Bhutan - Alltag, Aberglaube und tolle Gruppen
30. Maerz - 2. Mai 06
Kuzumsangpo,
Jetzt sitz ich schon ueber einen Monat in Bhutan – genau genommen 2 Tage mehr, denn seit 2 Tagen ist mein Visum ausgelaufen, die Erneuerung dauert schon ueber eine Woche...
Alles ist furchtbar buerokratisch und langsam, man kann nicht mal jemanden bestechen ;o) um das ganze zu beschleunigen weil alle so ehrlich sind...
Vor kurzem hab ich ein Buch gelesen ueber Aberglaube im Alltag. Mich wundert gar nichts mehr. Wenn man wirklich all die Zeichen beachtet, die dort angegeben sind – und zu der Haelfte hab ich schon reale Kommentare von Freunden gehoert – kann man gar nichts anderes machen. Erst muss man nachsehen, ob ein gluecksverheissender Tag ist, damit man ueberhaupt richtig anfangen kann, dann muss man ueberlegen, ob die allgemeinen astrologischen Zeichen die spezifische Arbeit nicht beeintraechtigen. Sollte die alles stimmen und dann laueft man irgendwo an einem leeren Topf vorbei, steht erst recht alles unter einem schlechten Stern.
Eine Reise darf nicht von 6 Maennern alleine begangen werden, sonst passiert etwas Schlimmes – im Notfall wird der Pferdefuehrer dazu gerechnet. Am Tsa Che Gap Cha darf eine Reise ueberhaupt nicht begonnen werden. Aberglaeubische – und das sind 95% der BhutanerInnen – bringen so zumindest das Gepaeck am Vortag zum Haus eines Freundes, so hat die Reise frueher begonnen...
Das Ausdenken dieser ganzen Umgehungen beschaftigt die Leute in ungeheuerem Ausmass. An fruchtbare Arbeit ist daneben wenniger zu denken.
Einige dieser „Ratschlaege“, was man alles nicht tun darf, sind einfach zu erklaeren. Es heisst zum Beispiel, dass man im Winter im Haus nicht Floete spielen darf, weil sonst die boesen Geister geweckt werden. Ich habe dies schon bei den Kalash gehoert – die wissen allerdings, dass gerade im Winter, wo Nahrungsmittel im Haus gelagert sind, die Floete nicht gespielt wird, weil die Toene Maeuse und Ratten anlocken – das mussten schon die Leute zu Hameln erfahren.
Andere Geschichten sind ziemlich unglaublich. So sollte zum Beispiel eine schwangere Frau nicht ueber ein Seil steigen, mit dem ein Pferd angepflockt ist, weil sie sonst genau wie die Stute statt 9 Monaten erst nach 12 Monaten gebaeren wuerde...
Spricht man mit scheinbar abgeklaerten Bhutanern, denen eine skeptische Betrachtungsweise nicht ganz fremd ist, so stimmen sie erst zu – ihre Landeskollegen seien viel zu aberglaeubisch nur um am Schluss zu erzaehlen, dass ihnen selbst die und das passiert ist – denn: das meiste ist Bloedsinn, aber manches muss man schon glauben, zumindest das was mir selbst passiert ist...
In diesem Buch stand auch geschrieben, dass die beste Hilfe gegen Schluckauf sei, ueber Nadeln und Naegel zu reden. Vielleicht versuch ich es mal.
Nach dem ich in immer noch grosser Trauer angekommen bin und meist geschockt war ueber den Luxus in dem ich jetzt lebe – Heisswasserboiler, Betten, Gaestezimmer, Waschmaschine, Mikrowelle, Kuehlschrank, Auto und eine Putzfrau – hab ich mich jetzt wieder halbwegs gefangen. Trotzdem starre ich oft ein Loch in die Luft, in dem nur ich ein liebes Gesicht aus den Kalash Taelern, eine klingende Sitar oder ein duftendes Nussbrot sehe, hoere und rieche.
Nach einem voellig integriertem Leben fuehle ich mich unter den freundlichen aber keuhlen Bhutanern, die sich nicht mal zur Begruessung umarmen, etwas einsam.
Aber das verging schnell, als die erste Gruppe aus Tirol hier auftauchte. Eine lustige Truppe mit dem Herz am rechten Fleck. Bald verstanden wir uns besser als die uebliche Gruppe-zu-Reisebegleiter-Beziehung. Erst koederten sie mich mit Speck, Parmesan, Schnaps und Schokolade, aber das war bald nicht mehr noetig. Ich genoss die Zeit mit den 8 Tirolern – sorry, 5 und 3 Deutschen - obwohl neben bei einiges zu richten war, weil sie ueberland mit einem indischen Bus kamen, dessen Fahrer seine ID Karte vergessen hatte. Das Schlimmste was Bhutanern mit ihrer ewigen Indienphobie passieren koennte. Inder ohne ID, die sich vielleicht irgendwo absetzen. Beteuerungen, dass wir den Burschen eigenhaendig am Fahrersitz anketten wuerden weil es auch nicht in unserem Sinne sei, wenn er sich ploetzlich wie Guru Rimpoche in Luft aufloest halfen nichts. Erst wurde uns angedroht, dass der Bus gar nicht weiterfahren darf, dann wieder, dass er am naechsten Tag verschwinden muss... Es war ein Spiessrutenlauf, bei dem der eigentliche Guide auch nicht wirklich eine grosse Hilfe war, sondern eher noch einiges verkomplizierte, aber das ist eben Bhutan. Schlussendlich ist dank Hilfe aus dem Hintergrund und vielen Ueberredungskuensten alles gut gegangen. Waehrend lange Busfahrten plauderten wir nicht nur ueber Bhutans Geschichte und buddhistische Ikonografie, sondern auch ueber Persoenliches und Lustiges. Viele waren interessiert an den Kalash Projekten und der lange Zeit in Pakistan – so erzaehlte ich, wahrscheinlich viel zu viel, aber ich war so froh, endlich persoenlich mit Landsleuten ueber meine Eindruecke zu reden. Am Ende der Reise, als an den Fahrer und Guide ein Kuvert uebergeben wurde, war noch ein drittes fuer die Kalash dabei. Ich habe mich sehr daruber gefreut und noch mehr werden es die Kalash tun.
Aber das war nicht alles – ich bekam Saecke voll mit nuetzlichen Dingen und Medikamenten, die ich nach Pakistan bringen kann und auch manches fuer mich hier in Bhutan – die Schokolade zum Beispiel wuerde sicher schmelzen bei den 42 Grad die es jetzt schon hat in Lahore.
Und was mich persoenlich am meisten freut ist, dass die Bande Incha Allah nicht reissen werden, manche wurden zu richtigen Freunden.
Parallel war eine andere Gruppe da – aus Wien. Nach dem ersten Treffen am Chele La Pass, wo die erste von vielen Sektflaschen gekoepft wurde, hoerte auf der einen Seite: oje, die Wiener... – auf der anderen: ja, ja, die Tiroler... Aber, und ich hoffe ich beleidige keinen ;o), ich musste feststellen, dass beide Gruppen grossartig waren.
Mit den Wienern konnten wir zwar nicht in die Oper, aber immerhin in Thimphus einziges Kino.
Die Plakate versprachen die erste bhutanische Produktion, bei der ein Chilip – ein Westler – mitspielen wuerde. Eine Freundin erzehlte uns noch ungefaehr den Hergang, damit wir nicht voellig im Dzongkha Dunkel sitzen wuerde, dann gings los. Es war zum Schreien. Michael, Ein Huene mit Wasserstoff blonden Haaren, braunem Bart und schmachtendem Blick verlief sich am Trek, von dem wir auch ein Stueck gehen wuerden. Nach 2 (!) furchteinfloessenden Naechten im Wald – in einem Gebiet in dem man kaum zur Seite kann – verletzt er sich am Bein, kann nicht mehr laufen und schreit laut und pathetisch „Help me!“, was zum Schlachtruf unserer Wiener wurde. Wie kann es anders sein – eine huebsche Yak Hirtin aus Laya findet ihn und sie pflegt ihn tagelang. Es wird eine Vielzahl an Filminuten mit aus den Sprachschwierigkeiten resultierenden Sprachwitzen und Missverstaendnissen totgeschlagen. Als ihr der Bursche endlich seine Liebe gesteht (I love you - english) reicht sie ihm Rettich (lovup - dzongkha). Zum Glueck kommt die englisch sprachige Schwester hoch zur Alm, klaert die Missverstendnisse auf und verkuppelt die beiden schliesslich. Die schauspielerischen Faehigkeiten der beiden jungen Bhutanerinnen uebertrifft die des Weissen um Laengen – seine Schmerzschreie bei jeder Beruehrung des Beines lassen eher auf eine Vergangenheit als Pornodarsteller schliessen. Tatsaechlich ist er auf bhutanische Art zum Film gekommen. Der eigentliche Star sagte im letzten Augenblick ab und schickte einen Freund als Ersatz.
Mike sitz also auf der Weide, schaekert mit den Maedels und springt schon ganz munter auf den Almen rum. In Einblendungen sieht man immer wieder den aufgeregten Reiseveranstalter und eine Militaereinheit, die zur Suche abkommandiert wurde, im Gaensemarsch den Wald absuchen. Schlussendlich werden die 3 verraten, er wird gewaltsam unter dramatischen Liebesbeteuerungen weggezerrt, aber es waere nicht von Bollywood abgeschaut, gaebe es nicht viele Lieder und ein Happyend.
Was als Inhalt hier in wenigen Zeilen Platz findet dauert im bhutanischen Kino 3 ganze Stunden, ein bisserl mehr vielleicht wegen wiederholtem Stromausfall...
Das bhutanische Publikum war manchmal sehr erstaunt, weil die Chilip-Zuschauer ausgerechnet immer bei den heroischsten und traurigsten Szenen in lautes Gelaechter ausgebrochen sind. Wer schon mal einen Bollywood film gesehen hat und die Liebe der Regisseure zu dramatisch witzigen Einstellungen kennt, weiss warum. Die anderen sollten rasch einen derartigen Film ansehen!
Wir wussten nun also, wie wir uns am Trek verhalten mussten, falls etwas schiefgehen sollte, einfach HELP ME schreien, dann kommt die huebsche Hirtin. Ich versicherte mich noch, wer gesucht werden wollte, falls er verloren ging und wer sich lieber zur Yak Alm durchschlagen moechte.
Martin und ich gingen beim ersten Kurztrek der Gruppe mit der Campingausruestung entgegen, schlugen mit Hilfe des Horseman ein Lager auf und kochten in Abwesenheit des versprochenen Kochs selbst in der Bambushuette. Mit dem stoerrischsten aller Pferde an der Leine marschierten wir los um den verschneiten Trekkern eine warme Mahlzeit entgegen zu bringen. Der Horseman wartete einstweilen bei den anderen Pferden im Camp. Das Pferd erwies sich als nicht so bockig wie angenommen, sprang lustig im Regen ueber Stock und Stein und witterte als erster die Kollegen, die das Gepaeck der nahenden Gruppe trugen.
Nach einer kalten Nacht lag am Morgen Schnee auf den Zelten, es schneite selbst noch beim Abmarsch. Aber die Gruppe lies sich die gute Laune nicht nehmen, erschoepft, nass aber mit Laecheln kamen wir zurueck ins gemuetliche Hotel in Bumthang, wo wir erstmal alles trocknen liessen, um 2 Tage spaeter den nachesten Versuch ein paar Sonnenminuten am Weg zu erhaschen anzugehen.
Als Belohnung war auf wundersame Weise die bestellte Geburtstagstorte (in Punakha, was nicht grade als Zentrum des ohnehin nichtvorhandenen bhutanischen Konditorverbandes gilt! – ein Lob an die Baecker!!!) mit richtiger Beschriftung eintrifft, sind alle sprachlos. Die Flasche Sekt fand von Thimphu ihren Weg – wir waren vorbereitet, schliesslich hatten diese 10 Leute in den 3 Wochen ihrer Reise 4 Geburtstage zu feiern.
In einem anderen Tal ging es nun zum Gasa Dzong, wo ich selbst noch nie war, und dann runter zu den heissen Quellen. Bei der Anfahrt, zu der wir uns in kleine Gruppen teilten um in die gelaendegaengigen Allradautos zu passen. Der Fahrer des Hilux erstaunte mich aufs hoechste. Wir wurden angehalten – wegen den ueblichen schriftlichen Genehmigungen. Der Fahrer wusste gar nicht, ob wir ueberhaupt eine hatten, was normalerweise zum demuetigen Umkehren fuehren wuerde. Ich traute meinen Ohren nicht, als ich hoerte: „Wir sind mit 3 Autos unterwegs, die Genehmigung war im ersten, wo auch der Guide sitzt! Sie sind sehr fruh gefahren, vielleicht habt ihr sie nciht gesehen.“ Ein Bhutaner der den Obrigkeiten eine Ausrede erzehlt – wo hat man das schon gesehen? Ich war schwer beeindruckt, den Burschen musste ich mir merken.
Diesmal verschonte uns am Trek zwar der Schnee, aber der Regen blieb nicht aus. Der Weg zum Dzong, der lange Zeit zum Greifen nahe am gegenueberliegendern Huegel thront windet sich 5 Stunden in Seitentaeler, Schluchten und zum Schluss in steilem Anstieg ins kleine Dorf am Fusse der Festung. Gasa ist die einzige Bezirkshauptstadt ohne Strassenanschluss. Strom kam vor 3 Monaten, nachts brennen nun stolz die nakten Gluehbirnen auf den kleinen Veranden. Der Weg und dann besonders der Platz bei den heissen Quellen war von Blutegeln besetzt, wie durch ein Wunder haengte sich keiner an unsere Gaeste. Ich ueberraschte ein paar beim Versuch vorne an meinen Schuheh hochzuklettern – selber Schuld – wuerden sie von hinten hochkommen, haette ich es nie bemerkt.
Am fruehen Morgen toente die Klaenge von ‚Bruder Jakob’ durch die duenne Zeltwand – schlaefst du noch? Bei der Gruppe war Hornist, ein Philharmoniker. Um nicht aus der Uebung zu kommen hatte er sich ein Reisehorn gebastelt – ein Stueck Gartenschlauch in Form gebogen, ein Oeltrichter am einen Ende, das Originalmundstueck am anderen. Damit sorgte er ueberall besoders bei den Kindern fuer Aufregung, aber auch Moenche nickten zustimmend – sie wusstenwie schwer es ist, diesen Dingern Toene zu entlocken. Zu den Gebetsstunden und Pujas spielen sie auf Alphorn aehnlichen Instrumenten.
Mit Radetzky kuendigte er den letzten Marschtag an. Ein paar Amerikanerinnen von der Konkurrenz waren voellig hingerissen, einen echten Philharmoniker live zu hoeren. Was Bhutan alles zu bieten hast ist erstaunlich...
Die harmonischen Klaenge troesteten ein wenig ueber den entsetzlichen Dreck bei den heissen Quellen hinweg, die Toiletten verstopft und unbrauchbar, Mist wird einfach fallen gelassen. Die umweltbewussten Spruche, die in Graffitti Form von grossen Steinen prangen sind noch nicht ganz im Bewusstsein der Bhutaner verwurzelt.
Zurueck in der Zivilisation mussten wir zum 2. Mal alles trocknen, aber immer noch scherzten alle – unverwuestlich diese Wiener.
Wahrscheinlich darum und wegen ihrer aufgeschlossenen Art hatte Guru Rimpoche neben den Regentropfen auch ein paar Zuckerl auf ihre Reisepfade gestreut. Berauschende Blicke in Bhutans Himalaya vom Chele La, farbenfrohe Maskentaenzer und ein Riesenthangkha (Thondrol) beim Paro Tse Chu, entspannende Baeder zwischen Blutegeln bei den heissen Quellen, gelungene Geburtstasfeiern in den abgeschiedensten Winkeln, ein gerade geschluepftes, staksiges Babytakin, ein wildromantisches Picknick am Fluss, eine Einladung im gemuetlichen Bauernhaus am Trek und Rhododendren in voller Bluetenpracht als Farbtupfer im tristen Nieselregen.
Nicht nur Musiker, sonder auch Poeten waren mitdabei, so entstand zum Abschluss ein Gedicht, in dem all die bhutanischen Ereignisse zusammengefasst wurden. Am letzten Abend unter schallendem Gelaechter und dem ein oder anderen wehmuetigen Blick hiess es dann:
Der Zeremonienschal, der weiße
begrüßt uns am Beginn der Reise.
Doch Nonnenkloster, Tigernest
geb´n uns am Anfang gleich den Rest.
Paro-Tsechu – der Mönche Tanz
geb´n dann der „chose“ Farbenglanz.
Dann Dzongs und Klöster - ´rein und ´raus –
Für Tempel heißt es: „Schuhe aus!“
An manchen Stellen, das ist wahr,
spürt man die Kraft des Ortes gar.
Auf der Dämonin linkem Fuß
die beiden Tempel sind ein Muss.
Die Isabelle führt uns ein
was Inhalt ist der Malerei´n.
Und so begleit´ uns Woch´ für Woche
Shabdrung und der Guru Rimpoche.
Dem Drukpa Kunley seine Glieder
Die hab´n ´ne Kraft - da kniest Dich nieder.
Penis mit Mascherl, frisch frisiert,
so manche schöne Hauswand ziert.
Der blonde Mike schreit „help me!“ laut
und find´t so seine Yak-Hirt-Braut.
Verhilft uns auch auf diese Weise
zum Schlachtruf uns´rer Bhutanreise.
Die Straßen schlängeln sich am Hang,
fast wird uns allen Angst und bang!
Rimpoche mög´ sein´s Amtes walten
und g´fälligst ein paar Felsen spalten!
Wir essen gern das „Bhutan-Gatschi“
„momo“ heißt´s, und „ema-datshi “ .
Die Treks durch Regen, Dung und Gatsch
machen uns abends ziemlich matsch.
Dazu die Nachricht, erst die schlechte :
„Der Schnee reicht nicht für eine Wächte!“
Und dann die gute Nachricht d`rauf:
„Einmal hört jeder Regen auf!“
Ob Schnee, ob Regen in der Nacht
Am Morgen der Martin nur lacht.
Und rinnen auch durch´s Zelt die Wässer
Sagt er: „Versichert Euch halt besser!“.
Im Bauernhaus beim Buttertee
da trocknen wir uns dann vom Schnee.
Des Martin´s Liebe zu Bhutan
steckt schließlich auch uns alle an
so dass, obwohl die Sonne nicht mehr scheint,
zum Abschied jeder leise weint
und denkt: „Wie schoen ist doch Bhutan -
jetzt geht das Foto-Picken an.(herzlichen Dank an Guenter!)
Auch diese Gruppe hat einiges hinterlassen, nicht nur das Laecheln auf unseren Lippen wenn wir an sie denken. Ich werde mit vollen Koffern und Plaenen fuer neue Projekte in die Kalash Taeler fahren.
Nach der Abreise ist es jetzt wieder etwas ruhiger, die Arbeit allerdings laesst nicht nach. Martin schreibt einen Reisefuehrer fuer den ich Fakten zusammensuche und Legenden zurechtstutze. Beides ist nicht so einfach hier. Legenden gibt es zu jedem Thema in vielfacher Ausfuehrung und Fakten, ja... was war das gleich wieder?
Nicht mal in der Groesse des Landes sind sich die verschiedenen Quellen einig, wie dann erst bei sich jaehrlich aendernden Zahlen? Eine kleine Hilfe ist der kuerzlich veroeffentlichte Census Bhutan. Letztes Jahr fand die erste Bevoelkerungszaehlung statt, alle Zahlen sind zwar immer noch nicht zugaenglich, aber ein paar wurde schon veroeffentlicht. So ist nun ein-fuer-alle-mal klar, dass (nicht wie im CIA fact book 2,2mio oder 1,2mio und) nicht wie seit ca. 5 Jahren angenommen hier 740.000 Bhutaner auf den Bergen und im Dschungel herumkraxeln, sondern nur 634.982. Das statistische Pro-Kopf-Einkommen ist sprunghaft gestiegen - Ueberraschung - was bhutanische Experten zu Aussagen verleitet wie: "There will be a fictional rise of GDP per capita in Bhutan, but this does not mean that our income will increase today because of the census results“
Man hoere und staune!
Heute waren wir in der Nationalbibliothek – aus der keine Buecher ausgeliehen werden duerfen – und haben uns koestlich mit den Originalberichten von Sir J.C. Whites und Ashley Edens Missionen nach Bhutan amuesiert. Letzterer wurde - zum immer noch anhaltenden Gaudium der Bhutaner – weil er ungebeten kam mit Unhoeflichkeit behandelt und mit Dreck beworfen. Das hiesige Schulbuch erzaehlt heroische Geschichten zum Thema, ganz so war es aber doch nicht. Einige spannende Details, die so gar nicht in Einklang mit den bhutanischen Heldengeschichten gebracht werden koennen haben wir schon entdeckt.
Die Beschreibungen Ashleys ueber den Charakter der Einheimischen sind nicht immer sehr schmeichelhaft, treffen aber teils heute noch zu. Daher kommt wahrscheinlich der immer noch spuerbare Hass auf diesen Briten.
Ihre Illoyalitaet und Unzuverlaesslichkeit hatte er damals schon ausgespaeht.
Davon koennen wir ein Lied singen.
Der Reiseveranstalter fuer den Martin hier arbeitet, hat schon einige Buchhalter verbraucht. Der Vorletzte hat sich, nach dem er die wenigen klaren Dinge auch noch durcheinander gebracht hatte, nach Indien abgesetzt. Hinter ihm kam die sprichwoertliche Sintflut. Der Jetzige rauft sich Tag fuer Tag die Haare oder erscheint tagelang gar nicht. Das Steuersystem ist nicht einfach hier und es gibt landesweit genau keinen Steuerberater und niemanden, der eine klare Auskunft ueber gewisse Steuersaetze oder Vorgangsweisen z.B. bei der TDS geben kann. TDS heisst „Tax Deducted from Source“ und muss beim Bezahlen gewisser Rechnungen dem Dienstleister vom Dienstnehmer abgezogen werden. Der Dienstnehmer hat also Geld, das ihm nicht gehoert, der andere muss ein bisschen weniger Steuern zahlen. Die Saetze sind je nach Leistung verschieden, bei Barzahlung faellt es – vielleicht, das weiss keiner so genau – aus. Der Grund ist, dass der Staat seine Pappenheimer kennt und weiss, dass nicht jeder seine Steuern zahlt, so wird ein Teil einfach einbehalten und soll von anderen – die vielleicht auch nicht zahlen – bezahlt werden. Bis hier her alles klar? Ich werde das Thema nicht weiter vertiefen, sonst fange ich vielleicht auch noch zum Haareraufen an.
Aber nicht nur die Buchhalter machen sich nacheinander aus dem Staub, auch Guides, Koeche und Autos lassen sich nicht verbindlich anheuern, Zimmer buchen ist eine Kunst und falls man versucht per Telefon etwas auszumachen geht das bestimmt in die Hose.
Sangay, ein Freund hier und einer der wenigen der weiss was Loyalitaet wirklich ist, ruft 3 Mal an, wenn er durch seinen Fahrer etwas bringen laesst. Erst um sich zu versichern, dass der Zeitpunkt passt, dann wenn der Fahrer wirklich abgefahren ist (kann manchmal dauern) und dann ob er auch angekommen ist. Er kennt seine Schaefchen.
Aber die asiatische Gelassenheit laesst drueber hinwegschauen, ein gewisse Portion Humor ist sehr hilfreich und wenns zu bunt wird und die kan Almdudler ham, fahr ma wieda ham!
Almdudler gibts wirklich nicht, dafuer hat es in Bumthang im Swiss Guesthouse nun erstmals Weissbier vom Fass. Fritz Maurers Sohn (ueber Fritz hab ich schon oefters geschrieben, der der die Kaeserei, die bienenzucht, die Landmashinen Werkstatt, das Guesthouse, den Bumthang Ofen, Weissbier und Chrueter Schnaps eingefuehrt hat) – also sein Sohn ist mittlerweile von der schweizer Armee zurueckgekommen und fuehrt nun mit seiner bhutanischen Frau das Guesthouse. In der Armee diente er als Koch, was ihm zu Ueberblick und logistischem Denken verholfen hat – 2 Dinge die hier nicht sehr ausgepraegt sind. Es gibt selbstgeraeucherten Speck, Brot, Roesti, Raclette, Fondue und Berner Teller auf dem Speiseplan und im Sommer geht er Erdbeeren suchen – fuer die Marmelade.
Sein Deutsch ist holprig, dafuer spricht er fliessen schwyzerduetsch und Dzongkha, eine lustige Mischung. Beim Plaudern bekam ich ploetzlich Schluckauf, also sagte ich zu ihm: „Vielleicht kennst du – hicks – das bhutanische Buch – hicks – mit den Geschichten ueber – hicks – Aberglaube. Dort steht – hicks – dass man ueber – hicks – Naegel und Nadeln reden soll, wenn man Hitski hat, also erzaehl ich dir jetzt was ueber Naegel und Nadeln. Hast du irgendwo einen Nagel rumliegen, vielleicht hilft das besser....“
Und wie durch ein Wunder hoerte der Schluckauf auf. Ist ja alles Bloedsinn, aber manche Dinge muss man schon glauben. Zumindest das was mir selbst passiert ist...
Tashi Delek
Kuzumsangpo,
Jetzt sitz ich schon ueber einen Monat in Bhutan – genau genommen 2 Tage mehr, denn seit 2 Tagen ist mein Visum ausgelaufen, die Erneuerung dauert schon ueber eine Woche...
Alles ist furchtbar buerokratisch und langsam, man kann nicht mal jemanden bestechen ;o) um das ganze zu beschleunigen weil alle so ehrlich sind...
Vor kurzem hab ich ein Buch gelesen ueber Aberglaube im Alltag. Mich wundert gar nichts mehr. Wenn man wirklich all die Zeichen beachtet, die dort angegeben sind – und zu der Haelfte hab ich schon reale Kommentare von Freunden gehoert – kann man gar nichts anderes machen. Erst muss man nachsehen, ob ein gluecksverheissender Tag ist, damit man ueberhaupt richtig anfangen kann, dann muss man ueberlegen, ob die allgemeinen astrologischen Zeichen die spezifische Arbeit nicht beeintraechtigen. Sollte die alles stimmen und dann laueft man irgendwo an einem leeren Topf vorbei, steht erst recht alles unter einem schlechten Stern.
Eine Reise darf nicht von 6 Maennern alleine begangen werden, sonst passiert etwas Schlimmes – im Notfall wird der Pferdefuehrer dazu gerechnet. Am Tsa Che Gap Cha darf eine Reise ueberhaupt nicht begonnen werden. Aberglaeubische – und das sind 95% der BhutanerInnen – bringen so zumindest das Gepaeck am Vortag zum Haus eines Freundes, so hat die Reise frueher begonnen...
Das Ausdenken dieser ganzen Umgehungen beschaftigt die Leute in ungeheuerem Ausmass. An fruchtbare Arbeit ist daneben wenniger zu denken.
Einige dieser „Ratschlaege“, was man alles nicht tun darf, sind einfach zu erklaeren. Es heisst zum Beispiel, dass man im Winter im Haus nicht Floete spielen darf, weil sonst die boesen Geister geweckt werden. Ich habe dies schon bei den Kalash gehoert – die wissen allerdings, dass gerade im Winter, wo Nahrungsmittel im Haus gelagert sind, die Floete nicht gespielt wird, weil die Toene Maeuse und Ratten anlocken – das mussten schon die Leute zu Hameln erfahren.
Andere Geschichten sind ziemlich unglaublich. So sollte zum Beispiel eine schwangere Frau nicht ueber ein Seil steigen, mit dem ein Pferd angepflockt ist, weil sie sonst genau wie die Stute statt 9 Monaten erst nach 12 Monaten gebaeren wuerde...
Spricht man mit scheinbar abgeklaerten Bhutanern, denen eine skeptische Betrachtungsweise nicht ganz fremd ist, so stimmen sie erst zu – ihre Landeskollegen seien viel zu aberglaeubisch nur um am Schluss zu erzaehlen, dass ihnen selbst die und das passiert ist – denn: das meiste ist Bloedsinn, aber manches muss man schon glauben, zumindest das was mir selbst passiert ist...
In diesem Buch stand auch geschrieben, dass die beste Hilfe gegen Schluckauf sei, ueber Nadeln und Naegel zu reden. Vielleicht versuch ich es mal.
Nach dem ich in immer noch grosser Trauer angekommen bin und meist geschockt war ueber den Luxus in dem ich jetzt lebe – Heisswasserboiler, Betten, Gaestezimmer, Waschmaschine, Mikrowelle, Kuehlschrank, Auto und eine Putzfrau – hab ich mich jetzt wieder halbwegs gefangen. Trotzdem starre ich oft ein Loch in die Luft, in dem nur ich ein liebes Gesicht aus den Kalash Taelern, eine klingende Sitar oder ein duftendes Nussbrot sehe, hoere und rieche.
Nach einem voellig integriertem Leben fuehle ich mich unter den freundlichen aber keuhlen Bhutanern, die sich nicht mal zur Begruessung umarmen, etwas einsam.
Aber das verging schnell, als die erste Gruppe aus Tirol hier auftauchte. Eine lustige Truppe mit dem Herz am rechten Fleck. Bald verstanden wir uns besser als die uebliche Gruppe-zu-Reisebegleiter-Beziehung. Erst koederten sie mich mit Speck, Parmesan, Schnaps und Schokolade, aber das war bald nicht mehr noetig. Ich genoss die Zeit mit den 8 Tirolern – sorry, 5 und 3 Deutschen - obwohl neben bei einiges zu richten war, weil sie ueberland mit einem indischen Bus kamen, dessen Fahrer seine ID Karte vergessen hatte. Das Schlimmste was Bhutanern mit ihrer ewigen Indienphobie passieren koennte. Inder ohne ID, die sich vielleicht irgendwo absetzen. Beteuerungen, dass wir den Burschen eigenhaendig am Fahrersitz anketten wuerden weil es auch nicht in unserem Sinne sei, wenn er sich ploetzlich wie Guru Rimpoche in Luft aufloest halfen nichts. Erst wurde uns angedroht, dass der Bus gar nicht weiterfahren darf, dann wieder, dass er am naechsten Tag verschwinden muss... Es war ein Spiessrutenlauf, bei dem der eigentliche Guide auch nicht wirklich eine grosse Hilfe war, sondern eher noch einiges verkomplizierte, aber das ist eben Bhutan. Schlussendlich ist dank Hilfe aus dem Hintergrund und vielen Ueberredungskuensten alles gut gegangen. Waehrend lange Busfahrten plauderten wir nicht nur ueber Bhutans Geschichte und buddhistische Ikonografie, sondern auch ueber Persoenliches und Lustiges. Viele waren interessiert an den Kalash Projekten und der lange Zeit in Pakistan – so erzaehlte ich, wahrscheinlich viel zu viel, aber ich war so froh, endlich persoenlich mit Landsleuten ueber meine Eindruecke zu reden. Am Ende der Reise, als an den Fahrer und Guide ein Kuvert uebergeben wurde, war noch ein drittes fuer die Kalash dabei. Ich habe mich sehr daruber gefreut und noch mehr werden es die Kalash tun.
Aber das war nicht alles – ich bekam Saecke voll mit nuetzlichen Dingen und Medikamenten, die ich nach Pakistan bringen kann und auch manches fuer mich hier in Bhutan – die Schokolade zum Beispiel wuerde sicher schmelzen bei den 42 Grad die es jetzt schon hat in Lahore.
Und was mich persoenlich am meisten freut ist, dass die Bande Incha Allah nicht reissen werden, manche wurden zu richtigen Freunden.
Parallel war eine andere Gruppe da – aus Wien. Nach dem ersten Treffen am Chele La Pass, wo die erste von vielen Sektflaschen gekoepft wurde, hoerte auf der einen Seite: oje, die Wiener... – auf der anderen: ja, ja, die Tiroler... Aber, und ich hoffe ich beleidige keinen ;o), ich musste feststellen, dass beide Gruppen grossartig waren.
Mit den Wienern konnten wir zwar nicht in die Oper, aber immerhin in Thimphus einziges Kino.
Die Plakate versprachen die erste bhutanische Produktion, bei der ein Chilip – ein Westler – mitspielen wuerde. Eine Freundin erzehlte uns noch ungefaehr den Hergang, damit wir nicht voellig im Dzongkha Dunkel sitzen wuerde, dann gings los. Es war zum Schreien. Michael, Ein Huene mit Wasserstoff blonden Haaren, braunem Bart und schmachtendem Blick verlief sich am Trek, von dem wir auch ein Stueck gehen wuerden. Nach 2 (!) furchteinfloessenden Naechten im Wald – in einem Gebiet in dem man kaum zur Seite kann – verletzt er sich am Bein, kann nicht mehr laufen und schreit laut und pathetisch „Help me!“, was zum Schlachtruf unserer Wiener wurde. Wie kann es anders sein – eine huebsche Yak Hirtin aus Laya findet ihn und sie pflegt ihn tagelang. Es wird eine Vielzahl an Filminuten mit aus den Sprachschwierigkeiten resultierenden Sprachwitzen und Missverstaendnissen totgeschlagen. Als ihr der Bursche endlich seine Liebe gesteht (I love you - english) reicht sie ihm Rettich (lovup - dzongkha). Zum Glueck kommt die englisch sprachige Schwester hoch zur Alm, klaert die Missverstendnisse auf und verkuppelt die beiden schliesslich. Die schauspielerischen Faehigkeiten der beiden jungen Bhutanerinnen uebertrifft die des Weissen um Laengen – seine Schmerzschreie bei jeder Beruehrung des Beines lassen eher auf eine Vergangenheit als Pornodarsteller schliessen. Tatsaechlich ist er auf bhutanische Art zum Film gekommen. Der eigentliche Star sagte im letzten Augenblick ab und schickte einen Freund als Ersatz.
Mike sitz also auf der Weide, schaekert mit den Maedels und springt schon ganz munter auf den Almen rum. In Einblendungen sieht man immer wieder den aufgeregten Reiseveranstalter und eine Militaereinheit, die zur Suche abkommandiert wurde, im Gaensemarsch den Wald absuchen. Schlussendlich werden die 3 verraten, er wird gewaltsam unter dramatischen Liebesbeteuerungen weggezerrt, aber es waere nicht von Bollywood abgeschaut, gaebe es nicht viele Lieder und ein Happyend.
Was als Inhalt hier in wenigen Zeilen Platz findet dauert im bhutanischen Kino 3 ganze Stunden, ein bisserl mehr vielleicht wegen wiederholtem Stromausfall...
Das bhutanische Publikum war manchmal sehr erstaunt, weil die Chilip-Zuschauer ausgerechnet immer bei den heroischsten und traurigsten Szenen in lautes Gelaechter ausgebrochen sind. Wer schon mal einen Bollywood film gesehen hat und die Liebe der Regisseure zu dramatisch witzigen Einstellungen kennt, weiss warum. Die anderen sollten rasch einen derartigen Film ansehen!
Wir wussten nun also, wie wir uns am Trek verhalten mussten, falls etwas schiefgehen sollte, einfach HELP ME schreien, dann kommt die huebsche Hirtin. Ich versicherte mich noch, wer gesucht werden wollte, falls er verloren ging und wer sich lieber zur Yak Alm durchschlagen moechte.
Martin und ich gingen beim ersten Kurztrek der Gruppe mit der Campingausruestung entgegen, schlugen mit Hilfe des Horseman ein Lager auf und kochten in Abwesenheit des versprochenen Kochs selbst in der Bambushuette. Mit dem stoerrischsten aller Pferde an der Leine marschierten wir los um den verschneiten Trekkern eine warme Mahlzeit entgegen zu bringen. Der Horseman wartete einstweilen bei den anderen Pferden im Camp. Das Pferd erwies sich als nicht so bockig wie angenommen, sprang lustig im Regen ueber Stock und Stein und witterte als erster die Kollegen, die das Gepaeck der nahenden Gruppe trugen.
Nach einer kalten Nacht lag am Morgen Schnee auf den Zelten, es schneite selbst noch beim Abmarsch. Aber die Gruppe lies sich die gute Laune nicht nehmen, erschoepft, nass aber mit Laecheln kamen wir zurueck ins gemuetliche Hotel in Bumthang, wo wir erstmal alles trocknen liessen, um 2 Tage spaeter den nachesten Versuch ein paar Sonnenminuten am Weg zu erhaschen anzugehen.
Als Belohnung war auf wundersame Weise die bestellte Geburtstagstorte (in Punakha, was nicht grade als Zentrum des ohnehin nichtvorhandenen bhutanischen Konditorverbandes gilt! – ein Lob an die Baecker!!!) mit richtiger Beschriftung eintrifft, sind alle sprachlos. Die Flasche Sekt fand von Thimphu ihren Weg – wir waren vorbereitet, schliesslich hatten diese 10 Leute in den 3 Wochen ihrer Reise 4 Geburtstage zu feiern.
In einem anderen Tal ging es nun zum Gasa Dzong, wo ich selbst noch nie war, und dann runter zu den heissen Quellen. Bei der Anfahrt, zu der wir uns in kleine Gruppen teilten um in die gelaendegaengigen Allradautos zu passen. Der Fahrer des Hilux erstaunte mich aufs hoechste. Wir wurden angehalten – wegen den ueblichen schriftlichen Genehmigungen. Der Fahrer wusste gar nicht, ob wir ueberhaupt eine hatten, was normalerweise zum demuetigen Umkehren fuehren wuerde. Ich traute meinen Ohren nicht, als ich hoerte: „Wir sind mit 3 Autos unterwegs, die Genehmigung war im ersten, wo auch der Guide sitzt! Sie sind sehr fruh gefahren, vielleicht habt ihr sie nciht gesehen.“ Ein Bhutaner der den Obrigkeiten eine Ausrede erzehlt – wo hat man das schon gesehen? Ich war schwer beeindruckt, den Burschen musste ich mir merken.
Diesmal verschonte uns am Trek zwar der Schnee, aber der Regen blieb nicht aus. Der Weg zum Dzong, der lange Zeit zum Greifen nahe am gegenueberliegendern Huegel thront windet sich 5 Stunden in Seitentaeler, Schluchten und zum Schluss in steilem Anstieg ins kleine Dorf am Fusse der Festung. Gasa ist die einzige Bezirkshauptstadt ohne Strassenanschluss. Strom kam vor 3 Monaten, nachts brennen nun stolz die nakten Gluehbirnen auf den kleinen Veranden. Der Weg und dann besonders der Platz bei den heissen Quellen war von Blutegeln besetzt, wie durch ein Wunder haengte sich keiner an unsere Gaeste. Ich ueberraschte ein paar beim Versuch vorne an meinen Schuheh hochzuklettern – selber Schuld – wuerden sie von hinten hochkommen, haette ich es nie bemerkt.
Am fruehen Morgen toente die Klaenge von ‚Bruder Jakob’ durch die duenne Zeltwand – schlaefst du noch? Bei der Gruppe war Hornist, ein Philharmoniker. Um nicht aus der Uebung zu kommen hatte er sich ein Reisehorn gebastelt – ein Stueck Gartenschlauch in Form gebogen, ein Oeltrichter am einen Ende, das Originalmundstueck am anderen. Damit sorgte er ueberall besoders bei den Kindern fuer Aufregung, aber auch Moenche nickten zustimmend – sie wusstenwie schwer es ist, diesen Dingern Toene zu entlocken. Zu den Gebetsstunden und Pujas spielen sie auf Alphorn aehnlichen Instrumenten.
Mit Radetzky kuendigte er den letzten Marschtag an. Ein paar Amerikanerinnen von der Konkurrenz waren voellig hingerissen, einen echten Philharmoniker live zu hoeren. Was Bhutan alles zu bieten hast ist erstaunlich...
Die harmonischen Klaenge troesteten ein wenig ueber den entsetzlichen Dreck bei den heissen Quellen hinweg, die Toiletten verstopft und unbrauchbar, Mist wird einfach fallen gelassen. Die umweltbewussten Spruche, die in Graffitti Form von grossen Steinen prangen sind noch nicht ganz im Bewusstsein der Bhutaner verwurzelt.
Zurueck in der Zivilisation mussten wir zum 2. Mal alles trocknen, aber immer noch scherzten alle – unverwuestlich diese Wiener.
Wahrscheinlich darum und wegen ihrer aufgeschlossenen Art hatte Guru Rimpoche neben den Regentropfen auch ein paar Zuckerl auf ihre Reisepfade gestreut. Berauschende Blicke in Bhutans Himalaya vom Chele La, farbenfrohe Maskentaenzer und ein Riesenthangkha (Thondrol) beim Paro Tse Chu, entspannende Baeder zwischen Blutegeln bei den heissen Quellen, gelungene Geburtstasfeiern in den abgeschiedensten Winkeln, ein gerade geschluepftes, staksiges Babytakin, ein wildromantisches Picknick am Fluss, eine Einladung im gemuetlichen Bauernhaus am Trek und Rhododendren in voller Bluetenpracht als Farbtupfer im tristen Nieselregen.
Nicht nur Musiker, sonder auch Poeten waren mitdabei, so entstand zum Abschluss ein Gedicht, in dem all die bhutanischen Ereignisse zusammengefasst wurden. Am letzten Abend unter schallendem Gelaechter und dem ein oder anderen wehmuetigen Blick hiess es dann:
Der Zeremonienschal, der weiße
begrüßt uns am Beginn der Reise.
Doch Nonnenkloster, Tigernest
geb´n uns am Anfang gleich den Rest.
Paro-Tsechu – der Mönche Tanz
geb´n dann der „chose“ Farbenglanz.
Dann Dzongs und Klöster - ´rein und ´raus –
Für Tempel heißt es: „Schuhe aus!“
An manchen Stellen, das ist wahr,
spürt man die Kraft des Ortes gar.
Auf der Dämonin linkem Fuß
die beiden Tempel sind ein Muss.
Die Isabelle führt uns ein
was Inhalt ist der Malerei´n.
Und so begleit´ uns Woch´ für Woche
Shabdrung und der Guru Rimpoche.
Dem Drukpa Kunley seine Glieder
Die hab´n ´ne Kraft - da kniest Dich nieder.
Penis mit Mascherl, frisch frisiert,
so manche schöne Hauswand ziert.
Der blonde Mike schreit „help me!“ laut
und find´t so seine Yak-Hirt-Braut.
Verhilft uns auch auf diese Weise
zum Schlachtruf uns´rer Bhutanreise.
Die Straßen schlängeln sich am Hang,
fast wird uns allen Angst und bang!
Rimpoche mög´ sein´s Amtes walten
und g´fälligst ein paar Felsen spalten!
Wir essen gern das „Bhutan-Gatschi“
„momo“ heißt´s, und „ema-datshi “ .
Die Treks durch Regen, Dung und Gatsch
machen uns abends ziemlich matsch.
Dazu die Nachricht, erst die schlechte :
„Der Schnee reicht nicht für eine Wächte!“
Und dann die gute Nachricht d`rauf:
„Einmal hört jeder Regen auf!“
Ob Schnee, ob Regen in der Nacht
Am Morgen der Martin nur lacht.
Und rinnen auch durch´s Zelt die Wässer
Sagt er: „Versichert Euch halt besser!“.
Im Bauernhaus beim Buttertee
da trocknen wir uns dann vom Schnee.
Des Martin´s Liebe zu Bhutan
steckt schließlich auch uns alle an
so dass, obwohl die Sonne nicht mehr scheint,
zum Abschied jeder leise weint
und denkt: „Wie schoen ist doch Bhutan -
jetzt geht das Foto-Picken an.(herzlichen Dank an Guenter!)
Auch diese Gruppe hat einiges hinterlassen, nicht nur das Laecheln auf unseren Lippen wenn wir an sie denken. Ich werde mit vollen Koffern und Plaenen fuer neue Projekte in die Kalash Taeler fahren.
Nach der Abreise ist es jetzt wieder etwas ruhiger, die Arbeit allerdings laesst nicht nach. Martin schreibt einen Reisefuehrer fuer den ich Fakten zusammensuche und Legenden zurechtstutze. Beides ist nicht so einfach hier. Legenden gibt es zu jedem Thema in vielfacher Ausfuehrung und Fakten, ja... was war das gleich wieder?
Nicht mal in der Groesse des Landes sind sich die verschiedenen Quellen einig, wie dann erst bei sich jaehrlich aendernden Zahlen? Eine kleine Hilfe ist der kuerzlich veroeffentlichte Census Bhutan. Letztes Jahr fand die erste Bevoelkerungszaehlung statt, alle Zahlen sind zwar immer noch nicht zugaenglich, aber ein paar wurde schon veroeffentlicht. So ist nun ein-fuer-alle-mal klar, dass (nicht wie im CIA fact book 2,2mio oder 1,2mio und) nicht wie seit ca. 5 Jahren angenommen hier 740.000 Bhutaner auf den Bergen und im Dschungel herumkraxeln, sondern nur 634.982. Das statistische Pro-Kopf-Einkommen ist sprunghaft gestiegen - Ueberraschung - was bhutanische Experten zu Aussagen verleitet wie: "There will be a fictional rise of GDP per capita in Bhutan, but this does not mean that our income will increase today because of the census results“
Man hoere und staune!
Heute waren wir in der Nationalbibliothek – aus der keine Buecher ausgeliehen werden duerfen – und haben uns koestlich mit den Originalberichten von Sir J.C. Whites und Ashley Edens Missionen nach Bhutan amuesiert. Letzterer wurde - zum immer noch anhaltenden Gaudium der Bhutaner – weil er ungebeten kam mit Unhoeflichkeit behandelt und mit Dreck beworfen. Das hiesige Schulbuch erzaehlt heroische Geschichten zum Thema, ganz so war es aber doch nicht. Einige spannende Details, die so gar nicht in Einklang mit den bhutanischen Heldengeschichten gebracht werden koennen haben wir schon entdeckt.
Die Beschreibungen Ashleys ueber den Charakter der Einheimischen sind nicht immer sehr schmeichelhaft, treffen aber teils heute noch zu. Daher kommt wahrscheinlich der immer noch spuerbare Hass auf diesen Briten.
Ihre Illoyalitaet und Unzuverlaesslichkeit hatte er damals schon ausgespaeht.
Davon koennen wir ein Lied singen.
Der Reiseveranstalter fuer den Martin hier arbeitet, hat schon einige Buchhalter verbraucht. Der Vorletzte hat sich, nach dem er die wenigen klaren Dinge auch noch durcheinander gebracht hatte, nach Indien abgesetzt. Hinter ihm kam die sprichwoertliche Sintflut. Der Jetzige rauft sich Tag fuer Tag die Haare oder erscheint tagelang gar nicht. Das Steuersystem ist nicht einfach hier und es gibt landesweit genau keinen Steuerberater und niemanden, der eine klare Auskunft ueber gewisse Steuersaetze oder Vorgangsweisen z.B. bei der TDS geben kann. TDS heisst „Tax Deducted from Source“ und muss beim Bezahlen gewisser Rechnungen dem Dienstleister vom Dienstnehmer abgezogen werden. Der Dienstnehmer hat also Geld, das ihm nicht gehoert, der andere muss ein bisschen weniger Steuern zahlen. Die Saetze sind je nach Leistung verschieden, bei Barzahlung faellt es – vielleicht, das weiss keiner so genau – aus. Der Grund ist, dass der Staat seine Pappenheimer kennt und weiss, dass nicht jeder seine Steuern zahlt, so wird ein Teil einfach einbehalten und soll von anderen – die vielleicht auch nicht zahlen – bezahlt werden. Bis hier her alles klar? Ich werde das Thema nicht weiter vertiefen, sonst fange ich vielleicht auch noch zum Haareraufen an.
Aber nicht nur die Buchhalter machen sich nacheinander aus dem Staub, auch Guides, Koeche und Autos lassen sich nicht verbindlich anheuern, Zimmer buchen ist eine Kunst und falls man versucht per Telefon etwas auszumachen geht das bestimmt in die Hose.
Sangay, ein Freund hier und einer der wenigen der weiss was Loyalitaet wirklich ist, ruft 3 Mal an, wenn er durch seinen Fahrer etwas bringen laesst. Erst um sich zu versichern, dass der Zeitpunkt passt, dann wenn der Fahrer wirklich abgefahren ist (kann manchmal dauern) und dann ob er auch angekommen ist. Er kennt seine Schaefchen.
Aber die asiatische Gelassenheit laesst drueber hinwegschauen, ein gewisse Portion Humor ist sehr hilfreich und wenns zu bunt wird und die kan Almdudler ham, fahr ma wieda ham!
Almdudler gibts wirklich nicht, dafuer hat es in Bumthang im Swiss Guesthouse nun erstmals Weissbier vom Fass. Fritz Maurers Sohn (ueber Fritz hab ich schon oefters geschrieben, der der die Kaeserei, die bienenzucht, die Landmashinen Werkstatt, das Guesthouse, den Bumthang Ofen, Weissbier und Chrueter Schnaps eingefuehrt hat) – also sein Sohn ist mittlerweile von der schweizer Armee zurueckgekommen und fuehrt nun mit seiner bhutanischen Frau das Guesthouse. In der Armee diente er als Koch, was ihm zu Ueberblick und logistischem Denken verholfen hat – 2 Dinge die hier nicht sehr ausgepraegt sind. Es gibt selbstgeraeucherten Speck, Brot, Roesti, Raclette, Fondue und Berner Teller auf dem Speiseplan und im Sommer geht er Erdbeeren suchen – fuer die Marmelade.
Sein Deutsch ist holprig, dafuer spricht er fliessen schwyzerduetsch und Dzongkha, eine lustige Mischung. Beim Plaudern bekam ich ploetzlich Schluckauf, also sagte ich zu ihm: „Vielleicht kennst du – hicks – das bhutanische Buch – hicks – mit den Geschichten ueber – hicks – Aberglaube. Dort steht – hicks – dass man ueber – hicks – Naegel und Nadeln reden soll, wenn man Hitski hat, also erzaehl ich dir jetzt was ueber Naegel und Nadeln. Hast du irgendwo einen Nagel rumliegen, vielleicht hilft das besser....“
Und wie durch ein Wunder hoerte der Schluckauf auf. Ist ja alles Bloedsinn, aber manche Dinge muss man schon glauben. Zumindest das was mir selbst passiert ist...
Tashi Delek
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