnueffelt, im letzen Moment einem Esel ausweicht, der im Freiheitsdrang von weiter oben herunter stuermt, den Kopf schief legt als ein Kleikind ohne Hosen im Dreck auf sie zukrabbelt und spielerisch die Haendchen ausstreckt. Was fuer eine Wunderwelt.
Am Abend kommt Serena vorbei, wie immer, setzt sich zu mir auf die Verandabruestung und erzaehlt von ihrer Welt. Sie ist grade mal 8 Jahre, spricht wie eine Erwachsene und scheint genau zu wissen, welche Worte ich verstehe. Vor kurzem ist der Vater von Sher Alam, meinem Lieblingslehrer gestorben. Es veranlasst sei mir von ihrem Bruder zu erzaehlen. „Als ich klein war, und meine Schwester auch, kam ein Bruederlein zu uns, aber es war nur kurz auf Besuch. Wir waren in Bumburet, viele Leute waren im Haus zum Gratulieren, der Kleine lag in den Armen meiner Tante. Er hat munter heurm gesehen, alle war ok, ploetzlich war er tot. Nach nur vielleicht 10 Tagen oder so. Die ganzen Leute waren dann alle sehr traurig, haben Mama getroestet, aber sie hat viel geweint. Papa hat gesagt, alles ist ok, er hat seine Eltern und Schwestern gesehen, seine Verwandten und ist dann wieder gegangen. Nun hab ich wieder einen Bruder. Er ist schon 3 Jahre alt, du kennst ihn. Am Anfang waren alle aufgeregt, sie haben geglaubt, er wird auch sterben, so haben sie ein Kitz geschlachtet fuer ihn, (nach alter KalashTradition, obwohl die Familie konvertiert ist) das hat ihn stark gemacht. Schau wie froehlich und stark er ist!“
Manchmal kommen ein paar Touristen vorbei fuer einen oder 2 Tage – zur Zeit ausschliesslich Franzosen – ich schlafe dann im Haus bei meiner Kalash Familie und versuche, mein Flohpulver nicht im Gaestezimmer zu vergessen. Um halb 5 Uhr wacht die Familie spaetestens auf, meine Kalash Mama macht Brot, Grossmutter holt Futter fuer die Ziege vom Feld, dann erwachen die naechsten, Papa und meine Kalash Geschwister. Ich bin nun auch immer frueh auf den Beinen, allerding ist 6 Uhr fuer mich frueh genug.
Der Tag beginnt angenehm kuehl, um 10 Uhr ist meist schon zu heiss um irgendwo hinzugehen. Ich muss mir dann immer in Erinnerung rufen, dass es in Lahore viel heisser ist.
Kuehl war es allerdings, als wir in Chitral zum Sommerpalast hochgefahren sind, der auf knappen 3000m liegt. Gael, ein Schweizer, der schon im Winter hier war und Santa Claus gespielt hatte, dreht einen Film ueber Chitral und es wurde ein traditionelle Musikabend arrangiert. In den letzten wunderschoenen Sonnenstrahlen, die die Berge wie Gold glaenzen liessen kamen wir mit Imtiaz wie immer viel zu spaet an, aber das Setting war perfekt. Die Musiker, eine Komoediantengruppe, wie sich spaeter herausstellte, drappierten sich vor der hinreissenden Kulisse der Schnee bedeckten Pamirs, des Hindukusch und Raj Gebirges im Hintergrund, ein paar Karakoramspitzen lugten hervor, der verfallene Sommerpalast des alten Mehtars lag in Lehmziegelruinen ein Stueck weiter unten.
„Pst, bitte nicht drein reden, nur spielen.“ Ich versuchte, die umstehenden Koeche, Assistenten und Hausmeister ein wenig einzubremsen, Gael wollte wenigstens 2-3 Lieder ohne Gejohle, Gestampfe, Geklatsche, Pfeifen und Schreien aufnehmen. Ein fast unmoeglicher Prozess, zu sehr liegt ihnen alle die Musik im Blut. Wir verlegenen nach getaner Arbeit das Fest ins Haus, nun koennen sie sich austoben, wir tanzen ungestuem. Die Musiker streuten Spaesse zwischen die Lieder, die selbst Gael und mich zum ungehemmten Lachen brachten. Allein die Mimik und scheinbar unabgesprochene Zusammenarbeit waren koestlich. Ob es hier irgendwo ein Kabarrett gaebe? Nein. Die 3 koennten jedenfalls eines oeffnen.
Nun sind wir, Imtiaz und ich, am Weg zum Shandur Polofestival, eine Legende hier, mal sehen... Security habe ich keinen bekommen, zu beschaeftigt sind sie mit der Vorbereitung der Ankunft des Praesidenten General Pervez Muzharaff, der fuer ein paar Stunden wie jedes Jahr das Fest heimsucht und das Areal in eine Security Massenansammlug verwandelt. Sehr angenehm fuer mich.
0 Comments:
Post a Comment
<< Home