BHUTAN - TREK mit HUND
May 06
In der Zeit nach den Gruppen finde ich taeglich eine halbe Stunde, um zum ITMS (Institut fuer traditionelle Medizin) zu pilgern, um nach einer Pulsdiagnose eines nicht englisch sprechenden Arztes mein Knie mit Dampfstrahlen zu heilen (versuchen). Die Aerzte arbeiten nach der Ganzheitsmethode, drehen Pillen und verschreiben sie, ohne zu wissen, was sie wirklich bewirken. Freizuegig gestehen sie, das 50% Glaube dabei sein muss, sonst hilfts nichts. Ich bekomme 3 Saeckchen, aus denen ich abwechselnd morgens mittags und abend je 3 Stueck nehmen soll. Dazu Dampfstrahltherapie. In einem Druckkochtopf werde Kraeuter ins Wasser geworfen, statt dem Ventil ragt ein Schlauch aus dem Gefaess, welcher direkt auf die schmerzende Stelle gerichtet wird und aus dem der wohltuende Kraeuterdampf stroemt.
Sie sind spezialisiert auf chronische Leiden, akute Geschichten werden ohne falschen Stolz oder Neid ins Bezirkskrankenhaus verwiesen. Sonst kann sich aber jeder aussuchen wo er hingeht. Kostenfrei sind Natur- wie westliche Medizin. Alt ist die Tradition in Bhutan nicht gerade, erst vor wenigen Jahrzehnten wurde das Institut errichtet um den aus China und Tibet eingewanderten Aerzten eine ordentliche Infrastruktur zu bieten. Meinem Knie helfen weder Dampfstrahl noch Tabletten, dafuer verschwinden andere kleine Leiden. Ich werde zum japanischen Akkupunkturspezialisten verwiesen, der mir ein paar feine Nadeln ins Bein rammt. Hat’s geholfen? Keine Ahnung. Ich fuehl mich jedenfalls wohl und die Aezte scheinen damit zufrieden zu sein. Am Gesichtsausdruck merke ich, dass sie mir jedenfalls alles Gute wuenschen.
Nach 2 Wochen Fakten fuers Guidebuch suchen – und manchmal sogar finden, sind die Planungen fuer die naechste Gruppe im Gange. Eine neue Sekretaerin hilft viel, nach dem die andere taeglich ueber neue Plaene im Berufsleben plaudert. Die Neue hat den Vorteil, sich Vorgaenge einteilen zu koennen und arbeiten zu wollen. 2 Eigenschaften, die sie sehr sympathisch machen. Fuer uns – nicht aber fuer die Beamten hinter den Schaltern. Als sie zum Wiederholten mal zu einem eben dieser zitiert wird, weil sich Regeln natuerlich von Woche zu Woche aendern, meint er: oh, da Martin hier arbeitet und Isabella ein Gastvisum hat, sind die Bestimmungen wieder anderes. Auf ihre mutige Antwort – Haetten Sie mir das nicht gestern sagen koennen? - folgt eine patzige, unerhoerte Reaktion. „Was bildest du dir ein so mit mir zu reden? Hast du Hoerner auf den Koepfen? Bist du ein Tier?“
Mitdenken und organisiert zu sein ist nicht erwuenscht. Aber bald soll Schluss sein mit diesem buerokratischen Spielchen. Fuer 2 Wochen wollen wir die Gruppe in die Berge begleiten. Unser Startpunkt soll ein anderer sein als der der Gruppe, daher brauchen wir einen weiteren Pferdefuherer fuer die ersten 4 Tage, nach denen wir zu den anderen stossen wollen. Die Zusage wird eine schwere Geburt. Es ist Hochsaison – nicht etwa fuer Touristen, nein. Cordyceps wird gesammelt. Cordyceps sinensis, oder Raupenkeulenpilz, ist ein beruehmtes Heilmittel. Pilzsporen werden von einer bestimmten Raupe aufgenommen, aus deren Kopf waechst dann soetwas wie ein vertrockneter Grashalm – ein Pilz. Das Gebilde sieht eigenartig aus und hat noch eigenartigere Wirkung. Es soll angeblich als Vorbeugung gegen Krebs, als Mittel gegen Tuberkulose, als Tonikum fuer das gesamte Wohlbefinden und – was fuer Chinesen am interessantesten ist – als natuerliches Viagra wirken. Ein anderes lustiges Detail: Chinesische Laeuferinnen brachen einst ploetzlich alle Weltrekorde. Nach eingehenden Unterschungen fand man heraus, dass die Ladies mit Cordyceps gefuettert wurden. Das Mittel kam sofort auf die Doping-Liste, die Rekorde wurden annuliert.
Frueher war die „Ernte“ nur fuer das Institut traditioneller Medizin erlaubt. Die Chinesen kamen Scharenweise ueber die Berge um das begehrte Potenzmittel zu stehlen. Nun ist die Ernte offiziell fuer einen monat erlaubt – eben diesen Monat. Alle, die es irgendwie schaffen machen sich auf in die Berge und starren stunden lang ins Gras. Der Grund des so gar nicht geschaeftigen Treibens? Die Raupe befindet sich unter der Erde, der Pilz allein ragt heraus und ist zwischen anderen Grashalmen schwer auszumachen. Er bewegt sich untypisch, wenn sich die Raupe ein wenig bewegt. Das muss das geuebte Auge erkennen. Wenn sie Glueck haben, finden sie bis zu 10 Stueck am Tag, fuer eines gibt es ca. 1 EUR. Das Kilo kommt mittlerweile auf 2000EUR – ein ordentlicher Zuverdienst fuer so manche Bauern – oder Pferdefuehrer.
Nach langem zuckersuessen Ueberreden und dem doppelten Preis erklaert er sich endlich einverstanden. Er ist die Muehe wert, sehr hilfreich, ein angenehmer Mensch und guter Koch. Als Guide eignet er sich ebenfalls, man muss nur den roten Spuckspuren folgen, die der suechtige Domakauer ueberall in kurzen Abstaenden hinterlaesst. Wie gesagt, ein lieber Mensch, nur moecht ich ihm keinesfalls zu nahem kommen, das Zeug riecht nicht grade gut und tropt ihm aus allen Mundwinkel...
Er sollte nicht unser einziger Begleiter sein. 5 min nach Abmarsch taucht ploetzlich ein kleiner Hund auf, der freundlich mit dem Schwanz wedelnd neben uns herlaeuft. Manchmal ein wenig vorne, manchmal hinten, manchmal abseits, aber immer sehr nahe. Der Hund des Pferdefuehrers? Trotz dem wir seine und er unsere Sprache nicht verstehen ist die Antwort deutlich: „Nie gesehen!“
Wasti, wie der kleine Kerl bald heisst, folgt uns ueberall hin, wartet an Weggabelungen auf den jeweils letzten und wacht nachts vor unserem Zelt. Ein perfekter Hund, nur: Wo kommt er her?
Egal, er scheint Spass zu haben am Wandern und folgt uns taeglich – dafuer bekommt er auch immer ein Stueck unseres Essens ab – meist ein sehr grosses, unter Martins skeptischem Blick.
Der Weg fuehrt wie im Bilderbuch den rauschenden Gebirgsbach entlang immer hoeher in die Berge. Bunte Rhododendren in einzigartiger Farbenpracht bluehen rot, pink, gelb, orange und weiss. Sogar zartes Lila ist teilweise darunter gemischt. Bisher hatte ich immer nur einige vereinzelte Blueten gesehen. Reste aus der Bleutezeit. Nun bin ich mittendrin. Ueber und ueber sind die Aeste behaengt mit Blueten, selbst im tristesten Nieselregen leuchten sie aus den grauen Waeldern hervor. Ein paar kleine Bauernhaeuser, Dzongruinen und Tschorten zieren den Weg. Der letzte Pass wird zum Spaziergang, sanfte Huegel fuehren hinauf and kleinen Seen vorbei bis schliesslich die Gebetsfahnen am Gipfel zu sehen sind. Ich hatte es mir schwieriger vorgestellt, voellig untrainiert, aber mit dem Hund an der Seite sind die Gedanken abgelenkt und der Koerper schnell an die Anstrengung gewoehnt. Die Gegend an sich ist schon abwechslungsreich, der Hund erspaeht allerdings immer noch mehr als wir – manchmal jedenfalls – und jagt mit freudigem Gebell Fasane, Blauschafe und Murmeltiere ueber die gruenen Wiesen. Oder freut sich wie ein kleines Kind, als er den Schnee am Pass erreicht. Als ob er das kalte Weiss noch nie gesehen haette, tobt er herum, steckt die Nase spielerisch in den Schnee, springt meinen Schneebaellen nach, rollt sich uebermuetig ueber den Hang und legt sich immer wieder nieder, um die Flocken aus der Naehe zu betrachten.
Einen Tag frueher als geplant erreichen wir Lingshi, den vereinbarten Treffpunkt. Der Pferdefuehrer ist froh, ein Tag laenger kann er nun sein Cordyceps sammlen. Wir verbringen einen Tag auf der Yakweide, sehr zu Wastis Freude. Er war schon ein wenig ausser Atem und das viele Laufen nicht gewoehnt. Er schlaeft also den ganzen Tag auf der Weise, springt halbherzig ein paar Yaks nach, deren buschige Schwaenze es ihm besonders angetan haben. Die Yaks sind wenig beeindruckt, verjagen ihn mitzornigem Stampfen.
Auf der Wiese steht – oder besser liegt ein grosser Steinhaufen. Vor 2 Jahren noch war dies eine Unterkunft fuer Gefolge von Trekkinggruppen. Ein grosses Haus mit Holzfenstern, Boden, Toilette, Dach und einem Hausmeister. Bis diesen armen Mann der Baer zum Mittagessen verspeist hat. Die netten Dorfleute haben alles brauchbare aus dem Haus getragen, bis hin zum Dach, welches nun ein Haus im nahen Dorf ziert.
Am naechsten Tag trifft die Gruppe ein, oder besser: 2 Leute. Das andere Ehepaar musste wegen Hoehenkrankheit umdrehen. Wasti, als braver Wachhund, schlief nun vor dem Zelt der Kunden. Wohl weniger aus Geschaeftstuechtigkeit als wegen der Hartwuerste, die die beiden als Notration im Rucksack hatten. Mit so sorgsam ausgestatteten, erfahrenen Trekkern und exzellenten Kartenspielern machten wir uns also an den Rest der Route.
Der Weg fuehrt unterhalb des Lighshi Dzongs durchs Lingshi Dorf. Hier am Ende der Welt werden wohl nur die besonders Auffaelligen Dienst leisten muessen – eine Art Strafversetzung oder so...
Weitere kleine Doerfer liegen am Weg. Dicht aneinander gedraengt stehen die Steinhaeuser der Yakhirten am Dorfplatz. Bald werden alle Fenster und Tueren vernagelt sein und die Menschen mit dem Vieh von Hochalm zu Hochalm ziehen. Als temporaere Huette wird eine Steinwand mit Yakhaarzeltplanen oder den moderneren Plastikplanen gedeckt.
Wie vor hundert Jahren kommen wir uns vor als wir durch Dorf gehen. Frische Yakhaeute, getrocknetes Fleisch, die letzten Reste von Heu, welches als Winterfutter diente, dreckige Kinder mit roten Backen, alte Frauen die auf der Gartenbank Wolle spinnen. Obwohl es regnet – wie jeden Tag – geniessen wir den kleinen Weiler sehr. Zu interessant und schoen ist er, um von ein wenig schlechtem Wetter mies gemacht zu werden.
Nahe einem dieser Doerfer schlagen wir unser Zeltlager auf.
Nur ein kleiner Bach trennt uns von Chebisa, aber einen rundgang lassen wir uns nicht nehmen und bestaunen jede Ecke des Bilderbuch Tales. Am Talschluss uebertrifft noch ein Wasserfall alles zu vor Gesehene, eine kleine Eremitage zum Meditieren nahe daran an den Felsen geschmiegt. Welch ein Platz!
Am Abend erstaunen mich die kleinen Lichter im Dorf – nackte Gluehbirnen an den Veranden. Was ich am Tag uebersehen hatte ziert jedes Dach: Solarzellen – made in China, wie fast alles hier. Viel schneller ist man hier im Ausland. Wir haben schon 5 Tage bis hierher gebraucht – 5 weitere sollten noch folgen zum anderen Strassenende. Einheimische wuerden sicher nicht so lange gehen, aber trotzdem laenger als auf dem vergleichsweise kurzen Trip nach Tibet. 2 Tage nur dauert es und die Chinesen haben ihre Strassen schon bis zur Grenze gebaut.
Jeden Tag ueberqueren wir nun einen Pass, mal im Regen, mal im Schnee, mal mit Hagel. Der letzte Pass vor Laya bringt uns jenseits der 5000m. In schwerem Hagelunwetter stapfen wir hoch. Die kleinen Koerner sprangen lustig wie Gummibaelle von den Felsen zurueck. Fast meditativ war der Aufstieg. Noch ein Schritt, noch 1000 Hagelkoerner. Nach 30min liegt schon eine 2 cm hohe Schicht Hagel am Berg und es sollte mehr werden. Am Pass hielten wir nur kurz, um Fotos zu schiessen, das unfreundlich Wetter liess und gleich absteigen. Wieder keine Sicht von Pass...
Wir sind hungrig und halten Ausschau nach dem Koch, der unseren Lunch dabei haben sollte. Ganz Bhutaner rannte er den Berg in Kuerze nieder und wartet nun sicher irgendwo auf uns. Ein ploetzliches: „Schau links hoch!“ schreckt mich auf. Wolken? Nein, da steht er nun tatsaechlich, der Great Tiger Mountain, sein weisser Mantel glaentzt in den wenigen Sonnenstrahlen fast mystisch. Langsam verziehen sich alle Nebelschleier und er liegt direkt vor uns in seiner ganzen Pracht.
Wie laecherlich kommt mir bei dem majestaetischen Anblick unser Zustand vor. Der Unmut ueber das Wetter, den steilen Anstieg, nass vom Scheitel bis zur Sohle. Wie egal das doch alles ist, wenn man so etwas Schoenes sehen darf. Nach wenigen Minuten war auch die Kleidung trocken und wir sassen vor dem Berg bei heissen Nudeln und freuten uns wie kleine Kinder. Waeren wir so gluecklich, wenn wir tagtaeglich solche Bergblicke gehabt haetten – sicher nicht. Die Natur allein teilt solche Geschenke aus.
Wasti schlaeft sofort ein, er hatte an dere anderen Seite des Passes stunden lang Blauschafe ueber die Heugel gejagt, manche fuehlten sich zum Reissaus genoetigt und kreuzten direkt vor uns in vollem Lauf den Weg.
Beim Camp regnet es schon wieder, aber was macht das schon, wenn man eingewickelt in warme Kleidung mit einer Tasse heissen Jagertees beim abendlichen Schnapsen sitzt.
Immer wieder ist es wundersam, wie sich die Vegetation aendert wenn man die Hoehenlinen nach oben oder unten kreuzt. Von dichtem Zedernwald nebst Wacholderbueschen ueber Rhododendren in allen Farben und Bluetenstaenden – von aufbluehend bis verwelkt, kleine Straeucher zu kurzem Gras und zurueck. Die Baumgrenze liegt bei ca. 4200m, aber winzige bunte Blumen und Moss findet man ueberall. Weiter unten wird die Blumenvielfalt fast kitschig, wie im Feenland. Magenta und Gelb farbenen Primeln, blaue und weisse Schwertlilien, burgunderrot-gruener Himalaya Lotus und hunderte (mir) unbekannte Arten in alle Farben und Schattierungen.
Beim Marsch nach Laya sehen wir viele scheinbar faul im Gras sitzende Leute in allen Altersgruppen. Mission Cordyceps. Fuer mich waer es wohl eher eine Mission Impossible – den ganzen Tag ins Gras starren, vor Freude losspringen und drauf kommen, dass es doch nur der Wind war, der mit den echten Halmen gespielt hat.
Bei einem Yakhirten Zelt bekommen wir ein paar geschenkt. Wir hatten ein kleines Kind vom Husten befreit – wahrscheinlich nicht dauerhaft angesichts seiner blossen Fuesse im Schnee – aber Mami und Grossmami sind stolz genug, uns aus ihrem kleinen Vorrat zu beschenken. Dazu Buttertee und suesse Kekse. Diese Familie ist eine der wenigen, die schon frueh los gezogen waren. Ihre Kleidung bekundete ihre Herkunft: Laya. Die typischen schwarzen Yakhaarstoffe als Roecke, am Kopf der geflochtene Bambushut mit aufgestelltem Holzspitz, der aussieht wie ein Blitzableiter. Gehalten wird die kunstvolle Kopfbedeckung von einigen Baender aus Plastikperlen, so wie sie die Kalash um den Hals tragen. Und das huebscheste Gesicht mit reizend natuerlichem Lachen. Layaps eben. Waehrend wir bei ihnen sitzen und den Salztee schluerfen erinnere ich mich an meinen ersten Trek in Bhutan. Ich wurde damals von einer Hirtin ins Zelt geladen worden. Ohne ein Wort zu verstehen verstanden wir uns trotzdem und die Stille war nie peinlich. Genau so war es hier. Neugierig inspizierten sie meine Armbaender – aus bunten Plastikperlen, made by Kalash. Seit ich die Taeler verlassen hatte habe ich sie nie abgenommen, aber ich erinnere mich an ein weiteres zu Hause, so mache ich sie los und schenke jeder der beiden Frauen eines. Ihre Gesichter leuchteten noch ein bisschen mehr, als sie sie stolz gegeseitig betrachteten. Schnell drueckten sie mir noch 3 Cordyceps in die Hand.
Als wir Laya erreichen, welches vor einer malerischen Bergkulisse am Huegel liegt, sehen wir viele neue Haeuser, chinesische Waren und unsere mueden Pferde – alles wegen dem Cordyceps Rausch. Seit wenigen Jahren ist die Ernte legal, die Layaps sind hartarbeitende Geschaeftsleute und haben einigen Reichtum durch diese potente Raupe angehaeuft. Damit finanzieren sie die neuen Haeuser und die chinesischen Artikel, die von hier aus in 6 Stunden erreichbar sind – Tibet ist naeher als Bhutan. Unsere Pferde sind eine andere Geschichte. Obwohl sie fuer die ganze Tour gebucht sind, fingen vor ein paar Tagen die Pferdefuehrer an, Ausreden fuer eine fruehe Rueckkehr zu suchen. Muede Pferde – die ziemlich schnell den Pass hoch grannt waren – unerfahrene Pferdefuehrer, die den anderen Weg zurueck vom Endpunkt des Treks nicht kennen. Augenauswischerei. Sie wollen natuerlich mit den ach so mueden Pferden ueber die hohen Paesse zurueck, um ein paar Tage im Cordyceps Land zu verbringen und ein bisschen Taschengeld verdienen. Alles Zureden nuetst nichts, in Laya lassen sie uns sitzten. Wir muessen nun neue Pferde suchen, die Layaps wissen, dass wir auf sie angewiesen sind und verlangen teuflisch hohe Preise.
Ein wenig ausserhalb von Laya besuchen wir die Volksschule, wo die Laya Kinder gerade Englisch Texte auswendig lernen. Didaktisch natuerlich schauerhaft, Kreativitaet und Verstaendnis sind scheinbar nicht gewuenscht, aber jede Schulstufe hat ein Klassenzimmer samt Lehrer, Essen fuer die Internatsschueler von weiter her finanziert zur Haelfte die Regierung, zur anderen Haelfte UNICEF.
Die kleinen Meadels sitzen aufgefaedelt in Reih und Glied in ihren schoenen Yakkleidern, mit geflochtenem Bambushut und all den Zeichen von Bergschoenheiten. Grosse schwarze Kulleraugen, Hohe Wangenknochen und ein bezauberndes Laecheln.
Selbst eine kleine Bar gibt es in der Naehe, so trinken alle, die es gern haben eine Flasche Bier, danach torkeln wir zum Camp, welches unterhalb der „Stadt“ liegt. Der Koch hat schon aufgetischt. Manchmal ist es lustig, was er so aus der Kueche hervorzaubert, aber wen wunderts? Eingekauft haben europaeische Geister, gekocht wird von bhutanischen. Nicht immer liegen die Assoziationen auf der selben Welle. Aber welcher Europaer wuerde aus Chili, Kaese und Reis ohne Rezept Ema Dasthi zubereiten?
Viele der gekauften Waren sahen wir nie am Trek – zugunsten des Kochs irgendwo verkauft... Bhutan eben.
Ein letzter Ab- und Anstieg fuehrt uns ueber glitschige Pfade ins Blutegelland, durch Regen und Sonne auf den letzten Pass auf 3900m und wieder hinunter nach Gasa auf 2900m, wo das letzte Zeltlager aufgebaut wird. Einige interne Troubles zwischen Guide, Koch und Assistenten zufolge muessen – oder duerfen - wir in einem gemuetlichen Bauernhaus aufkochen, wo Martin und ich auch gleich uebernachten, das nasse Zelt bleibt fuer die letzte Nacht eingepackt. Wasti taucht waerend des Essens auf, rollt sich hinter mir zusammen und bleibt bis zum naechsten Morgen an meiner Seite. Was wird wohl aus ihm werden? Er ist uns beiden schon sehr ans Herz gewachsen.
Am Morgen wandern wir mit einem lachenden und einem weinendem Auge zum Strassenende, wo die Autos warten sollten. Obwohl es die Wettergoetter nicht immer grade nett mit uns meinten und im Monsun laut Martin besseres Wetter herrscht sind alle der Meinung, wir sollten besser wieder rauf und den Rest des Snowman Treks weitergehen. Der Weg zurueck in die „Zivilisation“ war immer schon schwierig.
Aber ich habe nicht lange zu trauern, eine andere Aufgabe taucht auf. Wasti will mit, hat aber keinerlei Erfahrung im Auto fahren. Nach dem ich ihn mit Salz von allen laestigen Blutegeln befreit habe, die er bei Streifzuegen aus dem hohen Gras mitgebracht hat, sitzt er zu meinen Fuessen, den Kopf auf meinen Knien. Der Blick sagt: „Ich fuercht mich zu Tode, aber wenn du sagst, es passt, dann wirds schon so sein!“ Das Holpern und die schnell vorbeiziehenden Baeume lassen ihn immer wieder aengstlich zum Fenster blicken. Einmal kann er sich gegen die Natur nicht wehren und laesst sich das Fruehstuck nochmal durch den Kopf gehen. Schuldbewusst blinzelt er mich an. Ein beruhigendens „Macht nix, kann passieren!“ scheint ihn zu troesten. Nach 3 Stunden – ein Marathon fuers erste Mal – oeffne ich ihm die Tuer zu seinem neuen Garten.
Ich bin ueber und ueber voll Blut, rieche also ob ich frisch aus dem Schlachthaus kaeme. Die Blutegelwunden haben die unangenehme Eigenschaft, stundenlang nachzubluten. Der wuschelige Hund des Hausherren, an und fuer sich der bravste Keoter, den man sich vorstellen kann, aber auch der faulste, der niemals klaefft oder beisst, faehrt mich an wie den Teufel hoechst persoenlich. Denkt er ich hab einen Hund getoetet oder riecht er einfach nicht gern Konkurrenten in dieser Intensitaet?
Es ist spaet also bringe ich Wasti gleich nach oben. Vorsichtig, wie um nichts kaputt zu machen, schleicht er ins Haus. Ich bringe ihn fuer die erste Nacht zur Gaestetoilette und koche ein wenig Reis und Huehnersuppe. Als ich zurueck komme, schlaeft er auf dem weichen Badvorleger. Hungrig verschlingt er das dargebotene Fressen, faellt und bleibt bis zum Morgen wie tot am selben Fleck liegen.
Der arme kleine Hund, was fuer eine Anstrengung, damit hatte er sicher nciht gerechnet, als er die ersten Schritte mit uns gelaufen war. 12 Tage permanentes Laufen und dann auch noch Autofahren. Ich bleibe ein wenig bei ihm sitzen und streichle ihn. Noch ist nicht alles ueberstanden. Was machen, wenn Martin und ich in wenigen Tagen kurz hintereinander das Land verlassen?
Am Morgen – am spaeten Morgen – tapst er vorsichtig im Garten herum, skeptisch verfolgt vom Haushund. Aber Wastis angenehme Art, seine Vorsicht, niemanden zu stoeren und ncihts kaputt zu machen ueberzeugen selbst das baune Wuschelmonster. Bald stehen sie sich Nase an Nase mit wedelnden Schwaenzen gegenueber. Freunde?!
Niemand hat Wasti je gebeten zu bleiben oder ihn angebunden, die Gartentuer steht offen, aber er bleibt, liegt ruhig vor der Haustuer und laesst die klaeffende Hundegang, die stets den Hauserblock umkreist und Krawall macht, links liegen. Mehr als ein desinteressierter Seitenblick entkommt ihm nicht.
Das erkennt auch der Hausherr, der zu unserer allgemeinen Freude das letzte Problem loest. Wir haben uns schon vorbereitet, einen neuen Besitzer fuer Wasti zu finden. Ihn einfach auszusetzen liegt uns voellig fern. Er hat uns als seine Familie angenommen, jetzt ist es an uns, fuer ihn zu sorgen. Sehr europaeisch wahrscheinlich, aber so sind wir eben.
Tashi, der Hausherr ist fasziniert von Wastis ueberlegenem Geist und fragt, ob er ihn nicht behalten duerfte, ein zweiter Wachhund schadet nicht. Der kleine, den er vor kuzem grossziehen wollte wurde schon zur Tante verfrachtet, weil er es nicht lassen konnte, Schuhe zu stehlen und in den Garten zu machen. „Ist er ein guter Wachhund?“ – Natuerlich.
Eine kleine Demonstration folgt auf dem Fusse. Ich baue im Garten das immer noch nasse Zelt auf. Wasti denkt wohl, wir sind wieder am Trek und zeigt sein Koennen – er bewacht das Zelt und verteidigt es gar gegen den Haushund. Dieser weiss gar nicht, was ihm geschieht, Freund oder doch Feind?
Aber bald ist das Zelt trocken und der Hausfrieden wieder hergestellt.
Ich bin mehr als froh, dass Wasti nun ein richtiges Zuhause hat und ich ihn sogar wieder sehen werde wenn wir zurueck kommen. Trotzdem ist es nicht leicht, ihn zu verlassen. Er versteht sehr gut was los ist und kommt am letzten Tag oft angetrabt, mit treuherzigem Blick, schiebt die Nase unter meine Hand und winselt leicht.
Wenn er nur verstehen wuerde, was „Bis bald“ heisst...
Bhutan Trek pics
In der Zeit nach den Gruppen finde ich taeglich eine halbe Stunde, um zum ITMS (Institut fuer traditionelle Medizin) zu pilgern, um nach einer Pulsdiagnose eines nicht englisch sprechenden Arztes mein Knie mit Dampfstrahlen zu heilen (versuchen). Die Aerzte arbeiten nach der Ganzheitsmethode, drehen Pillen und verschreiben sie, ohne zu wissen, was sie wirklich bewirken. Freizuegig gestehen sie, das 50% Glaube dabei sein muss, sonst hilfts nichts. Ich bekomme 3 Saeckchen, aus denen ich abwechselnd morgens mittags und abend je 3 Stueck nehmen soll. Dazu Dampfstrahltherapie. In einem Druckkochtopf werde Kraeuter ins Wasser geworfen, statt dem Ventil ragt ein Schlauch aus dem Gefaess, welcher direkt auf die schmerzende Stelle gerichtet wird und aus dem der wohltuende Kraeuterdampf stroemt.
Sie sind spezialisiert auf chronische Leiden, akute Geschichten werden ohne falschen Stolz oder Neid ins Bezirkskrankenhaus verwiesen. Sonst kann sich aber jeder aussuchen wo er hingeht. Kostenfrei sind Natur- wie westliche Medizin. Alt ist die Tradition in Bhutan nicht gerade, erst vor wenigen Jahrzehnten wurde das Institut errichtet um den aus China und Tibet eingewanderten Aerzten eine ordentliche Infrastruktur zu bieten. Meinem Knie helfen weder Dampfstrahl noch Tabletten, dafuer verschwinden andere kleine Leiden. Ich werde zum japanischen Akkupunkturspezialisten verwiesen, der mir ein paar feine Nadeln ins Bein rammt. Hat’s geholfen? Keine Ahnung. Ich fuehl mich jedenfalls wohl und die Aezte scheinen damit zufrieden zu sein. Am Gesichtsausdruck merke ich, dass sie mir jedenfalls alles Gute wuenschen.
Nach 2 Wochen Fakten fuers Guidebuch suchen – und manchmal sogar finden, sind die Planungen fuer die naechste Gruppe im Gange. Eine neue Sekretaerin hilft viel, nach dem die andere taeglich ueber neue Plaene im Berufsleben plaudert. Die Neue hat den Vorteil, sich Vorgaenge einteilen zu koennen und arbeiten zu wollen. 2 Eigenschaften, die sie sehr sympathisch machen. Fuer uns – nicht aber fuer die Beamten hinter den Schaltern. Als sie zum Wiederholten mal zu einem eben dieser zitiert wird, weil sich Regeln natuerlich von Woche zu Woche aendern, meint er: oh, da Martin hier arbeitet und Isabella ein Gastvisum hat, sind die Bestimmungen wieder anderes. Auf ihre mutige Antwort – Haetten Sie mir das nicht gestern sagen koennen? - folgt eine patzige, unerhoerte Reaktion. „Was bildest du dir ein so mit mir zu reden? Hast du Hoerner auf den Koepfen? Bist du ein Tier?“
Mitdenken und organisiert zu sein ist nicht erwuenscht. Aber bald soll Schluss sein mit diesem buerokratischen Spielchen. Fuer 2 Wochen wollen wir die Gruppe in die Berge begleiten. Unser Startpunkt soll ein anderer sein als der der Gruppe, daher brauchen wir einen weiteren Pferdefuherer fuer die ersten 4 Tage, nach denen wir zu den anderen stossen wollen. Die Zusage wird eine schwere Geburt. Es ist Hochsaison – nicht etwa fuer Touristen, nein. Cordyceps wird gesammelt. Cordyceps sinensis, oder Raupenkeulenpilz, ist ein beruehmtes Heilmittel. Pilzsporen werden von einer bestimmten Raupe aufgenommen, aus deren Kopf waechst dann soetwas wie ein vertrockneter Grashalm – ein Pilz. Das Gebilde sieht eigenartig aus und hat noch eigenartigere Wirkung. Es soll angeblich als Vorbeugung gegen Krebs, als Mittel gegen Tuberkulose, als Tonikum fuer das gesamte Wohlbefinden und – was fuer Chinesen am interessantesten ist – als natuerliches Viagra wirken. Ein anderes lustiges Detail: Chinesische Laeuferinnen brachen einst ploetzlich alle Weltrekorde. Nach eingehenden Unterschungen fand man heraus, dass die Ladies mit Cordyceps gefuettert wurden. Das Mittel kam sofort auf die Doping-Liste, die Rekorde wurden annuliert.
Frueher war die „Ernte“ nur fuer das Institut traditioneller Medizin erlaubt. Die Chinesen kamen Scharenweise ueber die Berge um das begehrte Potenzmittel zu stehlen. Nun ist die Ernte offiziell fuer einen monat erlaubt – eben diesen Monat. Alle, die es irgendwie schaffen machen sich auf in die Berge und starren stunden lang ins Gras. Der Grund des so gar nicht geschaeftigen Treibens? Die Raupe befindet sich unter der Erde, der Pilz allein ragt heraus und ist zwischen anderen Grashalmen schwer auszumachen. Er bewegt sich untypisch, wenn sich die Raupe ein wenig bewegt. Das muss das geuebte Auge erkennen. Wenn sie Glueck haben, finden sie bis zu 10 Stueck am Tag, fuer eines gibt es ca. 1 EUR. Das Kilo kommt mittlerweile auf 2000EUR – ein ordentlicher Zuverdienst fuer so manche Bauern – oder Pferdefuehrer.
Nach langem zuckersuessen Ueberreden und dem doppelten Preis erklaert er sich endlich einverstanden. Er ist die Muehe wert, sehr hilfreich, ein angenehmer Mensch und guter Koch. Als Guide eignet er sich ebenfalls, man muss nur den roten Spuckspuren folgen, die der suechtige Domakauer ueberall in kurzen Abstaenden hinterlaesst. Wie gesagt, ein lieber Mensch, nur moecht ich ihm keinesfalls zu nahem kommen, das Zeug riecht nicht grade gut und tropt ihm aus allen Mundwinkel...
Er sollte nicht unser einziger Begleiter sein. 5 min nach Abmarsch taucht ploetzlich ein kleiner Hund auf, der freundlich mit dem Schwanz wedelnd neben uns herlaeuft. Manchmal ein wenig vorne, manchmal hinten, manchmal abseits, aber immer sehr nahe. Der Hund des Pferdefuehrers? Trotz dem wir seine und er unsere Sprache nicht verstehen ist die Antwort deutlich: „Nie gesehen!“
Wasti, wie der kleine Kerl bald heisst, folgt uns ueberall hin, wartet an Weggabelungen auf den jeweils letzten und wacht nachts vor unserem Zelt. Ein perfekter Hund, nur: Wo kommt er her?
Egal, er scheint Spass zu haben am Wandern und folgt uns taeglich – dafuer bekommt er auch immer ein Stueck unseres Essens ab – meist ein sehr grosses, unter Martins skeptischem Blick.
Der Weg fuehrt wie im Bilderbuch den rauschenden Gebirgsbach entlang immer hoeher in die Berge. Bunte Rhododendren in einzigartiger Farbenpracht bluehen rot, pink, gelb, orange und weiss. Sogar zartes Lila ist teilweise darunter gemischt. Bisher hatte ich immer nur einige vereinzelte Blueten gesehen. Reste aus der Bleutezeit. Nun bin ich mittendrin. Ueber und ueber sind die Aeste behaengt mit Blueten, selbst im tristesten Nieselregen leuchten sie aus den grauen Waeldern hervor. Ein paar kleine Bauernhaeuser, Dzongruinen und Tschorten zieren den Weg. Der letzte Pass wird zum Spaziergang, sanfte Huegel fuehren hinauf and kleinen Seen vorbei bis schliesslich die Gebetsfahnen am Gipfel zu sehen sind. Ich hatte es mir schwieriger vorgestellt, voellig untrainiert, aber mit dem Hund an der Seite sind die Gedanken abgelenkt und der Koerper schnell an die Anstrengung gewoehnt. Die Gegend an sich ist schon abwechslungsreich, der Hund erspaeht allerdings immer noch mehr als wir – manchmal jedenfalls – und jagt mit freudigem Gebell Fasane, Blauschafe und Murmeltiere ueber die gruenen Wiesen. Oder freut sich wie ein kleines Kind, als er den Schnee am Pass erreicht. Als ob er das kalte Weiss noch nie gesehen haette, tobt er herum, steckt die Nase spielerisch in den Schnee, springt meinen Schneebaellen nach, rollt sich uebermuetig ueber den Hang und legt sich immer wieder nieder, um die Flocken aus der Naehe zu betrachten.
Einen Tag frueher als geplant erreichen wir Lingshi, den vereinbarten Treffpunkt. Der Pferdefuehrer ist froh, ein Tag laenger kann er nun sein Cordyceps sammlen. Wir verbringen einen Tag auf der Yakweide, sehr zu Wastis Freude. Er war schon ein wenig ausser Atem und das viele Laufen nicht gewoehnt. Er schlaeft also den ganzen Tag auf der Weise, springt halbherzig ein paar Yaks nach, deren buschige Schwaenze es ihm besonders angetan haben. Die Yaks sind wenig beeindruckt, verjagen ihn mitzornigem Stampfen.
Auf der Wiese steht – oder besser liegt ein grosser Steinhaufen. Vor 2 Jahren noch war dies eine Unterkunft fuer Gefolge von Trekkinggruppen. Ein grosses Haus mit Holzfenstern, Boden, Toilette, Dach und einem Hausmeister. Bis diesen armen Mann der Baer zum Mittagessen verspeist hat. Die netten Dorfleute haben alles brauchbare aus dem Haus getragen, bis hin zum Dach, welches nun ein Haus im nahen Dorf ziert.
Am naechsten Tag trifft die Gruppe ein, oder besser: 2 Leute. Das andere Ehepaar musste wegen Hoehenkrankheit umdrehen. Wasti, als braver Wachhund, schlief nun vor dem Zelt der Kunden. Wohl weniger aus Geschaeftstuechtigkeit als wegen der Hartwuerste, die die beiden als Notration im Rucksack hatten. Mit so sorgsam ausgestatteten, erfahrenen Trekkern und exzellenten Kartenspielern machten wir uns also an den Rest der Route.
Der Weg fuehrt unterhalb des Lighshi Dzongs durchs Lingshi Dorf. Hier am Ende der Welt werden wohl nur die besonders Auffaelligen Dienst leisten muessen – eine Art Strafversetzung oder so...
Weitere kleine Doerfer liegen am Weg. Dicht aneinander gedraengt stehen die Steinhaeuser der Yakhirten am Dorfplatz. Bald werden alle Fenster und Tueren vernagelt sein und die Menschen mit dem Vieh von Hochalm zu Hochalm ziehen. Als temporaere Huette wird eine Steinwand mit Yakhaarzeltplanen oder den moderneren Plastikplanen gedeckt.
Wie vor hundert Jahren kommen wir uns vor als wir durch Dorf gehen. Frische Yakhaeute, getrocknetes Fleisch, die letzten Reste von Heu, welches als Winterfutter diente, dreckige Kinder mit roten Backen, alte Frauen die auf der Gartenbank Wolle spinnen. Obwohl es regnet – wie jeden Tag – geniessen wir den kleinen Weiler sehr. Zu interessant und schoen ist er, um von ein wenig schlechtem Wetter mies gemacht zu werden.
Nahe einem dieser Doerfer schlagen wir unser Zeltlager auf.
Nur ein kleiner Bach trennt uns von Chebisa, aber einen rundgang lassen wir uns nicht nehmen und bestaunen jede Ecke des Bilderbuch Tales. Am Talschluss uebertrifft noch ein Wasserfall alles zu vor Gesehene, eine kleine Eremitage zum Meditieren nahe daran an den Felsen geschmiegt. Welch ein Platz!
Am Abend erstaunen mich die kleinen Lichter im Dorf – nackte Gluehbirnen an den Veranden. Was ich am Tag uebersehen hatte ziert jedes Dach: Solarzellen – made in China, wie fast alles hier. Viel schneller ist man hier im Ausland. Wir haben schon 5 Tage bis hierher gebraucht – 5 weitere sollten noch folgen zum anderen Strassenende. Einheimische wuerden sicher nicht so lange gehen, aber trotzdem laenger als auf dem vergleichsweise kurzen Trip nach Tibet. 2 Tage nur dauert es und die Chinesen haben ihre Strassen schon bis zur Grenze gebaut.
Jeden Tag ueberqueren wir nun einen Pass, mal im Regen, mal im Schnee, mal mit Hagel. Der letzte Pass vor Laya bringt uns jenseits der 5000m. In schwerem Hagelunwetter stapfen wir hoch. Die kleinen Koerner sprangen lustig wie Gummibaelle von den Felsen zurueck. Fast meditativ war der Aufstieg. Noch ein Schritt, noch 1000 Hagelkoerner. Nach 30min liegt schon eine 2 cm hohe Schicht Hagel am Berg und es sollte mehr werden. Am Pass hielten wir nur kurz, um Fotos zu schiessen, das unfreundlich Wetter liess und gleich absteigen. Wieder keine Sicht von Pass...
Wir sind hungrig und halten Ausschau nach dem Koch, der unseren Lunch dabei haben sollte. Ganz Bhutaner rannte er den Berg in Kuerze nieder und wartet nun sicher irgendwo auf uns. Ein ploetzliches: „Schau links hoch!“ schreckt mich auf. Wolken? Nein, da steht er nun tatsaechlich, der Great Tiger Mountain, sein weisser Mantel glaentzt in den wenigen Sonnenstrahlen fast mystisch. Langsam verziehen sich alle Nebelschleier und er liegt direkt vor uns in seiner ganzen Pracht.
Wie laecherlich kommt mir bei dem majestaetischen Anblick unser Zustand vor. Der Unmut ueber das Wetter, den steilen Anstieg, nass vom Scheitel bis zur Sohle. Wie egal das doch alles ist, wenn man so etwas Schoenes sehen darf. Nach wenigen Minuten war auch die Kleidung trocken und wir sassen vor dem Berg bei heissen Nudeln und freuten uns wie kleine Kinder. Waeren wir so gluecklich, wenn wir tagtaeglich solche Bergblicke gehabt haetten – sicher nicht. Die Natur allein teilt solche Geschenke aus.
Wasti schlaeft sofort ein, er hatte an dere anderen Seite des Passes stunden lang Blauschafe ueber die Heugel gejagt, manche fuehlten sich zum Reissaus genoetigt und kreuzten direkt vor uns in vollem Lauf den Weg.
Beim Camp regnet es schon wieder, aber was macht das schon, wenn man eingewickelt in warme Kleidung mit einer Tasse heissen Jagertees beim abendlichen Schnapsen sitzt.
Immer wieder ist es wundersam, wie sich die Vegetation aendert wenn man die Hoehenlinen nach oben oder unten kreuzt. Von dichtem Zedernwald nebst Wacholderbueschen ueber Rhododendren in allen Farben und Bluetenstaenden – von aufbluehend bis verwelkt, kleine Straeucher zu kurzem Gras und zurueck. Die Baumgrenze liegt bei ca. 4200m, aber winzige bunte Blumen und Moss findet man ueberall. Weiter unten wird die Blumenvielfalt fast kitschig, wie im Feenland. Magenta und Gelb farbenen Primeln, blaue und weisse Schwertlilien, burgunderrot-gruener Himalaya Lotus und hunderte (mir) unbekannte Arten in alle Farben und Schattierungen.
Beim Marsch nach Laya sehen wir viele scheinbar faul im Gras sitzende Leute in allen Altersgruppen. Mission Cordyceps. Fuer mich waer es wohl eher eine Mission Impossible – den ganzen Tag ins Gras starren, vor Freude losspringen und drauf kommen, dass es doch nur der Wind war, der mit den echten Halmen gespielt hat.
Bei einem Yakhirten Zelt bekommen wir ein paar geschenkt. Wir hatten ein kleines Kind vom Husten befreit – wahrscheinlich nicht dauerhaft angesichts seiner blossen Fuesse im Schnee – aber Mami und Grossmami sind stolz genug, uns aus ihrem kleinen Vorrat zu beschenken. Dazu Buttertee und suesse Kekse. Diese Familie ist eine der wenigen, die schon frueh los gezogen waren. Ihre Kleidung bekundete ihre Herkunft: Laya. Die typischen schwarzen Yakhaarstoffe als Roecke, am Kopf der geflochtene Bambushut mit aufgestelltem Holzspitz, der aussieht wie ein Blitzableiter. Gehalten wird die kunstvolle Kopfbedeckung von einigen Baender aus Plastikperlen, so wie sie die Kalash um den Hals tragen. Und das huebscheste Gesicht mit reizend natuerlichem Lachen. Layaps eben. Waehrend wir bei ihnen sitzen und den Salztee schluerfen erinnere ich mich an meinen ersten Trek in Bhutan. Ich wurde damals von einer Hirtin ins Zelt geladen worden. Ohne ein Wort zu verstehen verstanden wir uns trotzdem und die Stille war nie peinlich. Genau so war es hier. Neugierig inspizierten sie meine Armbaender – aus bunten Plastikperlen, made by Kalash. Seit ich die Taeler verlassen hatte habe ich sie nie abgenommen, aber ich erinnere mich an ein weiteres zu Hause, so mache ich sie los und schenke jeder der beiden Frauen eines. Ihre Gesichter leuchteten noch ein bisschen mehr, als sie sie stolz gegeseitig betrachteten. Schnell drueckten sie mir noch 3 Cordyceps in die Hand.
Als wir Laya erreichen, welches vor einer malerischen Bergkulisse am Huegel liegt, sehen wir viele neue Haeuser, chinesische Waren und unsere mueden Pferde – alles wegen dem Cordyceps Rausch. Seit wenigen Jahren ist die Ernte legal, die Layaps sind hartarbeitende Geschaeftsleute und haben einigen Reichtum durch diese potente Raupe angehaeuft. Damit finanzieren sie die neuen Haeuser und die chinesischen Artikel, die von hier aus in 6 Stunden erreichbar sind – Tibet ist naeher als Bhutan. Unsere Pferde sind eine andere Geschichte. Obwohl sie fuer die ganze Tour gebucht sind, fingen vor ein paar Tagen die Pferdefuehrer an, Ausreden fuer eine fruehe Rueckkehr zu suchen. Muede Pferde – die ziemlich schnell den Pass hoch grannt waren – unerfahrene Pferdefuehrer, die den anderen Weg zurueck vom Endpunkt des Treks nicht kennen. Augenauswischerei. Sie wollen natuerlich mit den ach so mueden Pferden ueber die hohen Paesse zurueck, um ein paar Tage im Cordyceps Land zu verbringen und ein bisschen Taschengeld verdienen. Alles Zureden nuetst nichts, in Laya lassen sie uns sitzten. Wir muessen nun neue Pferde suchen, die Layaps wissen, dass wir auf sie angewiesen sind und verlangen teuflisch hohe Preise.
Ein wenig ausserhalb von Laya besuchen wir die Volksschule, wo die Laya Kinder gerade Englisch Texte auswendig lernen. Didaktisch natuerlich schauerhaft, Kreativitaet und Verstaendnis sind scheinbar nicht gewuenscht, aber jede Schulstufe hat ein Klassenzimmer samt Lehrer, Essen fuer die Internatsschueler von weiter her finanziert zur Haelfte die Regierung, zur anderen Haelfte UNICEF.
Die kleinen Meadels sitzen aufgefaedelt in Reih und Glied in ihren schoenen Yakkleidern, mit geflochtenem Bambushut und all den Zeichen von Bergschoenheiten. Grosse schwarze Kulleraugen, Hohe Wangenknochen und ein bezauberndes Laecheln.
Selbst eine kleine Bar gibt es in der Naehe, so trinken alle, die es gern haben eine Flasche Bier, danach torkeln wir zum Camp, welches unterhalb der „Stadt“ liegt. Der Koch hat schon aufgetischt. Manchmal ist es lustig, was er so aus der Kueche hervorzaubert, aber wen wunderts? Eingekauft haben europaeische Geister, gekocht wird von bhutanischen. Nicht immer liegen die Assoziationen auf der selben Welle. Aber welcher Europaer wuerde aus Chili, Kaese und Reis ohne Rezept Ema Dasthi zubereiten?
Viele der gekauften Waren sahen wir nie am Trek – zugunsten des Kochs irgendwo verkauft... Bhutan eben.
Ein letzter Ab- und Anstieg fuehrt uns ueber glitschige Pfade ins Blutegelland, durch Regen und Sonne auf den letzten Pass auf 3900m und wieder hinunter nach Gasa auf 2900m, wo das letzte Zeltlager aufgebaut wird. Einige interne Troubles zwischen Guide, Koch und Assistenten zufolge muessen – oder duerfen - wir in einem gemuetlichen Bauernhaus aufkochen, wo Martin und ich auch gleich uebernachten, das nasse Zelt bleibt fuer die letzte Nacht eingepackt. Wasti taucht waerend des Essens auf, rollt sich hinter mir zusammen und bleibt bis zum naechsten Morgen an meiner Seite. Was wird wohl aus ihm werden? Er ist uns beiden schon sehr ans Herz gewachsen.
Am Morgen wandern wir mit einem lachenden und einem weinendem Auge zum Strassenende, wo die Autos warten sollten. Obwohl es die Wettergoetter nicht immer grade nett mit uns meinten und im Monsun laut Martin besseres Wetter herrscht sind alle der Meinung, wir sollten besser wieder rauf und den Rest des Snowman Treks weitergehen. Der Weg zurueck in die „Zivilisation“ war immer schon schwierig.
Aber ich habe nicht lange zu trauern, eine andere Aufgabe taucht auf. Wasti will mit, hat aber keinerlei Erfahrung im Auto fahren. Nach dem ich ihn mit Salz von allen laestigen Blutegeln befreit habe, die er bei Streifzuegen aus dem hohen Gras mitgebracht hat, sitzt er zu meinen Fuessen, den Kopf auf meinen Knien. Der Blick sagt: „Ich fuercht mich zu Tode, aber wenn du sagst, es passt, dann wirds schon so sein!“ Das Holpern und die schnell vorbeiziehenden Baeume lassen ihn immer wieder aengstlich zum Fenster blicken. Einmal kann er sich gegen die Natur nicht wehren und laesst sich das Fruehstuck nochmal durch den Kopf gehen. Schuldbewusst blinzelt er mich an. Ein beruhigendens „Macht nix, kann passieren!“ scheint ihn zu troesten. Nach 3 Stunden – ein Marathon fuers erste Mal – oeffne ich ihm die Tuer zu seinem neuen Garten.
Ich bin ueber und ueber voll Blut, rieche also ob ich frisch aus dem Schlachthaus kaeme. Die Blutegelwunden haben die unangenehme Eigenschaft, stundenlang nachzubluten. Der wuschelige Hund des Hausherren, an und fuer sich der bravste Keoter, den man sich vorstellen kann, aber auch der faulste, der niemals klaefft oder beisst, faehrt mich an wie den Teufel hoechst persoenlich. Denkt er ich hab einen Hund getoetet oder riecht er einfach nicht gern Konkurrenten in dieser Intensitaet?
Es ist spaet also bringe ich Wasti gleich nach oben. Vorsichtig, wie um nichts kaputt zu machen, schleicht er ins Haus. Ich bringe ihn fuer die erste Nacht zur Gaestetoilette und koche ein wenig Reis und Huehnersuppe. Als ich zurueck komme, schlaeft er auf dem weichen Badvorleger. Hungrig verschlingt er das dargebotene Fressen, faellt und bleibt bis zum Morgen wie tot am selben Fleck liegen.
Der arme kleine Hund, was fuer eine Anstrengung, damit hatte er sicher nciht gerechnet, als er die ersten Schritte mit uns gelaufen war. 12 Tage permanentes Laufen und dann auch noch Autofahren. Ich bleibe ein wenig bei ihm sitzen und streichle ihn. Noch ist nicht alles ueberstanden. Was machen, wenn Martin und ich in wenigen Tagen kurz hintereinander das Land verlassen?
Am Morgen – am spaeten Morgen – tapst er vorsichtig im Garten herum, skeptisch verfolgt vom Haushund. Aber Wastis angenehme Art, seine Vorsicht, niemanden zu stoeren und ncihts kaputt zu machen ueberzeugen selbst das baune Wuschelmonster. Bald stehen sie sich Nase an Nase mit wedelnden Schwaenzen gegenueber. Freunde?!
Niemand hat Wasti je gebeten zu bleiben oder ihn angebunden, die Gartentuer steht offen, aber er bleibt, liegt ruhig vor der Haustuer und laesst die klaeffende Hundegang, die stets den Hauserblock umkreist und Krawall macht, links liegen. Mehr als ein desinteressierter Seitenblick entkommt ihm nicht.
Das erkennt auch der Hausherr, der zu unserer allgemeinen Freude das letzte Problem loest. Wir haben uns schon vorbereitet, einen neuen Besitzer fuer Wasti zu finden. Ihn einfach auszusetzen liegt uns voellig fern. Er hat uns als seine Familie angenommen, jetzt ist es an uns, fuer ihn zu sorgen. Sehr europaeisch wahrscheinlich, aber so sind wir eben.
Tashi, der Hausherr ist fasziniert von Wastis ueberlegenem Geist und fragt, ob er ihn nicht behalten duerfte, ein zweiter Wachhund schadet nicht. Der kleine, den er vor kuzem grossziehen wollte wurde schon zur Tante verfrachtet, weil er es nicht lassen konnte, Schuhe zu stehlen und in den Garten zu machen. „Ist er ein guter Wachhund?“ – Natuerlich.
Eine kleine Demonstration folgt auf dem Fusse. Ich baue im Garten das immer noch nasse Zelt auf. Wasti denkt wohl, wir sind wieder am Trek und zeigt sein Koennen – er bewacht das Zelt und verteidigt es gar gegen den Haushund. Dieser weiss gar nicht, was ihm geschieht, Freund oder doch Feind?
Aber bald ist das Zelt trocken und der Hausfrieden wieder hergestellt.
Ich bin mehr als froh, dass Wasti nun ein richtiges Zuhause hat und ich ihn sogar wieder sehen werde wenn wir zurueck kommen. Trotzdem ist es nicht leicht, ihn zu verlassen. Er versteht sehr gut was los ist und kommt am letzten Tag oft angetrabt, mit treuherzigem Blick, schiebt die Nase unter meine Hand und winselt leicht.
Wenn er nur verstehen wuerde, was „Bis bald“ heisst...
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