asiatische traeume

angefangen in 2005 war die urspruengliche idee, von bhutan ueberland nach oesterreich zu fahren - in pakistan wendete sich das blatt, das land und die leute nahmen mich gefangen, so blieb ich laenger als gedacht...

Wednesday, November 15, 2006

Ramzan and back in Birir

Oktober 06

Die ersten Wochen verbringe ich in Peshawar bei lieben Freunden. Es ist gerade Ramzan (Ramadan – der Fastenmonat der Moslems) Das heißt, es wird vom ersten bis zum letzten Gebet des Tages nichts gegessen. Danach dafür umso mehr.

Der Tag läuft ungefähr folgendermaßen ab:

4Uhr: aufstehen zum Fruehstueck. Sobald der Muezzin ruft, wird gebetet, dann nichts mehr gegessen, getrunken, gekaut, geraucht. Das gilt auch für Medizin.

4:30Uhr: wieder schlafen gehen – das gilt wahrscheinlich nicht für die allerfleißigsten – aber zu denen will ich mich um diese Tageszeit nicht zählen.

Ab 5 Uhr: alles fürs Essen vorbereiten oder ungeduldig ins Restaurant fahren und dort zappelig am Sessel sitzen und warten. Sollte man sich zu dieser Zeit im Verkehrsgetümmel befinden – dann hilf dir Gott! Kurz vor Ende des Fastens scheinen alle nach Hause zu hetzen und von der wenigen Geduld und den wenigen Fahrkenntnissen sind dann noch weniger übrig. Nicht selten gibt es in dieser Zeit Auffahrunfälle oder ähnliches. Freunde geben mir immer den Rat, um diese Zeit möglichst zu Hause zu bleiben.

Beim ersten Ruf des Muezzins zu Sonnenuntergang (ca. 17:45Uhr) wird mit einer Dattel in der Hand kurz gedankt, dann gibt es meist eine dicke Suppe, um den Magen langsam auf das Essen vorzubereiten. Nach dieser Suppe begibt man sich zum Abendgebet, danach wird weiter gefuttert. Die Mengen die hier vertilgt werden scheinen absurd. Ich nehme an den Tagen, an denen ich in moslemischen Häusern bin, am Ramzan teil, mein Magen kann aber dann am Abend, nach fast 15h ohne Essen und trinken, nicht soviel aufnehmen.

Das Fasten hat natürlich einen tieferen Hintergrund: man soll an die hungrigen Bettler denken und ihnen nachfühlen können, um die im Islam hochgepriesenen Almosen auch von Herzen zu geben.

Mit Diät hat das Ganze herzlich wenig zu tun. Untertags wird eher wenig gearbeitet, das Fasten macht müde. Abends geht man mit vollgeschlagenem Bauch zu Bett, steht kurz auf um wieder zu Essen und schläft noch eine Runde. Viele Leute hier nehmen an Gewicht zu in diesem Monat.

Ein paar Tage verbringe ich auch in Zarins WG, die von Kalash Leuten bewohnt wird, die in Peshawar studieren. Hier wird nicht gefastet, wir gehen mittags Essen – ins Pearl Continental, ein internationales 5 Stern Hotel, welches im Gegensatz zu anderen Hotels ganztägige Küche hat. Ein Schild am Eingang weist den Weg „Restaurant für Nichtmoslems und Reisende im ersten Stock geöffnet“

Reisende sind eine Ausnahme, sie dürfen essen. Die Moslems, die mit mir im Flugzeug von Doha nach Peshawar saßen, nahmen davon aber keinen Anspruch. Sie drängten die Stewardessen das Essen möglichst schnell zu bringen, ungeduldig auf ihre Armbanduhren deutend. Einige verlangten eine 2. Portion, um dann in einen Schlafähnlichen Zustand zu versinken. Es gibt eben Ausnahmen, aber man muss sie nicht in Anspruch nehmen.

Eine andere Ausnahme sind Frauen, die entweder gerade ihre Menstruation haben oder Kinder stillen. Auch Kinder sind ausgenommen, bis sie oder die Eltern sich selbst reif genug dafür befinden.

1 oder 2 Tage vor Eid – dem Abschlussfest des Ramzan – fahre ich dann mit Freunden nach Chitral, oder besser gesagt Drosh. Von dort holt mich Imtiaz ab. Er hatte mich eingeladen die Eid Tage mit seiner Familie zu verbringen.

1 oder 2 Tage bedeutet nicht, dass ich es nicht mehr genau weiß. Bei Abfahrt denken wir es sei 1 Tag, es stellte sich aber heraus, dass das Fasten noch einen Tag anhielt. Erst wenn die erste Sichel nach Neumond zu sehen ist, wird am nächsten Tag Eid gefeiert. Die Regierung versucht es planbar zu machen und gibt einen Tag vor, einige Regionen halten sich daran, einige nicht, somit wird feierte Peshawar Eid an unserem Abfahrtstag, in Chitral aber 2 Tage später – am Mittwoch, den 25. Oktober.

Bei der Querung des Lawari – dem schon beruechtigten Pass, der im Winter für einige Monate gesperrt bleibt, bleiben wir auf halben Weg auf der Abfahrt stehen. Ein Minivan liegt verkehrt auf dem Dach, zerquetscht wie ein Spielzeugauto. Er muss wohl von einer Serpentine weiter oben heruntergefallen sein. Wie durch ein Wunder ist den Insassen angeblich nichts passiert.

Die Strassen sind nicht ohne, die uebermuedeten Fahrer, die abends um sechs in Peshawar abfahren und morgens um 7, 8, 9 oder noch später in Chitral ankommen, auch nicht,

Erst vor wenigen Tagen hatte sich auf der Strasse von Chitral nach Mumuret ein Jeepunfall ereignet. Der Fahrer stritt mit Fahrgästen, übersah die Kurve und riss 12 Leute mit in den Tod.

Er hatte nicht soviel Glück wie der überschlagene Minivan. Wir schießen ein paar Fotos und fahren weiter, noch aufmerksamer nun.

Während der Fahrt bietet mir Sikander, mit dem ich auch schon vor meiner Abreise von Chitral nach Peshawar gefahren bin an, bei ihm im Haus zu wohnen und mit seiner 13-jaehrigen Tochter ein wenig Englisch zu lernen.

Ich kann das Angebot nicht gleich annehmen, da ich Imtiaz ein Versprechen gegeben hatte, meine ganze Zeit will ich auch nicht in Chitral verbringen, aber es wird sich schon irgendwie einrichten lassen. Dem Enkelsohn des ehemaligen Mehtar (Koenig) von Chitral kann man nicht so einfach einen Wunsch abschlagen, außerdem ist er ein feiner Mann und mit seiner Tochter hatte ich während der Fahrt eine nette Zeit.

Erst aber zu Imtiaz für das Fest.

Eid ist das Fest nach Ramzan, bei dem Geschenke an Kinder gegeben werden, jeder der es sich irgendwie leisten kann kleidet sich neu ein – ich auch, aber aus einem anderen Grund, mein Pakistanisches Gewand liegt zur Zeit noch in Bhutan, wo ich so schnell nicht wieder hinkommen werde. Ein paar Stücke, um den Winter zu überstehen, wenn immer ich nach Chitral fahre und somit einen Shalwar Kameez brauche, sollen reichen.

Das Fest dauert in etwa 3 Tage, man besucht Verwandte und Freunde oder lädt diese ein. Imtiaz Haus ist voll von Gästen, es wird rund um die Uhr gekocht, die köstlichsten Delikatessen sind von früh bis spät zum Essen bereit.

Die Vorbereitungen und Einkäufe werden in den letzten Ramzan Tagen getätigt, Saddar – die Shoppingmeile in Peshawar – glich dem Chaos bei uns 2 Tage vor Weihnachten – nur noch ein bisschen Pakistanischer. Strassen waren gesperrt oder blockiert, an ein Weiterkommen nicht zu denken.

Am Freitag fahr ich zum ersten Mal nach Chitral und erledige pflichtbewusst gleich meine Registrierung, um nicht wieder in die Mühlen der entsetzlichen Verwaltung zu geraten. Aber dies ist nicht die einzige Arbeit. Einige Einkäufe stehen ebenfalls an und je mehr ich nachfrage, desto mehr wird die Arbeit. Weiter Besuche werden geplant. Zum ersten Mal habe ich auch ein Mobiltelefon hier, die Karte hatte ich schon in Peshawar um 3 Euro erstanden – inklusive 2 EUR Guthaben. Das Netz funktioniert nun im Gegensatz zu vor 2 Monaten auch. Es geschehen noch Zeichen und Wunder!

Nachmittags fahre ich mit Freunden hoch zum Sommerpalast. Ein wundervoller Platz, an dem ich schon einmal war, als der Schweizer Gael dort ein Video mit traditionellen Musikanten vor den in der abendlichen Sonne glühenden Hindukusch und Pamir Gebirgen drehte. Gefolgt von einem lange Tanzabend im kleinen Gästehaus ganz oben.

Die Gegend grenzt an den Chitral Gol Nationalpark, abends kommen oft die wunderschönen Steinböcke ganz nah.

Der Blick auf die Kleinstadt Chitral von hier oben bezaubert mich jedes Mal aufs Neue. Genau unter uns ist die Stadt. Rechts, also gen Süden führt die Strasse am Berghang entlang Richtung Peshawar – und natürlich auch zu den Abzweigungen nach Mumuret und Biriu. Im Norden fächert sich der Chitral Gol Fluss für ein oder zwei Kilometer in mehrere Arme auf, die sich wieder zu einem breiten Strom vereinen, der nun im Winter strahlend blau wirkt. Zwischen dem Fluss und unserer Hangseite verläuft die Landebahn des Flughafens parallel zum Wasser. Ganz weit im Norden sieht man die Strasse Richtung Mastuj und Shandur verschwinden.

Die Berghänge sind braun, einige Hindukusch Spitzen blitzen weiß herab. In der Stadt stehen ein paar grüne Bäume, ansonsten fügt sich das Bild zu einer Harmonie aus Erdtönen. Friedlich und freundlich.

Wieder zu Hause in Birir - viel zu tun

29. Oktober - 15. November

Am Sonntag bringt mich Imtiaz nach Biriu, wo ich endlich meine Familie und Freunde wieder sehe.

Am Weg ins Tal liegt ein besonderes Teil auf meinem Schoss. Ein Wireless Loop Telefon. Vor wenigen Wochen wurde dieses System in Chitral eingeführt, ein Booster steht gegenüber der kleinen Stadt Ayun, die nicht weit vom Eingang ins BiriuTal liegt. Ein wenig skeptisch beobachte ich die Anzeige. Das Signal ist nicht wirklich rein, manchmal fällt es ganz aus, aber zu unser aller Erstaunen funktioniert es in Guru, dem Dorf in dem ich wohne. Dabei verwenden wir nur die kleine Antenne.

Für ein paar Augenblicke vergesse ich es, als ich meinen Freunden um den Hals falle und sie begruesse. Die Männer mit Händeschütteln, die Frauen mit den üblichen 3 Küssen auf die Wangen und dem folgenden gegenseitigen Handkuss. „Na endlich bist du da, wir haben schon gewartet, jemand hat dich in Chitral gesehen, außerdem warst du ziemlich lang in Peshawar. Warum lässt du uns so lange warten?“

Am Weg zum Haus erzählt mir ein Kind, dass mein Zimmer nicht zur Verfügung steht, weil dort „Birbo-La“ ist. Birbo heißt in Kalashamun „Walnuss“. Ich bin ein wenig erstaunt und frage nach, warum man Walnüsse in meinem Zimmer gelagert hätte? „Nein, nein, das ist ein Mann, aus Italien!“ Na macht nix, ich stell mein Gepäck rein und schlaf eben die 3 Tage bis er weg ist im Haus. Das Flohpulver stecke ich vorsichtshalber in meine Tasche.

Dann ist die Aufregung groß – das Telefon funktioniert. Mein Kalash Vater steht stolz auf der Veranda und brüllt in den Hörer. Sein Freund am anderen Ende der Leitung scheint es nicht glauben zu können: Telefon in Biriu.

Morgen werden wir unser eigenes kaufen. Mit großer Antenne natürlich, um ein besseres Signal empfangen zu können. Angeblich soll auch das Internet funktionieren – sehr schnell sogar. Das wird ich erst glauben wenn ich es sehe…

Ich muss hundert Mal erzählen wie es den war und ob meine Familie in Österreich auch zufrieden ist mit dem was ich hier mache, ob es ihnen gut geht, wo ich überall war und was genau ich dort gemacht habe.

Als die Dämmerung einbricht kommt auch Birbola. „Pier-Paolo mein Name“ meint er schmunzelnd. Dacht ich’s mir doch. Birbola wär doch ein wenig eigenartig. Dada nennt ihn immer noch „Parabol“. Italienisch ist eben nicht so einfach auszusprechen für Kalash Kehlen.

Ich gönne mir 2 Tage in Biriu um nachzufragen, was denn so gelaufen ist und wie die Projekte in meiner Abwesenheit ausgegangen seien.

Die gute Nachricht: die ersten 2 Hebammen sind ausgebildet und im Einsatz, es müssen nur noch Medikamente und einige Utensilien zur Geburtshilfe angeschafft werden.

Aus den Wasserhähnen der CBS Schule lauft nun auch wirklich Wasser – Quellwasser. Stolz zeigt mir der Lehrer den zementierten Tank. Ein Nebeneffekt – das ganze Dorf kommt nun zu Schule zum Wasser holen, da die Quelle weiter entfernt liegt.

Das Medizinische Camp hat noch nicht stattgefunden, es musste aufgrund eines Todesfalles in der Familie eines der Helfer verschoben werde. Auch die Medizinlieferungen für den Dispensar haben noch nicht begonnen.

Eine weitere schlechte Nachricht erhalte ich aus Bio, wo wir die Schule errichtet hatten: Der Executive District Officer für Bildung hatte keines seiner Versprechen eingehalten. Weder wurde die Schule zur offiziellen Volksschule erhoben, noch der Posten des Schulmeisters vergeben noch ein weiterer Lehrer von staatlicher Seite eingestellt.

Der Lehrer den wir bezahlen kommt aber schon täglich – seit 3 Monaten, noch ohne Gehalt. Das werde ich baldigst regeln. Mit dem Konto in Chitral läuft das Gottlob einfach ab.

Der Boden der Schule ist ebenfalls noch nicht zementiert, der Zement wurde zu Stein, der angekarrte Sand verschwand spurlos.

Also genug zu tun für den nächsten Chitralbesuch am folgenden Morgen.

Am Dienstag, den 31. Oktober mache ich mich also frühmorgens wieder auf. Es ist schon ein wenig kalt, eine warme Jacke hilft gegen den Fahrtwind auf der Ladefläche des 25 Jahre alten Jeeps.

Imtiaz steht mir zur Seite und besucht mit mir den EDO Bildung. Ich versuche ihn freundlich auf die widrigen Umstände hinzuweisen – mittlerweile habe ich gelernt wie man mit Pakistanischen Beamten umgeht. Seine barsche Antwort gefällt mir gar nicht: „Das fällt nicht unter meine Zuständigkeit!“ Als ich noch öfters nachfrage, warum er denn dann diese Schritte versprochen hätte, wird er ärgerlich. „Ich habe Sie nicht gebeten diese Schule zu bauen, warum fragen Sie mich nun um diese Dinge?“

Meine Antwort, dass ich ihn ja auch nicht gebeten hätte, sonder diese Versprechungen von ihm ganz alleine bei der Eröffnungszeremonie ausgesprochen wurden, von allen Leuten gehört und diese nun etwas nachdenklich stimmt, scheint ihn nicht weiter zu stören.

Wir sollten ein Sonderantrag schreiben, er werde dann sehen ob sich etwas machen lässt.

Er zieht auch Imtiaz Zorn auf sich, da er in dessen Union Council (eine Verwaltungseinheit zwischen Bundesland und Bezirk) trotz vorhandener Anträge ausgebildeter Lehrkräfte Leute aus einem anderen Council eingestellt hatte.

Es ist vor Ort nicht viel zu machen, aber die Weichen hatte der Schreibtischattentäter selbst gestellt. Er sollte seine Rechnung bekommen.

Andere Wege führen ins Krankenhaus, wo wir Ärzte und Pharmavertreter treffen um das Medizinische Camp zu arrangieren, weiter zum Telefongeschäft, wo ich um umgerechnet 35 EUR das begehrte Schnurlos Telefon erstehe. Die großen Antennen wären ausverkauft, ebenfalls die Internetkabel. Imtiaz rettet mich auch aus dieser misslichen Lage: morgen werde sein Freund diese Dinge aus Drosh bringen und sie meinem Kalash Onkel Shah Hussain, der eben dort etwas zu erledigen hat übergeben.

Einige Kleinigkeiten sind noch einzukaufen, Geld abzuheben, welches ich von Österreich mitgenommen und in Peshawar eingelegt hatte, und schon sind alle Jeeps abgefahren. Imtiaz bringt mich kurzerhand selbst nach Biriu – was macht schon ein Umweg von 2 Stunden aus.

Das Telefon läuft von der ersten Sekunde heiß. Jeder ruft seine Bekannten an, kramt Telefonnummern auf verwutzelten Zettelchen aus der Brusttasche. Es ist wie Weihnachten und Geburtstag gleichzeitig. Mit leuchtenden Augen und glühenden Ohren schreien sie ins Telefon, es gleicht einem Spiel, wessen Freund von dem entferntesten Winkel in Pakistan den Anruf erwidert. „Mein Freund ist aus Peshawar!“, „Meiner aus Multan!“ „Das ist noch gar nix, meiner ist aus Karachi!“

Ich stehe schmunzelnd daneben und helfe manchmal bei der Technik aus. Auch Telefonieren will gelernt sein. Was ist ein Freizeichen, was eine Vorwahl und warum zum Kuckuck hat dieser oder jener sein Handy abgeschaltet wenn ich doch jetzt anrufen will. Manche Dinge lassen sich richten, manche eben nicht.

Schnell ist die Batterie aufgebraucht, der Nachtstrom nicht stark genug um sie wieder zu laden. Aber seit neuestem weiß ich, dass der Strom in dieser Jahreszeit auf Anfrage auch tagsüber eingeschaltet werden kann. Es ist nun ein Slalomlauf, wobei die Hindernisse aus Strom und Signal bestehen. Manchmal funktioniert es eben nicht.

Das Internet ist noch nicht frei geschaltet, ein weiterer Chitralbesuch steht ohnehin an.

Der Lehrer empfängt strahlend seine ersten 3 Monatslöhne, 7500 Rupien – 100 EUR. Am nächsten Tag wird er gleich vom frischgebackenen – ersten – Restaurantbesitzer in Biriu um eine Spende gebeten.

Im halbfertigen „Gastzimmer“, dessen Einrichtung aus Strohmatten besteht, vertilgen wir genüsslich Reis mit Rindfleisch und schlürfen heißen Tee.

Pier-Paolos letzter Abend bricht an, er ist schwer mit letzten Übersetzungen (er schreibt sein PHD) und Packen beschäftig. Ich schneide ein Stückchen Speck an und verteile ein paar Rippen Schokolade – Mitbringsel aus Österreich. Köstlich.

Der Speck sollte nicht lange halten, wir essen einiges.

Die süßen kleinen Katzen sind schon ein ordentliches Stück größer und streichen zutraulich um meine Beine. Warum ich von den Schnurrbären erzähle? Eines dieser XXXviecherl krallt sich sprichwörtlich in einem unbeobachteten Moment den letzten Rest meines geliebten Specks. Unsere liebevolle Beziehung ist seit dem leicht angekratzt…

Als Pier-Paolo frühmorgens aufbricht mache ich mich daran, mein Zimmer zu fegen und ein paar wohnliche Gegenstände einzubauen – Schreibtische, freie Regale im Kasten worin ich meine Medikamente, ein paar Gewürze und Kleidung staple. „Machst du ein Geschäft auf?“, werde ich nicht nur einmal gefragt. Es ist nicht üblich seine Dinge säuberlich einzuräumen. Hier werden die wenigen Habseligkeiten normalerweise in Plastiksäcken an verbogene Nägel gehängt. Ich will nicht ganz von der Tradition abweichen und hänge meine Jacken auf.

Wegen den Büchern am Fensterbrett und den Schreibtischen, auf denen sich Telefon-, Handy-, Computer- und Ladegerätkabel zum endgültigen Chaos verschlingen, wird mein Zimmer bald Bibliotheksbüro genannt.

Die Schreibtische dienen noch einem anderen Zweck.
Dafür muss ich aber ein bisschen ausholen.

Mein Kalash Bruder ArifAliShah sollte eigentlich in Peshawar zur Schule gehen. Nach einem knappen Monat kam er mit leeren Taschen wieder zurück. Die Einschreibung, das Internat und Schulgeld war bezahlt, aber sein Kopf und Herz waren noch nicht soweit, um 13 Fahrtstunden von zu Hause alleine zur Schule zu gehen.

Nun vertreibt er sich zur Verzweiflung seines Vaters die Tage mit Kricket und denkt nicht daran wieder zurück zu gehen.

Nach einigen tiefschuerfenden Gesprächen kommt heraus, dass er nicht nur Heimweh hatte. Im Internat gab es viele Speisen mit Eiern und Hühnerfleisch. Er aß nichts davon, musste aber später erfahren, dass er unwissender Weise einige Gerichte mit Eiern gegessen hatte. Und das obwohl die Aufsichtspersonen genau über die speziellen Eigenheiten der Kalash bescheid wissen. Er fühlte sich in seiner Kultur nicht angenommen und hatte weiter Angst, dass er unwissentlich noch mehr gegen seine Traditionen verstoßen könnte.

Ich frage Imtiaz, ob sein altes Angebot, ihn in seinem Haus aufzunehmen und im nahen Drosh zur Schule zu schicken, noch stehen würde.

Arif und seine Mutter sind einverstanden, danach fehlt nur noch das Wichtigste: die Zusage von Papa, der nicht wirklich viel zum Thema beiträgt außer: „Mach du das mit Arif aus, ich rede nicht mit ihm!“

Er ist aber schlussendlich froh, dass es doch noch eine Möglichkeit für seinen Sohn gibt.

Am Wochenende kann er sogar nach Hause kommen, Drosh liegt 2 Fahrtstunden von Biriu entfernt und ich kann garantieren dass in Imtiaz Haus die Kalash Kultur respektiert wird.

Diese Schule ist aber eine Englisch-Medium Schule, deren neues Schuljahr im Februar beginnt. Hier liegt noch ein kleines Problem, das eben die oben genannten Schreibtische lösen helfen. Bis zum Schulbeginn halte ich in meinem Bibliotheksbüro täglich (oder so, wenn nichts dazwischen kommt) extra Schulstunden für Arif ab, damit er seine etwas spärlich ausgeprägten Englischkenntnisse aufbessern kann.

Er nimmt es ziemlich ernst, will lernen und ist froh, dass Papa nun endlich wieder spricht mit ihm.

Das wie ausgetrocknet wirkende Tal, in dem es seit 5 Wochen nicht geregnet hat und die geheizten Räume machen meinem Hals zu schaffen und ich fange bald an zu husten. Ich blättere ein wenig in den mitgebrachten Hausmittel Sammelsurium und stoße auf ein Zwiebelsirup. Unter den skeptischen Blicken meiner Mutter und Großmutter mache ich mich daran, Zwiebel klein zu schneiden, sie mit Zucker zu bedecken und nach einer kurzen Rastzeit ein wenig auf zukochen. Was für eigenartige Gerichte diese Angrezi wohl ist…

Ich presse den Saft durch ein Tuch und fertig ist mein Zwiebelsirup. Als Nebeneffekt habe ich die Zwiebel, die ich mir nachts um den Hals wickele. Es wirkt hervorragend.

Als kleine Trostbissen gönne ich mir auch ein paar Stücke Rumschokolade – die letzte.

Am 2. November begleite ich gerade 2 Touristen zum Jeep, als Leute zu rufen beginnen: „Es brennt, der Stall brennt!“

Vor uns am Hügel sehe ich einen Ziegenstall in Flammen stehen. Ich begreife nicht gleich, dass das Feuer soeben erst entdeckt wurde. Neben mir laufen Männer und Frauen in heller Aufregung zum Ort des Geschehens. „Nehmt Kübel mit!“ Mein ruf verhallt ungehört. Ich laufe ebenfalls los.

Im wilden Durcheinander rennen Männer mit allerlei Gefressen vom Wasserkanal zum Stall, schütten die paar Tropfen in die lodernden Flammen und zurück zum Wasserschöpfen. Frauen füllen die ungeduldig hin gehaltenen Töpfe, in denen noch Essensreste kleben mit Wasser. Ein Gedränge entsteht in wenigen Minuten.

Aber keiner scheint zu hören. Ich versuche, die Leute zu überzeugen, eine Kette zu bilden und die Gefaesse weiter zu reichen anstatt zuhauf über dem kleinen Wasserkanal zu fuchteln. Aber zu groß ist der Wunsch eines jeden, das Wasser selbst in die Flammen zu schütten. Ein System gibt es nicht. Erstaunlicher Weise brennt relativ selten etwas ab und nur wenige können sich an Feuer erinnern. Daher auch der Mangel an Wissen, wie man am besten löscht. Mein Herz weint bei dem Anblick. Es gäbe viel zielfuehrendere Wege um schnell helfen zu können.

Ein paar Lehrer kann ich davon überzeugen, dass die Dächer der unterhalb stehenden Häuser vom zum Trocknen aufgelegten Stroh leergefegt und nass gemacht werden sollten um sie vor herunterfallenden brennenden Holzteilen zu schützen.

Böse Blicke treffen mich. „Oben ist das Feuer, nicht dort unten, was machst du dort?“ Aber die Lehrer begreifen und schnell sind ein paar weitere Kinder versammelt, die uns helfen. Erst als die ersten Teile fallen und auf den nassen Erddächern verlöschen verstehen auch die anderen und helfen mit.

Der Stall brennt fast ganz nieder, aber die umliegenden Häuser bleiben heil. Dazu trägt auch die Windstille bei, Nicht auszudenken, was bei Böen geschehen wäre.

Aus einem Haus ruft ein Bekannter: „Baba komm schnell!“ Ein Mann war bei den Löscharbeiten gestürzt und hatte sich wahrscheinlich im Fuß einige Knochen gebrochen oder zumindest schwer verstaucht. Kein Fahrer ist willig, jetzt, da die Dunkelheit hereingebrochen war und noch Löscharbeiten anstanden, ins Krankenhaus zu fahren und der Verletzte selbst wollte kein Grund für das Fehlen noch einer helfenden Hand verantwortlich sein.

Also Schmerzmittel, und kalte Umschläge die den Fuß abschwellen helfen. Ein wenig von der Bachblüten Creme, dann rufe ich nach dem Knochendoktor, einem Kalash, der die Kunst des Knocheneinrenkens und Verbindens gut beherrscht. Er steht beim Stall und kommt erst, als ich ihn persönlich rufe. Er sieht sich den Fuß an und meint, es sei nichts gebrochen, aber eben angeknackst. Nach dem Abschwellen würde er ihn verbinden. Und schon war er wieder im Löscheinsatz.

Ein Lehrer, Sher Alam, bleibt während der Nacht zu Feuerwache. Bis 1 Uhr leiste ich ihm Gesellschaft, auf dem Dach sind auch noch haufenweise Leute, die eine Ziege geschlachtet hatten, um ihre Dankbarkeit auszudrücken. Gott hatte sie vor dem Tod bewahrt, es war niemand umgekommen, auch keine Tiere – außer eben dem geopferten Ziegenbock.

Immer wieder beten sie uns, doch ins Haus zu kommen, Tee zu trinken. Sie begreifen nicht wirklich, das ein kleiner Windstoss das ganze Spektakel von Vorne beginnen lassen kann und es guter – anwesender – Augen bedarf, die Glutnester am Stall und auf dem kleinen Hang, über dem der Stall stand zu erkennen. Immer wieder fallen verkohlte Balken herunter, aber glücklicher Weise ist Sher Alam immer zur Stelle und kein Feuer entfacht.

Ich fahre am Morgen wieder mal nach Chitral, wo gerade eine Distriktsversammlung läuft, Imtiaz ist beschäftigt. Ich höre aber auch mit Genuss – Schadenfreude liegt mir eigentlich fern, aber dieser Mann verdient nichts anderes – dass der EDO Bildung nun genug Leuten patzige Antworten gegeben hat. Imtiaz selbst setzt einen Antrag auf, der bewirken soll dass der benannte Mann, dessen einzige Qualifikation es ist, Bruder eines gewichtigen Politikers zu sein, vor die Versammlung treten und sich offiziell entschuldigen soll. Morgen…, ansonsten wunder er suspendiert. Der Antrag findet Gefallen, unter den Politikern gibt es genug, die sich schon des Öfteren mit dem Kerl ärgern mussten.

Ich gebe auch gleich den vorher genannten Antrag zur Erhebung der Schule zur Volksschule und der damit automatisch folgenden Einstellung eines 2. staatlichen Lehrers und eines Schulwarts dem zuständigen Union Council Nazim. Kopien an den District Nazim, den Tehsil Nazim und den Bildungsminister in Peshawar werden ebenfalls versandt.

Nach nur einer Stunde wedelt der Council Nazim mit seinem persönlichen Brief, der mit unserem dem EDO Bildung übergeben wird. Sein Text spricht klare Worte. „Mach es!“

Mit der Beschwerde über den vorhandenen staatlichen Lehrer, der nun wieder nur 2 bis 3 Tage in der Woche zum Unterricht erscheint möchte ich noch warten. Ich will niemanden überfordern, aber steter Tropfen höhlt den Stein… und angeblich hat der EDO selbst nach der ersten Beschwerde dem Lehrer erklärt, dass es reiche, wenn er 3 Mal die Woche erscheint. Der Lehrer wohnt 1 Fahrtstunde von der Schule, hat ein Motorrad und bekommt ein schönes Gehalt. Aber seine 2. Arbeit – er ist außerdem Bauunternehmer, halten ihn oft vom Schulbesuch ab.

Wir kaufen außerdem einen Koffer und füllen ihn mit Arbeitsgeräten und Medikamenten für die Hebammen. Schüsseln, Tücher, Unterlagen, Scheren, Spritzen etc finde ich gleich, ein paar Dinge werden aus Peshawar geholt.

Neben bei erfahre ich, dass das Training nicht ganz so problemlos abgelaufen ist wie bisher angenommen. Ein Freund, der für die Unterbringung der Hebammen während des Trainings in einem Privathaus, das wir vorher ausgesucht hatten zuständig war, hatte auf eigene Faust ein paar teure Änderungen vorgenommen. Die Frauen waren in einem Hotel untergebracht. Er hatte wohl das Service nicht ordentlich ausgemacht, so stieg die Rechnung auf den doppelten Preis. Bezahlt ist davon noch nichts, obwohl er das Geld im Voraus erhalten hatte – zumindest die Hälfte, welche eigentlich reichen sollte.

Mal sehen was dabei noch rauskommt. Ich habe es erstmal in seine Hände gelegt und den Hotelbesitzer, der mich auf die ausstehende Rechnung ansprach vertröstet.

Weitere Treffen mit dem EDO Gesundheit und den Ärzten ergeben, dass das Medizinische Camp, bei dem ein kostenloser Gesundheitscheck für die Talbewohner direkt vor Ort angeboten werden soll am 19. November stattfinden soll.

Die Pharmarepräsentanten haben zugesagt, ihre Muster zu sammeln und für uns zur Verfügung zu stellen, die Ärzte werden gratis arbeiten und Transportmittel sollen von AKHSP (Aga Khan Health Support Program) zur Verfügung gestellt werden. Ein paar Gespräche und Anträge sollten reichen.

Eines Abends besucht mich der staatliche Lehrer von Bio zu Hause. Er wird von einigen meiner Freunde geführt, sie zwinkern mir zu: „Er fürchtet sich ein wenig vor meinem Brief an den EDO, weis nicht genau was drin steht, nur dass ich im Dorf gefragt habe, ob nun auch wirklich zur Schule komme. Er verspricht mir, täglich zu kommen, erklärt auch, dass es schwer für ihn sei, das Geld für den Motorradtank aufzutreiben. Ich verspreche ihm mir eine Lösung zu überlegen, bei der er im Tal übernachten kann, somit nicht soviel Geld für die tägliche Fahrt benötigt. Er scheint nicht sehr begeistert, fürchtet um sein Baugeschäft, lächelt aber gezwungen.

Von da an grüsst er freundlich und täglich von seinem Motorrad, frühmorgens wenn er pflichtbewusst zur Schule fährt…

Am 10. November erfahre ich von einem Mann, der in Biriu vom Esel gestürzt war. Er war am Morgen ins Krankenhaus gebracht worden, es sei ziemlich ernst und seiner Familie fehle Geld für die Behandlung. Ich nehme mir vor, am nächsten Tag nach Chitral zu fahren und nachzufragen, ob es irgendwelche Rechnungen zu bezahlen gab.

Dazu kommt es nicht. Das Telefon in meinem Zimmer läutet. Der Mann sei verstorben. Erst später werde ich erfahren, dass er eine Wirbelsäulenverletzung davon getragen hatte, die ihn vom Hals abwärts lähmte, außerdem Kopfverletzungen und weiter innere Blutungen.

Die Leiche wird nachts von Chitral überstellt, Leute wandern zu seinem Dorf um die Totenwache zu beginnen.

Ich gehe erst am nächsten Tag hoch ins ½ h Fußmarsch entfernte Gasguru, wo nur mehr 2 Kalash Haushalte bestehen.

Der Mann war Vater 3er Söhne, die alle zwischen 6 und 12 Jahre waren. Die jüngeren scheinen gefasst – so gefasst wie eben möglich. Der Älteste aber leidet still.

Oft sehe ich ihn einsam zwischen den eingetroffenen Gästen stehen – 50 an der Zahl am ersten Tag, die die Totengesaenge vorbringen, die traditionellen Tänze tanzen, um zu zeigen, dass sie den Verstorbenen gern zurück in Gottes allmächtige Hände geben, Gottes Entscheidung nicht anzweifeln.

Er steht dort, stille Tränen kullern über seine Wangen wenn er den Leichnam, der in der Festhalle aufgebahrt ist betrachtet. Niemand kümmert sich um ihn, keiner der eine Hand auf seine Schulter legt oder ihn tröstet. Er tut mir schrecklich Leid. Ich selbst zögere aber am Anfang. Er ist in einem Alter, in dem Burschen nicht ohneweiters von jungen Frauen in den Arm genommen werden können. Wie werden die Leute reagieren? Ich will mich ja nicht in Traditionen einmischen, aber als er weinend in die Knie fällt gewinnt meine mütterliche Seite überhand und ich lasse ihn an meiner Schulter weinen. Er scheint so dankbar, die umstehenden Leute schauen erstaunt.

Die Mutter klagt neben dem Totenbett, singt Lobgesänge auf ihren Mann, der sie so früh verlassen hat. Sie ist seine 3. Frau. Die erste war gestorben, die 2. weggelaufen und als er dachte, dass sich nun keine mehr finden würde, begann eine tiefe Liebe zwischen den beiden zu wachsen. Ich habe noch bei keinem Begräbnis die Ehefrau solche Worte singen hören. Ihre Söhne hat sie wohl in dem überwältigendem Schmerz vergessen.

Andere nahe Verwandte sind mit der Essenszubereitung beschäftigt.

Morgen werden weitere 100 Gäste kommen, die alle verköstigt werden müssen. Das Essen wird nach einer traditionellen Reihenfolge verabreicht. Am ersten Abend werden gekochten Bohnen und Walnüsse für die Talbewohner serviert, am 2. Tag Fleisch, Wein und abends Käse für alle Gäste. Am 3. Morgen gibt es eine mit Mehl eingedickte Fleischsuppe nach dem eigentlichen Begräbnis, bei dem der Leichnam in einem einfachen Holzsarg auf dem Friedhof begraben wird. Über sein Grab wird sein Bett gestellt, auf dem er auch aufgebahrt war.

Pünktlich am Sterbetag fängt es an zu schütten wie aus Eimern. Der Weg und das Dorf verwandeln sich in ein Matschfeld. Die ständig neu eintreffenden Besucher sind bald von einer Schlammschicht über zogen.

Der erste Weg der neuen Gäste führt immer zum Totenbett in der Festhalle. Die Frauen werfen sich klagend um das Bett, nahe stehende Verwandte lösen ihre Vorgänger bei den Gesaengen ab, die vor dem Leichnam stehend gesungen werden, die Hände rhythmisch über dem Toten geschwenkt. Der älteste oder angesehenste der männlichen Gäste tritt vor den Toten und erzählt dessen Geschichte und die seiner Vorfahren, danach wird weiter getrommelt und getanzt, die Alten erzählen und singen weitere Geschichten.
NAch dem die Trauergemeinschaft nicht mehr in der Halle Platz findet, wird das Totenbett auf ein freies Feld getragen.

Mein Blick sucht immer wieder den jungen Burschen, der seinen Vater verloren hat.

Sher Alam ist der einzige, der sich manchmal zu ihm setzt, leise mit ihm spricht und ihn an sich drückt.

Oft sehe ich ihn auch bei Menschengruppen stehen und lauschen. Versucht er zu hören, ob sich die Leute lustig machen? Natürlich wird auch viel gelacht bei dem Begräbnis – bei welchem nicht. Verwandte und Bekannte aus allen 3 Tälern treffen sich nach langem wieder, es gibt viel Klatsch auszutauschen. Die Jungen versuchen Kontakte zu knüpfen, der Wein tut das seine dazu.

Dann schleicht der junge Knabe bedrückt weg oder schreit schon mal einem der Gäste ins Gesicht.

Später erfahre ich von einer wirklichen Schande. Am Sterbetag, als der Anruf kam und wir vom Haus jemanden ins Dorf sandten, um der Familie bescheid zu sagen, öffneten die Verwandten nach einigen Stunden die Festhalle, um sie vorzubereiten.

Was sie dort vorfanden war furchtbar.

Jemand – mehrere jemande – hatten die Halle mit menschlichem Kot verunreinigt, wohl um dem Toten zu verhöhnen.

Der Verdacht viel sofort auf die muslimischen Dorfbewohner, die einzige Zeit und Gelegenheit hatten.

Die Missachtung der Kalash Kultur steckt tiefer als ich dachte. An der Oberfläche scheint alles in bester Ordnung. Einige Male in den 3 Tagen war ich auch in moslemischen Häusern zum Tee. Zu allen Tages- und Nachtzeiten schliefen die vielen Gäste, für die kein Platz war in allen Häusern bunt durcheinander gewürfelt am Boden, in Betten oder in den wenigen Gästezimmern. Keiner schien Misstrauen zu hegen. Es trifft mich sehr, auch die Resignation der Kalash, die nur traurig die Schultern zucken. „Was sollen wir tun?“



Ich höre auch von Kindern, die kurz vor Eid konvertiert wurden. 11-jaehrige!

Wieder eine meiner Fragen, die hier nicht verstanden werden: „Wie kann man als Elternteil oder Gesellschaft die Entscheidung eines durch Druck und falsche Versprechungen beeinflussten 11-jaehrigen akzeptieren? Warum sagt nicht einfach jemand: Der ist nicht alt genug um das zu entscheiden?“

Ich habe wirklich nichts einzuwenden, wenn jemand nach reiflichen Überlegungen beschließt, dass der eine oder andere Glaube für ihn besser ist. Aber das…?!?

Fast jeden Tag lese ich selbst im Koran, es interessiert mich, was dort steht – und ich finde nicht viel Schlechtes – genauso wie in der christlichen Bibel. Aber wie manche Leute diesen Glauben umsetzen ist mir unverständlich. Nein, nicht unverständlich. Menschen, die nicht lesen können müssen glauben was ihnen erzählt wird und manche Mullahs können selbst nicht lesen, erfinden, lassen weg, dichten, vergessen…



Der italienische Walnuss Pier hatte versprochen, für einen Kalash-Kultur-Lehrer ein Gehalt aufzutreiben. Eine hervorragenden Idee. Ich war zwar der Meinung, dass dies ohne Bezahlung gehen müsste – es ist ja ihre Kultur, aber da er es von sich aus angeboten hat, ist es auch gut.

Bald wird ein Meeting stattfinden, Dada und ich sollen einen Lehrer aussuchen, der dann die Kinder, aber auch die Eltern unterrichten soll. Viele Kalash wissen nicht, warum ihre Traditionen und Rituale so sind wie sie sind. Für sie sind sie einfach da. Da es keine Schrift und Bücher gab, sind sie auch nirgends aufgezeichnet. Nur ein paar wenige wissen über die Hintergründe bescheid, einer von diesen soll der neue Kulturlehrer werde.

Mit dem neuen Wissen und Bewusstsein wollen wir dem Konvertieren vorbeugen.



Das hört sich wohl alles nach viel Arbeit an, aber es gibt auch Momente und Stunden, in denen wir Zeit finden, zu lesen (Drachenläufer hat mit eine Freundin geschickt, ich hab ihn in einer Nacht ausgelesen, ein sehr mitreißendes Buch über eine Kindheit im Afghanistan der 70er, Religionskonflikte, eine Freundschaft, Verrat und den Versuch einer Wiedergutmachung – danke Gerlinde!), oder Karten zu spielen – meine Kalash Mutter ist nun begeisterte Spielerin, und genau so schnell wie sie die Regeln begriff, lernte sie auch das Schummeln – von ihrem Mann denke ich, den sie nun lautstark aufdeckt und zurecht weist, wobei sie selbst seine Tricks besser beherrscht und ungeschoren davon kommt. Ich verkneife mir ein Grinsen – und pruste meist laut los.

Besuch in Europa

Eine andere welt

31. Juli bis 4. Oktober06


Der Besuch in Europa, Österreich, war schön, stimmte mich aber auch in vielen Bereichen wieder sehr nachdenklich. Meine Mutter holte mich vom Flughafen in München ab, wohin ich von Peshawar aus via Doha geflogen war.

Das Parkgeld hätte auch gereicht um 3 oder 4 Leute in Chitral ins Spital zu bringen.

In den ersten Tagen rechnete ich hauptsächlich in dieser „Währung“, was mich auch davon abhielt, selbst zuviel Geld auszugeben. Bei jedem Tee oder Eis musste ich daran denken – und ließ es dann lieber sein. Es dauerte eine Weile, wieder in europäischen Massstaeben zu denken.

Neben ziemlich viel Arbeit für meine Eltern besuchte ich auch viele Freunde. In Innsbruck sah ich eine lieb gewonnene Bhutangruppe und ließ mein Knie durchchecken, dann geht’s per Autostopp weiter in die Schweiz, wo ich Freunde und ehemalige Arbeitskollegen besuchte und wandern ging. Ein wenig später fuehrte mich mein Weg nach Wien zu meinem Onkel. Ein gemütlicher Abend mit einer ebenso lieb gewonnenen Bhutangruppe und Visabesorgungen beschäftigten mich dort. Außerdem stand ein Interview mit einem Bereiter der Spanischen Hofreitschule für ein pakistanisches Pferdemagazin an. Die Pakis sollen auch wissen, dass wir etwas von Pferden verstehen. Das Reisen liegt mir eben im Blut.

Ein besonderer Abend war der Besuch bei einem Mostheurigen, wo Doris, meine Cousine ihre Ferialarbeit geleistet hatte. Nebst gutem Essen gab es eine besondere Überraschung. Spontan fing eine junge Frau mit Ziehharmonika an zu musizieren und singen. Ich habe das nicht oft erlebt bei uns. Wir haben sogar getanzt. Ich musste mich an die häufigen Abende mit spontaner Musik in Chitral erinnern.

Ein anderes Erlebnis, bei dem ich mir fast überlegte, ob ich nicht länger bleiben sollte, war ein Ausflug nach Gmunden. Wir mieteten ein Elektroboot – das erste Mal in meinem Leben am Traunsee – und fuhren hinaus, ließen uns die Sonne auf den Bauch scheinen und ploetzlich verspürte ich den Drang zu schwimmen. Das Wasser war nicht grade warm, aber gegen den Eisbach in Biriu immer noch ein angenehmes Schwimmbecken.

Zuvor – trotz nicht ständig schlechtem Wetter – konnte ich nicht wirklich baden gehen. Nach fast 2 Jahren voll bekleidet schien es mir sehr eigenartig, spärlich bekleidet zwischen vielen Leuten rumzulaufen. Selbst bei einem Spaziergang in der Linzer Innenstadt schlang ich einen Schal um meine bloßen Schultern. Ganz wohl war mir nicht.

Aber als ich dort am Boot stand – fast keine Leute herum, nur ein paar wenige Boote, das der Nachmittag sich bereits zu ende neigte – sprang ich ins Wasser. Ein herrliches Gefühl – richtig schwimmen. Nicht im knöcheltiefem Wasser sitzen, sonder richtig schwimmen, im großen See. Mit dem Sprung ins Wasser legte ich auch die Scheu ab, die ich mir in den islamischen Ländern angewohnt hatte. Danach war es einfacher, mit ärmellosen Shirts oder Kleidern rumzulaufen.

Immer wenn mir nun das Baden fehlt, sehe ich mir den kurzen Film an, den ein Freund, mit dem ich den Gmundenbesuch gemacht hatte, mit meiner kleinen Digitalkamera aufgenommen hatte.



Andere Abende – zahllose – verbrachte ich im Nachbarshaus. Anfangs nur um im Internet zu surfen, es stellte sich aber allmählich ein, dass eine oder zwei gute Flaschen Wein oder ähnliches geköpft wurden und daraus ein gemütlicher Plausch und Computer-Reparier-Abend wurde.

Der gute Wein fehlt mir hier schon wieder ein wenig, an das Essigwasser bin ich immer noch nicht gewöhnt.



Nach 2 Monaten brachte mich dann ein lieber Freund zum Flughafen, half mir beim Gepäck schleppen. Es war nicht zu wenig, Ich hatte sogar bei Qatar ausnahmsweise ein höheres Gewichtslimit zugestanden bekommen. 40 kg brachten meine Taschen auf die Waage, 10 weitere befanden sich in meinem Handgepäck.

So beladen machte ich mich also auf nach Pakistan.