Chawmos - die Zweite
Mitte Dezember 2006
Grade rechtzeitig komme ich am 16. Dezember nach Chitral und Biriu. Das Chawmosfest beginnt an diesem Abend.
Den Vortag hatte ich leider verpasst, mein Onkel feierte seine Hauseinweihungsparty. Er hat ein riesiges Haus in Sandik errichtet mit 3 Zimmern, eines für die Familie zum Wohnen und 2 Gästezimmer, die je nach Bedarf verwendet werden würden. Aber dieses Fest fiel für mich dem Wetter zum Opfer, da kein Flieger gen Chitral abhob.
Aber jeder Tag ist der richtige um Heim zu kommen. Mit grossem Hallo werde ich empfangen und gleich in die Chawmos Vorbereitungen eingebunden. Die Janja Nacht steht an. Von allen Dörfern ziehen die Bewohner mit langen Fackeln nachts zum nächsten um sich schliesslich in einem Dorf zu treffen. Diesmal in Guru, wir dürfen also warten und das Spektakel von den Hausdächern beobachten. Wie eine Feuerschlange nähern sich die Leute, von der Ferne nur als wippende Flammen zu erkennen. Alle Dörfer südlich und östlich von Guru treffen sich bei uns, westlich gelegene Dörfer ziehen talaufwärts um sich weiter oben zu treffen. Insgesamt gibt es hier in Biriu 3 Treffpunkte für die Janja Nacht, die Umzüge finden allerdings nicht an den gleichen Tagen statt.
Langsam trudeln alle ein, löschen die Flammen und sammeln sich im Rikhin, der Tanzhalle. Eine lange Nacht steht an, viel Wasser und Wein ist am Abend zum Aufwärmen in durstigen Kehlen versickert. Ein paar Jungs greifen zu den Trommeln, und schlagen die ersten Takte. Die Frauen wissen sofort, was sie zu tun haben – es gibt nur 3 verschiedene Tänze, sie unterscheiden sich hauptsaechlich in der Schrittgeschwindigkeit. Die beiden langsameren werden meist in langen Ketten getanzt, gemeinsam soll der gleichbleibende, überkreuzte Seitschritt erfolgen, damit die Kette nicht reisst oder aus dem Takt kommt.
Das passiert allerdings allzu oft. Anfangs überkommen mich jedesmal Schuldgefühle. Die tanzen das seit hundert Jahren, wenn jemand sie drausbringt dann bin ich das. Aber je länger ich mitmache und je öfter ich den Platz in der Reihe tausche desto mehr verstehe ich den echten Hintergrund der Unstimmigkeiten. Und Schuld war doch nur… der Wein…
Der schnellste Tanz wird üblicherweise in Dreiergruppen getanzt. Mehr oder weniger schnelles Drehen abwechselnd mit- und gegen den Uhrzeigersinn wechselt sich ab mit geneigten-Kopfes Nach-vorne-preschen, apruptem Stopp und Drehen. Alles nicht so schwer, wären da nicht die Burschen und Männer, die ebenfalls ähnliche Reihen formieren und möglichst viele Frauenreihen anstossen, gefolgt von lautem “Hahahahaha, a dussi hahaha!” (Heisst soviel wie: erwischt, hahaha…) Nach wenigen Tänzen entsteht ein wildes Durcheinander, das die Alten von Zeit zu Zeit zu zügeln versuchen. Bei den beiden langsameren Tänzen singen die Frauen eine Art meditativen Singsang während die älteren Männer die alten Geschichten-Lieder wiederholen und neue dichten für besondere Leistungen im letzten Jahr.
Erschöpft aber glücklich falle ich nach einer langen durchtanzten Nacht ins Bett, kuschle mich in die warme weiche Decke, die ich in Chitral erstanden habe, nachdem manchmal mein Knie nachts wegen der kriechenden Kaelte geschmerzt hatte und schlafe bald ein.
Es ist fast Mittag, als ich mich endlich dazu bewegen kann, aus dem warmen, kuscheligen Bett zu kriechen. Die üblichen Bohnen – drei mal täglich, stehen schon bereit, über die Wirkung auf Darm und Umwelt habe ich mich letztes Jahr schon genügend ausgelassen – bitte bei grossem Interesse dort nachzulesen, anderenfalls – vergessen wirs einfach…
Also Bohnen zum Frühstück, diesmal fällt es mit Mittagessen zusammen, das ändert allerdings nichts an der Menüauswahl. Die Bohnen bleiben Bohnen. Das Wetter ist schön, fast suche ich nach Oma, um wieder an den Baendern zu knüpfen, wie es vor meinem Peshawar Besuch an der Tagesordnung stand.
Doch sie ist schon in Bumburet bei ihrer zweiten Tochter, deren erster Sohn zu diesem Chawmos seine Initiierungsfeier hat, butt sambiek – (Hose anziehen, ist für Jungs das erste Mal offiziell die traditionelle Kalash Hose anzuziehen und somit in die Kalash Gemeinschaft integriert zu werden. Für Mädels ist es kupas sambiek und beschreibt das erste Tragen des Kopfschmuckes.
Letztes Jahr in Bumburet verbrachte ich diese Tage bei Sher Alam, dessen Sohn butt sambiek und dessen Nichte kupas feierte. Für die Gäste werden das ganze Jahr über chumanis gefertigt, gewebte oder geflochtene Zierbaender, die auch zum Halten und Binden von Hosen verwendet werden.
Viele Stunden hatte ich mit Oma auf der Veranda verbracht und ihr geholfen, die Baender zu fertigen. Ich liebte die Tage im Sonnenschein. Oma erzählt alte Geschichten oder singt diesen meditativen Singsang, bei dem ich alles um mich herum vergesse. Es erinnerte mich an meine Oma in Österreich, die Handarbeitslehrerin war und, als sie noch lebte, auch öfters mit mir gestrickt, gehäkelt oder gewebt und dabei Geschichten von Früher erzählt hatte.
Am nächsten Tag wird auch in Biriu dieses Initiationsritual gefeiert, diesmal ist es ein “Cousin” von mir, ich bin somit eine Verwandte, die geehrt wird, ich bekomme chumani-Baender und, wie alle anderen in meinem Verwandschaftsgrad einen Glitzermantel. Früher wurden diese Ehren spärlicher verteilt, da mühevoll angefertigt. Heutzutage greift man einen Goldglitzerstoff vom Bazaar, schneidert ein paar Arme dran und fertig ist der Ehrenumhang. Die verwandten Kinder bekommen Schals und kleine Umhänge. Es ist ziemlich teuer, so ein Fest auszurichten. Getrocknete Trauben, Nüsse, Maulbeeren, Sijin Beeren, Käse und andere Köstlichkeiten werden in Hülle und Fülle herumgereicht. Chawmos ist nicht das Fest des Geizes, sondern des Überflusses, des Glaubens und Vertrauens in ein fruchtbares neues Jahr in einer Zeit, die eher an Entbehrung erinnert – Winter, Kälte, Dunkelheit…
All dies wird ersetzt durch Wärme, Gemeinschaft, Vertrauen in Gott und den Neuanfang im bald beginnenden neuen Jahr.
Abends werden die Kinder zur Tanzhalle getragen, sie tanzen zuerst, dann nach und nach beginnen die Älteren. Spätnachts stimmen sie endlich das langersehnte Ajhona Baya/baba (Gastbruder/schwester) Lied an. Der Ablauf ist meines Erachtens traditioneller als der in Bumburet bei diesem Lied, vielleicht kommt es mir nur so vor, weil er logischer klingt.
Eine Grupper Frauen tanzt im Kreis um einen einzelnen Mann in ihrer Mitte, eine Gruppe Männer tut das selbe mit einer Frau, der „Gastschwester“. Nun werden abwechselnd zu gleichbleibendem Refrain neue Strophen erfunden, die wie ein Dialog zwischen den beiden Gruppen pendeln. Je spáter und feuchter die Nacht, desto ausgefallener werden die neuen Strophen, beklatscht und belacht von Publikum und Tänzern, dann beugen sich die Köpfe der anderen Gruppe zusammen, tuscheln, lachen und eine/r fängt schliesslich an, den eben gedichteten Text zu singen. Besonders gute Strophen halten sich oft mehrere Jahre und werden am Anfang gesungen, wenn das dichten noch nicht so leicht fällt.
Letztes Jahr, als ich Chawmos in Bumburet verbrachte, wurde mir eine dieser Strophen gewidmet. In den letzten Tagen sangen es die Kinder gemeinsam mit anderen bekannteren Versen wieder von den Dächern, zur Einstimmung.
Diese Nacht wird eine der kürzesten, denn um 5 Uhr früh geht es wieder los. ArifAliShah hatte mir am Vortag schon eine Fackel zurecht gemacht, ich greife sie schlaftrunken und mache mich auf zum Treffpunkt in Guru, ganz oben über den Häusern. Mama kommt auch mit, sie rät mir noch, den alten Piran an zu legen, nicht den neuen, der in den letzten Wochen von Baras Khans Frau für mich genäht wurde. Dieser bleibt also haengen, strahlt in allen Gelbtönen frisch gewaschen und noch unbenutzt heute vergebens.
Diesmal ist es an uns die Fackeln ins nächste Dorf zu bringen – möglichst heil. Bei einem grossen Feuer entzüden wir das harzige Pinienholz, dann staksen wir vorwärts in einer endlos scheinenden Feuerkette über die eisigen Pfade and den rutschigen Hängen, eine gute Uebung um schnell wach zu werden.
Die Teenies stürmen vor und zurück, die Trittsicherheit sichtlich beeinträchtigt vom nächtlichen Umtrunk. Ich danke einmal mehr für den Umstand, dass ich diesen Wein nicht vertrage und daher gar nicht erst versuche ihn zu trinken, andernfalls würde ich bestimmt den Abhang hinunter purzeln oder irgendwann meinen Piran unter Flammen setzen.
Ich wundere mich mit jedem Schritt, dass nichts zu brennen beginnt. Teile der Fackeln fallen ständig auf den Weg und die unterhalb liegenden Häuser, jeder hält seine Fackel in irgendein Richtung, dazwischen bzw darunter drängen sich Leute vor und zurück, hie und da fängt ein Schal zu brennen an, aber niemand scheint dem Achtung zu schenken.
Immer weiter geht der Umzug, über Zäune, Felsen, Halden, Eis und Schnee. Auf einigen Hausdächern stehen Frauen, die die Fackelträger bitten, auf ihren Feldern zu tanzen, dann geht ein Rucken durch die Leute, der – mehr oder weniger – Gänsemarsch löst sich auf, die Trommeln werden geschlagen und für einige Minuten wird getanzt für die Fruchtbarkeit des jeweiligen Feldes.
Der Weg, der im Tageslicht und ohne Regen ca. 20 Minuten dauert wird zu einem 2 stündigen Marsch der tanzenden Lichter.
Als wir die Tanzhalle in Asper erreichen dämmert es bereits. Aber anstatt, wie vor 2 Tagen in Guru, die Fackeln zu löschen werden sie zu meinem Erstaunen mit in die Halle genommen, die Tänze beginnen, drei und drei Frauen gemeinsam drehen sich wilder als sonst, die Fackeln hoch erhoben, die Funken fliegen, die Kinder springen mit kleinen Fackeln zwischen den anderen herum. Hier muessen 1000 Schutzengel sein, nie fällt ein brennendes Holzteil in ein Kupas, wo es ungehindert alle Haare der Betroffenen verbrennen könnte, die jeamndem ins Gesicht, nie fängt ein Kleidungsstück unkontrolliert zu brennen an, obwohl sichtlich niemand darauf achtet, öfters fliegen die brennenden Teile knapp am Ziel vorbei – Gott muss wohl sehr zufrieden sein.
Als alle Fackeln schliesslich nieder gebrannt sind, machen wir uns auf den Weg nach Hause, wo wir frühstücken, ein wenig ausruhen und am Nachmittag wieder aufbrechen, diesmal weiter talaufwärts, vorbei am nächtlichen Ziel bis Gri, am nördlichen Hang kurz vor dem Dorf in dem die neue Schule steht.
Die paar hundert Meter Höhenunterschied lassen uns erst schwitzen – allerdings nur bis wir dort sind. Dann spüren wir den kalten Wind, der um alle Ecken pfeift und ungehindert über den Freiluft Tanzplatz auf einem etwas grösseren Felsvorsprung hinweg stürmt. Die Luft ist klar, das Tal, von hier aus gut sichtbar, mit einer weissen Schneedecke überzogen, friedlich, weich sieht es aus, wie im Dornröschenschlaf – solange man nicht zu nahe an die Häuser kommt, aus denen Musik und Gelächter dringt. Wir besuchen einige Verwandte hier oben, schlürfen picksuesse heisse Milchtees um uns aufzuwärmen. Hier in Biriu kuppelt sich die Kalash Gemeinschaft nicht wie in Bumburet für 3 Tage von der Aussenwelt ab. Moslems und Kalash gehen hier an allen Tagen ihren gemeinsamen Arbeiten nach, besuchen sich, plaudern.
In der Abenddämmerung brechen wir nach Hause auf. Kleine Streitereien haben angefangen, wie fast jeden Tag am Tanzplatz, wenn die betrunkenen Jugendlichen ihren Platz im System finden müssen, wollen, sollen.
Ein blaues Auge oder ein verstauchter Fuss gehören dazu…
Wir alle sind erschöpft, die letzten 2 Tage hatten wir kaum geschlafen. Aber Frieden gibts noch lange nicht, Freunde kommen vorbei zum Kartenspiel, die Nacht wird wieder zum Tag.
Der nächste Morgen sollte der letzte Chawmos Tag sein. Frühmorgens hoere ich die Kinderscharen, die – wie bei Halloween – in die Häuser kommen und um Bohnen bitten – daru tatu. Am Abend werden die gesammelten Bohnen vor der Tanzhalle gekocht und am übernächsten Tag wieder verteilt. Erst geht es wieder nach Asper, wo getanzt wird, dann Heim nach Guru, wo die Bohnen aufgesetzt werden.
Das Kochen geht wie von selbst, so haben wir Zeit zum Tanzen und Singen.
Ajhona Baya wird wieder angestimmt, bald ist Weithin lautes Gelaechter zu hoeren. Es findet allerdings ein abruptes Ende, als ein Bote kommt, der uns mitteilt, dass eine Frau aus Beshal gestorben sei. Musik ist damit beendet, die Bohnen koecheln unter den nicht mehr ganz so wachsamen Augen einiger Maedels dahin. Verwandte machen sich auf den Weg nach Beshal, da Muslims am selben Tag begraben werden. Der Kreis des Lebens…
Als am nächsten Tag aus heiterem Himmel die Tochter der Verstorbenen, die in Peshawar lebt, anruft, beschliesst die Familie ihr nichts vom Tod der Mutter zu sagen, bis der Vater und ein Bruder in 2 Tagen selbst nach Peshawar fahren und die traurige Nachricht persönlich überbringen koennen.
Die Tochter spürt, dass etwas nicht stimmt. Ich kann ihre Stimme aus dem Hörer hoeren (unser Telefon ist immer noch das einzige). “Ich will mit ihr reden, wo ist sie, bring sie ans Telefon. Ihr würdet mir nicht mal sagen, wenn es ihr nicht gut geht oder wenn sie stirbt.
Bedrückte Stimmung. Der junge Mann mit dem feuerroten, strubbeligen Haar, der immer mit Gejauchze seinen Esel durchs Tal treibt, auf dem er es sich selbst baumelnden Fusses gemütlich macht, weiss nicht was er seiner Schwester sagen soll. Seine sonst vor Übermut sprühen Augen sind stumpf, ängstlich. Er will ihr die schlechte Nachricht am Telefon ersparen, spürt aber auch, dass sich eine Tochter nicht so leicht über die Gesundheit der Mama täuschen laesst.
In Bumburet dauert das Fest noch 2 Tage länger, also machen sich ein paar Birilas auf, um den letzten Tag in Bumburet zu erleben.
Dada, ein paar Grossvater und Onkeln und ich quetschen uns auf einen Jeep und rumpeln über Eis und Schnee nach Bumburet, wo wir in Bhuttos Haus, welches auch von seinem Bruder und dessen Frau Nadia, die meine “echte” Tante mütterlicherseits ist, bewohnt wird – und von vielen anderen mehr.
Oma ist auch da, fast die ganze Familie ist versammelt. Der Abend wir gemütlich, keine ChawmosTänze aber viele Geschichten werden ausgetauscht.
Ein kleines Baby im Haus hat Ohrenschmerzen, die junge Mama ist verzweifelt. Meine Hausmittel-Bücher sind nicht umsonst, beim Durchblättern habe ich gelesen, dass man halbierte Zwiebel auf die Ohren legen soll.
Ein wenig unbeholfen stopfen wir die Zwiebel unter die Ohrenhaube um sie zu fixieren und werden belohnt. Am Morgen sind die Schmerzen wie weggeblasen.
Oma ist von der Zwiebel mittlerweile schwer beeindruckt, sie hat das Sirup und nun diese Methode kritisch beäugt. Aber nach dem Heilerfolg holt sie nun beim kleinsten Wehwechen eine Zwiebel hervor…
Der Tag kann also ganz den Chawmosfeierlichkeiten gewidmet werden. Der Besucherandrang ist wieder gross, vor allem viele der nicht ganz so gern gesehenen Inlandstouristen aus dem Süden wackeln benommen von dem ungewohnten Wein durch die Gegend und lästern Frauen an.
Aber das sind nur Randgeschehnisse, wir stürzen uns ins Getümmel und Tanzen bis zum Umfallen.
Als ich im Jeep nach Chitral sitze summen meine Ohren noch vom tiefgehenden Trommelbeat der Kalashsongs. Es ist der letzte Chawmos Tag nun auch hier in Bumburet, am frühen Abend ist Schluss und Imtiaz hat mir von einem Musikabend in Chitral erzählt. Also nichts wie los. Ich werd auch Gelegenheit haben ein paar Dinge für das anstehende Weihnachtsfest einzukaufen. Vor allem Orangen und Zimt sind gefragt, zwecks mehrfach geforderter Glúhwein-Zubereitung.
Am nächsten Tag bin ich also wieder zurück mit eben diesen Dingen, dazu noch einige Kilo Äpfel für die Apfel-Zimt-Kekse.
Die Äpfel hatte ich eigentlich schon gebracht, aber waehrend wir nichts Böses ahnend getanzt hatten, waren die Kinder im Abstellkammerl ein und ausgegangen und hatten jedes Mal ein oder zwei Apfel vernascht. Am Abend war nichts mehr übrig...
In Bhuttos Haus ist die Ernährung zwar nicht ganz so unausgewogen wie sonst wo in den Taelern, aber es sei den Kleinen vergönnt, sie sind ja mitten im Wachstum...
Bhuttos Haus ist ein richtiges Familien Guesthouse, 3 Zimmer für Gäste, immer abwechslungsreiches, sauberes und hygienisch zubereitetes Essen, Toiletten in den Zimmern, Oefen im Winter, frische Wäsche mindestens 2x pro Woche...
In Birir könnten sie noch was lernen. Ich hatte vor kurzem mal die Bettwäsche der Gäste gewaschen, als ich darüber stolperte und vor lauter Flecken das Muster nicht erkennen konnte. „Ich hab sie erst letzten Monat gewaschen!“ kam der Kommentar von Mama. Ich habe versucht zu erklären, dass sie mindestens nach jedem Gast oder, sollte ein Gast sehr lange bleiben, ein mal die Woche gewechselt werden muss – und dabei auch gleich gewaschen. Mal sehen...
Aber ich bin ja nun in Bumburet. Am 24. Dezember fangen wir frühmorgens an, Apfelkuchen zu backen. Bis 4 Kilo Äpfel per Hand in Kleinstteilchen geschnitten sind dauert es schon mal eine Weile.
Viele Gäste sind diesmal nicht da, 2 europäische Touristen, mit denen ich gemeinsam die Vorbereitungen teilen und dann natürlich feiern wollte, hatten kurzerhand abgesagt, daher bin ich die einzige mit „Weihnachtsbrauch“.
3 Japaner sind noch da, die fleissig mithelfen, besonders eine - sorry, der Name ist mir entfallen und wuesste ich ihn, so koennte ich ihn bestimmt nicht buchstabieren – schnipselt unermüdlich an den Äpfeln rum. Wir hatten vor 2 Tagen auf ihren Wunsch einen Pudding gemacht – mit Paki Puddingpulver und Paki Anleitung, die natürlich hinten und vorne nicht zusammen passt. Zubereitet nach aufgedrucktem Rezept wurde es eine mehr oder weniger flússige Sosse, aber nach einigem Rumpantschen – oder Improvisieren – hatten wir einen süssen, festen, echten Pudding fertig gebracht.
Das Glühweinkochen haben auch Helferlein übernommen, sie hatten letztes Jahr gut aufgepasst, ich muss nur noch abschmecken...
Es ist also eher ein Familien Weihnachtsfest, dafür umso gemütlicher.
Eine liebe Freundin kommt abends vorbei und bringt mir ein Geschenk. Ich packe es aus und traue meinen Augen kaum: Ein fix und fertiger Piran, mit einer Borte aus selbstgemachten Perlenbändern. Sie hatte mir vor 2 Jahren ein Perlen-Armband geschenkt, welches ich immer noch trage. Als sie einmal nach Birir kam sah sie es und war fast zu Tränen geruehrt. Und nun dieses Geschenk. Ich kanns kaum glauben. Ich hab noch nie einen schöneren Piran als diesen gesehen, und sicher auch keinen, dessen Fertigstellung soviel mühevolle Kleinarbeit beinhaelt. Sie hatte den ganzen Sommer daran gearbeitet. Nicht für mich, für sie, aber als sie sah, wie sehr mir dieses Perlendesign gefiel, waren die Pläne geändert und nun darf ich ihn tragen. Diese Selbstlosigkeit ist eine Eigenschaft, die nur wenige Leute oder Völker besitzen.
Ich hatte dieses Jahr keine Zeit, Geschenke zu machen, alleine ist das auch schwierig, aber 3 der dampfenden Apfelkuchen gehören jedenfalls ihr, und es wird bestimmt eine Gelegenheit geben, ihr auch eine Freude zu bereiten.
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Grade rechtzeitig komme ich am 16. Dezember nach Chitral und Biriu. Das Chawmosfest beginnt an diesem Abend.
Den Vortag hatte ich leider verpasst, mein Onkel feierte seine Hauseinweihungsparty. Er hat ein riesiges Haus in Sandik errichtet mit 3 Zimmern, eines für die Familie zum Wohnen und 2 Gästezimmer, die je nach Bedarf verwendet werden würden. Aber dieses Fest fiel für mich dem Wetter zum Opfer, da kein Flieger gen Chitral abhob.
Aber jeder Tag ist der richtige um Heim zu kommen. Mit grossem Hallo werde ich empfangen und gleich in die Chawmos Vorbereitungen eingebunden. Die Janja Nacht steht an. Von allen Dörfern ziehen die Bewohner mit langen Fackeln nachts zum nächsten um sich schliesslich in einem Dorf zu treffen. Diesmal in Guru, wir dürfen also warten und das Spektakel von den Hausdächern beobachten. Wie eine Feuerschlange nähern sich die Leute, von der Ferne nur als wippende Flammen zu erkennen. Alle Dörfer südlich und östlich von Guru treffen sich bei uns, westlich gelegene Dörfer ziehen talaufwärts um sich weiter oben zu treffen. Insgesamt gibt es hier in Biriu 3 Treffpunkte für die Janja Nacht, die Umzüge finden allerdings nicht an den gleichen Tagen statt.
Langsam trudeln alle ein, löschen die Flammen und sammeln sich im Rikhin, der Tanzhalle. Eine lange Nacht steht an, viel Wasser und Wein ist am Abend zum Aufwärmen in durstigen Kehlen versickert. Ein paar Jungs greifen zu den Trommeln, und schlagen die ersten Takte. Die Frauen wissen sofort, was sie zu tun haben – es gibt nur 3 verschiedene Tänze, sie unterscheiden sich hauptsaechlich in der Schrittgeschwindigkeit. Die beiden langsameren werden meist in langen Ketten getanzt, gemeinsam soll der gleichbleibende, überkreuzte Seitschritt erfolgen, damit die Kette nicht reisst oder aus dem Takt kommt.
Das passiert allerdings allzu oft. Anfangs überkommen mich jedesmal Schuldgefühle. Die tanzen das seit hundert Jahren, wenn jemand sie drausbringt dann bin ich das. Aber je länger ich mitmache und je öfter ich den Platz in der Reihe tausche desto mehr verstehe ich den echten Hintergrund der Unstimmigkeiten. Und Schuld war doch nur… der Wein…
Der schnellste Tanz wird üblicherweise in Dreiergruppen getanzt. Mehr oder weniger schnelles Drehen abwechselnd mit- und gegen den Uhrzeigersinn wechselt sich ab mit geneigten-Kopfes Nach-vorne-preschen, apruptem Stopp und Drehen. Alles nicht so schwer, wären da nicht die Burschen und Männer, die ebenfalls ähnliche Reihen formieren und möglichst viele Frauenreihen anstossen, gefolgt von lautem “Hahahahaha, a dussi hahaha!” (Heisst soviel wie: erwischt, hahaha…) Nach wenigen Tänzen entsteht ein wildes Durcheinander, das die Alten von Zeit zu Zeit zu zügeln versuchen. Bei den beiden langsameren Tänzen singen die Frauen eine Art meditativen Singsang während die älteren Männer die alten Geschichten-Lieder wiederholen und neue dichten für besondere Leistungen im letzten Jahr.
Erschöpft aber glücklich falle ich nach einer langen durchtanzten Nacht ins Bett, kuschle mich in die warme weiche Decke, die ich in Chitral erstanden habe, nachdem manchmal mein Knie nachts wegen der kriechenden Kaelte geschmerzt hatte und schlafe bald ein.
Es ist fast Mittag, als ich mich endlich dazu bewegen kann, aus dem warmen, kuscheligen Bett zu kriechen. Die üblichen Bohnen – drei mal täglich, stehen schon bereit, über die Wirkung auf Darm und Umwelt habe ich mich letztes Jahr schon genügend ausgelassen – bitte bei grossem Interesse dort nachzulesen, anderenfalls – vergessen wirs einfach…
Also Bohnen zum Frühstück, diesmal fällt es mit Mittagessen zusammen, das ändert allerdings nichts an der Menüauswahl. Die Bohnen bleiben Bohnen. Das Wetter ist schön, fast suche ich nach Oma, um wieder an den Baendern zu knüpfen, wie es vor meinem Peshawar Besuch an der Tagesordnung stand.
Doch sie ist schon in Bumburet bei ihrer zweiten Tochter, deren erster Sohn zu diesem Chawmos seine Initiierungsfeier hat, butt sambiek – (Hose anziehen, ist für Jungs das erste Mal offiziell die traditionelle Kalash Hose anzuziehen und somit in die Kalash Gemeinschaft integriert zu werden. Für Mädels ist es kupas sambiek und beschreibt das erste Tragen des Kopfschmuckes.
Letztes Jahr in Bumburet verbrachte ich diese Tage bei Sher Alam, dessen Sohn butt sambiek und dessen Nichte kupas feierte. Für die Gäste werden das ganze Jahr über chumanis gefertigt, gewebte oder geflochtene Zierbaender, die auch zum Halten und Binden von Hosen verwendet werden.
Viele Stunden hatte ich mit Oma auf der Veranda verbracht und ihr geholfen, die Baender zu fertigen. Ich liebte die Tage im Sonnenschein. Oma erzählt alte Geschichten oder singt diesen meditativen Singsang, bei dem ich alles um mich herum vergesse. Es erinnerte mich an meine Oma in Österreich, die Handarbeitslehrerin war und, als sie noch lebte, auch öfters mit mir gestrickt, gehäkelt oder gewebt und dabei Geschichten von Früher erzählt hatte.
Am nächsten Tag wird auch in Biriu dieses Initiationsritual gefeiert, diesmal ist es ein “Cousin” von mir, ich bin somit eine Verwandte, die geehrt wird, ich bekomme chumani-Baender und, wie alle anderen in meinem Verwandschaftsgrad einen Glitzermantel. Früher wurden diese Ehren spärlicher verteilt, da mühevoll angefertigt. Heutzutage greift man einen Goldglitzerstoff vom Bazaar, schneidert ein paar Arme dran und fertig ist der Ehrenumhang. Die verwandten Kinder bekommen Schals und kleine Umhänge. Es ist ziemlich teuer, so ein Fest auszurichten. Getrocknete Trauben, Nüsse, Maulbeeren, Sijin Beeren, Käse und andere Köstlichkeiten werden in Hülle und Fülle herumgereicht. Chawmos ist nicht das Fest des Geizes, sondern des Überflusses, des Glaubens und Vertrauens in ein fruchtbares neues Jahr in einer Zeit, die eher an Entbehrung erinnert – Winter, Kälte, Dunkelheit…
All dies wird ersetzt durch Wärme, Gemeinschaft, Vertrauen in Gott und den Neuanfang im bald beginnenden neuen Jahr.
Abends werden die Kinder zur Tanzhalle getragen, sie tanzen zuerst, dann nach und nach beginnen die Älteren. Spätnachts stimmen sie endlich das langersehnte Ajhona Baya/baba (Gastbruder/schwester) Lied an. Der Ablauf ist meines Erachtens traditioneller als der in Bumburet bei diesem Lied, vielleicht kommt es mir nur so vor, weil er logischer klingt.
Eine Grupper Frauen tanzt im Kreis um einen einzelnen Mann in ihrer Mitte, eine Gruppe Männer tut das selbe mit einer Frau, der „Gastschwester“. Nun werden abwechselnd zu gleichbleibendem Refrain neue Strophen erfunden, die wie ein Dialog zwischen den beiden Gruppen pendeln. Je spáter und feuchter die Nacht, desto ausgefallener werden die neuen Strophen, beklatscht und belacht von Publikum und Tänzern, dann beugen sich die Köpfe der anderen Gruppe zusammen, tuscheln, lachen und eine/r fängt schliesslich an, den eben gedichteten Text zu singen. Besonders gute Strophen halten sich oft mehrere Jahre und werden am Anfang gesungen, wenn das dichten noch nicht so leicht fällt.
Letztes Jahr, als ich Chawmos in Bumburet verbrachte, wurde mir eine dieser Strophen gewidmet. In den letzten Tagen sangen es die Kinder gemeinsam mit anderen bekannteren Versen wieder von den Dächern, zur Einstimmung.
Diese Nacht wird eine der kürzesten, denn um 5 Uhr früh geht es wieder los. ArifAliShah hatte mir am Vortag schon eine Fackel zurecht gemacht, ich greife sie schlaftrunken und mache mich auf zum Treffpunkt in Guru, ganz oben über den Häusern. Mama kommt auch mit, sie rät mir noch, den alten Piran an zu legen, nicht den neuen, der in den letzten Wochen von Baras Khans Frau für mich genäht wurde. Dieser bleibt also haengen, strahlt in allen Gelbtönen frisch gewaschen und noch unbenutzt heute vergebens.
Diesmal ist es an uns die Fackeln ins nächste Dorf zu bringen – möglichst heil. Bei einem grossen Feuer entzüden wir das harzige Pinienholz, dann staksen wir vorwärts in einer endlos scheinenden Feuerkette über die eisigen Pfade and den rutschigen Hängen, eine gute Uebung um schnell wach zu werden.
Die Teenies stürmen vor und zurück, die Trittsicherheit sichtlich beeinträchtigt vom nächtlichen Umtrunk. Ich danke einmal mehr für den Umstand, dass ich diesen Wein nicht vertrage und daher gar nicht erst versuche ihn zu trinken, andernfalls würde ich bestimmt den Abhang hinunter purzeln oder irgendwann meinen Piran unter Flammen setzen.
Ich wundere mich mit jedem Schritt, dass nichts zu brennen beginnt. Teile der Fackeln fallen ständig auf den Weg und die unterhalb liegenden Häuser, jeder hält seine Fackel in irgendein Richtung, dazwischen bzw darunter drängen sich Leute vor und zurück, hie und da fängt ein Schal zu brennen an, aber niemand scheint dem Achtung zu schenken.
Immer weiter geht der Umzug, über Zäune, Felsen, Halden, Eis und Schnee. Auf einigen Hausdächern stehen Frauen, die die Fackelträger bitten, auf ihren Feldern zu tanzen, dann geht ein Rucken durch die Leute, der – mehr oder weniger – Gänsemarsch löst sich auf, die Trommeln werden geschlagen und für einige Minuten wird getanzt für die Fruchtbarkeit des jeweiligen Feldes.
Der Weg, der im Tageslicht und ohne Regen ca. 20 Minuten dauert wird zu einem 2 stündigen Marsch der tanzenden Lichter.
Als wir die Tanzhalle in Asper erreichen dämmert es bereits. Aber anstatt, wie vor 2 Tagen in Guru, die Fackeln zu löschen werden sie zu meinem Erstaunen mit in die Halle genommen, die Tänze beginnen, drei und drei Frauen gemeinsam drehen sich wilder als sonst, die Fackeln hoch erhoben, die Funken fliegen, die Kinder springen mit kleinen Fackeln zwischen den anderen herum. Hier muessen 1000 Schutzengel sein, nie fällt ein brennendes Holzteil in ein Kupas, wo es ungehindert alle Haare der Betroffenen verbrennen könnte, die jeamndem ins Gesicht, nie fängt ein Kleidungsstück unkontrolliert zu brennen an, obwohl sichtlich niemand darauf achtet, öfters fliegen die brennenden Teile knapp am Ziel vorbei – Gott muss wohl sehr zufrieden sein.
Als alle Fackeln schliesslich nieder gebrannt sind, machen wir uns auf den Weg nach Hause, wo wir frühstücken, ein wenig ausruhen und am Nachmittag wieder aufbrechen, diesmal weiter talaufwärts, vorbei am nächtlichen Ziel bis Gri, am nördlichen Hang kurz vor dem Dorf in dem die neue Schule steht.
Die paar hundert Meter Höhenunterschied lassen uns erst schwitzen – allerdings nur bis wir dort sind. Dann spüren wir den kalten Wind, der um alle Ecken pfeift und ungehindert über den Freiluft Tanzplatz auf einem etwas grösseren Felsvorsprung hinweg stürmt. Die Luft ist klar, das Tal, von hier aus gut sichtbar, mit einer weissen Schneedecke überzogen, friedlich, weich sieht es aus, wie im Dornröschenschlaf – solange man nicht zu nahe an die Häuser kommt, aus denen Musik und Gelächter dringt. Wir besuchen einige Verwandte hier oben, schlürfen picksuesse heisse Milchtees um uns aufzuwärmen. Hier in Biriu kuppelt sich die Kalash Gemeinschaft nicht wie in Bumburet für 3 Tage von der Aussenwelt ab. Moslems und Kalash gehen hier an allen Tagen ihren gemeinsamen Arbeiten nach, besuchen sich, plaudern.
In der Abenddämmerung brechen wir nach Hause auf. Kleine Streitereien haben angefangen, wie fast jeden Tag am Tanzplatz, wenn die betrunkenen Jugendlichen ihren Platz im System finden müssen, wollen, sollen.
Ein blaues Auge oder ein verstauchter Fuss gehören dazu…
Wir alle sind erschöpft, die letzten 2 Tage hatten wir kaum geschlafen. Aber Frieden gibts noch lange nicht, Freunde kommen vorbei zum Kartenspiel, die Nacht wird wieder zum Tag.
Der nächste Morgen sollte der letzte Chawmos Tag sein. Frühmorgens hoere ich die Kinderscharen, die – wie bei Halloween – in die Häuser kommen und um Bohnen bitten – daru tatu. Am Abend werden die gesammelten Bohnen vor der Tanzhalle gekocht und am übernächsten Tag wieder verteilt. Erst geht es wieder nach Asper, wo getanzt wird, dann Heim nach Guru, wo die Bohnen aufgesetzt werden.
Das Kochen geht wie von selbst, so haben wir Zeit zum Tanzen und Singen.
Ajhona Baya wird wieder angestimmt, bald ist Weithin lautes Gelaechter zu hoeren. Es findet allerdings ein abruptes Ende, als ein Bote kommt, der uns mitteilt, dass eine Frau aus Beshal gestorben sei. Musik ist damit beendet, die Bohnen koecheln unter den nicht mehr ganz so wachsamen Augen einiger Maedels dahin. Verwandte machen sich auf den Weg nach Beshal, da Muslims am selben Tag begraben werden. Der Kreis des Lebens…
Als am nächsten Tag aus heiterem Himmel die Tochter der Verstorbenen, die in Peshawar lebt, anruft, beschliesst die Familie ihr nichts vom Tod der Mutter zu sagen, bis der Vater und ein Bruder in 2 Tagen selbst nach Peshawar fahren und die traurige Nachricht persönlich überbringen koennen.
Die Tochter spürt, dass etwas nicht stimmt. Ich kann ihre Stimme aus dem Hörer hoeren (unser Telefon ist immer noch das einzige). “Ich will mit ihr reden, wo ist sie, bring sie ans Telefon. Ihr würdet mir nicht mal sagen, wenn es ihr nicht gut geht oder wenn sie stirbt.
Bedrückte Stimmung. Der junge Mann mit dem feuerroten, strubbeligen Haar, der immer mit Gejauchze seinen Esel durchs Tal treibt, auf dem er es sich selbst baumelnden Fusses gemütlich macht, weiss nicht was er seiner Schwester sagen soll. Seine sonst vor Übermut sprühen Augen sind stumpf, ängstlich. Er will ihr die schlechte Nachricht am Telefon ersparen, spürt aber auch, dass sich eine Tochter nicht so leicht über die Gesundheit der Mama täuschen laesst.
In Bumburet dauert das Fest noch 2 Tage länger, also machen sich ein paar Birilas auf, um den letzten Tag in Bumburet zu erleben.
Dada, ein paar Grossvater und Onkeln und ich quetschen uns auf einen Jeep und rumpeln über Eis und Schnee nach Bumburet, wo wir in Bhuttos Haus, welches auch von seinem Bruder und dessen Frau Nadia, die meine “echte” Tante mütterlicherseits ist, bewohnt wird – und von vielen anderen mehr.
Oma ist auch da, fast die ganze Familie ist versammelt. Der Abend wir gemütlich, keine ChawmosTänze aber viele Geschichten werden ausgetauscht.
Ein kleines Baby im Haus hat Ohrenschmerzen, die junge Mama ist verzweifelt. Meine Hausmittel-Bücher sind nicht umsonst, beim Durchblättern habe ich gelesen, dass man halbierte Zwiebel auf die Ohren legen soll.
Ein wenig unbeholfen stopfen wir die Zwiebel unter die Ohrenhaube um sie zu fixieren und werden belohnt. Am Morgen sind die Schmerzen wie weggeblasen.
Oma ist von der Zwiebel mittlerweile schwer beeindruckt, sie hat das Sirup und nun diese Methode kritisch beäugt. Aber nach dem Heilerfolg holt sie nun beim kleinsten Wehwechen eine Zwiebel hervor…
Der Tag kann also ganz den Chawmosfeierlichkeiten gewidmet werden. Der Besucherandrang ist wieder gross, vor allem viele der nicht ganz so gern gesehenen Inlandstouristen aus dem Süden wackeln benommen von dem ungewohnten Wein durch die Gegend und lästern Frauen an.
Aber das sind nur Randgeschehnisse, wir stürzen uns ins Getümmel und Tanzen bis zum Umfallen.
Als ich im Jeep nach Chitral sitze summen meine Ohren noch vom tiefgehenden Trommelbeat der Kalashsongs. Es ist der letzte Chawmos Tag nun auch hier in Bumburet, am frühen Abend ist Schluss und Imtiaz hat mir von einem Musikabend in Chitral erzählt. Also nichts wie los. Ich werd auch Gelegenheit haben ein paar Dinge für das anstehende Weihnachtsfest einzukaufen. Vor allem Orangen und Zimt sind gefragt, zwecks mehrfach geforderter Glúhwein-Zubereitung.
Am nächsten Tag bin ich also wieder zurück mit eben diesen Dingen, dazu noch einige Kilo Äpfel für die Apfel-Zimt-Kekse.
Die Äpfel hatte ich eigentlich schon gebracht, aber waehrend wir nichts Böses ahnend getanzt hatten, waren die Kinder im Abstellkammerl ein und ausgegangen und hatten jedes Mal ein oder zwei Apfel vernascht. Am Abend war nichts mehr übrig...
In Bhuttos Haus ist die Ernährung zwar nicht ganz so unausgewogen wie sonst wo in den Taelern, aber es sei den Kleinen vergönnt, sie sind ja mitten im Wachstum...
Bhuttos Haus ist ein richtiges Familien Guesthouse, 3 Zimmer für Gäste, immer abwechslungsreiches, sauberes und hygienisch zubereitetes Essen, Toiletten in den Zimmern, Oefen im Winter, frische Wäsche mindestens 2x pro Woche...
In Birir könnten sie noch was lernen. Ich hatte vor kurzem mal die Bettwäsche der Gäste gewaschen, als ich darüber stolperte und vor lauter Flecken das Muster nicht erkennen konnte. „Ich hab sie erst letzten Monat gewaschen!“ kam der Kommentar von Mama. Ich habe versucht zu erklären, dass sie mindestens nach jedem Gast oder, sollte ein Gast sehr lange bleiben, ein mal die Woche gewechselt werden muss – und dabei auch gleich gewaschen. Mal sehen...
Aber ich bin ja nun in Bumburet. Am 24. Dezember fangen wir frühmorgens an, Apfelkuchen zu backen. Bis 4 Kilo Äpfel per Hand in Kleinstteilchen geschnitten sind dauert es schon mal eine Weile.
Viele Gäste sind diesmal nicht da, 2 europäische Touristen, mit denen ich gemeinsam die Vorbereitungen teilen und dann natürlich feiern wollte, hatten kurzerhand abgesagt, daher bin ich die einzige mit „Weihnachtsbrauch“.
3 Japaner sind noch da, die fleissig mithelfen, besonders eine - sorry, der Name ist mir entfallen und wuesste ich ihn, so koennte ich ihn bestimmt nicht buchstabieren – schnipselt unermüdlich an den Äpfeln rum. Wir hatten vor 2 Tagen auf ihren Wunsch einen Pudding gemacht – mit Paki Puddingpulver und Paki Anleitung, die natürlich hinten und vorne nicht zusammen passt. Zubereitet nach aufgedrucktem Rezept wurde es eine mehr oder weniger flússige Sosse, aber nach einigem Rumpantschen – oder Improvisieren – hatten wir einen süssen, festen, echten Pudding fertig gebracht.
Das Glühweinkochen haben auch Helferlein übernommen, sie hatten letztes Jahr gut aufgepasst, ich muss nur noch abschmecken...
Es ist also eher ein Familien Weihnachtsfest, dafür umso gemütlicher.
Eine liebe Freundin kommt abends vorbei und bringt mir ein Geschenk. Ich packe es aus und traue meinen Augen kaum: Ein fix und fertiger Piran, mit einer Borte aus selbstgemachten Perlenbändern. Sie hatte mir vor 2 Jahren ein Perlen-Armband geschenkt, welches ich immer noch trage. Als sie einmal nach Birir kam sah sie es und war fast zu Tränen geruehrt. Und nun dieses Geschenk. Ich kanns kaum glauben. Ich hab noch nie einen schöneren Piran als diesen gesehen, und sicher auch keinen, dessen Fertigstellung soviel mühevolle Kleinarbeit beinhaelt. Sie hatte den ganzen Sommer daran gearbeitet. Nicht für mich, für sie, aber als sie sah, wie sehr mir dieses Perlendesign gefiel, waren die Pläne geändert und nun darf ich ihn tragen. Diese Selbstlosigkeit ist eine Eigenschaft, die nur wenige Leute oder Völker besitzen.
Ich hatte dieses Jahr keine Zeit, Geschenke zu machen, alleine ist das auch schwierig, aber 3 der dampfenden Apfelkuchen gehören jedenfalls ihr, und es wird bestimmt eine Gelegenheit geben, ihr auch eine Freude zu bereiten.
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