Shandur - Festival am hoechsten Pologrund
Pakistanische Festivalstimmung
5-10 Juli 06
2 Tage vor beginn des Shandur Festivals brechen wir auf in Richtung Buni. Imtiaz erzählt Geschichten aus der Gegend, im Kassettenrecorder laufen wie immer meine geliebten Khowar Lieder, die in immer mieserer Qualität aus den Lautsprechenern dröhnen, sei es von der schlechten Aufnahmequalität, dem kaputten Band oder dem nie richtig funktionierenden Kassettenspieler. Mit Gedudel und Chitrali Romanzen im Hintergrund geniesse ich den Blick in die schöne Landschaft. „Dort drüben, siehst du die 2 Steine auf dem Hügel? Früher waren sie im Wasser und Baba Siar und seine Freundin trafen sich dort. Es war eine Liebe, in der sich die beiden nicht berührt hatten, nicht wollten. Dennoch saßen sie täglich auf diesen Steinen und sprachen miteinander oder sahen sich einfach nur an. Er schrieb steinerweichende Lieder und Gedichte für sie, jeder wusste dass Baba Siar in sie verliebt war. Ihr Ehemann, ein Gentleman, bot sogar an, sich scheiden zu lassen um das Mädel für ihn frei zu machen, doch er meinte nur, diese Art Liebe sei nicht für eine Ehe gedacht. Einst war sie mit Freundinnen am Weg als sie an Baba Siars Haus vorbei kamen. Die Freundinnen machten sich lustig über den Mann und neckten ihn. ‚Warum lädst du uns nicht ein, es ist Essenszeit?’ So bat er sie ins Haus, seine Geliebte ebenfalls. Ganz gegen die Tradition setzte er ihnen aber nur Salat vor. Auf die Frage, ob ihm denn das Geld ausgegangen sei weil es kein Fleisch gäbe meinte er: ‚Ihr könnt in meinem Haus alles essen, meine Liebste aber soll ihre zarten Finger nicht an Curries schmutzig machen, das Herz täte mir weh wenn ich es sehen müsste.
Ein ander Mal passierte es, dass beide zur gleichen Zeit die enge Brücke querten, ein Anstreifen also unvermeidlich. Baba Siar, der die mystische Liebe keinesfalls zerstören, ihr aber auch nicht den Rücken zukehren wollte, sprang in letzter Sekunde in den Fluss und querte ihn schwimmend.
Diese Sage wird überall erzählt, voll von Metaphern und Symbolen. All diese Legenden handeln von wahrer Liebe, genauso wie alle Lieder sich um dieses Thema drehen.
Bis Buni ist die Strasse bestens – für Pakistanische Verhältnisse, und dort bleiben wir erstmal. Dunkelheit hatte uns schon vor einer Stunde eingeholt, wir suchen einen Freund, der jedoch unauffindbar ist und übernachten im „Mimm“, dem einzigen Hotel der Stadt. Im Hotelzimmer funktioniert sogar die Dusche, richtiges Wasser rieselt kühl von oben auf mich herunter. In einem Anflug von unangebrachtem Optimismus drehe ich sogar am Waschbeckenhahn. Das hätte ich mir sparen können aber manche Reflexe lassen sich nicht so schnell umlernen. Am Abend im Garten mit Blick auf den Schnee bedeckten Buni Zoom und beim Frühstück erzählt uns ein in Hyderabad verheirateter Franzose, wie die Welt besser sein könnte und wie schlecht es um die Bildung steht, wie frustriert er manchmal in seinem Job sei. Am Shandur würden wir uns wieder sehen.
Die Fahrt hinauf ist heiß und holprig, unterbrochen von ein paar Kurzstopps um frische Marillen und deren Kerne zu kaufen, letztere um Magenprobleme zu verhindern, die erstere eventuell bei unmäßigem Verzehr hervorrufen. Die Landschaft erinnert and das karge Hunzatal, welches nur an bewässerten Stellen saftiges Grün, Plantagen etc hervorbringt. In Solaspur trifft Imtiaz einen seiner Bekannten, wir werden zu Lunch und Tee geladen, in einem kühlen Garten, grün mit Schatten spendenden Bäumen, einem kleinen Bewässerungskanal durchs Anwesen, das 3 Gästezimmer beinhaltet. Das eigentliche Wohnhaus ist hinter einer Lehmziegelmauer zu erahnen, dort kochen die Frauen unser Essen, das vom Hausherrn serviert wird.
Nun geht’s steil hinauf, der Motor wird heiß und heißer, ich denke an die Jeeps, mit denen wir immer nach Birir rumpeln, sie bleiben 3-4x stehen, um die Karre zu kühlen. ‚Nein, nein’, meint Imtiaz, der den Landcruiser seines Vaters übernommen hatte, ‚alles klar’.
Beim letzten Bach sind wir beide überzeugt, dass wir zumindest nachsehen sollten – 4 Liter schütten wir hinein, dann erst laufen die ersten Tropfen über. Was wir beide nicht wissen: Papa hatte den Wärmeschutz um den Motor vergessen, der eigentlich für den Winter gedacht ist, um den Motor schneller warm laufen zu lassen. Gibt’s so was bei uns auch?
Der Shandur See taucht wie immer unerwartet hinter kleinen Hügeln auf, hoch oben direkt am Pass. Vergessen ist die melancholische Ruhe vom letzten Jahr in der ein paar einsame Yakhirten ihr Vieh über die Weiden trieben, beäugt von einem gelangweilten Soldaten mit österreichischer Bundesheerjacke.
Obwohl das Fest erst am nächsten Tag beginnen sollte stehen schon massenhaft Zelte am Nordhang, Zeltrestaurants, Wohnzelte, Toilettenzelte, Kommandozelte, Administrationszelte. Man könnte fast meinen bei einem europäischen Musikfestival zu sein, wäre nicht bei Ankunft schon ein gravierender Unterschied: Eintritt frei für alle.
Wir lehnen alle Einladungen in den offiziellen Zelten unser Lager aufzuschlagen – Imtiaz wurde kürzlich zum Union Council Nazim Ashghairet ernannt und läuft mit spitzbübischem Grinser herum, wenn er daran erinnert wird. Er hält nicht viel von all dem pakistanischen Wirbel um Politiker, hat dafür viel für die Leute aus seiner Region über, die sicher von ihrer Wahl profitieren.
Den Spuk in den offiziellen Zelten geben wir uns maximal zu den Mahlzeiten, also mühen wir uns mit einem Trekkingzelt Marke Pakistan ab, dem einige Feinheiten wohl entgangen sind. Bis es steht vergeht eine Weile, genau die Weile die ich brauche um einzusehen, dass es sich wirklich um Konstruktionsfehler handelt und wir improvisieren. Als es endlich steht bemerke ich erst die tollen Zelttaschen mit Öffnung nach außen um direkt ins Zelt zu greifen – allerdings sind diese Öffnungen an der Seite des Innenzeltes, nicht des Außenzeltes... Pakistan Sindabad (lang lebe Pakistan)
Am ersten Abend wird uns das Essen zum Zelt gebracht – Hühnchen, Kartoffel, Reis, frisches Naan. Musik im Hintergrund, irgendwo zwischen den kleinen Hügeln hat sich wie immer eine kleine Gruppe gefunden, die nun gemeinsam trommelt, singt und tanzt. Am Himmel taucht Venus als Vorbote für andere Sterne auf, der Mond schiebt sich langsam über die hohen Bergrücken, neben an brüllt der Generator in die Nacht. Pakistan eben.
Dafür haben wir Licht nahe unserem Zelt, hier im administrativen Sektor stehen sogar einige Toilettenhäuser aus Beton mit fließendem Wasser. In den VIP Zelten, die wir glücklicherweise abgelehnt hatten, liegen die hohen Herren müde auf ihren extra angekarrten Betten, oder auf den hunderten Teppichen, die sich nebst weichen Polstern türmen.
Nach dem Abendmahl spazieren wir zum Musikzelt, wo sich schon einige Leute zusammen gefunden haben. Bunt bedruckte riesige Stoffparavane an Bambusstangen umzingeln die Musikzone, als weiße Frau bekomme ich natürlich wieder einen Ehrenplatz am Sessel zugewiesen. Manchmal ist es angenehm, manchmal wäre es aber einfach schön, mitten in der Menge zu stehen und dieses Gefühl zu spüren, die Atmosphäre die sich ausbreitet, wenn sich diese Leute treffen und so zwanglos anfangen zu spielen, einer löst sich aus der Menge um zu tanzen, ein anderer wird aufgefordert, ebenfalls zu singen.
Ein kleiner Junge tanzt göttlich, den stolzen, aber ruhigen Ausdruck im Gesicht, der oft viel älteren Männern nicht gegeben ist, eine Art entspannte Spannung im Körper, mein Blick ist gefesselt. Nur als Hintergrund nehme ich die Rahmentrommeln, Schalmeien, Dole und Tablas wahr, den Musikanten mit dem wirren Blick, dessen Funkeln man für genial oder wahnsinnig bezeichnen kann.
Störend wirken nur die vielen Leute, die dem kleinen Tänzer Geldscheine zustecken, wie es Tradition ist, er wird sie später den Musikanten zuwerfen. Dank seinem Talent regnet es Noten, jeder will etwas geben und steigt dem Kleinen ständig in den Weg. Sogar 500er und 1000er fliegen – das ist Shandur, so rechtfertigt jedenfalls Imtiaz alle Abweichungen von der Normalität.
Bis spät in die Nacht dauert der Abend, ich schlafe warm eingewickelt in den Schlafsack, nur mein Kopf ragt aus dem Zelt, um die Sterne zu betrachten. Klar und unendlich viele, sogar die Milchstrasse ist deutlich sichtbar.
Um 7 Uhr früh schlagen schon die ersten unermüdlichen Hände eine kleine Trommel, ich sehe mich verschlafen um und erblicke eine kleine Gruppe direkt vor dem Zelt, malerisch auf einen kleinen Hügel drapiert vor azurnem Himmel und weißen Bergen.
Das erste Polomatch beginnt um 10 Uhr, wir wandern langsam zur Tribüne, wo uns ganz oben ein Platz zugewiesen wird – nahe an der Quelle zu den streng Uniformierten Unteroffizieren, die ein wenig Wasser verteilen – oder jemanden darum schicken, je nach Rang.
Die helle Khaki Uniform wird von einem bunten Gürtel gehalten, eine Filzkappe mit Federn und dem Markhor Steinbock oder einem Widder für die Chitral Scouts bzw Gilgit. Andere, Securities, stehen in schwarzer Uniform mit geschulterten Gewehren meist genau im Blickfeld.
Am Shandur Pass grenzen Gilgit und Chitral aneinander, so veranstalten sie auch dieses Fest gemeinsam, obwohl der Festivalplatz genau genommen auf Chitrals Verwaltungsgebiet liegt.
Die Polomatches werden auch von jeweils einem Team der einen und dem Gegner der anderen Provinz ausgetragen. Das erste Match dieses Tages gewinnt Gilgit überlegen mit 8:1, das zweite wird wegen dem Ausfall eines Pferdes verschoben. Freestyle Polo, welches hier gespielt wird, kennt keinen Pferdetausch nach 7 Minuten. Ist ein Pferd oder Spieler verletzt, so scheiden er und der Counterpart der Gegner aus, das Spiel wird mit verminderter Teilnehmerzahl fortgesetzt. Es gibt auch nur eine Foul Regel. Nach einem Tor nimmt ein Spieler den Ball auf, galoppiert damit nahe an die Mittellinie, wirft und schlägt den Ball aus der Luft möglichst weit ins gegnerische Feld. Überquert er die Linie ohne geschlagen zu haben, geht der Ball ans andere Team. 25 Minuten beträgt eine Halbzeit, dann 15 Minuten Pause, welche hier von Volkstänzen, Musik, Seilziehen, Fallschirmspringern und Drachenfliegern gefüllt wird. Die Pferde spielen also 50 Minuten, in dieser Höhe eine beachtliche Leistung, für die sie 3 bis 4 Wochen vor dem Festival zum Akklimatisieren gebracht werden.
Wir erfahren erst am nächsten Tag, dass das verletzte Pferd vom 2. Spiel am Weg nach Mastuj verendet ist. Ein hoher Verlust für einen gewöhnlichen Volksschullehrer. Fast grotesk in der bezaubernden LAndschaft, hinter dem Pologrund glitzerte der See mit den schneebedeckten Bergen um die Wette, strahlend blau zeigt sich der Himmel. Mittags suchen wir ein Essenszelt, im Wirrwarr von Zeltshops, Planenshops und Shops ohne jegliche Abschirmung nach oben nicht so einfach. Zu erkennen nur an den temporären Lehmöfen an der Vorderseite, in die ein paar dünne Eisenteile gemauert wurden, um die Töpfe zu tragen.
Dies sind die einzigen Plätze, wo ein wenig Schatten zu finden ist hier oben über der Baumgrenze. Pferde stehen in brütender Hitze, ebenso wie ein paar vor den Zelten angepflockte Schafe oder Ziegen, deren Name nicht schwer zu erraten ist – Lunch oder Dinner.
Am Abend nach köstlichem Essen beginnt wieder die Musik, Leute finden sich zusammen. Imtiaz prophezeit mir, ich würde tanzen müssen. Mit all den unbekannten Leuten herum ist mir nicht wirklich danach. Ich scherze: „Nur wenn sie Acchi gos a no spielen!“ Ich rechne wieder mit Trommeln und Schalmeien anstatt Sängern und werde eines besseren belehrt. „Mansoor!“ Imtiaz scheint nicht überrascht von der plötzlichen Gegenwart meines Lieblingssängers. Er setzt an, singt nur ein einziges Lied – Acchi gos a no. In mir tanzt schon alles lange bevor ich wirklich aufstehe. Ein wenig eigenartig ist mir schon ohne Kalash Kleid, im Kreis umringt von hunderten von Leuten die alle freudig im Takt klatschen. Ich schließe die Augen, stelle mir vor zuhause zu sein. So sehe ich nicht gleich, dass der Sänger aufgestanden ist, vor Freude, dass eine Angrezi die Lieder kennt und mitsingt. Die Momente, das Gefühl bei diesem Lied zu tanzen, einfach zusammen gekommene Leute herum, die schlichtweg Freude an der Musik haben, der Sternenhimmel darüber und der Sänger, der direkt vor mir singt sind fast unbeschreiblich, komm am besten vorbei und sieh es dir selbst an!
Der nächste Tag bringt wieder viel Sonne, Polo, Musik und langes Plaudern mit Freunden. Am See sitzen, den unerlaubten Alkohol trinken, rauchen, plaudern und ein Spiel spielen – Shandur. Unsere Gruppe besteht aus 4 Nationalitäten mit 7 Sprachen. Alle sollen Englisch reden, ansonsten wären 50 Rupien fällig. Deutsch kommt mir nicht in den Sinn, dafür kann ich mir einige Male nur knapp verkneifen, in Kalashamun zu antworten. Ein paar Leute aus Mumuret und Biriu sind angekommen, mit einigen Touristen wandern wir also ans andere Ufer des Sees, wo sie ihr Zelt aufgeschlagen haben.
Erstaunlich wenige Autos stehen herum, die verbreitete „ich-fahr-allein“ Gibt’s in Pakistan nicht. Wo bei europäischen Musikfestivals der Parkplatz wenig kleiner als das Festivalgelände ist, stehen hier bei 35.000 Zusehern ein paar Jeeps und Vans verteilt. Ich höre, dass CAMET 45 Leute hier herbrachte und frage Gael. „In unserem Auto waren es vielleicht nur 44.
Dafür sind die Toiletten nach kurzer Zeit genauso überschwemmt wie Dixi Klos, das Warmwasser am Morgen ist wiederum erstaunlich.
Abends schreit der Muezzin zum Gebet auf feinsäuberlich mit weißen Steinen abgegrenztem Staubboden zum Gebet, Lautsprecher fehlen mangels Strom, der Ruf verliert sich in der weiten Ebene. Die temporären Moschee-Erbauer scheinen sich nicht ganz einig über die Gebetsrichtung zu sein, sie zeigen kreuz und quer in die Weltgeschichte. Das zeigt wieder mal, dass die Hauptsache im Glauben liegt, nicht im Wissen. Die Gebete sind deshalb nicht anders.
Diesen Abend gibt es keine Musik, zumindest nicht für mich. Die konservativen Mullahs sind gekommen und spähen mit Adleraugen, ob bei diesem Event der verbotenen Dinge nicht vielleicht doch etwas zu kritisieren ist. Freundlich aber bestimmt erklärt mir ein junger Mann, ich solle besser vom Zelt auszuhören. Später tut es mir leid, dass ich wieder mal viel zu grob zu ihm war, fast nicht zugehört hätte, dabei war es wirklich nur gut gemeint. Ich sollte noch genug Gelegenheit bekommen, mich für meine zum Selbstschutz aufgelegte Ungehobeltheit zu entschuldigen. Er ist Sohn der Tehsil Nazims von Mastuj, dessen klingender Name Sikander lautet (nach Alexander dem Grossen), seine Pilotenausbildung beendet hat, Polo spielt und mir eine Freifahrt nach Peshawar verschaffen sollte.
Ich liege also im sicheren Zelt, den Kopf diesmal sicherheitshalber ebenfalls unter der Plane und lausche den entfernten Klängen bis mich Träume in eine andere Welt tragen.
Der Morgen beginnt früh, ist doch die Ankunft des Präsidenten höchst persönlich angesagt. Jährlich stört er das Festival mit Unmengen von Securities und Sicherheitsmassnahmen, nicht zu reden von den vielen Helikoptern, die VIP Gäste herbei fliegen und die ohnehin nicht farbenfrohen Gewänder der Zuseher auf den Hügeln in eine braune Staubwolke hüllen.
Erstmal wird gewartet, alle müssen um 8.30 auf ihren Plätzen sitzen, im VIP Bereich sind nur jene erlaubt, die am Vortag irgendwie im Dschungel der Beamten, den es sogar hier oben gibt, eine Registrierung verschaffen konnten. Mir wurde eine zugesichert, bekommen hab ich sie nie, dafür trotzdem den Platz auf der Tribüne. Pakistan. Die Scouts und Securities sind noch pingeliger rausgeputzt, ein rosa Batch ziert die weiße Kappe unter dem Markhor Anstecker. Die Wichtigkeit des Tages spiegelt sich in ihren Gesichtern wider Die Pferde der Polospieler stehen bereit – 2 Stunden warten sie, wie auch die Zuseher ungeschützt in der 52 Grad heißen Gebirgssonne. Die Hubschrauber treffen ein, der Kommentator kündigt die Frau Pervez Musharaffs und die Ministerin für Tourismus als Hauptgäste an, kein Wort vom Chef. Das Polomatch wird gestartet, die Leute murmeln enttäuscht von ihrem General in die Bärte und verfolgen dann das Polomatch. Ein weiterer Hubschrauber taucht auf, rammt fast den letzten Paraglider, der gerade noch eine Bruchlandung schafft – aus dem Fenster winkt der Boss. Also doch noch. Wie genial doch sein Ablenkungsmanöver sei, bewundern die Pakis. Niemand würde daran denken, dass er nach Eröffnung des Matches kommt. In T-Shirt, Hose und Sonnebrille setzt er sich still an seinen Platz und interessiert sich am Polo. Das Hauptmatch am letzten Tag wird von Gilgit 1 und Chitral 1 bestritten, für letzteres spielt Teamkapitän Sikander. In der Pause verliest Musharaff sein Pläne für Chitral und Gilgit. Es werde eine geteerte Strasse zum Shandurpass geben, gefördertes Hubschrauberservice für alle, ein gefördertes Billiggeschäft in jedem Union Council und einige Millionen Rupien für die lokalen Regierungsbehörden. Außerdem erklärt er sich bereit, dem Besitzer des verendeten Pferdes eine ausreichende Summe für einen Neukauf zukommen zu lassen. Er übergibt die Pokale, das Preisgeld und tanzt danach höchstpersönlich zu Dhole und Schalmeienklängen – der Mann den wir brauchen, tönt es aus der Menge.
Während des Besuches stürmt plötzlich die Menge vom gegenüberliegenden Hügel ins Feld, reißt die Absperrseile durch und drängt aufs Feld. Die Securities versuchen, den Ausfall in den Griff zu bekommen, scheitern aber an der Überzahl. Via Lautsprecher erfahren wir, dass am gegenüberliegenden – vielleicht 150m entfernten Hügel ein kleines Erdbeben stattfand, das sonst nirgends spürbar war. Die Menge glaubt und ist beruhigt.
Das Match ist viel zu spannend um viel Nachzudenken, nach dieser Pause wird es fortgesetzt. Nach 50 aufregenden Minuten herrscht Einstand – 7:7. Der Kommentator beteuert immer wieder, nicht zu wissen was nun passieren würde – so was hätte es noch nie gegeben. Die Teamkapitäne entschließen für 10 weitere Minuten, in denen nichts passiert. 60 Minuten spielen die Pferde nun schon am höchsten Poloplatz der Welt. Für Reiter und Tier ungewohnte, extreme Belastung. Die Pferde schwitzen, die Reiter ebenfalls, aber erstaunlicher Weise gibt niemand auf. Noch mal werden 10 Minuten angehängt nach einer Diskussion, ob nicht eine Münze geworfen und der Wettkampf so durch Glücksspiel beendet werden soll. Die Spieler sind stolz, verlangen ihren Pferden das Letzte ab. Nach wenigen Sekunden fällt das 8:1 für Chitral, nach 6 Minuten das 9:1 – Chitral gewinnt heuer dieses spannende, noch nie da gewesene 70 minütige Match, die Freude ist groß, als die Mannschaft vom Präsidenten den Pokal übernimmt. „Die Pferde waren frisch wie nie, noch nie zuvor haben sie in dieser Form gespielt – kein einziges von ihnen!“ meint Sikander später.
Den Musikabend im Gewinnerzelt wollen wir uns nicht nehmen lassen, so bleiben wir noch eine weitere Nacht am Pass. Langsam wird es ruhig, das Chaos beim allgemeinen Zeltabbau wird weniger, die Leute, Autos und das Geschrei nehmen spürbar ab, bis am Abend kehrt Ruhe ein – die nur von der Musik in Sikanders Zelt gestört wird. Hier im kleinen Kreis kann ich auch endlich wieder tanzen. Gemütlich ist die Nacht, der dunkelblaue See schlummert mystisch hinter den kleinen Unebenheiten im Gelände, fast spürbar ist die Faszination die von ihm ausgeht und unzählige Legenden entstehen hat lassen. Die Sterne spiegeln sich wie ein Leuchtteppich auf der glatten Oberfläche.
Der neue Tag bringt uns nach gemütlichem Aufräumen, Zeltabbau und Plaudern mit Freunden Richtung Chitral. Der erste Stopp in Laspur zeigt uns, wie schnell das Leben manchmal in wohlausgedachte Pläne eingreift. Es betrifft uns nicht direkt, der Herr des Hauses erzählt: „Als mein Bruder letzte Woche plötzlich an einem Herzinfarkt starb, kamen Verwandte aus Lahore u ihr Beileid auszudrücken. Der Mann saß im Garten – genau hier wo ihr jetzt sitzt und wo auch mein Bruder zuvor gesessen hatte - ich musste kurz in mein Zimmer und als ich zurück kam war auch er tot – Herzinfarkt.’ Der friedliche Garten, grün mit Bäumen, Blumen, einer Mauer um unliebsame Beobachter fernzuhalten erstrahlt nun in einer anderen Schönheit, einer kühlen, abgehobenen. Nach dem Tee verlassen wir den unheimlichen Garten und fahren weiter Richtung Nordwesten, Richtung Heimat. Die Strasse selbst ist nicht schlimm, ein bisschen Asphalt umzingelt riesige Schlaglöcher, das übliche eben. In Imtiaz neuem Landcruiser macht es noch viel mehr Spaß und er ist froh, nicht selbst fahren zu müssen. Ich schätze den Vertrauensbeweis eines pakistanischen Mannes, sein Auto von einer Frau fahren zu lassen, sich in jedem Ort dumm anstarren zu lassen – was für ein Mann muss das sein, der nicht fahren kann und dann noch eine Frau ans Steuer lässt... – und dabei ein seelenruhiges Lächeln aufsetzt. Seine Welt ist in Ordnung, seine Position hoch genug um ein wenig aus der Reihe zu tanzen und er freut sich weils mir gefällt. In Buni folgt dann der Härtetest. Ein Hauszufahrt, links und rechts, je 1mm neben dem eingeklappten Spiegel drohen Lehmwände – für 500m, ein Reifen knapp an der Wasserkanalkante, der andere über Wurzelholz und Steine, eine Abzweigung in eine ähnlich enge Häuserzeile über den Bach ohne Brücke mitten auf der ‚Kreuzung’ die eine Steigung von knappen 20% aufweist. Das Auto ackert brav überall herum, hinauf, hinein bis wir schließlich vor der Tür unseres Gastgebers stehen. Der Wachmann bittet uns hinein, er drückt Imtiaz seine Bewunderung aus, er selbst fahre nie bis hier hoch. Imtiaz meint nur: ‚Ich bin nicht gefahren.’ Herr Gastgeber, ein freundlicher, gebildeter Mittvierziger zieht verwirrt die Augenbrauen hoch, sieht mich noch einige Male von der Seite an und schweigt fortan zu diesem Thema. Er lässt Marillen bringen, Tee und Wasser. Später werden Reis, Hühnchen Curry, Gemüse und die Buni Spezialität (Palatschinken mit Frischschafskäsefüllung und Buttersauce oben drüber) – köstlich. Mit vollgeschlagenen Ranzen machen wir uns in der Dämmerung auf Richtung Heimat. Die Hitze der Ebene – immerhin haben wir an diesem Tag schon mehr als 2000 Höhenmeter hinter oder über uns gelassen – trifft uns nicht mehr so schlimm…
Shandur Polofestival etc pics
5-10 Juli 06
2 Tage vor beginn des Shandur Festivals brechen wir auf in Richtung Buni. Imtiaz erzählt Geschichten aus der Gegend, im Kassettenrecorder laufen wie immer meine geliebten Khowar Lieder, die in immer mieserer Qualität aus den Lautsprechenern dröhnen, sei es von der schlechten Aufnahmequalität, dem kaputten Band oder dem nie richtig funktionierenden Kassettenspieler. Mit Gedudel und Chitrali Romanzen im Hintergrund geniesse ich den Blick in die schöne Landschaft. „Dort drüben, siehst du die 2 Steine auf dem Hügel? Früher waren sie im Wasser und Baba Siar und seine Freundin trafen sich dort. Es war eine Liebe, in der sich die beiden nicht berührt hatten, nicht wollten. Dennoch saßen sie täglich auf diesen Steinen und sprachen miteinander oder sahen sich einfach nur an. Er schrieb steinerweichende Lieder und Gedichte für sie, jeder wusste dass Baba Siar in sie verliebt war. Ihr Ehemann, ein Gentleman, bot sogar an, sich scheiden zu lassen um das Mädel für ihn frei zu machen, doch er meinte nur, diese Art Liebe sei nicht für eine Ehe gedacht. Einst war sie mit Freundinnen am Weg als sie an Baba Siars Haus vorbei kamen. Die Freundinnen machten sich lustig über den Mann und neckten ihn. ‚Warum lädst du uns nicht ein, es ist Essenszeit?’ So bat er sie ins Haus, seine Geliebte ebenfalls. Ganz gegen die Tradition setzte er ihnen aber nur Salat vor. Auf die Frage, ob ihm denn das Geld ausgegangen sei weil es kein Fleisch gäbe meinte er: ‚Ihr könnt in meinem Haus alles essen, meine Liebste aber soll ihre zarten Finger nicht an Curries schmutzig machen, das Herz täte mir weh wenn ich es sehen müsste.
Ein ander Mal passierte es, dass beide zur gleichen Zeit die enge Brücke querten, ein Anstreifen also unvermeidlich. Baba Siar, der die mystische Liebe keinesfalls zerstören, ihr aber auch nicht den Rücken zukehren wollte, sprang in letzter Sekunde in den Fluss und querte ihn schwimmend.
Diese Sage wird überall erzählt, voll von Metaphern und Symbolen. All diese Legenden handeln von wahrer Liebe, genauso wie alle Lieder sich um dieses Thema drehen.
Bis Buni ist die Strasse bestens – für Pakistanische Verhältnisse, und dort bleiben wir erstmal. Dunkelheit hatte uns schon vor einer Stunde eingeholt, wir suchen einen Freund, der jedoch unauffindbar ist und übernachten im „Mimm“, dem einzigen Hotel der Stadt. Im Hotelzimmer funktioniert sogar die Dusche, richtiges Wasser rieselt kühl von oben auf mich herunter. In einem Anflug von unangebrachtem Optimismus drehe ich sogar am Waschbeckenhahn. Das hätte ich mir sparen können aber manche Reflexe lassen sich nicht so schnell umlernen. Am Abend im Garten mit Blick auf den Schnee bedeckten Buni Zoom und beim Frühstück erzählt uns ein in Hyderabad verheirateter Franzose, wie die Welt besser sein könnte und wie schlecht es um die Bildung steht, wie frustriert er manchmal in seinem Job sei. Am Shandur würden wir uns wieder sehen.
Die Fahrt hinauf ist heiß und holprig, unterbrochen von ein paar Kurzstopps um frische Marillen und deren Kerne zu kaufen, letztere um Magenprobleme zu verhindern, die erstere eventuell bei unmäßigem Verzehr hervorrufen. Die Landschaft erinnert and das karge Hunzatal, welches nur an bewässerten Stellen saftiges Grün, Plantagen etc hervorbringt. In Solaspur trifft Imtiaz einen seiner Bekannten, wir werden zu Lunch und Tee geladen, in einem kühlen Garten, grün mit Schatten spendenden Bäumen, einem kleinen Bewässerungskanal durchs Anwesen, das 3 Gästezimmer beinhaltet. Das eigentliche Wohnhaus ist hinter einer Lehmziegelmauer zu erahnen, dort kochen die Frauen unser Essen, das vom Hausherrn serviert wird.
Nun geht’s steil hinauf, der Motor wird heiß und heißer, ich denke an die Jeeps, mit denen wir immer nach Birir rumpeln, sie bleiben 3-4x stehen, um die Karre zu kühlen. ‚Nein, nein’, meint Imtiaz, der den Landcruiser seines Vaters übernommen hatte, ‚alles klar’.
Beim letzten Bach sind wir beide überzeugt, dass wir zumindest nachsehen sollten – 4 Liter schütten wir hinein, dann erst laufen die ersten Tropfen über. Was wir beide nicht wissen: Papa hatte den Wärmeschutz um den Motor vergessen, der eigentlich für den Winter gedacht ist, um den Motor schneller warm laufen zu lassen. Gibt’s so was bei uns auch?
Der Shandur See taucht wie immer unerwartet hinter kleinen Hügeln auf, hoch oben direkt am Pass. Vergessen ist die melancholische Ruhe vom letzten Jahr in der ein paar einsame Yakhirten ihr Vieh über die Weiden trieben, beäugt von einem gelangweilten Soldaten mit österreichischer Bundesheerjacke.
Obwohl das Fest erst am nächsten Tag beginnen sollte stehen schon massenhaft Zelte am Nordhang, Zeltrestaurants, Wohnzelte, Toilettenzelte, Kommandozelte, Administrationszelte. Man könnte fast meinen bei einem europäischen Musikfestival zu sein, wäre nicht bei Ankunft schon ein gravierender Unterschied: Eintritt frei für alle.
Wir lehnen alle Einladungen in den offiziellen Zelten unser Lager aufzuschlagen – Imtiaz wurde kürzlich zum Union Council Nazim Ashghairet ernannt und läuft mit spitzbübischem Grinser herum, wenn er daran erinnert wird. Er hält nicht viel von all dem pakistanischen Wirbel um Politiker, hat dafür viel für die Leute aus seiner Region über, die sicher von ihrer Wahl profitieren.
Den Spuk in den offiziellen Zelten geben wir uns maximal zu den Mahlzeiten, also mühen wir uns mit einem Trekkingzelt Marke Pakistan ab, dem einige Feinheiten wohl entgangen sind. Bis es steht vergeht eine Weile, genau die Weile die ich brauche um einzusehen, dass es sich wirklich um Konstruktionsfehler handelt und wir improvisieren. Als es endlich steht bemerke ich erst die tollen Zelttaschen mit Öffnung nach außen um direkt ins Zelt zu greifen – allerdings sind diese Öffnungen an der Seite des Innenzeltes, nicht des Außenzeltes... Pakistan Sindabad (lang lebe Pakistan)
Am ersten Abend wird uns das Essen zum Zelt gebracht – Hühnchen, Kartoffel, Reis, frisches Naan. Musik im Hintergrund, irgendwo zwischen den kleinen Hügeln hat sich wie immer eine kleine Gruppe gefunden, die nun gemeinsam trommelt, singt und tanzt. Am Himmel taucht Venus als Vorbote für andere Sterne auf, der Mond schiebt sich langsam über die hohen Bergrücken, neben an brüllt der Generator in die Nacht. Pakistan eben.
Dafür haben wir Licht nahe unserem Zelt, hier im administrativen Sektor stehen sogar einige Toilettenhäuser aus Beton mit fließendem Wasser. In den VIP Zelten, die wir glücklicherweise abgelehnt hatten, liegen die hohen Herren müde auf ihren extra angekarrten Betten, oder auf den hunderten Teppichen, die sich nebst weichen Polstern türmen.
Nach dem Abendmahl spazieren wir zum Musikzelt, wo sich schon einige Leute zusammen gefunden haben. Bunt bedruckte riesige Stoffparavane an Bambusstangen umzingeln die Musikzone, als weiße Frau bekomme ich natürlich wieder einen Ehrenplatz am Sessel zugewiesen. Manchmal ist es angenehm, manchmal wäre es aber einfach schön, mitten in der Menge zu stehen und dieses Gefühl zu spüren, die Atmosphäre die sich ausbreitet, wenn sich diese Leute treffen und so zwanglos anfangen zu spielen, einer löst sich aus der Menge um zu tanzen, ein anderer wird aufgefordert, ebenfalls zu singen.
Ein kleiner Junge tanzt göttlich, den stolzen, aber ruhigen Ausdruck im Gesicht, der oft viel älteren Männern nicht gegeben ist, eine Art entspannte Spannung im Körper, mein Blick ist gefesselt. Nur als Hintergrund nehme ich die Rahmentrommeln, Schalmeien, Dole und Tablas wahr, den Musikanten mit dem wirren Blick, dessen Funkeln man für genial oder wahnsinnig bezeichnen kann.
Störend wirken nur die vielen Leute, die dem kleinen Tänzer Geldscheine zustecken, wie es Tradition ist, er wird sie später den Musikanten zuwerfen. Dank seinem Talent regnet es Noten, jeder will etwas geben und steigt dem Kleinen ständig in den Weg. Sogar 500er und 1000er fliegen – das ist Shandur, so rechtfertigt jedenfalls Imtiaz alle Abweichungen von der Normalität.
Bis spät in die Nacht dauert der Abend, ich schlafe warm eingewickelt in den Schlafsack, nur mein Kopf ragt aus dem Zelt, um die Sterne zu betrachten. Klar und unendlich viele, sogar die Milchstrasse ist deutlich sichtbar.
Um 7 Uhr früh schlagen schon die ersten unermüdlichen Hände eine kleine Trommel, ich sehe mich verschlafen um und erblicke eine kleine Gruppe direkt vor dem Zelt, malerisch auf einen kleinen Hügel drapiert vor azurnem Himmel und weißen Bergen.
Das erste Polomatch beginnt um 10 Uhr, wir wandern langsam zur Tribüne, wo uns ganz oben ein Platz zugewiesen wird – nahe an der Quelle zu den streng Uniformierten Unteroffizieren, die ein wenig Wasser verteilen – oder jemanden darum schicken, je nach Rang.
Die helle Khaki Uniform wird von einem bunten Gürtel gehalten, eine Filzkappe mit Federn und dem Markhor Steinbock oder einem Widder für die Chitral Scouts bzw Gilgit. Andere, Securities, stehen in schwarzer Uniform mit geschulterten Gewehren meist genau im Blickfeld.
Am Shandur Pass grenzen Gilgit und Chitral aneinander, so veranstalten sie auch dieses Fest gemeinsam, obwohl der Festivalplatz genau genommen auf Chitrals Verwaltungsgebiet liegt.
Die Polomatches werden auch von jeweils einem Team der einen und dem Gegner der anderen Provinz ausgetragen. Das erste Match dieses Tages gewinnt Gilgit überlegen mit 8:1, das zweite wird wegen dem Ausfall eines Pferdes verschoben. Freestyle Polo, welches hier gespielt wird, kennt keinen Pferdetausch nach 7 Minuten. Ist ein Pferd oder Spieler verletzt, so scheiden er und der Counterpart der Gegner aus, das Spiel wird mit verminderter Teilnehmerzahl fortgesetzt. Es gibt auch nur eine Foul Regel. Nach einem Tor nimmt ein Spieler den Ball auf, galoppiert damit nahe an die Mittellinie, wirft und schlägt den Ball aus der Luft möglichst weit ins gegnerische Feld. Überquert er die Linie ohne geschlagen zu haben, geht der Ball ans andere Team. 25 Minuten beträgt eine Halbzeit, dann 15 Minuten Pause, welche hier von Volkstänzen, Musik, Seilziehen, Fallschirmspringern und Drachenfliegern gefüllt wird. Die Pferde spielen also 50 Minuten, in dieser Höhe eine beachtliche Leistung, für die sie 3 bis 4 Wochen vor dem Festival zum Akklimatisieren gebracht werden.
Wir erfahren erst am nächsten Tag, dass das verletzte Pferd vom 2. Spiel am Weg nach Mastuj verendet ist. Ein hoher Verlust für einen gewöhnlichen Volksschullehrer. Fast grotesk in der bezaubernden LAndschaft, hinter dem Pologrund glitzerte der See mit den schneebedeckten Bergen um die Wette, strahlend blau zeigt sich der Himmel. Mittags suchen wir ein Essenszelt, im Wirrwarr von Zeltshops, Planenshops und Shops ohne jegliche Abschirmung nach oben nicht so einfach. Zu erkennen nur an den temporären Lehmöfen an der Vorderseite, in die ein paar dünne Eisenteile gemauert wurden, um die Töpfe zu tragen.
Dies sind die einzigen Plätze, wo ein wenig Schatten zu finden ist hier oben über der Baumgrenze. Pferde stehen in brütender Hitze, ebenso wie ein paar vor den Zelten angepflockte Schafe oder Ziegen, deren Name nicht schwer zu erraten ist – Lunch oder Dinner.
Am Abend nach köstlichem Essen beginnt wieder die Musik, Leute finden sich zusammen. Imtiaz prophezeit mir, ich würde tanzen müssen. Mit all den unbekannten Leuten herum ist mir nicht wirklich danach. Ich scherze: „Nur wenn sie Acchi gos a no spielen!“ Ich rechne wieder mit Trommeln und Schalmeien anstatt Sängern und werde eines besseren belehrt. „Mansoor!“ Imtiaz scheint nicht überrascht von der plötzlichen Gegenwart meines Lieblingssängers. Er setzt an, singt nur ein einziges Lied – Acchi gos a no. In mir tanzt schon alles lange bevor ich wirklich aufstehe. Ein wenig eigenartig ist mir schon ohne Kalash Kleid, im Kreis umringt von hunderten von Leuten die alle freudig im Takt klatschen. Ich schließe die Augen, stelle mir vor zuhause zu sein. So sehe ich nicht gleich, dass der Sänger aufgestanden ist, vor Freude, dass eine Angrezi die Lieder kennt und mitsingt. Die Momente, das Gefühl bei diesem Lied zu tanzen, einfach zusammen gekommene Leute herum, die schlichtweg Freude an der Musik haben, der Sternenhimmel darüber und der Sänger, der direkt vor mir singt sind fast unbeschreiblich, komm am besten vorbei und sieh es dir selbst an!
Der nächste Tag bringt wieder viel Sonne, Polo, Musik und langes Plaudern mit Freunden. Am See sitzen, den unerlaubten Alkohol trinken, rauchen, plaudern und ein Spiel spielen – Shandur. Unsere Gruppe besteht aus 4 Nationalitäten mit 7 Sprachen. Alle sollen Englisch reden, ansonsten wären 50 Rupien fällig. Deutsch kommt mir nicht in den Sinn, dafür kann ich mir einige Male nur knapp verkneifen, in Kalashamun zu antworten. Ein paar Leute aus Mumuret und Biriu sind angekommen, mit einigen Touristen wandern wir also ans andere Ufer des Sees, wo sie ihr Zelt aufgeschlagen haben.
Erstaunlich wenige Autos stehen herum, die verbreitete „ich-fahr-allein“ Gibt’s in Pakistan nicht. Wo bei europäischen Musikfestivals der Parkplatz wenig kleiner als das Festivalgelände ist, stehen hier bei 35.000 Zusehern ein paar Jeeps und Vans verteilt. Ich höre, dass CAMET 45 Leute hier herbrachte und frage Gael. „In unserem Auto waren es vielleicht nur 44.
Dafür sind die Toiletten nach kurzer Zeit genauso überschwemmt wie Dixi Klos, das Warmwasser am Morgen ist wiederum erstaunlich.
Abends schreit der Muezzin zum Gebet auf feinsäuberlich mit weißen Steinen abgegrenztem Staubboden zum Gebet, Lautsprecher fehlen mangels Strom, der Ruf verliert sich in der weiten Ebene. Die temporären Moschee-Erbauer scheinen sich nicht ganz einig über die Gebetsrichtung zu sein, sie zeigen kreuz und quer in die Weltgeschichte. Das zeigt wieder mal, dass die Hauptsache im Glauben liegt, nicht im Wissen. Die Gebete sind deshalb nicht anders.
Diesen Abend gibt es keine Musik, zumindest nicht für mich. Die konservativen Mullahs sind gekommen und spähen mit Adleraugen, ob bei diesem Event der verbotenen Dinge nicht vielleicht doch etwas zu kritisieren ist. Freundlich aber bestimmt erklärt mir ein junger Mann, ich solle besser vom Zelt auszuhören. Später tut es mir leid, dass ich wieder mal viel zu grob zu ihm war, fast nicht zugehört hätte, dabei war es wirklich nur gut gemeint. Ich sollte noch genug Gelegenheit bekommen, mich für meine zum Selbstschutz aufgelegte Ungehobeltheit zu entschuldigen. Er ist Sohn der Tehsil Nazims von Mastuj, dessen klingender Name Sikander lautet (nach Alexander dem Grossen), seine Pilotenausbildung beendet hat, Polo spielt und mir eine Freifahrt nach Peshawar verschaffen sollte.
Ich liege also im sicheren Zelt, den Kopf diesmal sicherheitshalber ebenfalls unter der Plane und lausche den entfernten Klängen bis mich Träume in eine andere Welt tragen.
Der Morgen beginnt früh, ist doch die Ankunft des Präsidenten höchst persönlich angesagt. Jährlich stört er das Festival mit Unmengen von Securities und Sicherheitsmassnahmen, nicht zu reden von den vielen Helikoptern, die VIP Gäste herbei fliegen und die ohnehin nicht farbenfrohen Gewänder der Zuseher auf den Hügeln in eine braune Staubwolke hüllen.
Erstmal wird gewartet, alle müssen um 8.30 auf ihren Plätzen sitzen, im VIP Bereich sind nur jene erlaubt, die am Vortag irgendwie im Dschungel der Beamten, den es sogar hier oben gibt, eine Registrierung verschaffen konnten. Mir wurde eine zugesichert, bekommen hab ich sie nie, dafür trotzdem den Platz auf der Tribüne. Pakistan. Die Scouts und Securities sind noch pingeliger rausgeputzt, ein rosa Batch ziert die weiße Kappe unter dem Markhor Anstecker. Die Wichtigkeit des Tages spiegelt sich in ihren Gesichtern wider Die Pferde der Polospieler stehen bereit – 2 Stunden warten sie, wie auch die Zuseher ungeschützt in der 52 Grad heißen Gebirgssonne. Die Hubschrauber treffen ein, der Kommentator kündigt die Frau Pervez Musharaffs und die Ministerin für Tourismus als Hauptgäste an, kein Wort vom Chef. Das Polomatch wird gestartet, die Leute murmeln enttäuscht von ihrem General in die Bärte und verfolgen dann das Polomatch. Ein weiterer Hubschrauber taucht auf, rammt fast den letzten Paraglider, der gerade noch eine Bruchlandung schafft – aus dem Fenster winkt der Boss. Also doch noch. Wie genial doch sein Ablenkungsmanöver sei, bewundern die Pakis. Niemand würde daran denken, dass er nach Eröffnung des Matches kommt. In T-Shirt, Hose und Sonnebrille setzt er sich still an seinen Platz und interessiert sich am Polo. Das Hauptmatch am letzten Tag wird von Gilgit 1 und Chitral 1 bestritten, für letzteres spielt Teamkapitän Sikander. In der Pause verliest Musharaff sein Pläne für Chitral und Gilgit. Es werde eine geteerte Strasse zum Shandurpass geben, gefördertes Hubschrauberservice für alle, ein gefördertes Billiggeschäft in jedem Union Council und einige Millionen Rupien für die lokalen Regierungsbehörden. Außerdem erklärt er sich bereit, dem Besitzer des verendeten Pferdes eine ausreichende Summe für einen Neukauf zukommen zu lassen. Er übergibt die Pokale, das Preisgeld und tanzt danach höchstpersönlich zu Dhole und Schalmeienklängen – der Mann den wir brauchen, tönt es aus der Menge.
Während des Besuches stürmt plötzlich die Menge vom gegenüberliegenden Hügel ins Feld, reißt die Absperrseile durch und drängt aufs Feld. Die Securities versuchen, den Ausfall in den Griff zu bekommen, scheitern aber an der Überzahl. Via Lautsprecher erfahren wir, dass am gegenüberliegenden – vielleicht 150m entfernten Hügel ein kleines Erdbeben stattfand, das sonst nirgends spürbar war. Die Menge glaubt und ist beruhigt.
Das Match ist viel zu spannend um viel Nachzudenken, nach dieser Pause wird es fortgesetzt. Nach 50 aufregenden Minuten herrscht Einstand – 7:7. Der Kommentator beteuert immer wieder, nicht zu wissen was nun passieren würde – so was hätte es noch nie gegeben. Die Teamkapitäne entschließen für 10 weitere Minuten, in denen nichts passiert. 60 Minuten spielen die Pferde nun schon am höchsten Poloplatz der Welt. Für Reiter und Tier ungewohnte, extreme Belastung. Die Pferde schwitzen, die Reiter ebenfalls, aber erstaunlicher Weise gibt niemand auf. Noch mal werden 10 Minuten angehängt nach einer Diskussion, ob nicht eine Münze geworfen und der Wettkampf so durch Glücksspiel beendet werden soll. Die Spieler sind stolz, verlangen ihren Pferden das Letzte ab. Nach wenigen Sekunden fällt das 8:1 für Chitral, nach 6 Minuten das 9:1 – Chitral gewinnt heuer dieses spannende, noch nie da gewesene 70 minütige Match, die Freude ist groß, als die Mannschaft vom Präsidenten den Pokal übernimmt. „Die Pferde waren frisch wie nie, noch nie zuvor haben sie in dieser Form gespielt – kein einziges von ihnen!“ meint Sikander später.
Den Musikabend im Gewinnerzelt wollen wir uns nicht nehmen lassen, so bleiben wir noch eine weitere Nacht am Pass. Langsam wird es ruhig, das Chaos beim allgemeinen Zeltabbau wird weniger, die Leute, Autos und das Geschrei nehmen spürbar ab, bis am Abend kehrt Ruhe ein – die nur von der Musik in Sikanders Zelt gestört wird. Hier im kleinen Kreis kann ich auch endlich wieder tanzen. Gemütlich ist die Nacht, der dunkelblaue See schlummert mystisch hinter den kleinen Unebenheiten im Gelände, fast spürbar ist die Faszination die von ihm ausgeht und unzählige Legenden entstehen hat lassen. Die Sterne spiegeln sich wie ein Leuchtteppich auf der glatten Oberfläche.
Der neue Tag bringt uns nach gemütlichem Aufräumen, Zeltabbau und Plaudern mit Freunden Richtung Chitral. Der erste Stopp in Laspur zeigt uns, wie schnell das Leben manchmal in wohlausgedachte Pläne eingreift. Es betrifft uns nicht direkt, der Herr des Hauses erzählt: „Als mein Bruder letzte Woche plötzlich an einem Herzinfarkt starb, kamen Verwandte aus Lahore u ihr Beileid auszudrücken. Der Mann saß im Garten – genau hier wo ihr jetzt sitzt und wo auch mein Bruder zuvor gesessen hatte - ich musste kurz in mein Zimmer und als ich zurück kam war auch er tot – Herzinfarkt.’ Der friedliche Garten, grün mit Bäumen, Blumen, einer Mauer um unliebsame Beobachter fernzuhalten erstrahlt nun in einer anderen Schönheit, einer kühlen, abgehobenen. Nach dem Tee verlassen wir den unheimlichen Garten und fahren weiter Richtung Nordwesten, Richtung Heimat. Die Strasse selbst ist nicht schlimm, ein bisschen Asphalt umzingelt riesige Schlaglöcher, das übliche eben. In Imtiaz neuem Landcruiser macht es noch viel mehr Spaß und er ist froh, nicht selbst fahren zu müssen. Ich schätze den Vertrauensbeweis eines pakistanischen Mannes, sein Auto von einer Frau fahren zu lassen, sich in jedem Ort dumm anstarren zu lassen – was für ein Mann muss das sein, der nicht fahren kann und dann noch eine Frau ans Steuer lässt... – und dabei ein seelenruhiges Lächeln aufsetzt. Seine Welt ist in Ordnung, seine Position hoch genug um ein wenig aus der Reihe zu tanzen und er freut sich weils mir gefällt. In Buni folgt dann der Härtetest. Ein Hauszufahrt, links und rechts, je 1mm neben dem eingeklappten Spiegel drohen Lehmwände – für 500m, ein Reifen knapp an der Wasserkanalkante, der andere über Wurzelholz und Steine, eine Abzweigung in eine ähnlich enge Häuserzeile über den Bach ohne Brücke mitten auf der ‚Kreuzung’ die eine Steigung von knappen 20% aufweist. Das Auto ackert brav überall herum, hinauf, hinein bis wir schließlich vor der Tür unseres Gastgebers stehen. Der Wachmann bittet uns hinein, er drückt Imtiaz seine Bewunderung aus, er selbst fahre nie bis hier hoch. Imtiaz meint nur: ‚Ich bin nicht gefahren.’ Herr Gastgeber, ein freundlicher, gebildeter Mittvierziger zieht verwirrt die Augenbrauen hoch, sieht mich noch einige Male von der Seite an und schweigt fortan zu diesem Thema. Er lässt Marillen bringen, Tee und Wasser. Später werden Reis, Hühnchen Curry, Gemüse und die Buni Spezialität (Palatschinken mit Frischschafskäsefüllung und Buttersauce oben drüber) – köstlich. Mit vollgeschlagenen Ranzen machen wir uns in der Dämmerung auf Richtung Heimat. Die Hitze der Ebene – immerhin haben wir an diesem Tag schon mehr als 2000 Höhenmeter hinter oder über uns gelassen – trifft uns nicht mehr so schlimm…