asiatische traeume

angefangen in 2005 war die urspruengliche idee, von bhutan ueberland nach oesterreich zu fahren - in pakistan wendete sich das blatt, das land und die leute nahmen mich gefangen, so blieb ich laenger als gedacht...

Wednesday, October 17, 2007

Mastuj

Mitte Aug - Sept07

In Peshawar schlägt mir die heiße Luft entgegen, Ali und ich verbringen nur 2 Tage dort und machen uns dann auf den Weg nach Chitral und Mastuj. Ich habe einige Zeit nichts von meinem zukünftigen Boss gehört und muss ohnehin einige Sachen holen, bevor ich anfange, in Islamabad zu arbeiten.
Alis Großvater, der Col. Khushwaqt, hatte mich nach Mastuj eingeladen und für den Anfang beim Biogasanlagenbau ist es sicher gut, wenn Ali ein wenig Hilfe hat.
Nach weiteren 2 Tagen in Chitral in Alis Haus in Gesellschaft seiner Schwester, die nicht genug von den Geschichten aus Europa bekommen kann, geht es mit einem Heiratszug nach Mastuj. Wir drehen die Musik auf volle Lautstärke, stoppen 100e Male für Zuckerl, Obst, Kuchen, Saft und Kekse am Weg, die von Freunden des Brautpaares angeboten werden. Ich bin zwar schon 2 Mal an Mastuj vorbei gefahren – am Weg zum Shandur Pass, aber die Fahrt ist immer ein Erlebnis.
Nach 2h auf guter Straße endet diese abrupt in Buni, weiter führt eine Staubstraße, teils gefährlich im überhängenden Kliffs und über stellen die bei Erdrutschen und Gletscherbrüchen diesen Winter verschüttet wurden. manchmal klafft eine Spalte am Weg bis hinauf in die felsigen Hänge.
Das Brautpaar hat eine ungewöhnliche Geschichte. Sie sind schon 2 Jahre verheiratet, die Frau blieb mit dem bald geborenen Kind im Elternhaus, da das Haus des Bräutigams im Bau war. Er bringt Mama und Sohn nun heim, es ist wie eine 2. Heirat.
30min von Mastuj entfernt ist Endstation. In der Hochzeitsgesellschaft sind einige bekannte und viele unbekannte Gesichter. Die Frauen sind im Haus, welches mit großen Stofftüchern von den Blicken der Männer, die sich im Garten bei Musik vergnügen, abgeschirmt. Die Braut sitzt wie üblich ausgestellt am Sofa, jeder kommt vorbei für ein Foto und verschwindet wieder um mit alten Bekannten zu plappern.
Am Nachmittag fahren wir dann zum Fort, welches ein wenig außerhalb von Mastuj hinter den alten Fortmauern steht. Der Vater von Col Khushwaqt und ehemalige König von Chitral hatte es erbaut. Der Grossteil der alten Gebäude ist abgerissen, Ställe, Gesindehäuser, Gefängnis und das Haupthaus sind Erdbeben und Neuerungsarbeiten zum Opfer gefallen. Nichts desto trotz steht das neu errichtete Haupthaus stolz im weitläufigen Garten, Fort garden

eine große Wiese breitet sich vor der Veranda aus, in dessen Zentrum ein Nussbaum mit großem Holzbett darunter steht, auf dem sich lauschige Abende verbringen lassen. Kühe, Hühner, Hunde und ein Pferd tummeln sich in friedlicher Gemeinsamkeit, grasen hier ein wenig, picken dort ein wenig und freuen sich ihrerseits an der friedvollen Atmosphäre. Khushwaqts Glaube an die universelle Liebe Gottes und das Gute ist hier in der Praxis zu spüren. Hinter dem Haus geht es zur Küche, das einzige alte Gebäude welches noch erhalten ist, aber bereits deutliche Zeichen des Zahnes der Zeit zeigt. Ein Rundgang am dach und den Fortmauern zeigt die halb eingestürzte Decke, Pläne für einen Neubau sind schon parat. Der Colonel freut sich über meine Rückkehr, das Biogas Projekt wird diskutiert, morgen soll gestartet werden. Auch Saida treffen wir hier. Seit die Frau von Khushwaqt kurz vor Alis Ankunft in Österreich gestorben war, ist sie nun die Herrin des Forts und übt ihre Pflicht mehr oder weniger zufrieden aus. Seit 2 Monaten sieht sie auch ihre Tochter Rudaba wieder, die in Chitral zu Schule geht und zur Hochzeit ein paar Tage frei nehmen durfte.
Abends geht’s wieder zur Hochzeit, sogar Frauen dürfen von sicherer Entfernung im Dunkel der Nacht das ishtok (Musik und Tanz) verfolgen – klatschen ist für die Damenwelt aber unangebracht, daher schnippe ich einfach ein wenig mit den Fingern und schwelge in Erinnerungen an die Zeit bei den Kalash, wo alle mittanzen und singen und klatschen.
Am nächsten Tag werden ein paar Arbeiter zusammen getrommelt und die Grube für die Biogasanlage wird gegraben. Noch ist nicht viel für Ali und mich zu tun, außer immer mal wieder nachmessen, ob die Grube auch tief und breit genug ist. 3 Meter sind nicht unbedingt für jeden genau 3 Meter…
Den Rest der Zeit verbringe ich mit Rundgängen ums Fort.
Das dazugehörige Land ist weitläufig. Es gibt Quellen, einen ehemaligen Fischteich, dessen Damm gebrochen war, ein Polofeld, Wälder, Felder, Weiden, Obstgaerten und eine Steinhalde mit einer besonderen Legende. Ein Stein zeigt menschliche Abdrücke und die Leute erzählen, dass einst vor langer Zeit, als die Steine noch weich waren ein ein Bräutigam seine Braut heimbringen wollte und einer dieser Steine auf sie herab stürzte. Der frischgebackene Ehemann versuchte ihn abzuwehren, daher stammen auch die vielen Eindrücke im Stein von seiner Hand, dem Fuß, seinem Stock und sogar seinem Hintern. Er schafft es aber nicht und die Braut wird von Stein erdrückt.
Die Dorfleute erzählen sich auch Geschichten über unterirdische Räume unter einem Gräberfeld, Gegenstände sollen gefunden worden sein, ganze Säulen etc – ich frage den Colonel, ob er etwas darüber weiß. Er verneint, es lässt ihn aber nicht los und er nimmt sich vor, seinen Sohn zu beauftragen, dort zu graben. Ich habe ein schlechtes Gewissen, da ich weiß, dass wenn er sich etwas in den Kopf setzt, er etliche Male nachfragt. Manchmal aber vergisst er auch und ich bin sogar ein wenig froh, dass dies diesmal der Fall ist, denn sonst hätte sein armer Sohn eine Menge zu tun gehabt.

An einem besonders sonnigen Tag werden die Schafe geschoren und Saida beklagt sich über die beschwerliche Arbeit der Schafschur – 62 Schafe, 1 Handschere. Sie hat im Fernsehen eine elektrische Schurmaschine gesehen und will diese nun haben. Ich sehe mich wieder im Internet um und erkläre ihr, wie man mit Kreditkarte eine gute Qualitätsschere bestellen kann. Sie ist erstaunt aber sofort im Bilde und drauf und dran ihrem Mann die Kreditkarte zu entwenden.
Am Nachmittag liege ich in meiner Hängematte, die ich zwischen 2 Bäumen aufgehängt hatte. Ein nacktes Schaf grast schon friedlich neben mir, als ein zweites angelaufen kommt. Es bleibt auf Distanz stehen und meckert das andere Schaf an. Sie stehen sich mit unsicheren Blicken gegenüber …“Bist das nackige Wesen ohne Wolle wirklich du?“, scheint es zu sagen. Ein Meckern kommt zurück: „Ja, und du siehst auch nicht besser aus, du solltest dich im Spiegel sehen.“ Schließlich wird beschnuppert und erkannt – die äußerliche Erscheinung ist nicht wichtig…
Ein kleines Kalb steht ruhig und genussvoll da als ein Myna (Vogel) Zecken und sonstiges Ungeziefer aus Ohren und Augrändern pickt. Fast zutraulich läuft es dem Vogel hinter her als dieser sich abwendet, es schient sagen zu wollen: „du hast etwas vergessen… hier juckt es noch…“
Abends schlafe ich auf dem Holzbett unterm Nussbaum, Mond und Sterne leuchten hernieder, eine kühle Brise weht, die Jacke ist angenehm wohlig warm – nicht wie im stickigen Peshawar.
Wir hatten Schokolade für Sikander aus Österreich gebracht und sie dummerweise in Peshawar im Kühlschrank vergessen. Sie wurde nachgeschickt – anstatt nach Chitral direkt vom Flieger in den Kühlschrank, finden wir sie von eine gut meinenden Seele 5h im heißen Auto nach Mastuj gebracht. Die Form der hübschen Pralinen, Nougat-Meeresfrüchten, After-Eight und sonstigen Köstlichkeiten ist bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen, wir starten einen Rettungsversuch und packen alles in den Gefrierschrank. Der Geschmack ist noch gut, aber die Form…
Nach 2 Wochen in dieser Oase des Friedens muss ich mich endgültig auf den Weg nach Islamabad machen, wo ich arbeiten werde.

Mastuj Pics

Oesterreich

Ende MAy - Mitte Aug07

In Österreich warte ich auf das Visum, halte einige Vorträge über die Kalash, besuche Freunde, genieße die Zeit mit meiner Familie und bespreche die Vorgangsweise der Anlagenerrichtung mit den Leuten der Biogas-Firma Mueller-Umwelttechnik. Da es sicher einfacher wäre, wenn jemand aus Pakistan das Ganze sehen könnte und dann auch entscheiden kann, welche Gegenstände und Materialien man dort erhalten kann und für welche Dinge man Alternativen suchen muss und wie diese aussehen könnten, spreche ich mit Ali, der gerade Ferien von der Uni hat, ob er nicht kommen möchte.
Er ist natürlich einverstanden und überglücklich über die Möglichkeit zu einem Europabesuch. Er holt sich das Einverständnis seiner Eltern und nach einem etwas langwierigen Visaprozess kommt er wirklich für einige Wochen.
Wir touren viel durch Österreich, um ihm alles zu zeigen. Wien, Werfenweng (Eisriesenhöhlen, Greifvogelschau), Niederösterreich, Salzburg, Verwandtschaftsbesuche und Venedig unterbrechen die Treffen mit den Biogas Leuten. Er ist begeistert, vor allem auch von den Stränden und Bädern, die es in Pakistan ja nicht gibt – und den Mädels im Bikini, die er nur aus Hollywoodfilmen kennt.
Ich erfahre, dass fast alle unsere Kebabshops halal Fleisch verwenden, das heißt von Moslems mit Gebeten geschlachtet – denn nur solches darf Ali essen. Es gibt ein paar türkische Geschäfte, die solches Fleisch verkaufen, aber bei allen Einladungen müssen wir immer aufpassen und sage er sei Vegetarier oder das Fleisch selbst mitbringen.
Er entwickelt eine Leidenschaft fürs Shopping – ich kann mich gut an die Zeit in Peshawar mit seiner Mutter erinnern, wo er keine 20 Minuten mit uns einkaufen gehen konnte ohne hysterisch zu werden… Hier fragt er täglich, wo denn noch ein Einkaufszentrum sei, das er noch nicht gesehen hat.
Die Tasche ist voll gestopft mit Geschenken für alle möglichen Leute in Pakistan und wir müssen um eine Gewichtszulage beim Flug anfragen.
Nach einigen Wochen ist mein Visum da, seine Sachen sind erledigt und wir machen uns gemeinsam auf den Weg zurück nach Pakistan.

Peshawar und Islamabad - warten auf den Laptop

Jan - May 07

Kurz nach Chawmos – besser gesagt, genau beim Chaumosfest, als ich meine Fotos von der Kamera überspielen will, gibt mein Laptop wieder mal den Geist auf. Ich denke mir noch nichts Schlimmes – es ist meine Philosophie, nichts als negativ zu betrachten, bis das Gegenteil bewiesen ist – und mache mich nach ein paar Tagen auf nach Chitral, um ihn herrichten zu lassen. Natürlich bei Taifoor, wo ich schon meinen alten Laptop ruinieren lassen hatte. Na ja, er sagte mir, dass es so einfach nicht sei, da der BIOs Chip kaputt sein und dieses Teil hier nicht zu bekommen sei. Man müsse das BIOs neu aufspielen und das ginge nur in Peshawar, Islamabad oder Lahore. Er bietet mir an, den Computer dorthin zu schicken, aber ich lehne ab. Ich werde selber nach Islamabad gehen um das zu regeln, ich kenne die pakistanische Arbeitsweise nun zur Genüge und will in der Nähe sein. Außerdem möchte ich persönlich eine 2. Meinung hören.

Ich mache mich also auf den Weg in den Süden und erwische gerade noch den letzten Flug vor Silvester, danach werden sie wegen Schlechtwetter für fast eine Woche gestrichen – die Strasse ist natürlich geschlossen. Am frühen Morgen sieht Chitral wunderschön aus, schneebedeckte Gipfel rundherum und neuer, frisch gefallener Schnee wie Staubzucker auf den Hängen.
Am Tag vor der Abreise kommt meine Kalash Mama am Morgen ins Zimmer. Ich bin ein wenig verwirrt, da sie eigentlich an diesem Tag ins Baishali gehen sollte, aber vielleicht hatte ich mich ja verzählt. Sie grinst übers ganze Gesicht und deutet viel sagend auf ihren Bauch. Tränen füllen ihre Augen und sie flüstert mir zu, dass die Medizin, die ich im letzten Jahr aus Peshawar gebracht hatte wahrscheinlich nicht umsonst war. Ihre Periode war überfällig und das ist in den letzten Jahren nie passiert. Ich freue mich mit ihr, versuche aber irgendwie, nicht alle Hoffnungen zu wecken. Ich habe oft von später Periode gehört und kenne die Gründe warum es dazu kommen kann. Nicht jeder meint eine Schwangerschaft, aber sie hatte Recht. Ich hatte nie eine Kalashfrau mit verspäteter Periode gesehen oder davon gehört. Wahrscheinlich weil sie noch im Einklang mit der Natur leben. Sie sagt mir noch, dass ich es geheim halten soll bis sie sicher ist. Sie hatte nur ihrer Mutter und mir davon erzählt. Ich fühle mich geehrt und versichere ihr meine Verschwiegenheit. Mit glücklichem Herzen reise ich ab.

Ich versuche mein Glück zuerst in Peshawar, da mir die Stadt bei weitem mehr gefällt als Islamabad. Ich bringen den Laptop – nach dem ich eine Woche vergeblich auf einen Freund warte, der mir helfen möchte – zu einem Reparaturshop und warte.
In der Zeit bin ich bei Zarin, dem Kalash Jungen, der in Peshawar studiert. Iran, die Frau von Faizi, die mir zu Weihnachten den schönen Piran geschenkt hatte, kommt auch in den Süden, um ihren Bruder im Gefängnis in Lahore zu besuchen. Ein Zwischenstopp in Peshawar ist also von Nöten und wir verbringen ein paar lustige Tage mit Einkaufen, Plaudern und Spielen mit ihrem Baby.
Ihr Bruder hatte furchtbares Pech gepaart mit Dummheit und Naivität – eine Kombination, die nie gut geht. Ein Drogenbaron hatte einige naive Kalash angeheuert, die Drogen nach Japan zu schmuggeln. Natürlich hatten die Burschen keine Ahnung was sie taten und vor allem, welche Konsequenzen es haben könnte. Sie wussten, dass es illegal war, aber eben zu naiv um die volle Tragweite zu erkennen. Sie sahen den Auslandsaufenthalt – ein großes Ding für jemanden der noch nie weiter als Peshawar war – und natürlich das große Geld, das der Auftraggeber versprach. Am Flughafen wurden sie sofort aufgedeckt und verhaftet, nun sitzen die 2 Burschen in Lahore im Gefängnis und sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Die Hintermänner sitzen natürlich sicher im Trockenen, da die beiden Kalash nicht mal deren richtige Namen wussten.
Iran sieht es nicht als Weltuntergang – die typische Gelassenheit der Menschen hier – aber ist doch sehr besorgt.
Ich versuche sie ein wenig abzulenken und kann mich auch für das schöne Geschenk revanchieren. Imtiaz hatte mir im letzten Winter gezeigt, wo man in Peshawar die wärmsten und kuscheligsten Stoffe kaufen kann. Dorthin hab ich sie mitgenommen und wir haben uns einige nette Designs für neue Shalwar Kameez ausgesucht. Auch sie braucht ein paar dieser eigentlich moslemischen Kleidungsstücke, da sie hier im Süden mit dem Kalashgewand ein gefundenes Fressen für die ganzen „Starrer“ wäre.
Selbst in Peshawar ist es nun schon kalt und wir geniessen die neuen, weichen, warmen Kleider. Es ist ein Fleece ähnlicher Stoff und ich habe ständig den Drang, meine Wange an dem flauschigen Shirt zu reiben.
Bei einem meiner Anrufe zuhause erhalte ich auch die freudige Botschaft: meine Kalash Mama ist wirklich schwanger. Ihre Stimme überschlägt sich fast vor Glück und ich tanze vor Freude. Nun darf ich es auch erzählen und Iran ist die erste, die es von mir erfährt.
Nach einiger Zeit – mein Laptop ist immer noch nicht fertig („Wir sind am Suchen, Madam“) gehe ich nach Islamabad, wo ich wieder ein wenig für Adil Shah arbeite. Das Pferdemagazin, das er angefangen hatte als ich ihn zum ersten Mal sah läuft gut. Ich hatte im Sommer einen Bericht über die Spanische Hofreitschule in Wien geschrieben und auch einige andere Geschichten und Fotos von mir wurden dort schon veröffentlicht. Er fragt natürlich wie immer, ob ich nicht ganz für ihn arbeiten wolle.
Da mein Visum schon am Auslaufen ist, sage ich ja. Diese Arbeit macht mir Spaß, ich würde keine Probleme mit Kurzzeitvisa mehr haben und ein wenig Geld verdienen. Ich bitte mir aber die Freiheit aus, oft nach Chitral fahren zu können.
Er ist einverstanden und wir machen uns daran, das Arbeitsvisum zu beantragen. Das dauert natürlich eine Zeit und eigentlich muss es im Heimatland des Antragstellers in den Pass geklebt werden, aber Adil sagt aber, er kann das mit Beziehungen im Land regeln. Die Behördengänge häufen sich, hier ein Formular, dort ein Stempel, hier eine Beglaubigung, dort ein Vertrag, hier ein Konto eröffnen, dort eine fixe Bleibe haben. Dann kann erst mal der Antrag abgegeben werden. Und dann muss man ständig nachfragen, ob denn noch etwas gebraucht würde, da die Herren von alleine natürlich nichts sagen würden sondern den Antrag einfach in der Schublade liegen lassen würden – als ob er sich dort von selbst erledigen würde…
Die Tage ohne solche „Wege“ verbringe ich mit Adils kleiner Tochter Neha, mit den Hasen, Hühnern und Perlhühnern die im kleinen Garten herum laufen oder auf Adils Gestüt. Ich liebe Pferde und es macht mir immer wieder Spaß, bei diesen Tieren zu sein.
In der Zwischenzeit fahre ich – mittlerweile ist es Februar – wieder für einige Zeit nach Peshawar, da Rudaba, die Tochter von Sikander Ul-Mulk, die ich bei einer Fahrt nach Chitral kennen gelernt hatte – mit ihrer Mutter zum Shoppen nach Peshawar kam und mich dorthin einlud.
Sie wollte immer ihr Englisch aufbessern und wir verstanden uns auch sonst sehr gut. Für mich ist es eine willkommene Abwechslung, besser als in dem kalten Büro in Islamabad…
Wir verbringen 2 angenehme Wochen mit… erraten: Einkaufen, der Lieblingsbeschäftigung jeder Pakistanischen Frau. Saida - Rudabas Mutter - allerdings hat einen besseren Grund: sie hat in Chitral in ihrem Haus ein Shoppingcenter für Frauen und war die Pionierin mit der Eröffnung eines solchen in Chitrals. Jetzt gibt es mittlerweile mehrere, aber ihres läuft immer noch ausgesprochen gut. Also kaufen wir Stoffe, Klinkerschmuck, Schminke, Spielzeug, Vorhänge, Plastikblumen und vieles mehr. Das Wetter ist ein bisschen wärmer als in Islamabad – Peshawar liegt auch tiefer – und wir spielen viel Badminton im Garten. Die kleinen Jungs Purdum und Sher Khan und auch Ali beteiligen sich entweder als Gegner oder als Netzhalter…
Rudabas Großvater ist ebenfalls dort und ich genieße angenehme Gespräche mit ihm. f Er ist Sohn des letzten Mehtar (Koenig) von Chitral und trägt immer noch den Titel Prinz, wie auch seine Geschwister, Söhne und Enkel, aber er steht mit beiden Beinen – trotz seiner 94 Jahre – fest im Leben und glaubt fest an die universelle Liebe Gottes, das Positive in Allem und tut dies auch kund. Es ist ein echtes Erlebnis mit ihm zu sprechen. Er strahlt eine Ruhe und einen Frieden aus, den wenige Leute hier in dieser Form besitzen. Da auch ich überall etwas Positives sehen möchte – manchmal zu meinem Leidwesen – und daran glaube, dass es in allen Dingen, die geschehen, einen Gott-Gesteuerten Grund gibt, der im Grunde Gutes will, auch wenn wir das manchmal nicht verstehen, sind wir die idealen Gesprächspartner.
Ich frage ihn, wann er diese positive Seite an sich gefunden hatte und ob es durch ein bestimmtes Ereignis kam. Er meint, er wäre immer schon anders gewesen. Er erzählt von seinem Vater, der seine Söhne manchmal von den Pflegeeltern zu sich rief. Sie mussten sich alle in einer Reihe aufstellen, und da der Herr Papa Koenig und daher gefürchtet war, durften sie nicht aufblicken, sonder mussten Mucksmäuschen still dastehen. Papa beschwerte sich: „Dieser eine, wie hieß er? Khushwaqt.. er sieht mich immer zu an, direkt in die Augen. Er hat keinen Respekt.“
Doch Papa lag falsch, Sohnemann hatte Respekt, aber nicht vor Titeln oder Namen, sondern vor Menschen und Taten, Gott und allen Lebewesen.
Shezada (Prinz) Khushwaqt wuchs zu einem angesehenen Mann heran. Er genoss eine Ausbildung in Dhera Dun in Indien, damals der angesehenste Platz für Bildung – dort wo auch Aufschneiter und Heinrich Harrer interniert wurden, allerdings ein wenig früher – und war dann lange Zeit im Militärdienst. Heute noch ist er als Colonel Khushwaqt bekannt. Danach war er für Botschaften tätig, oft im Ausland hat auch bei der Gründung der Brooke Spitäler in Pakistan aktiv mitgeholfen. Brooke ist auf Veterinärmedizin spezialisiert und versucht auch, Information an die Leute zu bringen, wie Tiere fachgerecht gehalten werden. Hauptsächlich geht es dabei um Pferde, Eseln, Kühe etc die oft aus Unwissenheit oder Geldmangel vernachlässigt werden, aber trotzdem die Haupteinnahmequelle einer Familie sind.
Nun genießt er die verdiente Rente, reist aber immer noch kreuz und quer durchs Land, liest mit Lupe und schreibt nach Herzenslust in gestochener Handschrift ohne hinzusehen.
Jeden Morgen steht er um 5 auf, lauft als Morgengymnastik die Treppen auf und ab und macht allerhand andere Übungen und hält eine gesunde Diät. Sehr sehr selten in diesem Lande.

Mit Saida lerne ich nun zum ersten Mal aktiv Khowar (Chitrali), was ich bisher verweigert habe. 2 Sprachen zu lernen (Urdu und Kalash) erschien mir genug. Aber mit ihr und den Kindern ist es einfach. Mit Rudaba spreche ich Englisch und nach 4 Tagen sprudelt sie wie ein Wasserfall. Ihre Schule ist nicht schlecht, nur an Praxis fehlt es ihr eben.
Bei einem Gespräch mit Saida über die schwindenden Rohstoffe, Rodung und steigenden Holzpreise in Chitral erzählt sie mir von ihrem Herzenswunsch.
Sie möchte eine Biogasanlage bauen. Vor 4 Jahren hatte sie im BBC Fernsehen davon gehört – oder besser: gesehen. Sie versteht ein wenig Englisch, mit dem Sprechen hapert es aber… Ihre Auffassungsgabe ist schnell und der Gedanke hatte sie nie wieder losgelassen, es scheiterte aber bisher an mangelndem Interesse und zu wenig Zeit seitens ihres Mannes. Allein kann sie es doch nicht umsetzen, obwohl ihre initiative weit über vielen pakistanischen Frauen steht.
Ich sehe mich ein wenig im Internet um und glaube mich an etwas über Biogas in meiner Heimat gehört zu haben und finde die Webpage von 3a-Biogas, einer Firma in Weibern.
Der Besitzer schreibt prompt auf meine allgemeine Anlage zurück und bald entsteht ein reger Austausch über die Möglichkeiten der Errichtung dieser Anlage mit der neuen Technik, die diese Firma ausgefeilt hatte. Es geht dabei im Groben darum, dass man festen Dung verwendet anstatt wie bei den Herkömmlichen Flüssigstoffe.
Wir planen, die Anlage bald in die Tat umzusetzen.

Viel zu früh ist die Zeit vorbei und ich gehe zurück nach Islamabad. Mein Computer ist immer noch nicht fertig. Das Problem ist, dass ich das Ding in Nepal gekauft habe – an einem Feiertag, an dem ein Freund eines Freundes seinen (einzigen in der Hauptstadt) Computerladen aufgesperrt hat und ich einen Tag Zeit hatte, mir einen von den 3 Modellen auszusuchen. Ich musste am nächsten Tag nach Bhutan weiter und dort würde ich einen Laptop brauchen und bestimmt keinen finden. Also nahm ich den kleinsten, viel versprechendsten in mittlerer Preisklasse. Er war leider kein Markenprodukt. Die andere Möglichkeit wäre ein Sony gewesen, der allerdings riesig war…
Nun findet man eben genau diesen dummen Bios Chip nirgends und die angebliche Produktionsfirma antwortet weder auf Anrufe noch auf Emails…
Aber sie wollen nicht aufgeben – ich auch nicht…

Adils Arbeitsweise ist beeindruckend aber auch ein wenig bedenklich. Er sprüht nur so vor guten Ideen, fängt aber alles gleichzeitig an und in einem Land wo man auf alles ständig wartet oder 50 Mal nachfragen muss ist die Zeit einfach nicht ausreichend für 15 parallele Projekte, wenn man keine verlässlichen Mitarbeiter hat. Ich soll dieser Mitarbeiter werden, aber ich versichere ihm lächelnd, dass ich nicht für ihn an seinem vorprogrammierten Herzinfarkt sterben würde. Er schläft im Schnitt 5 Stunden oder weniger, aufgeteilt auf 2 oder 3 Mal und telefoniert ca. 7 Stunden am Tag.

Nach weiteren Wochen bekomme ich die bittere Nachricht: mein Laptop ist irreparabel. Ich muss ihn also holen und einen neuen kaufen.
Eine Tochter von Col. Khushwaqt hat Geburtstag und er hat mich bei einem der vielen Emails, die wir seit dem Besuch austauschen, eingeladen (er schreibt, Ali tippt und sendet es, druckt meine Antwort aus und beschwert sich gelegentlich, dass ich mir ruhig mit der Antwort länger Zeit lassen kann, weil er nicht soviel tippen will).
Ich mache mich also wieder für ein Wochenende auf nach Peshawar, wo ich auch eine weitere Tochter des Colonels kennen lerne. Sie wohnt in Karachi und ist ebenfalls zum Geburtstag ihrer Schwester eingetroffen.
Sie erzählt mir einiges von ihrem Vater. Sie hatte ihn nicht oft gesehen in ihrer Kindheit. Traditionsgemäß wurden die Kinder von sozial hochgestellten Familien an Pflegeeltern gegeben, um die Bände mit der Gesellschaft stärker zu knüpfen. Trotzdem findet sie fast nur gute Worte über ihn. Er war der erste, der seine Kinder in das Konvent in Bannu (nahe Peshawar) schickte, wo sie englisch erzogen wurden. Sie durften sich ihre Ehepartner selbst aussuchen und Papa hatte großen Spaß daran, bei Besuchen von „wichtigen Leute“ seinen Kindern Apfelsaft einzuschenken und zu tun als ob es Whiskey wäre. Er hatte einmal in Mastuj – ihrer Heimat – Land für ein Wasserkraftwerk für das Dorf gratis zur Verfügung gestellt – unter der Bedingung, dass niemand mehr Enten schießen solle. Entenschiessen ist ein beliebter Sport, er aber sieht das Töten von Tieren zum Spaß als besonders abartig an und setzte so seinen Willen durch.
Alle seine Töchter und Söhne sind liberal und gut gebildet, sprechen wie er fließendes Englisch fast ohne Akzent und sind in ihrem Umfeld angesehen und erfolgreich.
Sie selbst arbeitet an einem Umweltprojekt in der Bewusstmachung von Mülltrennung und Recycling, ihr Mann ist Pilot. Die Schwester, die Geburtstag hat, hatte in Chitral ihre eigene Schule gegründet und unterrichtet, ihr Mann ist Arzt. Rudabas und Alis Vater ist Tehsilnazim (Bezirkshauptmann), Besitzer einiger Firmen Poloteamkapitän, seine Frau Saida hat ein Shoppingcenter. Ein weiterer Onkel ist Besitzer des größten Hotels in Chitral (Hindukush Heights) und einer Reiseagentur, Ehrenbotschafter etc. Nur eine Schwester hatte keine höhere Bildung, Khushwaqts Frau war es satt, ihre Kinder nie zu sehen und behielt die letzte Tochter bei sich, ohne sie zu Pflegeeltern zu geben und auch nach der Volksschule war für sie das Zuhausebleiben angesagt. Aber auch sie ist glücklich verheiratet.

Meine Laptopgeschichte findet hier auch ein Ende – oder besser gesagt einen Neuanfang, da ich ein neues Gerät kaufen muss. Ich entscheide mich für einen gebrauchten, kleinen Toshiba, der allerdings sehr gut erhalten ist und am modernsten stand der Technik. Auf irgendwelchen Wegen ist er von Dubai hierher gekommen und kostet mich nun nur 300EUR. Ich will gar keine Details hören, teste ihn nur und befinde ihn gut.

Mit dem neuen Baby reise ich zurück nach Islamabad, bei Daewoo – der einzigen vertrauenswürdigen, pünktlichen, Service orientierten Busgesellschaft mit funktionierendem Reservierungssystem, bin ich mittlerweile Stammkunde. Ich werde nächstes Mal im Kundencenter vorschlagen, dass sie einen Treupass oder ein Punktesystem für Vielfahrer einführen sollen…

In Islamabad höre ich dann zum Schluss, dass ich doch nach Österreich muss, um mir das Visum abzuholen. Ich fahre noch einige Tage nach Chitral, um Aufwidersehen zu sagen. Viel zu lange war ich nicht in meinen geliebten Tälern, weil ich jede Woche hoffte, dass der Laptop und das Visum bald fertig werden würden. Alle paar Wochen kam allerdings mein Kalash Vater nach Peshawar, wo ich ihn traf, die angefangenen Projekte besprach und ihm Geld für die Lehrer und Geburtshelferinnen und sonstige Projekte gab. Ich war froh, dass er mich so unterstützte und die Sache ein wenig leichter machte. Er erzählte mir auch immer die Neuigkeiten aus den Tälern, wer geboren, gestorben, geheiratet, gesund und krank war. Die Geburtshelferinnen arbeiteten schon fleißig und hatten bereits nach 2 Monaten 5 gesunden Kindern in die Welt geholfen.
Nun sah ich sie zum ersten Mal und auch den schon ziemlich großen Bauch meiner überglücklichen Kalash Mama.
Mit Saida bespreche ich, was ich den Biogas Herren fragen soll, wenn ich schon in Österreich bin und dann geht’s los.

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