Alltag in den Kalash Taelern:
jan feb 06
Einige Kalash beschweren sich, dass es im Winter zu langweilig ist, aber die meisten wissen sich zu beschaeftigen. Holz wird gehackt wenn es gebraucht wird, nicht etwa im Voraus, neue Kleider werden angefangen, zum naechsten Fruehjarsfest sollen sie fertig sein – es ist also keine Eile angesagt, aber doch etwas zu tun (Yoshi steigt im Mai). Die meisten gehen „jekher“ – dorthin und dahin um diesen und jenen zu besuchen und die aktuellen Tagesthemen wiederholt durchzukauen. Es passiert nicht viel also dreht es sich meist um das Wetter, wieviel Schnee gefallen ist und ob die Jeeps fahren werden am naechsten Morgen. „Wann koennen wir endlich das heissgeliebte „Schneehockey“ anfangen? Der Schnee ist noch nicht ganz bereit!“ Schneehockey wird in 2 Mannschaften gespielt, Jede Mannschaft besteht aus gleichvielen Spielern, die in Abstaenden von ein paar hundert Metern im Tal rumstehen und darauf warten, dass ihnen der Vorige mit kraftvollem Schuss den kleinen mehr oder weniger runden Holzball zuspielt, um dann weit auszuholen und zum Naechsten zu schiessen. Der Schnee muss fest genug sein, um den Ball zu tragen, sonst versinkt er immer im Schnee, was Zeit kostet. Manch trickreicher Spieler hat einen zweiten Ball in der Tasche und spart sich so die Suchzeit – aber er muss geschickt sein, denn die Gegner wachen mit Adleraugen. Wer als erster seine Ball im Ziel hat (im naechsten Dorf oder am Ende des Tales) wird von den Verlierern verkoestigt.
Jeden Tag wird ungeduldig geprueft, ob der Schnee nicht endlich hart genug sei, aber noch ist es nicht so weit.
Also wird ein anderes Thema hervorgekramt und eine weitere Runde (sehr) reifer Kaese gegessen und dazu klebrig suesser Milchtee getrunken. Beim Tee machen wird nicht umgeruehrt, der Zucker Tassen weise reingeschuettet was drin resultiert, dass – haette man einen Loeffel – er in den letzten Tassen von selbst stehen wuerde. Die Zaehne leiden merklich darunter, aber das wird hier nicht unbedingt auf den Zucker oder Karis zurueck gefuehrt.
Anderes Alltagsessen ist eher rar, Bohnen gibts wie Kaese jeden Tag. Mein Bauch gleicht einem Gasluftballon und ich komme mir vor wie ein Maschinengewehr, aber da alle immer Bohnen essen stinken gleich und keiner schert sich drum.
Zur Zeit ist „Eid“, ein moslemisches Fest bei dems taeglich Fleisch gibt, von morgens um 8 bis abends um 11 Uhr. Natuerlich mit allem drum und dran – Sehnen, Knorperl, Fett, Adern und was halt sonst noch so im Fleich mitwaechst.
Abends spielen wir Karten bis zum Umfallen, manchmal bis 2 oder 3 Uhr frueh. Tikka, Dali und Taj sind die eifrigsten Spieler, aber es kommen auch andere vorbei. In Faizis Haus wird ferngesehen, die Kids starren wie gebannt in die sprichwoertliche Flimmerkiste – die DVD Qualitaet laesst zu wunschen uebrig und Fernsehsender koennen in den engen Taelern nicht empfangen werden. Ich hab oft versucht Faizi zuerklaeren, dass die Gewaltaetigen Bolliwoodfilme mit Vergewaltigungen, Mord und Totschlag nicht unbedingt hilfreich sind bei der Kindererziehung, aber er erliegt ihren Betteleien immer wieder. Im Gegensatz zu den Kindern freue ich mich ueber Stromausfaelle...
In Biriu, wo ich jetzt endlich angekommen bin nach ewigen Verschiebungen spielt tagaustagein irgendeiner Sitar, Trommel oder Floete – viel mehr als in Bumburet, wo es einen Tag dauert, bis Musikprogramm arrangiert werden kann. In Biriu passiert es einfach, egal wohin man geht. Das „Valley of Music“ (Tal der Musik).
Jamel oder Baras Khan sind immer dabei mit Liedern und Sitar. Abends wird auch hier gespielt, in groesserem Stil als in Bumburet, wo das hauptsaechlich in meinem Zimmer stattgefunden hat.
Hier hat es ein „Hotel“ mit vielem leeren Zimmern. In einem steht ein Ofen und ein großes Karambolbrett. Mulititalent Baras Khan ist der beste Spieler und schnippt die kleinen Scheiben mit eleganter Leichtigkeit und verschmitztem Grinser in die richtigen Ecken. Er trainiert taeglich. „Um 9 Uhr kann ich noch nicht schlafen, also komm ich jeden Abend hier her...!“
Auch ich tu mir ein wenig hart mit 9 Uhr Bettruhe. Elektrizitaet hats nicht viel hier, also ist arbeit im zimmer beschraenkt. Es steht auch kein Ofen in meinem Biriu Zimmer, somit gehe ich schlafen – oder besser: versuchte ich mit der Family schlafen zu gehen, was in stunden langem rumwaelzen geendet hat. Von Bumburet bin ich lange Abende gewoehnt. Darum war ich auch um so gluecklicher, als Baras und Shah mir erzaehlten, dass auch im Winter im Hotel gespielt wird. Die naechsten Abende sind wieder etwas laenger.
Rabijan steht um 5 Uhr morgens auf und macht Fruehstueck, zu einer Zeit wos noch voellig dunkel ist. Ich versteh nicht ganz, warum, aber naja. Mir waren und sind die Morgenstunden im warmen Bett immer heilig. Langsam aufwachen und dann mal langsam anziehen, langsam waschen und langsam Tee trinken. Rabijan weiss, dass ich Nussbrot liebe und bereitet jeden Tag eines fuer mich.
Sie ist happy, dass ich da bin. Amersten Tag stant sie am Dorfrand um mich als erste Willkommen zu heissen, ihr Gesicht voll Freude aber auch Vorwurf wegen meiner langen Abwesenheit. „Wo warst du? Ich hab jeden Tag auf dich gewartet! Du warst in Bumburet hab ich gehoert. Gefaellts dir dort besser?“ Natuerlich nicht, daheim fuehle ich mich hier in Biriu in ihrem Haus immer noch viel mehr, aber es ergab sich halt so... sindagi – so ist das Leben...
Fuer die Frauen gibt es immer noch wie im Sommer die Urduschule, ich gehe wieder mit Rabijan gemeinsam hin. Immer noch der selbe Spass. Abends hocken wir ueber den Buechern – natuerlich nicht ganz so ernst wie das bei uns zugehen wuerde, aber mit viel Spass. Gegenseitig erklaeren wir uns die Buchstaben – Urdu Schrift ist nicht so einfach. Jeder Buchstabe wird – je nach dem wo er steht: Anfang, Ende oder in der Mitte des Wortes – geaendert. Lesen geht schon ganz gut, das Schreiben neuer Worte ist immer noch ein Mysterium fuer mich. Am naechsten Nachmittag gehts wieder zur Schule, langsam trudeln due Schuelerinnen ein. Einige erst nach einer Stunde, aber sie werden anders wie bei uns (...) mit Freude vom Lehrer begruesst. „Hey Baba, schoen das du auch gekommen bist. Komm her und mach mit!“ Das Ende der Stunde wir von Gesang und Tanz beschlossen, ein gelungenes Projekt.
Rabijan ist immer zu Scherzen aufgelegt und leitet meist die Gesaenge und Taenze mit bewundernswert natuerlicher Authoritaet. Ihre 2 Kinder haben diesen natuerlichen Charme geerbt. Mit Masran koennte ich stundenlang spielen – was wir auch taeglich zelebrieren, Arif, der Sohn spielt lieber Karten, was uns auch einige Stunden zusammen verbringen laesst.
Hier blinzelt die Sonne schon ein wenig frueher hinter den Bergen vor. Um halb zehn scheint sie voll. Die Frauen sitzen in den warmen Strahlen und weben Guertel oder Hosenbaender, spinnen Wolle oder arbeiten schon am neuen Piran (Kleid) fuers Fruehjahrsfest.
Ich habe wieder angefangen, die in meiner „Jugend“ so beliebten Freundschaftsbaender zu knuepfen. Die Technik ist hier unbekannt, aber Wolle gibts genug. Die Frauen und Maedels bedraengen mich fuer jeden eines zu knuepfen und es ihnen moeglichst schnell zu lernen. Rabijan hat sich schon fuer ein besonders langes angemenldet, welches sie auf den Piran aufnaehen will. Selbstgemacht scheint doch besser als die glaenzenden von Shop. Sie will es lernen und den ersten Piran mit handgemachten Baendern versehen. Das wird viel Muehe kosten, da einige Meter verarbeitet werden sollen.
Manchmal versuche ich abends auch zu knuepfen, aber da das Feuer in meinem Zimmer mehr Rauch als Waerme entwickelt brennen nach 5 min die Augen. Jede Nacht muss ich mich – schon fest in den warmen Schlafsack gekuschelt - entscheiden, ob ich faul liegen bleibe und riskiere an einer Rauchgasvergiftung zu sterben oder meinem Leben zuliebe kurz raushusche und frische Luft samt Kaelte durch die Tuer lasse. Falls ihr also mal laengere Zeit nichts hoert bin ich friedlich entschlummert...
Die Kalash scheinen gegen Rauch voellig immun zu sein. In Zimmern, wo ich die Hand vor Augen nicht sehe und keine 5 min bleiben kann weil Lunge und Augen protestieren sitzen sie vergnuegt und tratschen stundenlang seelenruhig vor sich hin. „komm doch rein Baba, draussen ist es bitter kalt!“ Sie verstehen nicht dass ich manchmal Kaelte vorziehe.
Sie selbst sitzen eng um den gleuhend heissen Ofen, dem keine Minute Pause gegoennt wird. Traditionell steht ein aus ein paar Platten Quader foermig zusammen geschweisster Ofen in der Raummitte. Die Deckplatte ist leicht nach aussen gewoelbt, prakitisch fuer die duennen Brote, die direkt am Ofen gebacken werden.
Ein Loch mit Deckel befindet sich im letzten Drittel der oberen Platte, hier wird der wichtigste Kochtopf aufgestellt.
Gegenueber der Tuer sind grob gehauenen Holzplanken als Regal an der Wand befestigt. Toepfe, Tee, Becher, Koerbe und alle Kuechenutensilien sind hier chaosmaessig aufgestapelt.
In einer hinteren Raumecke steht eine Holzkiste als Lager fuer Essbares. Das groessere Lager befindet sich ausserhalb des Hauses. Ein paar Latten werden zu einem ca. 8m² goßen „Bast“ zusammen genagelt. Hier lagern Kosetlichkeiten wie getrocknete Trauben, halbverfaulte schlechtgetrocknete Tomaten, Kuerbisse, Reis, Bohnen, Joghurt und Butter.
Ins Haus werden nur temporaer Lebensmittel geholt.
An den Wanden des ca. 20 - 25m² grossen Raumes stehen die ueblichen Seilbetten, reichbestueckt mit Flohdecken. Fenster gibt es selten, oft eines in der Decke um ein wenig Licht reinzulassen. Zwischen den Holzpfeilern (siehe Skizze) sind Schnuere gespannt auf denen alles Moegliche eher achtlos „aufgehaengt“ wird. Naegel werden ueberall dort eingeschlagen, wo es noetig ist und gerade ein Haken gebraucht wird. Fuer den Boden verwenden die Kalash gestampfte Erde, manchmal in der Raummitte it Decken oder Matten ausgelegt, manchmal nicht. Staub ist ueberall, ich hab versucht ihn in einem Anfall europaeischer Reinlichkeit loszukriegen. Nach einer Stunde musste ich mich wegen Aussichtslosigkeit geschlagen geben. Es wird von Asche, Wasser, Schalfen, Spucke, Mist und sonstigen unbrauchbaren Dingen alles einfach auf den Boden geworfen –
Manchmal kommen Blut und Darminhalt geschlachteter Tiere dazu – alles kein Problem. Die Kinder machen vor die Haustuere – Mami kommt hinter drein, hebt den „Haufen“ mit ein bisschen Erde vom Boden auf und wirft ihn ueber die Verandabruestung – auf den Weg. Hygiene ... nein, darueber reden wir jetzt nicht. Eines der aussichtslosen Dingen hier.
In moslemischen Haeusern wird vor dem Essen Wasser zum Haende waschen gebracht, in den Kalash Haeusern wird diese „Pingeligkeit“ belaechelt. Einmal bitte ich um Wasser zum Waschen, weil meine Haende wirklich vor Dreck stehen und Mahlzeiten mit den Haenden gegessen werden. Rabijan sieht mir erstaunt ins Gesicht und fragt allen Ernstes, ob ich konvertieren will. Das sei ein laestiger Moslembrauch.
Ich erklaere ihr mit ebenso grossem Ernst, dass fuer mich Hygiene vor Religion kommt und mein europaeischer Magen traditioneller Weise nicht ganz so viel Staub und Dreck vertraegt, weil ich als Kind nicht „abgehaertet“ sondern unnoetiger Weise eher sauber gehalten wurde, sie grinst und reicht mir die Wasserkanne. „Da, wir wollen ja nicht, dass du krank wirst..!“
Geschneuzt wird in die Finger und dann an den naechstbesten Holzbalken, den Sessel oder in den Schal geschmiert. Mhm!
Die Naechte werden wieder lang in Biriu, manchmal laenger als die Tage, taeglich spielen Jameel, Baras Khan und Co mit Sitar, Floete und Trommel, begleitet von Gesang und Gejohle der Zuhoerer die die Taenzer anfeuern. Es gibt immer einen Grund und wenn nicht wird einer erfunden.
Ich liebe es in Mitten der begeisterten Musikanten zu sitzen, den Takt zu klatschen, zu tanzen oder einfach nur zuzusehen, wie sich die Birila vom Sound of Music mitreissen lassen. Das Erlebnis ist unbeschreiblich. In einem Zimmer sind 43 Leute und immer noch bleibt Platz zum Tanzen und Spielen. Vor der Tuer stehen nochmal 20 Leute. Irgendwann bringt jemand Essen von irgendwo, manchmal kommt jemand kurz vorbei und wirft Suessigkeiten oder Nuesse in die Menge – die Kinder, die hauptsachlich zusehen werden wach und stuerzen sich wie ein Tornado auf die kleinen Leckereien.
Die Taenzer schreiten mal wie stolze Gockel im Takt, mal wirbeln sie wie wild im Kreis, feuern sich gegenseitig an (meist tanzen nur 1-2 Leute gleichzeitig), dann wieder springen sie wie junge Zicklein zur Musik. Der Raum ist heiss ohne Feuer, immer wieder wird die Tuer aufgerissen um ein bisschen frische Luft reinzulassen
Endlich habe ich auch die Schule gesehen. Sie ist wunderschoen. Die Lehrer bestaetigen mir, dass sie mit der offziellen Einweihungsfeier auf mich gewartet haben. Ich werde also versuchen bis Maerz hierzubleiben. Mal sehen was das Leben so bringt.
Rundherum und innen ist sie mit hellem Holz versehen, heimelig sieht ea aus, obwohl jetzt im Winter (3 Monate frei) Ziegenfutter drin lagert. Stolz empfangen mich die Doerfler und tun so als ob sie nie etwas anderes gewollt und taeglich alle mit Freuden gearbeitet haetten – fein.
Einige Kalash beschweren sich, dass es im Winter zu langweilig ist, aber die meisten wissen sich zu beschaeftigen. Holz wird gehackt wenn es gebraucht wird, nicht etwa im Voraus, neue Kleider werden angefangen, zum naechsten Fruehjarsfest sollen sie fertig sein – es ist also keine Eile angesagt, aber doch etwas zu tun (Yoshi steigt im Mai). Die meisten gehen „jekher“ – dorthin und dahin um diesen und jenen zu besuchen und die aktuellen Tagesthemen wiederholt durchzukauen. Es passiert nicht viel also dreht es sich meist um das Wetter, wieviel Schnee gefallen ist und ob die Jeeps fahren werden am naechsten Morgen. „Wann koennen wir endlich das heissgeliebte „Schneehockey“ anfangen? Der Schnee ist noch nicht ganz bereit!“ Schneehockey wird in 2 Mannschaften gespielt, Jede Mannschaft besteht aus gleichvielen Spielern, die in Abstaenden von ein paar hundert Metern im Tal rumstehen und darauf warten, dass ihnen der Vorige mit kraftvollem Schuss den kleinen mehr oder weniger runden Holzball zuspielt, um dann weit auszuholen und zum Naechsten zu schiessen. Der Schnee muss fest genug sein, um den Ball zu tragen, sonst versinkt er immer im Schnee, was Zeit kostet. Manch trickreicher Spieler hat einen zweiten Ball in der Tasche und spart sich so die Suchzeit – aber er muss geschickt sein, denn die Gegner wachen mit Adleraugen. Wer als erster seine Ball im Ziel hat (im naechsten Dorf oder am Ende des Tales) wird von den Verlierern verkoestigt.
Jeden Tag wird ungeduldig geprueft, ob der Schnee nicht endlich hart genug sei, aber noch ist es nicht so weit.
Also wird ein anderes Thema hervorgekramt und eine weitere Runde (sehr) reifer Kaese gegessen und dazu klebrig suesser Milchtee getrunken. Beim Tee machen wird nicht umgeruehrt, der Zucker Tassen weise reingeschuettet was drin resultiert, dass – haette man einen Loeffel – er in den letzten Tassen von selbst stehen wuerde. Die Zaehne leiden merklich darunter, aber das wird hier nicht unbedingt auf den Zucker oder Karis zurueck gefuehrt.
Anderes Alltagsessen ist eher rar, Bohnen gibts wie Kaese jeden Tag. Mein Bauch gleicht einem Gasluftballon und ich komme mir vor wie ein Maschinengewehr, aber da alle immer Bohnen essen stinken gleich und keiner schert sich drum.
Zur Zeit ist „Eid“, ein moslemisches Fest bei dems taeglich Fleisch gibt, von morgens um 8 bis abends um 11 Uhr. Natuerlich mit allem drum und dran – Sehnen, Knorperl, Fett, Adern und was halt sonst noch so im Fleich mitwaechst.
Abends spielen wir Karten bis zum Umfallen, manchmal bis 2 oder 3 Uhr frueh. Tikka, Dali und Taj sind die eifrigsten Spieler, aber es kommen auch andere vorbei. In Faizis Haus wird ferngesehen, die Kids starren wie gebannt in die sprichwoertliche Flimmerkiste – die DVD Qualitaet laesst zu wunschen uebrig und Fernsehsender koennen in den engen Taelern nicht empfangen werden. Ich hab oft versucht Faizi zuerklaeren, dass die Gewaltaetigen Bolliwoodfilme mit Vergewaltigungen, Mord und Totschlag nicht unbedingt hilfreich sind bei der Kindererziehung, aber er erliegt ihren Betteleien immer wieder. Im Gegensatz zu den Kindern freue ich mich ueber Stromausfaelle...
In Biriu, wo ich jetzt endlich angekommen bin nach ewigen Verschiebungen spielt tagaustagein irgendeiner Sitar, Trommel oder Floete – viel mehr als in Bumburet, wo es einen Tag dauert, bis Musikprogramm arrangiert werden kann. In Biriu passiert es einfach, egal wohin man geht. Das „Valley of Music“ (Tal der Musik).
Jamel oder Baras Khan sind immer dabei mit Liedern und Sitar. Abends wird auch hier gespielt, in groesserem Stil als in Bumburet, wo das hauptsaechlich in meinem Zimmer stattgefunden hat.
Hier hat es ein „Hotel“ mit vielem leeren Zimmern. In einem steht ein Ofen und ein großes Karambolbrett. Mulititalent Baras Khan ist der beste Spieler und schnippt die kleinen Scheiben mit eleganter Leichtigkeit und verschmitztem Grinser in die richtigen Ecken. Er trainiert taeglich. „Um 9 Uhr kann ich noch nicht schlafen, also komm ich jeden Abend hier her...!“
Auch ich tu mir ein wenig hart mit 9 Uhr Bettruhe. Elektrizitaet hats nicht viel hier, also ist arbeit im zimmer beschraenkt. Es steht auch kein Ofen in meinem Biriu Zimmer, somit gehe ich schlafen – oder besser: versuchte ich mit der Family schlafen zu gehen, was in stunden langem rumwaelzen geendet hat. Von Bumburet bin ich lange Abende gewoehnt. Darum war ich auch um so gluecklicher, als Baras und Shah mir erzaehlten, dass auch im Winter im Hotel gespielt wird. Die naechsten Abende sind wieder etwas laenger.
Rabijan steht um 5 Uhr morgens auf und macht Fruehstueck, zu einer Zeit wos noch voellig dunkel ist. Ich versteh nicht ganz, warum, aber naja. Mir waren und sind die Morgenstunden im warmen Bett immer heilig. Langsam aufwachen und dann mal langsam anziehen, langsam waschen und langsam Tee trinken. Rabijan weiss, dass ich Nussbrot liebe und bereitet jeden Tag eines fuer mich.
Sie ist happy, dass ich da bin. Amersten Tag stant sie am Dorfrand um mich als erste Willkommen zu heissen, ihr Gesicht voll Freude aber auch Vorwurf wegen meiner langen Abwesenheit. „Wo warst du? Ich hab jeden Tag auf dich gewartet! Du warst in Bumburet hab ich gehoert. Gefaellts dir dort besser?“ Natuerlich nicht, daheim fuehle ich mich hier in Biriu in ihrem Haus immer noch viel mehr, aber es ergab sich halt so... sindagi – so ist das Leben...
Fuer die Frauen gibt es immer noch wie im Sommer die Urduschule, ich gehe wieder mit Rabijan gemeinsam hin. Immer noch der selbe Spass. Abends hocken wir ueber den Buechern – natuerlich nicht ganz so ernst wie das bei uns zugehen wuerde, aber mit viel Spass. Gegenseitig erklaeren wir uns die Buchstaben – Urdu Schrift ist nicht so einfach. Jeder Buchstabe wird – je nach dem wo er steht: Anfang, Ende oder in der Mitte des Wortes – geaendert. Lesen geht schon ganz gut, das Schreiben neuer Worte ist immer noch ein Mysterium fuer mich. Am naechsten Nachmittag gehts wieder zur Schule, langsam trudeln due Schuelerinnen ein. Einige erst nach einer Stunde, aber sie werden anders wie bei uns (...) mit Freude vom Lehrer begruesst. „Hey Baba, schoen das du auch gekommen bist. Komm her und mach mit!“ Das Ende der Stunde wir von Gesang und Tanz beschlossen, ein gelungenes Projekt.
Rabijan ist immer zu Scherzen aufgelegt und leitet meist die Gesaenge und Taenze mit bewundernswert natuerlicher Authoritaet. Ihre 2 Kinder haben diesen natuerlichen Charme geerbt. Mit Masran koennte ich stundenlang spielen – was wir auch taeglich zelebrieren, Arif, der Sohn spielt lieber Karten, was uns auch einige Stunden zusammen verbringen laesst.
Hier blinzelt die Sonne schon ein wenig frueher hinter den Bergen vor. Um halb zehn scheint sie voll. Die Frauen sitzen in den warmen Strahlen und weben Guertel oder Hosenbaender, spinnen Wolle oder arbeiten schon am neuen Piran (Kleid) fuers Fruehjahrsfest.
Ich habe wieder angefangen, die in meiner „Jugend“ so beliebten Freundschaftsbaender zu knuepfen. Die Technik ist hier unbekannt, aber Wolle gibts genug. Die Frauen und Maedels bedraengen mich fuer jeden eines zu knuepfen und es ihnen moeglichst schnell zu lernen. Rabijan hat sich schon fuer ein besonders langes angemenldet, welches sie auf den Piran aufnaehen will. Selbstgemacht scheint doch besser als die glaenzenden von Shop. Sie will es lernen und den ersten Piran mit handgemachten Baendern versehen. Das wird viel Muehe kosten, da einige Meter verarbeitet werden sollen.
Manchmal versuche ich abends auch zu knuepfen, aber da das Feuer in meinem Zimmer mehr Rauch als Waerme entwickelt brennen nach 5 min die Augen. Jede Nacht muss ich mich – schon fest in den warmen Schlafsack gekuschelt - entscheiden, ob ich faul liegen bleibe und riskiere an einer Rauchgasvergiftung zu sterben oder meinem Leben zuliebe kurz raushusche und frische Luft samt Kaelte durch die Tuer lasse. Falls ihr also mal laengere Zeit nichts hoert bin ich friedlich entschlummert...
Die Kalash scheinen gegen Rauch voellig immun zu sein. In Zimmern, wo ich die Hand vor Augen nicht sehe und keine 5 min bleiben kann weil Lunge und Augen protestieren sitzen sie vergnuegt und tratschen stundenlang seelenruhig vor sich hin. „komm doch rein Baba, draussen ist es bitter kalt!“ Sie verstehen nicht dass ich manchmal Kaelte vorziehe.
Sie selbst sitzen eng um den gleuhend heissen Ofen, dem keine Minute Pause gegoennt wird. Traditionell steht ein aus ein paar Platten Quader foermig zusammen geschweisster Ofen in der Raummitte. Die Deckplatte ist leicht nach aussen gewoelbt, prakitisch fuer die duennen Brote, die direkt am Ofen gebacken werden.
Ein Loch mit Deckel befindet sich im letzten Drittel der oberen Platte, hier wird der wichtigste Kochtopf aufgestellt.
Gegenueber der Tuer sind grob gehauenen Holzplanken als Regal an der Wand befestigt. Toepfe, Tee, Becher, Koerbe und alle Kuechenutensilien sind hier chaosmaessig aufgestapelt.
In einer hinteren Raumecke steht eine Holzkiste als Lager fuer Essbares. Das groessere Lager befindet sich ausserhalb des Hauses. Ein paar Latten werden zu einem ca. 8m² goßen „Bast“ zusammen genagelt. Hier lagern Kosetlichkeiten wie getrocknete Trauben, halbverfaulte schlechtgetrocknete Tomaten, Kuerbisse, Reis, Bohnen, Joghurt und Butter.
Ins Haus werden nur temporaer Lebensmittel geholt.
An den Wanden des ca. 20 - 25m² grossen Raumes stehen die ueblichen Seilbetten, reichbestueckt mit Flohdecken. Fenster gibt es selten, oft eines in der Decke um ein wenig Licht reinzulassen. Zwischen den Holzpfeilern (siehe Skizze) sind Schnuere gespannt auf denen alles Moegliche eher achtlos „aufgehaengt“ wird. Naegel werden ueberall dort eingeschlagen, wo es noetig ist und gerade ein Haken gebraucht wird. Fuer den Boden verwenden die Kalash gestampfte Erde, manchmal in der Raummitte it Decken oder Matten ausgelegt, manchmal nicht. Staub ist ueberall, ich hab versucht ihn in einem Anfall europaeischer Reinlichkeit loszukriegen. Nach einer Stunde musste ich mich wegen Aussichtslosigkeit geschlagen geben. Es wird von Asche, Wasser, Schalfen, Spucke, Mist und sonstigen unbrauchbaren Dingen alles einfach auf den Boden geworfen –
Manchmal kommen Blut und Darminhalt geschlachteter Tiere dazu – alles kein Problem. Die Kinder machen vor die Haustuere – Mami kommt hinter drein, hebt den „Haufen“ mit ein bisschen Erde vom Boden auf und wirft ihn ueber die Verandabruestung – auf den Weg. Hygiene ... nein, darueber reden wir jetzt nicht. Eines der aussichtslosen Dingen hier.
In moslemischen Haeusern wird vor dem Essen Wasser zum Haende waschen gebracht, in den Kalash Haeusern wird diese „Pingeligkeit“ belaechelt. Einmal bitte ich um Wasser zum Waschen, weil meine Haende wirklich vor Dreck stehen und Mahlzeiten mit den Haenden gegessen werden. Rabijan sieht mir erstaunt ins Gesicht und fragt allen Ernstes, ob ich konvertieren will. Das sei ein laestiger Moslembrauch.
Ich erklaere ihr mit ebenso grossem Ernst, dass fuer mich Hygiene vor Religion kommt und mein europaeischer Magen traditioneller Weise nicht ganz so viel Staub und Dreck vertraegt, weil ich als Kind nicht „abgehaertet“ sondern unnoetiger Weise eher sauber gehalten wurde, sie grinst und reicht mir die Wasserkanne. „Da, wir wollen ja nicht, dass du krank wirst..!“
Geschneuzt wird in die Finger und dann an den naechstbesten Holzbalken, den Sessel oder in den Schal geschmiert. Mhm!
Die Naechte werden wieder lang in Biriu, manchmal laenger als die Tage, taeglich spielen Jameel, Baras Khan und Co mit Sitar, Floete und Trommel, begleitet von Gesang und Gejohle der Zuhoerer die die Taenzer anfeuern. Es gibt immer einen Grund und wenn nicht wird einer erfunden.
Ich liebe es in Mitten der begeisterten Musikanten zu sitzen, den Takt zu klatschen, zu tanzen oder einfach nur zuzusehen, wie sich die Birila vom Sound of Music mitreissen lassen. Das Erlebnis ist unbeschreiblich. In einem Zimmer sind 43 Leute und immer noch bleibt Platz zum Tanzen und Spielen. Vor der Tuer stehen nochmal 20 Leute. Irgendwann bringt jemand Essen von irgendwo, manchmal kommt jemand kurz vorbei und wirft Suessigkeiten oder Nuesse in die Menge – die Kinder, die hauptsachlich zusehen werden wach und stuerzen sich wie ein Tornado auf die kleinen Leckereien.
Die Taenzer schreiten mal wie stolze Gockel im Takt, mal wirbeln sie wie wild im Kreis, feuern sich gegenseitig an (meist tanzen nur 1-2 Leute gleichzeitig), dann wieder springen sie wie junge Zicklein zur Musik. Der Raum ist heiss ohne Feuer, immer wieder wird die Tuer aufgerissen um ein bisschen frische Luft reinzulassen
Endlich habe ich auch die Schule gesehen. Sie ist wunderschoen. Die Lehrer bestaetigen mir, dass sie mit der offziellen Einweihungsfeier auf mich gewartet haben. Ich werde also versuchen bis Maerz hierzubleiben. Mal sehen was das Leben so bringt.
Rundherum und innen ist sie mit hellem Holz versehen, heimelig sieht ea aus, obwohl jetzt im Winter (3 Monate frei) Ziegenfutter drin lagert. Stolz empfangen mich die Doerfler und tun so als ob sie nie etwas anderes gewollt und taeglich alle mit Freuden gearbeitet haetten – fein.
0 Comments:
Post a Comment
<< Home